Xanten/Niederrhein (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Xanten in WES.svg  XantenNachbargemeinden.pngXanten ist eine Stadt mit derzeit ca. 22.000 Einwohnern im Kreis Wesel am unteren Niederrhein im Nordwesten Nordrhein-Westfalens (Kartenskizzen 'Kreis Wesel', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und 'Xanten mit Nachbargemeinden von Xanten', aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Xanten gab es vermutlich bereits in römischer Zeit eine jüdische Siedlung. Als sicher gilt, dass es Ende des 11.Jahrhunderts hier eine jüdische Gemeinschaft gegeben hat; dabei handelte es sich vermutlich um jüdische Flüchtlinge aus Köln, die sich vor den Kreuzfahrerhorden in Sicherheit bringen wollten; unterstützt wurden die Juden dabei vom Erzbischof von Köln, der sie im Turm der Xantener Burg versteckte. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass sie religiösen Fanatikern in die Hände fielen; als sie ihre aussichtslose Situation erkannt hatten, sollen sie sich selbst umgebracht haben (1096).

Ein weiterer urkundlicher Beleg für die Ansässigkeit von Juden in Xanten stammt aus dem Jahre 1349; danach sollen hier lebende Juden dem Pestpogrom zum Opfer gefallen sein. In der Folgezeit sind nur vereinzelt Juden in Xanten nachweisbar.

  https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9d/Xanten_1650.jpg Xanten um 1650 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Erst im Laufe des 17.Jahrhunderts ließen sich wieder einzelne jüdische Familien in Xanten nieder; doch eine größere Gemeinde konnte sich hier nicht bilden.

Seit 1690 fanden in Xanten regelmäßig sog. „Judenlandtage“ statt, auf der die Vertretung der Landjudenschaft im Herzogtum Kleve zusammenkam, um gemeinsame Anliegen zu klären.

Seit Ende der 1780er Jahre besaß die kleine Judenschaft einen Betsaal im Obergeschoss eines Hauses in der Scharnstraße; in diesem Gebäude wurden auch die Sitzungen der „Judenlandtage“ abgehalten. Die Xantener Juden gehörten zur Synagogengemeinde Geldern.

Vermutlich hat bereits im Mittelalter ein jüdischer Friedhof in Xanten bestanden. Erst im Laufe des 18.Jahrhunderts wurde wieder ein Begräbnisplatz am Heesberg - weit außerhalb des Stadtgebietes - angelegt; der älteste noch vorhandene Grabstein trägt das Jahr 1767. Die Grabstellen sind hier in drei konzentrischen Kreisen angelegt.

Juden in Xanten:

         --- 1806 ........................... 46 Juden,

    --- 1843 ........................... 98   “  ,

    --- 1852 ........................... 72   “  ,

    --- 1861 ........................... 84   “  ,

    --- um 1880 .................... ca. 85   "  ,

    --- 1890 ........................... 85   “  ,

    --- 1895 ........................... 46   “  ,

    --- 1916 ........................... 30   “  ,

    --- 1930 ........................... 14   “  ,

    --- 1932 ........................... 19   "  .  

Angaben aus: Liobe Thomé, NS-Judenpolitik und jüdische Bevölkerung in Xanten

und                     Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 ..., S. 660

 4232 XANTEN, Historische Ansicht v. 1840 0Historische Postkarte - Ansicht um 1840 (Abb. aus: oldthing.de)

 

Ihren Lebensunterhalt verdienten die Xantener Juden in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts als Trödler und Kleinhändler, als Unternehmer und Großhändler. Bis 1891 lebten sie mit Christen einhellig nebeneinander; doch nach einem Mord an einem fünfjährigen Jungen, den man dem Vorbeter/Schächter der jüdischen Gemeinde, Adolf Wolff Buschhoff, anlastete, änderte sich das Verhältnis zwischen beiden Glaubensgruppen. Es kam zu Ausschreitungen gegen die Familie des Beschuldigten und gegen andere. Im Zusammenhang mit dem Verbrechen wurde folgender Text als Spottlied in Xanten verbreitet: „Juden, das sind Sünder, schlachten Christenkinder, schneiden ihnen die Hälse ab, das verdammte Judenpack“.

