Zülz (Oberschlesien)

Plik:POL Nysa map.svg - Wikinews, wolne źródło informacjiDie Kleinstadt Zülz - südwestlich von Oppeln (Opole) bzw.  südöstlich von Neiße (Nysa) gelegen - ist das heutige polnische Landstädtchen Biala mit derzeit ca. 2.500 Einwohnern in der Woiwodschaft Oppeln (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Biala markiert, aus: pl.wikinews.org).

 

Zülz gehörte zu den Städten in Oberschlesien, die zeitweilig über einen sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteil verfügten; zwischen 1780 und 1820 waren etwa 50% (!) der Gesamtbevölkerung mosaischen Glaubens. Dank ihres Landesherrn hatte die Zülzer Gemeinde nie unter Verfolgungen bzw. Vertreibungen zu leiden gehabt.  Zülz galt für die oberschlesischen Juden daher als „Makom Zadik”.

Die Anfänge der Ansässigkeit von Juden in Zülz liegen im Dunkeln; vermutlich aber stammten die ersten jüdischen Familien, die sich hier niederließen, aus benachbarten böhmischen und mährischen Gebieten. Seit Ende des 14.Jahrhunderts hatten sich Juden vor allem in der Neisser Vorstadt angesiedelt. Die hier lebenden Juden - erstmals 1543 erwähnt - standen später unter dem Schutz der Adelsfamilie Proskowski; Kaiser Maximilian II. hatte ihr 1554 den Ort verpfändet. 1562 ging Zülz an den Grafen Christoph von Proskau über, der – wie auch seine Nachfolger – die Juden als wichtigen Wirtschaftsfaktor in seinem Herrschaftsbereich ansah.

Panorama von Zülz, 16.Jahrh. (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Die gesamte jüdische Bevölkerung Schlesiens verteilte sich um 1600 auf zwei Zentren: auf das niederschlesische Groß-Glogau und vor allem auf das oberschlesische Zülz, wo damals etwa 25 jüdische Familien lebten. Nur in diesen beiden Städten wurden Juden geduldet; 1582 hatte ein kaiserliche Edikt die Austreibung der Juden aus den schlesischen Gebieten sanktioniert.

Aus einem Protokoll des Jahres 1688:

„ ... Es wohnen auch Juden in der Stadt und in den Vorstädten; sie nehmen etwa den dritten Teil der Stadt ein und besitzen in der Stadt eine alte hölzerne Synagoge. Der Begräbnisort ist außerhalb der Stadt, von einem Holzzaun umschlossen. Sie pflegen dem Pfarrer jährlich 2 Dukaten und Gewürz für 1 Florin zu geben. ...”

Ein 1699 vom Kaiser Leopold ausgestelltes Privileg garantierte den Zülzer Juden in der Folgezeit Rechtssicherheit und Bewegungsfreiheit; darin hieß es u.a.:

„ ... waß massen Unser geliebtester Anher Weyland Kayer Ferdinandus Secundus glorwürdigsten gedächtnis sowohl der Pragerischen Judengemeinde alß denen anderen in Unserm Hertzogthumb Schlesien wohnenden Juden ... ein gewisses Privilegium ..., krafft dessen Sie auff alle und jede öffentliche befreyete Jahr- und wochen-Märkte, welcher orth und enden auch zu waß für zeiten des Jahrs Selbige in Unserm Erb-Königreich Böheimb und bemelten Unserm Hertzogthumb Schlesien gehalten werden, wie andere Christliche Kauff- und Handelsleuthe zu raisen und zu handlen fug und Macht haben, auch aller orthe zu wasser und Lande, nicht mehrer Mauth, Zoll und andere dergleichen gebühr von Ihren wahren alß die Christen zugeben schuldig seyn sollen, allergnädigst ertheilet, ...”

 

Die Judenschaft Zülz bildete seit 1740 eine der vier jüdischen Gemeinden Schlesiens. Im 18.Jahrhundert bildeten die Juden in Zülz zeitweilig die Bevölkerungsmehrheit; damals umfasste die israelitische Gemeinde mehr als 1.000 Angehörige. Aus dieser Zeit stammt auch die umgangssprachliche Bezeichnung „Juden-Zülz”; die israelitischen Einwohner sprach hingegen von„Makon Zadik” (= „Ort der Gerechten”). Sie wohnten damals in sehr beengten Verhältnissen, meist in angemieteten Wohnungen. Ihre wirtschaftliche Lage war armselig; neben dem Kleinhandel in der Stadt beschränkte sich ihre Tätigkeit meist auf das Hausieren mit Waren auf Jahr- und Wochenmärkten. Nur einzelne jüdische Familien lebten damals in gesicherten Verhältnissen.

