Wöllstein (Rheinland-Pfalz)
Wöllstein/Rheinhessen ist eine Ortsgemeinde im Landkreis Alzey-Worms und gleichzeitig Verwaltungssitz der ca. 4.500 Einwohner zählenden Verbandsgemeinde – zwischen Alzey und Bad Kreuznach gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte ohne Eintrag von Wöllstein, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Eine kleine Synagogengemeinde bildete sich in Wöllstein erst im beginnenden 19.Jahrhundert; denn erst 1804 - während der französischen Besetzung - hatten sich hier die ersten jüdischen Bewohner ansässig gemacht; doch möglichweise haben sich bereits um 1750 Juden im Dorf aufgehalten. Die wenigen jüdischen Familien Wöllsteins lebten in recht ärmlichen Verhältnissen.
Für gottesdienstliche Zusammenkünfte stand ein Betraum im Obergeschoss einem Privathaus in der Kreuznacher Straße zur Verfügung. Die Kinder erhielten Religionsunterricht zunächst vermutlich durch einen von der Gemeinde angestellten Lehrer, der zugleich auch als Vorbeter und Schochet fungierte; später übernahm den Unterricht ein Lehrer aus Fürfeld.
Etwa zeitgleich mit der Gemeindegründung legte man um 1820 einen eigenen Friedhof an; auf diesem erfolgte 1938 die letzte Beerdigung.
Der kleinen Gemeinde angeschlossen waren auch die wenigen Juden aus Siefersheim; unterstellt war die Wöllsteiner Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Bingen.
Juden in Wöllstein:
--- 1804 ........................... 10 Juden (in 3 Familien),
--- 1817 ........................... keine,
--- 1824 ........................... 24 Juden (in 5 Familien),
--- 1830 ........................... 16 “ ,
--- 1861 ........................... 39 “ ,
--- 1880 ........................... 67 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1895 ........................... 95 “ ,
--- 1900/05 ........................ 67 “ ,
--- 1910 ........................... 53 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1924 ........................... 44 “ ,
--- 1933 ........................... 45 “ ,
--- 1937 ........................... 11 jüdische Familien,
--- 1939 (Mai) ..................... 9 Juden,
--- 1942 (Okt.) .................... keine.
Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “, S. 395
Nach 1933 verließen einige Familien Wöllstein; während einige nach Übersee emigrierten, verzogen andere in größere deutsche Städte.
Die im Ort verbliebenen Juden mussten miterleben, wie in der Nacht vom 9. auf den 10.November 1938 ihr Betraum in der Kreuznacherstraße gestürmt und demoliert wurde; auch die Wohnhäuser der jüdischen Familien waren von den Ausschreitungen betroffen, die auf das Konto von ortsfremden Gewalttäter, aber auch von Schülern der damaligen Bürgerschule in Wöllstein gingen.
Während des Pogroms kam ein 74jähriger jüdischer Mann ums Leben, dem SS-Leute mit dessen eigenem Schächtmesser die Kehle durchschnitten hatten; der Mord wurde später als Selbstmord hingestellt.
J-Kennkarte des aus Wöllstein stammenden Lehrers Adolf Kahn (ausgestellt in Mainz 1939)
Die letzten in Wöllstein verbliebenen Juden wurden im Laufe des Jahres 1942 „umgesiedelt“.
Das Gedenkbuch des Bundesarchivs führt 34 jüdische Personen auf, die entweder in Wöllstein geboren wurden oder in den 1930er-Jahren dort gelebt haben und in der NS-Zeit gewaltsam ums Leben kamen; aus Siefersheim wurden sechs Personen mosaischen Glaubens Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/woellstein_synagoge.htm).
Der fast in Vergessenheit geratene jüdische Friedhof "Am Ölberg" - hier findet man auf einer Fläche von ca. 1.200 m² noch 27 Grabsteine - und eine Gedenktafel am Gebäude der Verbandsgemeinde erinnern noch heute an die ehemals im Ort lebenden Juden.