Diese belastete Atmosphäre veranlasste jüdische Familien, die Stadt zu verlassen. Ein Jahr später konnte der Beschuldigte den Tatvorwurf entkräften; er wurde vom Gericht freigesprochen.

Anmerkungen: Der „Xantener Ritualmordvorwurf“ war im Deutschen Kaiserreich Anfang der 1890er Jahre zu einem der zentralen Themen geworden. So berichtete die Parteizeitung „Das Volk“ (Hrg. Adolf Stoecker) detailliert über den Mordfalls und schürte damit antisemitische Stimmung; auch andere Publikationen wie die konservative „Kreuzzeitung“, die antisemitische „Neue Deutsche Zeitung“ und die Zentrumszeitung "Germania" stimmten in den Chor der Judenfeinde ein, indem sie den „Ritualmordverdacht“ gegen Adolf Buschhoff zum Anlass nahmen, gegen das „übermächtige Judentum“ ins Feld zu ziehen.

Die antisemitische Agitation erfolgte zudem auch in zahlreichen Druckschriften; darunter ragt das 1892 von Heinrich Oberwinder Pamphlet „Der Fall Buschoff: Die Untersuchung über den Xantener Knabenmord. Von einem Eingeweihten“ heraus.

Anfang der 1930er Jahre lebten nur noch sehr wenige jüdische Bürger in der Stadt. Während des Novemberpogroms von 1938 zerstörten SS-Angehörige aus Geldern den Innenraum der Synagoge an der Scharnstraße und Wohnungen der wenigen jüdischen Einwohner, die sich versteckt oder sich ins nahe Holland geflüchtet hatten. Tags darauf tobte sich der Mob nochmals am bereits zerstörten Synagogenraum aus. Der vor der Stadt liegende Friedhof blieb dagegen fast unversehrt. 1945 fiel das ehemalige Synagogengebäude dem Bombenkrieg zum Opfer.

Etwa 30 bis 35 Personen mosaischen Glaubens*, die in Xanten gelebt bzw. sich hier aufgehalten haben, wurden deportiert und zumeist ermordet (*andere Angabe. ca. 50 Pers.).

 

Auf dem ca. drei Kilometer von der Innenstadt entfernten jüdischen Friedhof am Heesberg befinden sich ca. 55 zumeist recht schlicht-gestaltete Grabsteine, die in drei konzentrischen Kreisen angeordnet sind; der älteste Stein datiert von 1770.

Xanten-JüdischerFriedhof1-Bubo.JPGXanten-JüdischerFriedhof1-Asio.JPG

                 Jüdischer Friedhof in Xanten (Aufn. B., 2018 und  A., 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 )

1998 brachte die Stadtverwaltung Xanten am Eingang des jüdischen Friedhofs am Heeser Weg eine Gedenk- und Hinweistafel an.

Bildergebnis für Xanten gedenktafel Eine weitere Tafel erinnert seit 2019 an die ehemalige Synagoge Xantens an der Scharnstraße; diese vom Niederrheinischen Altertumsverein initiierte Tafel ersetzte eine bis dato dort angebrachte unscheinbare Plakette (Abb. Gedenktafel, aus: lokalcompass.de vom 5.11.2019).

Der Tafeltext lautet: „In diesem Haus befand sich die Synagoge der jüdischen Bürger von Xanten. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung zerstört und der Betsaal geschändet. ORT DER ERINNERUNG"

2007 wurden die ersten neun sog. „Stolpersteine“ in Xanten verlegt; die mit den persönlichen Lebensdaten beschrifteten Messingquader erinnern an deportierte und ermordete Juden Xantens. In den Jahren danach kamen weitere Steine hinzu, so dass inzwischen insgesamt ca. 45 gezählt werden (Stand 2023).

