Wittstock/Dosse (Brandenburg)
Wittstock/Dosse ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 14.000 Einwohnern im Landkreis Ostprignitz/Ruppin im Nordwesten des Landes Brandenburg (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Ostprignitz-Ruppin', aus: ortsdienst.de/brandenburg/ostprignitz-ruppin).
Wittstock - Merian-Stich um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Jüdische Familien ließen sich ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts dauerhaft in Wittstock nieder. Bereits im späten Mittelalter sollen Juden sich in Wittstock aufgehalten bzw. zeitweilig hier gewohnt haben; so fand 1519 eine Wohnstätte der „unredlichen Juden“ urkundlich Erwähnung.
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts soll die jüdische Gemeinde in Wittstock ihren personellen Höchststand besessen haben.
Seit 1857 gab es zentrumsnah einen Betraum in einem Hause der St. Marienstraße. Die Wände der Haussynagoge - sie befand sich im Obergeschoss - waren mit Wandfresken (florale Ornamente) ausgestaltet.
Anm.: Diese blauen Malereien gehören zu den letzten Zeugnissen jüdischen Lebens in Wittstock; denn bei einem Schadensfeuer im Stadtarchiv (1958) gingen zahlreiche Dokumente - so auch solche zur jüdischen Stadtgeschichte - für immer verloren.
Der Betraum wurde Ende der 1920er Jahre aufgegeben, als in Wittstock nur noch elf jüdische Bürger lebten.
Der (alte) jüdische Friedhof vor dem Kyritzer Tor war um 1800/1810 angelegt worden; im Laufe seiner Belegungszeit (1806 bis 1862) wurden hier insgesamt 36 Grabstellen angelegt. Um 1860 wurde ein neuer „Gottesacker“ in Nutzung genommen, der dann mit einer Mauer aus roten Backsteinen eingefriedet wurde.
Juden in Wittstock:
--- 1778 ............................ 4 jüdische Familien,
--- 1801 ............................ 4 " " (mit 29 Pers.),
--- 1855 ............................ 97 Juden,
--- um 1860/65 ...................... 23 jüdische Familien,
--- 1910 ............................ 33 Juden,
--- 1928/29 ......................... 11 “ ,
--- 1938 ............................ 3 “ .
Angaben aus: M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in ..., S. 667
Kyritzerstraße - Postkarte um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Zu Beginn der 1930er Jahren gab es in Wittstock noch drei Geschäfte jüdischer Inhaber.
Am 9.November 1938 wurden die Wohnungen der beiden jüdischen Familien Mendelsohn und Rehfisch demoliert, ihre Bewohner ins Gerichtsgefängnis gebracht; von hier wurden Erich Mendelsohn und Gerhard Rehfisch ins KZ Sachsenhausen verfrachtet. Unter der Zusage, umgehend ihre Auswanderung vorzubereiten, wurden beide alsbald entlassen. Mit ihrer Emigration ins ferne Shanghai konnten sie ihr Leben retten.
Auf dem ehemaligen Friedhofsgelände - es war eingeebnet worden - erinnert ein 1952 aufgestellter Gedenkstein mit den folgenden Worten:
Edel sei der Mensch hilfreich und gut
Faschistischer Rassenhaß schändete im Jahr 1933 diesen Friedhof der Jüdischen Gemeinde.
Im Geiste wahrer Menschlichkeit und Rassenachtung wird der Rat der Stadt Wittstock diese Stätte pflegen.
Wittstock, Dosse, den 9.November 1952
Obwohl der Friedhof in der NS-Zeit geschändet und teilweise zerstört wurde, blieb die kleine Leichenhalle erhalten. Nach der Einebnung des Friedhofgeländes (Anfang der 1950er Jahre) – nur ein Grabstein ist heute noch erhalten – erinnert hier eine kleine Gedenkstätte mit Gedenkstein an den „Guten Ort“ der ehemaligen jüdischen Gemeinde.
