Winsen/Luhe (Niedersachsen)
Winsen (Luhe) – derzeit ca. 35.000 Einwohner - ist die Kreisstadt des niedersächsischen Landkreises Harburg und gehört zur Metropolregion Hamburg – zwischen Hamburg und Lüneburg gelegen (Ausschnitt aus der Bahnkarte von 1861, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Harburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ausschnitt aus hist. Karte von ca. 1650 (Abb. aus wiki-de.genealogy.net) - „Stättlein Winsen an der Liche“ - Stich M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Juden siedelten sich erstmals vermutlich Anfang des 18.Jahrhunderts im Landstädtchen Winsen an; ausgestattet mit Schutzbriefen des Kurfürsten von Hannover war einer der ersten namentlich bekannten Juden in Winsen der Händler Benjamin David. Die stets wenigen jüdischen Familien lebten zumeist vom Kleinhandel. Im Laufe des 19.Jahrhunderts gewann die wohlhabende Kaufmannsfamilie Salomon gewissen Einfluss im Wirtschaftsleben Winsens und der Region; ihre große Manufakturwarenhandlung versorgte die ländliche Bevölkerung des Umlandes mit Podukten des alltäglichen Bedarfs.
Ihre Gottesdienste hielt die Winser Judenschaft in einem angemieteten Raum im sog. „Meeseschen Hause“ in der Luhestraße ab; tonangebend innerhalb der Gemeinde war ebenfalls der Kaufmann Salomon. In der Deichstraße war auch eine Mikwe vorhanden. Die jüdischen Kinder erhielten etwa seit 1820 eigenen Unterricht; zeitweise besaß die Schule auch den Status einer Elementarschule; diese existierte bis um 1860; danach bestand - mit Unterbrechungen - bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges eine kleine Religionsschule.
Der älteste noch vorhandene Grabstein des jüdischen Friedhofs in Winsen (an der Eckermannstraße) stammt aus dem Jahre 1746; auf dem Areal wurden anfangs auch Verstorbene aus Bleckede beerdigt, bevor sie ab den 1750er Jahren eine eigene Begräbnisstätte besaßen.
Der stets sehr kleinen Synagogengemeinde Winsen/Luhe - dem Landrabbinat Hannover unterstehend - waren die Orte Amelinghausen, Bardowick, Hanstedt, Ramelsloh und Salzhausen angeschlossen.
Juden in Winsen/Luhe:
--- 1816/28 ......................... 5 jüdische Familien,
--- 1848 ............................ 46 Juden,
--- 1861 ............................ 33 “ ,
............................ 9 jüdische Familien,* * Synagogengemeinde
--- 1871 ............................ 23 “ ,
--- 1885 ............................ 11 “ (in 2 Familien),
--- 1905 ............................ 27 “ ,
--- 1925 ............................ 15 “ ,
--- 1933 ............................ 10 “ ,
--- 1939 ............................ 5 “ .
Angaben aus: M.Buchholz/A.Lessing (Bearb.), Winsen a.d.Luhe, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1561
Marktstraße - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Um die Jahrhundertwende zeichnete sich die Auflösung der Winser Gemeinde ab, da die noch verbliebenen Angehörigen die gemeindlichen Lasten nicht mehr finanzieren konnten; bereits 1882 waren die Thora-Rollen zum Verkauf angeboten worden. Schon zum damaligen Zeitpunkt suchte man Gottesdienste in Lüneburg auf.
Während der 1920er Jahre lebten noch drei jüdische Familien in Winsen.
Das einzige am Ort bestehende jüdische Geschäft (das Bekleidungs- u. Schuhwarengeschäft Adolf Stern in der Bahnhofstraße, Abb. aus: Museum im Marstall) wurde am 1.4.1933 boykottiert. Es wurde während des Novemberpogroms von 1938 auch von SA-Männern attackiert, die Schaufensterscheiben einschlugen; schließlich musste der Inhaber sein Geschäft schließen. Sechs jüdische Bewohner Winsens wurden Anfang Dezember 1941 - via Hamburg - nach Riga deportiert, zwei weitere im Mai 1943 nach Theresienstadt verschleppt.
Nur die Jüdin Sara Horwitz überlebte den Holocaust und kehrte nach Kriegsende in ihre Heimatstadt zurück, wo sie 1956 verstarb.
Nach Kriegsende bildete sich in Winsen eine neue Gemeinde, die sich aus jüdischen DPs zusammensetzte; allerdings bestand diese nur kurze Zeit.