Xanten-StolpersteineAlexander-Marsstr30-1-Bubo.JPG https://c1.staticflickr.com/5/4077/4824801611_12a59b065a.jpg

"Stolpersteine" in der Marsstraße (Aufn. Bubo) und Rheinstraße (Aufn. F. Vincentz, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

in der Bemmelstraße/Nordwall Xanten-StolpersteineBruckmannWertheim-Bemmelstr6-1-Asio.JPGAufn. A. 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Hugo Friedländer, Der Knabenmord von Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14.Juli 1892

Jakob Freimann, Zur Geschichte der Juden in Xanten, in: Festschrift zu Simon Dubnows 70.Geburtstag, Berlin 1930, S. 163 - 171

Anne Listemann, Die Buschoff-Affäre - Ein Kriminalfall des 19.Jahrhunderts von kulturgeschichtlicher und politischer Bedeutung, Schriftliche Hausarbeit (Lehramt für Sekundarstufe I), Universität Essen-Gesamthochschule 1979

Julius H. Schoeps, Ritualmordbeschuldigung und Blutaberglaube. Die Affäre Buschoff im niederrheinischen Xanten, in: Jutta Bohnke-Kollwitz (Hrg.), Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germania Judaica 1959–1984, Bachem-Verlag, Köln 1984, S. 286 - 299

Lioba Thomé, NS-Judenpolitik und jüdische Bevölkerung in Xanten. Schriftliche Hausarbeit (Lehramt Sekundarstufe II), 1985

Ilona Hoppmann, Die soziale Situation der Juden in Xanten in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Schriftliche Hausarbeit Universität Gesamthochschule Duisburg 1992

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1714/1715

Willi Fährmann, Es geschah im Nachbarhaus: die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft (Roman), Arena-Verlag, Würzburg 1996

Dieter Peters, Der jüdische Friedhof in Xanten, Aachen 1998

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 577/578

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II: Reg.bezirk Düsseldorf, J.P.Bachem Verlag, Köln 2000, S. 616 - 618

Michael Brocke/Christiane E. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 186

Bernhard Keuck/Gerd Halmanns (Hrg.), Juden in der Geschichte des Gelderlandes, in: "Veröffentlichungen des historischen Vereins für Geldern und Umgebung", Band 101/2002

Ursula Reuter, Jüdische Gemeinden vom frühen 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts, Bonn 2007, S. 93

Sina Zehrfeld (Red.), Xanten: Reihe der Stolpersteine ist komplett, in: rp-online vom 30.11.2007

Holger Schmenk, Xanten im 19.Jahrhundert. Eine rheinische Stadt zwischen Tradition und Moderne, Böhlau-Verlag, Köln 2008

Stolpersteine in Xanten, online abrufbar unter: xanten.de/de/xanten-gestern-und-heute/stolpersteine

Auflistung der Stolpersteine in Xanten, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Xanten

Christel u. Hans-Martin Scheibner, Spurensuche – Der Xantener Knabenmord, in: lokalkompass.de/xanten vom 29.11.2012

Peter Kummer (Red.), Marienschülerinnen erinnern an Juden, in: rp-online vom 23.1.2018

Sonderausstellung "Gesichter Xantener Juden", Stiftsmuseum Xanten 2018

Alexander Florie-Albrecht (Red.), Neue Gedenktafel erinnert an ehemalige Xantener Synagoge, in: rp-online.de vom 10.11.2019

Markus Werning (Red.), Geschichte der jüdischen Gemeinde. Neues Buch über den jüdischen Friedhof in Xanten, in: rp-online.de vom 12.8.2022

Christiane E. Müller, „Zeuge sei dieser Steinhügel“. Der jüdische Friedhof Xanten und die Geschichte seiner Gemeinde, Hrg. Niederrheinischer Altertumsverein Xanten und vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, Aschendorf 2022

Thomas Langer (Red.), Weitere Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „Niederrhein Nachrichten“ vom 3.12.2022

N.N. (Red.), Gedenken an jüdische Familie – Zwei neue Stolpersteine in Xanten verlegt, in: „Rheinische Post“ vom 9.11.2023