Zülz besaß - neben der hölzernen Synagoge - einige kleine Bethäuser, die auch nach dem Synagogenneubau weiter benutzt wurden. Die neue steinerne Zülzer Synagoge - ihre Erstellung war auf Grund der wachsenden Zahl der Gemeindeangehörigen notwendig geworden - wurde im Jahre 1774 im Barockstil errichtet, nachdem das ältere Holzgebäude bei einem Brand vernichtet worden war. Neben den etwa 300 Männerplätzen waren ca. 100 auf der Frauenempore vorhanden.

    

neue Synagoge in Zülz (hist. Aufn., um 1925 bzw. 1930, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Der Neubau stand abseits des Zentrums und gehörte damals zu den größten jüdischen Kultbauten in Deutschland; in ihm fanden etwa 300 Männer und 100 Frauen Platz. Über den Synagogenbau berichtete ein Zeitgenosse: „ ... Ein massiver schöner Bau ist an der Stelle der alten hölzernen Synagoge entstanden. In einem schlichten Barockstil gehalten, macht die Synagoge schon von außen einen würdigen Eindruck und verschönt, ebenso wie das Rathaus, das anmutige Kleinstadtbild. Allerdings mußte sie sich, wie ihre Erbauer, bescheiden in die Enge der Judengasse zurückziehen. Aus dem Zentrum der Stadt führen nur schmale Gäßchen zu ihr, dicht an ihre Seite drängt sich das einfache Gemeindehaus ....

                                  Beschneidungsbank der Zülzer Synagoge (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Zunächst soll nur eine private Religionsschule in Zülz bestanden haben; gegen Mitte des 18.Jahrhunderts richtete man eine „Judenschule“ ein, die auch Kinder der ärmeren jüdischen Familien besuchten. Der Unterricht befasste sich fast ausschließlich mit der jüdischen Lehre.

                               Illustration aus einer in Zülz entstandenen Schrift, um 1645

Bereits seit ihren Anfängen verfügte die Zülzer Judenschaft über eine eigene Begräbnisstätte. Der neue Friedhof auf dem Hügel „Kopiec“ wurde Ende des 17.Jahrhunderts vergrößert, da er zu diesem Zeitpunkt bereits belegt war; insgesamt sollen hier mehr als 3.000 Verstorbene begraben worden sein. Auch umliegende Gemeinden nutzten den Friedhof in Zülz.

Juden in Zülz:

         --- um 1550 ..........................     9 jüdische Familien,

    --- um 1600 ...................... ca.    25     “        “   ,

    --- um 1725 ...................... ca.   100     “        “    (ca. 600 Pers., 30% d. Bevölk.),

    --- um 1750 ...................... ca.   190     “        “   ,

    --- 1791 ............................. 1.012 Juden (ca. 50% d. Bevölk.),

    --- 1812 ............................. 1.096   “  ,

    --- 1825 ............................. 1.109   “  ,

    --- 1840 .............................   755   “  ,

    --- um 1850 ...................... ca.   500   “  ,

    --- 1860 .............................   337   “  ,

    --- 1880 ......................... ca.   300   “  ,

    --- 1901 .............................    36   “  ,

    --- 1910 .............................    20   “  ,

    --- 1935 .............................    12   “  .

Angaben aus: Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, S. 16

und                 Johannes Chrzaszcz, Geschichte der Stadt Zülz in Oberschlesien

 

Das Verhältnis zwischen dem christlichen und jüdischen Bevölkerungsteil war bis ins 18.Jahrhundert von meist wirtschaftlich motivierten Spannungen geprägt. Mitte des 19.Jahrhunderts entspannte sich das Verhältnis, da die sich verbesserte ökonomische Lage der Judenschaft auch dem städtischen Gemeinwesen zugute kam.

