Znaim/Thaya (Mähren)
Das in der südmährischen Region nahe der Grenze zu Österreich gelegene Znaim gehört zu den ältesten Ansiedlungen in diesem Raum; es ist das tschech. Znojmo mit derzeit ca. 34.000 Einwohnern etwa 55 Kilometer von Brünn/Brno entfernt (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Znojmo rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Schon lange bevor Znaim 1226 Stadtrechte verliehen wurden, hielten sich Juden hier dauerhaft auf - vermutlich seit Mitte des 11.Jahrhunderts im Schutze der Burg. Ab dem 13.Jahrhundert lebten die jüdischen Familien in dem Znaimer Ghetto, der "Judengasse", die durch eine Pforte vom übrigen Stadtgebiet abgetrennt war. Ein Privileg für deren Ansässigkeit in Znaim hatte ihnen König Ottokar II. verliehen. Haupterwerbszweig der hiesigen jüdischen Familien war damals der Geldhandel.
Gemeindliche Einrichtungen wie Synagoge, Schule und Mikwe waren schon frühzeitig vorhanden; außerhalb der Festungsmauern befand sich der jüdische Begräbnisplatz.
Trotz der antijüdischen Verfolgungen in Böhmen und Mähren im 14.Jahrhundert - so 1338 als Folge einer angeblichen Hostienschändung im niederösterreichischen Pulkau - blieb die Znaimer Judenschaft erhalten und gewann im Laufe des 15.Jahrhunderts durch Zuwanderung von Glaubensgenossen aus Niederösterreich, dem mährischen Umland und Galizien an Bedeutung.
Während der Hussitenkrieges unterstützten Znaimer Juden den Kaiser Sigismund mit ihm zur Verfügung gestellten Kapital, dessen Rückzahlung aber nie erfolgte.
Unter dem Einfluss des Hetzpredigers Capistrano ließ aber der junge König Ladislaus 1454 alle Juden „auf ewig” aus den Königsstädten, so auch aus Znaim, ausweisen. Im kgl. Ausweisungsbefehl vom 25.Juli 1454 hieß es: „Wir Laßlaw Von Gottes gnaden ... bekhennen, daß Wir aigentlich gemerkht haben, solich Verderbnuß Vndt Beschwerung, so mangifeltig Vnsern liebem gethreüen den burgern Vndt der Gemein zu Znoym, auch ihren Vntersassem von den Juden daselbst Zu Znoym Wohnhafften widergangen vndt beschehen, dar durch Sy in groß armuth vndt verderbnuß khomen seint, ... daß wir Sy alß ein khunig zu behemb und Margraff Zu Mehren derselben Juden daselbst Zu Znoym ganz entladen vndt Bemüßigt haben, entladen vndt müßigen auch wissentlich in Kraft diß Briefs, ..., daß sich alle Juden vndt Judin, Jung vndt alt kheiner außgenommen, Von Znoym mit Ihrer Vahrunder hab fügen und weeg ziehen sollen ...” Der Besitz der ausgewiesenen Juden wurde aufgeteilt: So erhielt das St. Clara-Kloster einige Häuser und die Badestube; die Synagoge wurde zur christlichen St. Bernhardinkapelle, wenig später zu einem Malzhaus umgebaut. Vermutlich ließen sich die vertriebenen jüdischen Familien im ländlichen Umland nieder.
Znaim – Stich von 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
1600 setzte der mährische Landtag im Znaimer Franziskanerkloster die Kopfsteuer für die Juden auf 12 Groschen jährlich fest. 1628 erließ Kaiser Ferdinand hier ein Privileg, nach welchem Juden - gegen Entrichtung einer Gebühr - die Wochen- und Jahrmärkte in den Königsstädten besuchen durften und für diese Zeit Handels- und Gewerbefreiheit genossen.
Eine dauerhafte Ansässigkeit von Juden in Znaim wurde aber prinzipiell erst wieder nach 1848/1851 gestattet; zuvor war nur einzelnen, privilegierten Familien ein dauerhaftes Wohnrecht in der Stadt zugestanden worden. Die sich aus einem Minjam-Verein gebildete jüdische Kultusgemeinschaft (1865) richtete zunächst eine Betstube in der Pragerstraße ein; 1870 (oder 1876 ?) gründete sich dann offiziell eine Kultusgemeinde; an deren Spitze stand zunächst der Rabbiner Dr.Samuel Mühsam (bis 1872).
Im September 1888 wurde die neue, im maurischen Stil gestaltete Synagoge eingeweiht. Das repräsentative Bauwerk, das nach Plänen des Wiener Architekten Ludwig Schöne errichtet worden war, war durch Spenden und „verlosbare Aktien“ finanziert worden; auch Teile der Innenausstattung wurden gespendet.
hist. Außen- und Innenansicht der Synagoge in Znaim, um 1890 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Der erste jüdische Friedhof wurde vermutlich im 13. Jahrhundert vor den Stadtmauern angelegt; die ältesten Grabsteine datieren aus dem Jahre 1256. Im Zuge der Ausweisung von 1454 wurde das Gelände eingeebnet.
