Zittau (Sachsen)
Zittau – derzeit ca. 26.000 Einwohnern zählend - liegt im äußersten Südosten Sachsens (im Landkreis Görlitz) im Dreiländereck Deutschland - Polen – Tschechien (hist. Karte mit Zittau am linken Kartenrand, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Görlitz', aus: ortsdienst.de/sachsen/landkreis-goerlitz).
In der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts wohnten jüdische Familien in der südlich vom Markt gelegenen sog. „Judenburg“ in Zittau. Ende des 14. Jahrhunderts schienen sie aus der Stadt vertrieben worden zu sein. Anfang des 15.Jahrhunderts bestand dann kurzzeitig in Zittau eine kleine Gemeinde, deren Angehörige sich auf Geheiß des Kaisers Sigismund - gegen jährliche Schutzgeldzahlungen - in der Stadt niederlassen durften. Um 1500 endete bereits wieder deren Ansässigkeit.
Ansicht von Zittau in der Oberlausitz um 1570 (Abb. aus: wincontact32naturwunder.blogspot.de)
In den folgenden 350 Jahren hielten sich keine Juden in Zittau auf; erst etwa ab 1865 zogen erneut Familien zu (vermutlich aus Böhmen und Schlesien). Die neuzeitliche israelitische Gemeinde - im Jahre 1880 gegründet, aber erst fünf Jahre später offiziell anerkannt - setzte sich aus Juden der Amtshauptmannschaften Zittau und Löbau zusammen (vgl. Gründungsstatut von 1905); dabei gehörten nur relativ wenige Personen aus Zittau der Gemeinde an.
Die finanziell schwache Gemeinde verfügte zunächst über eine Betstube in der Inneren Weberstrasse (heute Wächterhaus), ehe ein eigener Synagogenbau erstellt wurde. Die Synagoge des Israelitischen Synagogengemeinde konnte 1906 auf dem Gartengrundstück in der Lessingstraße eingeweiht werden.
Zittauer Synagoge (hist. Postkarte, Stadtarchiv)
Die „Zittauer Nachrichten” vom 17.9.1906 berichteten über die Synagogeneinweihung:
Gestern nachmittag wurde die in der Lessingstraße von der israelitischen Religionsgemeinde ... errichtete neue Synagoge feierlich eingeweiht und ihrer Bestimmung übergeben. ... Die Erschienenen versammelten sich zunächst vor dem kleinen schmucken Gotteshause, das recht stimmungsvoll tief im Garten liegt, ... Nach Einleitungsgesängen und Psalmrezitationen wurde aus der Hinterwand des prächtig geschmückten Altars die Thora gehoben. ... So ist Zittau um ein schönes öffentliches Gebäude reicher geworden. Zittauer Kunstsinn und Bürgerfleiß haben in der verhältnismäßig kurzen Zeit von ungefähr acht Monaten ein Werk geschaffen, auf das die Bürgerschaft, ganz besonders aber die israelitische Religionsgemeinde nur mit Freude und Stolz blicken kann.
Die Gemeinde beschäftigte einen eigenen Lehrer, der neben der religiösen Unterweisung der Kinder auch für rituelle Verrichtungen zuständig war.
Der jüdische Friedhof wurde Ende der 1880er Jahre an der Görlitzer Straße angelegt; zuvor waren die Verstorbenen in Görlitz bzw. Dresden beerdigt worden. 1908 wurde im Eingangsbereich des Friedhofs eine relativ große Leichenhalle gebaut.
Modell der Trauerhalle (erstellt von FH Zittau, Hillersche Villa)
Juden in Zittau:
--- 1869 ............................. ein Jude,
--- 1872 ............................. 66 “ n,
--- 1880 ............................. 117 “ ,
--- 1890 ............................. 145 “ ,
--- 1900 ............................. 114 “ ,
--- 1910 ............................. 157 “ ,
--- 1925 ............................. 124 “ ,
--- 1933 ............................. 103 “ ,
--- 1938 (Okt.) ...................... 70 “ ,
--- 1939 (Dez.) ...................... 62 “ ,* * incl. ‘Mischlinge’
--- 1941 ............................. 24 “ ,
--- 1946 ............................. 6 “ .