Nach 1812 verlor Zülz seine Bedeutung als jüdisches Zentrum Schlesiens; immer mehr Juden verließen die Kleinstadt und zogen in die neuen Wirtschaftszentren, die bessere Lebensperspektiven versprachen. Ende des 19.Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde derart geschrumpft, dass das Gemeindeleben - auf Grund der finanziellen Notlage - fast völlig zum Erliegen kam. 1914 wurde schließlich die Zülzer Synagogengemeinde aufgelöst; die wenigen noch in Zülz lebenden jüdischen Familien wurden der Synagogengemeinde im nahen Neustadt zugewiesen. Das Synagogengebäude wurde seit 1914 nicht mehr als solches genutzt; 1939 wurde es verkauft und anschließend abgerissen.

Der jüdische Friedhof in Zülz existiert noch heute; etwa 400 lesbare Grabsteine liegen versteckt in einem Waldgelände am Schwedenberg, teilweise sind sie in den Erdboden versunken.                 

 Cmentarz żydowski w Białej 8.jpg

 "Vergessene Gräber" (Aufn. August Kazimierz, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 2.5  und aus: panoramio.com)

    Aufn. Stoik, aus: kirkuty.xip.pl

 

  Im Jahre 1809 wurde der Orientalist Louis Loewe in Zülz geboren. Nach dem Besuch einer Jeschiwa in Lissa bzw. in Preßburg begann er ein Studium orientalischer Sprachen, das er in den 1830er Jahren in London fortsetzte. Seine Forschungsreisen führten ihn nach Ägypten und in den Nahen Osten. Nach seiner Rückkehr nach London 1839 machte ihn der Herzog von Sussex zum Direktor der orientalischen Abteilung seiner Bibliothek; diesen Posten bekleidete er etwa 15 Jahre. 1856 bis 1858 war er Schulleiter des Jews' College, einer jüdischen Schule in London. 1861 gründete er in Brighton eine Schule für jüdische Knaben, die Schüler aus aller Welt besaß. 1869 bis zu seinem Tod (1888) war er Direktor eines theologischen Seminars in Ramsgate.

 

Salomon Cohn, als Sohn eines Rabbiners 1822 in Zülz geboren, übte nach seiner Ausbildung in Preßburg und Altona an verschiedenen Orten, seit 1847 das Amt eines Rabbiners in Oppeln aus. Wenige Jahre später wurde er zum Provinzial-Rabbiner der niederländischen Provinz Limburg (Sitz Maastricht) berufen. Seit 1859 stand er dem Landesrabbinat von Mecklenburg-Schwerin vor. Knapp zwei Jahrzehnte später war Salomon Cohn an der orthodoxen Tiergarten-Synagoge in Berlin und gleichzeitig auch als Dozent am Berliner Rabbinerseminar tätig. Er starb 1902 in Breslau.

 

 

 

Weitere Informationen:

Israel Rabin, Die Juden in Zülz, in: Johannes Chrzaszcz, Geschichte der Stadt Zülz in Oberschlesien - von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Verlag Magistrat in Zülz, 1926, S. 117 - 161

Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, Verlag Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1972

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 32/33 und Teil 2, Abb. 28

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 365 - 367

Peter Maser/Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, Teil 1: Historischer Überblick, Jüdische Gemeinden, in: Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien, Landeskundliche Reihe, Band 3.1, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1992

Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, in: Zur Geschichte der deutschen Juden. Ostdeutschland - Böhmen - Bukowina, Kulturpolitische Korrespondenz 61/1993, S. 17 – 23

Andrzej Kaluza, Zülz oder der Ort der Gerechten. Erinnerung an die oberschlesischen Juden, 1996

Fr.-Carl Schultze-Rhonhof, Geschichte der Juden in Schlesien im 19. u. 20.Jahrhundert, in: "Schlesische Kulturpflege - Schriftenreihe der Stiftung Schlesien", Band 5, Hannover 1995

Julius H. Schoeps (Hrg.), Neues Lexikon des Judentums, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000, S. 894

Jerzy Woronczak, The Jewish cemetery in Biala (Zülz), in: M. Wodzinski/J. Spyra (Hrg.), Jews in Silesia, Cracow 2001, S. 281 - 287

Arno Herzig, Konfession und Heilsgewissheit - Schlesien und die Grafschaft Glatz in der Frühen Neuzeit, in: Religion in der Geschichte: Kirche, Kultur und Gesellschaft, Band 9, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2002, S. 140 - 149

Arno Herzig, 900 Jahre jüdisches Leben in Schlesien, Verlag Senfkorn, Görlitz 2018

Biala, in: sztetl.org.pl

Małgorzata Frąckowiak (Red.), Jewish history and jewish cemetery of Biala, in: kirkuty.xip.pl