Jüdischer Friedhof in Wöllstein (Aufn. J. Hahn, 2005, aus: alemannia-judaica.de und M. Eppelmann)
In Gau-Bickelheim, heute ein Ortsteil der Verbandsgemeinde Wöllstein, ist erstmals 1429 eine jüdische Familie nachweisbar, die einen zeitlich befristeten Schutzbrief besaß. Ab Ende des 17.Jahrhunderts kamen weitere Familien hierher und bildeten im Dorf eine Gemeinde, die jedoch stets klein blieb; sie zählte maximal 45 Personen. Um 1855 richtete man in einem Scheunengebäude einen Betraum ein; bereits zwei Jahrzehnte zuvor war ein kleiner Friedhof angelegt worden. Als Anfang des 20.Jahrhunderts die jüdischen Familien abwanderten, löste sich die Gemeinde auf; die wenigen verbliebenen schlossen sich der Kultusgemeinde Wallertheim an. Das Synagogengebäude in der Stühlhockergasse wurde um 1920 verkauft.
vgl. Gau-Bickelheim (Rheinland-Pfalz)
In Wendelsheim, heute Teil der Verbandsgemeinde Wöllstein, waren Juden mindestens seit dem 18.Jahrhundert beheimatet. Anfänglich gehörten die wenigen Familien zur Kultusgemeinde Flonheim; Mitte des 19.Jahrhunderts schlossen sie sich den Juden in Erbes-Büdesheim an. Der aus dem 19.Jahrhundert stammende Begräbnisplatz am „Judenpfad“ (von der Schlossgasse abgehend) ist einziges sichtbares Relikt früherer Ansässigkeit von Juden; allerdings findet man auf dem Gelände nur noch wenige Grabsteine.
Friedhof in Wendelsheim und einzelner Grabstein (Aufn. J. Hahn, 2005, aus: alemannia-judaica.de)
Im heute zur Verbandsgemeinde Wöllstein gehörenden Siefersheim wurden 2022 vor einem Haus in der Gemeindestraße fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der einzig hier ansässig gewesenen jüdischen Familie Keller erinnern.
Auf der kleinen jüdischen Begräbnistätte - innerhalb des christlichen Friedhofs - befinden sich zwei Grabsteine, die auf verstorbene Mitglieder der Familie Keller verweisen.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. S. 341/342 (Gau-Bickelheim) und S. 413/414 (Wöllstein)
Stefan Antweiler, Nationalsozialismus und Judenverfolgung in Wöllstein, Facharbeit Gymnasium an der Frankenstraße, Alzey 1988
Dieter Hoffmann, “ ... wir sind doch Deutsche” . Zu Geschichte und Schicksal der Landjuden in Rheinhessen, Hrg. Stadt Alzey, Alzey 1992, S. 263/264
Gabriele Plattes, Chronik der Verbandsgemeinde Wöllstein: Eckelsheim, Gau-Bickelheim, Gumbsheim, Siefersheim, Stein-Bockenheim, Wendelsheim, Wöllstein, Wonsheim, hrg. von der Verbandsgemeinde Wöllstein 1992
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 161 (Gau-Bickelheim) und S. 395 (Wöllstein)
Wöllstein mit Siefersheim, in: alemannia-judaica.de
Wendelsheim, in: alemannia-judaica.de
Michael Eppelmann, Geschichte und Schicksal der Wöllsteiner Juden, Facharbeit Elisabeth-Langgässer-Gymnasium Alzey, 2011
Michael Eppelmann, Jüdischer Friedhof in Wöllstein fast in Vergessenheit geraten, in: "Allgemeine Zeitung. Rhein-Main-Presse" vom 17.1.2013
Bernd Antweiler, Reichspogromnacht November 1938 in Wöllstein, hrg. von der Orstgemeinde Wöllstein, Nov. 2013 (mit zahlreichen biographischen Daten)
Hans-Dieter Graf/Gabriele Hannah, Time goes by, but memories remain - Die Brüder Mendel aus Wendelsheim. Spurensuche in Hot Springs (Arkansas), in: "Heimatjahrbuch Alzey-Worms 2013"
N.N. (Red.), Die ersten Stolpersteine in Siefersheim verlegt, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 11.5.2022