Angaben aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band II, S. 647 f
und Erhard Hartstock, Geduldet, angesehen und verfolgt, S. 50
Ansicht von Zittau – Stahlstich um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Zittauer jüdischen Familien lebten vornehmlich vom Handel; besonders im Textilbereich gab es in zentraler Stadtlage eine Reihe von Geschäften. Eine der größten Webereien der Region war ebenfalls in jüdischem Besitz.
hist. Ansichtskarte (Abb. aus: akpool.de)
Werbeanzeigen jüdischer Geschäfte in Zittau
Die wirtschaftlichen Erfolge einiger Zittauer Juden rief Neid in der christlichen Geschäftswelt hervor und begünstigte Ende des 19.Jahrhunderts eine antisemitische Stimmungsmache in der Öffentlichkeit. Am schärfsten trat der Antisemitismus 1892/1893 in dem „Zittauer Nachrichten und Anzeiger” in Erscheinung, sodass die jüdische Gemeinde sogar offiziell beim Oberbürgermeister protestierte. Auch in der Folgezeit war Zittau von offenem, aber auch latentem Antisemitismus geprägt. So verweigerte z.B. 1912 die lokale „Wandervogel”-Gruppe einer jüdischen Schülerin die Aufnahme mit der Begründung, dass der „Wandervogel” eine „deutsche Bewegung“ sei.
Nach der NS-Machtübernahme wurde auch in Zittau am 1. April 1933 der Boykott jüdischer Geschäfte durchgeführt. Zwei Jahre später listete die NSDAP-Kreisleitung in Flugblättern alle Zittauer jüdischen Geschäftsinhaber auf und forderte die „Volksgenossen“ auf, diese Läden künftig zu meiden. Auch jüdische Marktbeschicker wurden in Zittau zunehmend an den Rand gedrängt; da die Lokalbehörden laut einer Anweisung des Sächsischen Innenministeriums ein Marktverbot nicht aussprechen konnten, wies man den „Marktjuden“ zunächst ungünstige Standplätze zu.
Am Nachmittag des 10.November 1938 wurden die Synagoge und die 1908 errichtete Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof gesprengt (Aufn. von 1938, Archiv K. Zimmermann bzw. Hillersche Villa).
Die „Zittauer Nachrichten” berichteten am 11.11.1938 über die Zerstörung der Synagoge:
Schon lange waren uns die Tempel der Juden ein Dorn im Auge, sie mußten nun ihr Dasein und ihre Pforten schließen. Als gestern nachmittag zwei Detonationen ertönten, wußten wir, daß die ‘geheiligten Stätten des auserwählten Volkes’ durch Dynamitpatronen zerstört waren. Auf einem Scheiterhaufen verbrannte dann die Menge die aus der Synagoge herausgeholten berüchtigten Talmudschriften. Die umliegenden Gebäude waren durch die Sprengung in keiner Weise in Mitleidenschaft gezogen worden. Auch der Tempel auf dem jüdischen Friedhof an der Grenze unserer Stadt mußte sich eine sachgemäße Sprengung gefallen lassen.
Schaufenster zweier Geschäfte in der Innenstadt wurden zerschlagen, sechs jüdische Männer verhaftet.
Im Laufe des Jahres 1939 war die „Arisierung“ jüdischen Eigentums fast abgeschlossen. 1942/1943 wurden die wenigen noch in Zittau lebenden Juden deportiert.
Besonders tragisch das Schicksal des Zittauer Predigers Leo Elend. Bereits am 1.4.1933 war er von der Gestapo festgenommen und schwer misshandelt worden; fünf Jahre später wurde er ins KZ Buchenwald verbracht. Nach seiner Entlassung aus der KZ-Haft ging er nach Chemnitz, um an der dortigen jüdischen Schule zu wirken. Weil er auch hier wieder Schikanen der Gestapo ausgesetzt war, wählte er im März 1939 den Freitod.
Seit 1989 erinnert eine Gedenktafel vor dem Grundstück der ehemaligen Synagoge (Lessingstraße) an die einstige jüdische Gemeinde:
Im Hintergarten dieses Grundstücks stand bis zum 9.November 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Zittau.
Sie wurde an diesem Tag völlig zerstört.
Wir gedenken aller jüdischen Menschen, die Opfer des Faschismus wurden.
1989
Seit 2005 hat die Initiative „Erinnerung und Versöhnung“ im Stadtgebiet nahezu 30 sog. "Stolpersteine" vor den letzten bekannten Wohn- bzw. Geschäftsadressen ehemaliger jüdischer Bürger Zittaus verlegt (Stand 2023).
Fünf „Stolpersteine“ in Zittau (alle Aufn. B. Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
in der Weinauallee
verlegt für Fam. Duneck, Theodor-Körner-Allee
Jüdischer Friedhof in Zittau (Aufn. B., 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und SchiDD, 2021, aus: commons.wikimedia.org 4.0)
Auf dem ca. 1.000 m² großen jüdischen Friedhofsgelände, auf dem etwa 70 Grabsteine noch erhalten sind, wurde 1948 - vermutlich auf Initiative des Zittauer Juden Mottel Schwarz - ein Gedenkstein aufgestellt, der den ermordeten jüdischen Bürgern Zittaus und Löbaus gewidmet ist. Die in hebräischer und deutscher Sprache abgefasste Inschrift lautet:
Ein Licht Gottes ist der Menschen Seele.