Ende der 1860er Jahre gründete man eine Chewra Kadischa und legte nördlich der Stadt eine neue Begräbnisstätte an, auf die die sterblichen Überreste der auf dem alten Friedhof Begrabenen überführt und in einem gemeinsamen Grab bestattet wurden.
Juden in Znaim:
--- 1848 .............................. 19 Juden,
--- 1857 .............................. 36 “ ,
--- 1869 .......................... ca. 360 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1880 .............................. 498 “ ,
--- 1890 .............................. 674 “ ,
--- 1900 .............................. 629 “ ,
--- 1922 .............................. 840 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1928 .............................. 786 “ ,
--- 1930 .............................. 675 “ ,
--- 1938 .............................. ? .
Angaben aus: Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter ..., S. 58
und Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 124
Znaim (hist. Ansicht, um 1910)
Dank der verstärkten Zuwanderung von Juden nach Znaim in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts erlebten Getreidehandel und Konservenfabrikation einen bemerkenswerten Aufschwung.
Anfang des 20.Jahrhunderts stand die Znaimer Kultusgemeinde in voller Blüte; davon zeugen die Bildung zahlreicher Vereine, so u.a. des Talmud-Thora-Vereins, eines Frauen-Wohltätigkeitsvereins oder von Sportclubs.
Eine Folge des in den 1920er Jahren verstärkten zionistischen Wirkens verließen eine Reihe junger Juden die Gemeinde, um in Palästina sich niederzulassen.
Anfang der 1930er Jahre betrug der jüdische Bevölkerungsanteil in Znaim ca. 2%. Im Spätsommer/Herbst 1938 - zur Zeit der Sudetenkrise - verließen die meisten jüdischen Bewohner Znaim, um sich in der „Rest-Tschechei“ in Sicherheit zu bringen.
Während der „Kristallnacht“ im November 1938 wurde die Znaimer Synagoge in Brand gesteckt und zerstört. Diejenigen jüdischen Bewohner, die noch in der Stadt zurückgeblieben waren, wurden während der NS-Besetzung in Konzentrations- und Vernichtungslager abtransportiert. 665 Angehörige der Znaimer jüdischen Gemeinde wurden Opfer der „Endlösung“.
Nach Kriegsende bildete sich in Znojmo für kurze Zeit eine neue israelitische Gemeinde, die dann in einen Synagogenverein überging; dessen Bestehen war aber nicht von Dauer.
Die ältesten, aus dem Jahre 1226 stammenden Grabsteine des mittelalterlichen Friedhofs werden im städtischen Museum aufbewahrt.
Auf dem um 1870 angelegten jüdischen Friedhofsgelände, das zunehmend von der Vegetation überwuchert ist, befinden sich derzeit noch ca. 100 Grabsteine.
Relikte des jüdischen Friedhofs (Aufn. Fet'our, 2011, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die ehemalige Judengasse - in den letzten Jahren wurden hier die Häuser saniert - ist in ihrer Wegeführung im Stadtbild heute immer noch zu erkennen.
Ehem. "Judengasse" in Znojmo (Aufn. Diana Hooyberghs, 2012)
Seit 2008 erinnert eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge.
In Znojmo wurden 2016 mehrere sog. „Stolpersteine“ ("Steine der Verschwundenen") verlegt, die dem Gedenken an Angehörige jüdischer Familien gewidmet sind, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.
verlegt für Fam. Weinberger (Aufn. Chr. Michelides, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter besonderer Berücksichtigung des 19.Jahrhunderts, Brünn 1908
Hugo Beinhorn (Bearb.), Geschichte der Juden in Znaim, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 579 - 585
Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 942 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 1721 - 1725
Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olemanu -Verlag, Tel Aviv 1974, S. 118 - 124
Wilma Iggers, Die Juden in Böhmen und Mähren, München 1986
Jaroslav Klenovsky (Bearb.), Znojmo Moravia, online abrufbar unter: iajgsjewishcemeteryproject.org
Jiri Fiedler, Jewish sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 203/204
Gerhard Hanak (Bearb.), Juden in Mähren - Judengemeinden in Südmähren, o.O. 2002
The Jewish Community of Znojmo (Znaim), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrubar unter: dbs.bh.org.il/place/znojmo
Jewish Families from Znojmo (Znaim), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Znojmo-Znaim-Moravia-Czech-Republic/13169
Thomas Peter, Famillienbasierte Geschäftsbeziehungen mährischer Juden während des Spätmittelalters, online abrufbar unter: medieval-ashkenaz.org
Thomas Peter, Studien zur Geschichte der Juden in Znaim im Spätmittelalter (Dissertation an der Universität Trier, in Bearbeitung)
Auflistung der in Znojmo verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Znojmo