Auf dem ca. 700 m² großen jüdischen Friedhofsgelände an der Eckermannstraße – eine der ältesten jüdischen Begräbnisstätten im nordöstlichen Niedersachsen – sind heute noch ca, 45 Grabsteine vorhanden.Jüdischer Friedhof (Aufn. T.K., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf dem Gelände erinnert ein Gedenkstein an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus mit den folgenden Worten:
Den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Winsen, die in einer Zeit ihr Leben lassen mußten,
in der die Liebe zu den Menschen gestorben war, zur Erinnerung und Ehre, den Lebenden zur Mahnung.
Die Bürger der Stadt Winsen im Jahre 1965
In den Gehwegen Winsens erinnern an sechs Standorten zehn sog. „Stolpersteine“ an die Schicksale ehemaliger jüdischer Bürger (Stand 2023).
Fünf von insgesamt zehn Stolpersteinen (Aufn. Chr. Michelides, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Tostedt – ca. 30 Kilometer westlich von Winsen/Luhe - wurden 2021 erstmalig sog. „Stolpersteine“ verlegt, im benachbarten Heidenau waren es zwei.
verlegt in der Poststraße
... und Unter den Linden (Abb. Aufn. Sm. 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Salzhausen erinnert am Toppenstedter Kirchweg ein kleiner Gedenkstein an den Standort des ehemaligen jüdischen Friedhofs, der bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts belegt worden war.
Aufn. D. Rohde-Kage, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Günter Könke, Von der Ausgrenzung zur Vernichtung. Die jüdischen Bürger im Landkreis, in: D. Stegmann (Hrg.), Der Landkreis Harburg 1918 - 1949, "Schriften zur Volkskunde und Geschichte des Landkreises Harburg", No. 4, Hamburg 1994, S. 498 - 521
Kerstin Würdemann, Strukturen und Strukturwandel der jüdischen Gemeinde in Winsen/Luhe im 19.Jahrhundert. Hausarbeit für das Lehramt an Grund- u. Hauptschulen, Universität Lüneburg, Winsen/Luhe 1995
Falk-Reimar Sänger, Die jüdischen Friedhöfe im Regierungsbezirk Lüneburg, in: "Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen", 18/1998, No. 4, S. 166
Harald Storz (Bearb.), Dokumentation des jüdischen Friedhofs mit Übersetzungen der hebräischen Inschriften, 2003 (Manuskript im Stadtarchiv)
A.Hillmann/K.H. Ahrens, Der jüdische Friedhof in Winsen (Luhe). Eine Dokumentation, o.O. 2004/05
Marlis Buchholz/Almuth Lessing (Bearb.), Winsen a.d.Luhe, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1561 – 1567
Karl-Heinz Ahrens/Annika Hillmann/Lino Klevesath/Sibylle Oberaus (Bearb.), Eingebunden in das Bündel des Lebens. Dokumentation des Jüdischen Friedhofs und Geschichte der jüdischen Gemeinde in Winsen an der Luhe, in: "Winsener Schriften", Band 14, hrg. vom Heimat- und Museumsverein Winsen (Luhe), Winsen/Luhe 2011
Auflistung der in Winsen/Luhe verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Winsen_(Luhe)
Ilona Johanssen, Die jüdische Gemeinde zu Winsen Luhe, in: "Kreiskalender – Jahrbuch für den Landkreis Harburg 2018", S. 45 - 56
Jens Binner (Red.), WINSEN/LUHE – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/winsen-luhe/
Thomas Lipinski (Red.), Wochenblatt-Leser und Heimatvereins-Chef begrüßen Öffnung der jüdischen Friedhofes, in: „Kreiszeitung - Wochenblatt“ vom 15.6.2021
Bianca Marquardt (Red.), In Tostedt und Heidenau – Stolpersteine erinnern an NS-Opfer, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 26.10.2021
Bianca Marquardt (Red.), Stolpersteine verlegt. Mahnmale gegen Hass, Hetze und Gewalt,, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 2.11.2021
Bianca Marquardt (Red.), Stolpersteine erinnern an Schicksale Verfolgter und Getöteter, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 17.3.2023
Arbeitsgruppe „Stolpersteine in der Samtgemeinde Tostadt“ (Bearb.), Stolpersteine in der Samtgemeinde Tostedt, online abrufbar unter. toester-buergerstiftung.de/stolpersteine-in-der-samtgemeinde-tostedt/ (2023)
Toester Bürgerstiftung (Hrg.), Mitten unter uns - Broschüre der Samtgemeinde Tostedt (2023)
Auflistung der in Tostedt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Tostedt