Zum Gedenken
der vierzig jüdischen Seelen der Städte Zittau und Löbau,
die in den Jahren 1933 - 1945 hingerichtet, ermordet, vergast und verbrannt wurden.
Weil sie Juden waren
Mögen ihre Seelen in die Gemeinschaft der Ewiglebenden aufgenommen werden.
2003 erfuhr der jüdische Friedhof eine schwere Schändung; etwa 30 Grabsteine wurden umgestürzt.
Im nahen Löbau (einer Kleinstadt mit derzeit ca. 14.000 Einw., etwa 25 Kilometer südwestlich von Görlitz gelegen) gab es stets nur wenige jüdische Familien; sie nahmen am religiösen Leben der Zittauer Gemeinde, teilweise auch der Görlitzer Gemeinde teil. In den 1920er Jahren lebten hier etwa zwölf jüdische Familien.
Werbung eines jüdischen Geschäftes in Löbau
Die Anfang der 1930er Jahre etwa zehn noch in Löbau lebenden jüdischen Händler/Geschäftsinhaber wurden alsbald immer mehr ausgegrenzt und damit ihres Lebenserwerbs beraubt. Gewaltsame Ausschreitungen während der Novembertage von 1938 schien es in Löbau nicht gegeben zu haben; Geschäfte jüdischer Inhaber gab es zu diesem Zeitpunkt in Löbau nicht mehr. Allerdings sollen einige jüdische Männer damals in ‚Schutzhaft‘ genommen worden sein.
Eine Stele am Promenadenring - am Nordflügel des Amtsgerichts stehend - erinnert seit 1988 an die Reichspogromnacht von 1938; unter dem Abbild eines siebenarmigen Leuchters ist folgende Beschriftung angebracht: "9. November 1938 - Gedenke, vergiss nie".
2022 wurden vor einem Haus am Altmarkt zwei sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an das jüdische Ehepaar Adolf (Abraham) und Helene Grünewald erinnern.
(Aufn. DCB, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 647 - 649
Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Hrg. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V., 1994, S. 34
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 681 – 684
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1720/1721
Erhard Hartstock, Geduldet, angesehen und verfolgt. Aus der Geschichte der Juden in der Oberlausitz, in: "Juden in der Oberlausitz", Lusatia Historie, Lusatia-Verlag, Bautzen 1998, S. 6 ff.
Katrin Griebel, Spuren jüdischen Lebens in Zittau, in: "Juden in der Oberlausitz", Lusatia-Verlag, Bautzen 1998, S. 150 – 189
O.Roland/H.D.Kaulfürst/A.Bockholt/E.Hartstock/K.Griebel (Bearb.), Juden in der Oberlausitz, Lusatia-Verlag Bautzen 2008
Geschichtswerkstatt Hillersche Villa (Hrg.), Geschichte der Juden in Zittau (online abrufbar unter: hillerschevilla.de)
Geschichtswerkstatt Hillersche Villa (Hrg.), Jüdische Geschichte & Kultur am Beispiel der Region Zittau. Handreichung für Lehrer – Unterrichtsmaterial (online abrufbar unter: migration-online.de/data/jdische_geschichte_material_lehrer2.pdf)
Gabriel Wandt (Red.), Warum Juden in Löbau kaum Spuren hinterlassen haben, in: "SZ - Sächsische Zeitung" vom 8.11.2013
Stolpersteine für Zittau, online abrufbar unter: hillerschevilla.de/cms/de/121/Stolpersteine (mit biografischen Daten der betroffenen Personen)
Auflistung der in Zittau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Zittau
Jana Ulbrich (Red.), Auf Spurensuche – Die jüdische Gemeinde in Zittau hatte 160 Mitglieder, in: „SZ - Sächsische Zeitung“ vom 8.11.2018
Jana Ulbrich (Red.), So sah Zittaus Synagoge nach der Zerstörung aus, in: „SZ - Sächsische Zeitung“ vom 14.11.2018
Steffen Linke (Red.), Stolpersteine zur Erinnerung, in: alles-lausitz.de vom 1.12.2019
Thomas Christmann (Red.), Das sind Zittaus neue Stolpersteine, in: „AZ - Sächsische Zeitung“ vom 2.12.2019
Geschichtswerkstatt der Hillerschen Villa (Hrg.), Jüdische Geschichte & Kultur am Beispiel der Region Zittau. Handreichung für Lehrer – zum Unterrichtsmaterial, online abrufbar unter: vielfalt-mediathek.de/
Markus van Appeldorn (Red.), Löbau bekommt die ersten „Stolpersteine“, in: „SZ - Sächsische Zeitung“ vom 8.7.202
Uwe Menschner (Red.), Stolpert Löbau künftig über diese Steine? in: „Oberlausitzer Kurier“ vom 25.9.2022
N.N. (Red.), Zittauer Stolpersteine erinnern an jüdische Schwestern, in: „SZ – Sächsische Zeitung“ vom 25.9.2024