Winterberg (Böhmen)
Die ersten urkundlichen Hinweise auf jüdisches Leben in der Region um Winterberg stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die Juden waren hier „ohne kaiserlichen Konsens“ sesshaft gemacht worden und standen unter Schutz der Grundherrschaft. Zentrum jüdischer Ansiedlung war etwa ab 1800 die in der Nähe liegende Ortschaft Kieselhof (Ckjn bzw. Ckyne), die auch für das Umland zum eigentlichen Sitz der israelitischen Gemeinde wurde; die Wurzeln der Gemeinde von Kieselhof liegen im 16.Jahrhundert. Ihren Höchststand erreichte die Gemeinde in den 1840er Jahren, als die Zahl ihrer Angehörigen mehr als 200 Personen betrug.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten ein aus dem 17.Jahrhundert stammender Friedhof (mit rund 500 Gräbern) und eine 1828 im Empire-Stil erbaute Synagoge, die als eine der schönsten in der Region galt.
[vgl. Kieselhof (Böhmen)]
Nachdem nach 1850/1860 zahlreiche Juden aus Kieselhof (Ckjn) abgewandert bzw. verstorben waren, wurde 1897 der Sitz der jüdischen Gemeinde nach Winterberg verlegt (durch Statut der Pragerr Verwaltung im Jahre 1900 bestätigt). Damit hatte die mehr als zwei Jahrhundert bestehende jüdische Gemeinde Ckyn aufgehört zu bestehen.
Nach Winterberg waren auch einige jüdische Familien aus Galizien und aus anderen Teilen der Donau-Monarchie gekommen, die die Zahl der Gemeindeangehörigen anwachsen ließ.
Anm.: Im Herbst 1914 trafen in Winterberg die ersten, zumeist jüdischen Kriegsflüchtlinge aus Polen, Galizien und der Bukowina ein; ihre Unterbringung erfolgte z.T. in den Steinbrenerschen Fabrikgebäuden. Im Bereich der gesamten Winterberger Kultusgemeinde summierte sich die Zahl der geflüchteten Juden auf ca. 400 Familien, davon allein im Kernort ca. 50 Familien mit rund 300 Angehörigen.
Gottesdienste an hohen Feiertagen wurden bis 1895 in angemieteten Räumen bzw. teils noch in Ckjn abgehalten. Seit Mitte der 1890er Jahre fanden dann im „Hotel Habsburg“ regelmäßige Gottesdienste statt. Seit 1926 besaß nun auch Winterberg eine Synagoge. Um ihren Bau finanzieren zu können, war zuvor das bereits um 1890 profanierte Synagogengebäude in Ckjn verkauft worden; zudem hatten Spenden und eine allgemeine Geldsammlung für den Kauf des Bauplatzes (an der Ecke Prager Straße/Kinostraße am sog. Bartholomäusfeld) und die Bauausführung die nötigen Mittel bereit gestellt. Der zweckmäßige Bau – mit Sitzbänken für ca. 70 bis 80 Personen – wurde am 3.Januar 1926 vom Pilsener Rabbiner Dr. Max Hoch unter Assistenz der Rabbiner Julius Löwenbein und Arnold Flaschner (aus Strakonitz) feierlich eingeweiht. „Nach der Weihe hielt Prof. Dr. Hoch eine schwungvolle deutsche und tschechische Festpredigt, in dem beachtenswerten Gedanken friedlichen Einvernehmens zwischen Konfessionen und Nationen gipfelnd. Danach schloss sich ein Festgottesdienst, dessen musikalischen Teil Chorregent Heinrich Schlattner von Winterberg am Harmonium und Sänger und Sängerinnen der Kultusgemeinde versahen, … Mit dem Minchagebet schloss die Feier. Anwesend waren hierbei noch Vertreter der pol. Bezirksverwaltung Prachatitz, der Staats- und Gemeindeämter, fast der gesamte Gemeinderat, die Kultusvorsteher der Nachbargemeinden und andere Persönlichkeiten.“
Synagogengebäude (hist. Aufn., Ende der 1920er Jahre)
Die Kultusgemeinde Winterberg umfasste um 1930 die Gerichtsbezirke Winterberg und Wallern.
Juden in Winterberg:
--- 1923 .......................... 76 Juden,
.......................... 119 “ ,* *im Gerichtsbezirk
--- 1930 ....................... ca. 20 jüdische Familien
--- 1934 .......................... 57 Juden.
Angaben aus: Josef Rammel (Bearb.), Geschichte der Juden in Winterberg und Umgebung, in: Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, 1934
und Ingild Janda-Busl, Auf den Spuren jüdischen Lebens entlang der Böhmisch-Bayrischen Grenze ..., S. 31
Marktplatz von Winterberg (hist. Postkarte, um 1910)
Die Mehrzahl der Winterberger Juden setzte sich um 1900 aus Kaufleuten und Handelsangestellten zusammen. In diesen Jahren brachen sich auch in Winterberg der von Karl Lueger und Georg Ritter von Schönerer vertretende Antisemitismus Bahn. Judenfeindlichkeit kam bei Teilen der Bevölkerung auf und das Verhältnis zwischen den Konfessionen trübte sich ein. Die schnell zu Wohlstand gelangten Juden Winterbergs hatten sicherlich auch Neidgefühle bei den eingesessenen Bewohnern hervorgerufen; zudem machten sich einige, sich zum tschechischen Volkstum bekennende jüdische Familien bei der deutschen Bevölkerung verdächtig.
Nach der Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich im Herbst 1938 verließen die meisten Juden die Stadt und zogen in die „Rest-Tschechei“; dort fielen sie aber auch bald in die Hände der NS-Okkupanten. Wem nicht rechtzeitig die Emigration gelang, der wurde deportiert und endete in den Vernichtungslagern.
Anm.: Die Deportationen im Distrikt Prachatitz begannen im November 1942; vom Sammelpunkt Klattau aus gingen zwei große Transporte nach Theresienstadt; die allermeisten der Verschleppten wurden ermordet.
In der Pogromnacht hatten die Nationalsozialisten zunächst die Inneneinrichtung der Winterberger Synagoge in Brand gesetzt; danach wurde auch das Gebäude zerstört und wenig später vollständig abgerissen.
An die Geschichte der Juden der Region erinnern heute noch der Friedhof bei Ckyne (Ckjn) und die ehemalige Synagoge, die nach umfangreicher Sanierung jüngst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Seit 2003 erinnert eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge, die nur 13 Jahre in Nutzung war.
Gedenktafel (Aufn. Martin Brynych)
Weitere Informationen:
Josef Rammel (Stadtchronist von Winterberg), Geschichte der Juden in Winterberg und Umgebung, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, 1934
Fritz Pimmer (Hrg.), Winterberg im Böhmerwald, Freyung 1987
Ingild Janda-Busl, Auf den Spuren jüdischen Lebens entlang der Böhmisch-Bayrischen Grenze im Bereich des Böhmerwaldes, Maschinenmanuskript, Bamberg 2003, S. 30 - 32
Verein für die Restaurierung der Synagoge in Ckyne, in: www.synagoga-ckyne.cz
Jewish Families from Vimperk (Winterberg), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Vimperk-Winterberg-Bohemia-Czech-Republic/people/15180 (Anm. mit Namenslisten und Kurzbiografien)