Seit 2014 gehört auch Wittstock zu den Kommunen, in denen sog. „Stolpersteine“ für NS-Opfer verlegt worden sind; fünf am Marktplatz verlegte Steine erinnern an Angehörige der beiden jüdischen Familien Mendelsohn und Rehfisch, die sich mit ihrer Flucht ins ferne Shanghai vor dem Zugriff der NS-Behörden in Sicherheit bringen konnten.
Fünf "Stolpersteine" in Wittstock (Aufn. Chr. Michelides, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Das Dorf Rossow – seit 2003 ein Ortsteil der Kommune Wittstock – war ursprünglich eine von drei Mecklenburgisch-Schwerinschen Exklaven in der Prignitz in Brandenburg. Im frühen 18.Jahrhundert kam es hier zu einer verstärkten jüdischen Ansiedlung; eine Gemeinde schien es schon vor 1730 gegeben zu haben. Die relativ zahlreichen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt mit dem Hausierhandel von Landprodukten, die sie in der Region erwarben und dort auch weiter veräußerten. Eine Konvention aus dem Jahre 1787 bestimmte, dass die Anzahl jüdischer Familien von damals 15 nicht weiter erhöht werden dürfe.
Spätestens seit den 1790er Jahren ist ein angemieteter Betraum belegt; ein „Schulmeister“, der für die religiös-rituellen Belange der Gemeinde zuständig war, ist ebenfalls aus dieser Zeit nachweisbar. Etwa zeitgleich richtete die jüdische Gemeinde einen kleinen Begräbnisplatz westlich des Dorfes in einem Wäldchen ein; zuvor waren Verstorbene vermutlich auf israelitischen Friedhöfen in den umliegenden preußischen Ortschaften begraben worden.
Um 1815 kann die Zahl von zehn in Rossow lebenden jüdischen Familien nachgewiesen werden. Nun einsetzende Abwanderung ließ deren Zahl bis ca. 1840/1845 auf nur noch drei absinken. Im Jahre 1854 wurde schließlich die kleine Gemeinde aufgelöst.
Im Gefolge des Novemberpogroms von 1938 wurde in Rossow von SA-Angehörigen ein von der aus Berlin stammenden jüdischen Familie Abrahams bewohntes Gebäude (Wochenendhaus) angezündet. Durch das mutige Eintreten des Pfarrers Aurel von Jüchen, der sich den SA-Männern entgegenstellte und als „Judenknecht“ um sein Leben bangte, konnte die totale Zerstörung des Abrahamsche Haus verhindert werden; dem Pfarrer hatten etliche Rossower Einwohner zur Seite gestanden.
Der bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts belegte jüdische Friedhof ist bereits um 1920 als "verfallen" bezeichnet worden. Um 1950 sollen noch etwa 30 Gräber sichtbar gewesen sein; um 1990 waren dann nur noch Reste von zwei Grabsteinen vorhanden. Das Areal ist heute nicht mehr als ehemaliges Begräbnisgelände erkennbar.
Weitere Informationen:
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 666/667
Wolfgang Weißleder, Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 30
Christhard Läpple (Red.), Das Wunder von Rossow: Wie ein Pfarrer eine jüdische Familie rettete, in: 3sat.de vom 11.11.2013
Stadt Wittstock, Erste Stolpersteine gegen das Vergessen in Wittstock, in: wittstock.de vom 20.3.2014
Auflistung der in Wittstock verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/liste_der_stolpersteine_in_Wittstock/Dosse
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Rossow, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 13.8.2016, in: http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Rossow
Christian Bark (Red.), Den Stolpersteinen ein Gesicht geben, in: „Märkische Allgemeine“ vom 5.12.2018
Christian Bark (Red.), Pogromnacht 1938 in Rossow - Als ein Dorf seinen Mut bewies, in: „Märkische Allgemeine“ vom 8.11.2018
N.N. (Red.), Malereien erinnern an Wittstocks alte Synagoge, in: „Märkische Allgemeine“ vom 9.11.2020
N.N. (Red.), Als Wittstocks jüdischer Friedhof von den Nazis geschändet wurde, in: „Märkische Allgemeine“ vom 8.11.2021