Untermerzbach (Unterfranken/Bayern)
Untermerzbach ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.700 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Haßberge – knapp 30 Kilometer nördlich von Bamberg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Haßberge', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts war nahezu jeder dritte Dorfbewohner von Untermerzbach mosaischen Glaubens.
In Untermerzbach lebten bereits im ausgehenden 17.Jahrhundert einige jüdische Familien, die hier alsbald eine Gemeinde bildeten. Die Untermerzbacher Juden standen unter dem Schutz verschiedener Grundherrschaften, so dem Hochstift Bamberg, den Freiherren von Greiffenclau und den Grafen von Rotenhan.
Im 18. und bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts war der Ort ein Zentrum jüdischen Lebens, das sich auch im hier angesiedelten Rabbinatssitz manifestierte. Denn die Juden im östlichen Bereich des Hochstifts Würzburg gehörten im 17./18. Jahrhundert zum „Land Grabfeld”, einem Verbund jüdischer Gemeinden unter einem gemeinsamen Rabbinat. Der Landesrabbiner hatte seinen Sitz aber meist in Burgpreppach, nur zeitweise in Untermerzbach.
Die jüdischen Familien Untermerzbachs hatten einen eigenen Wohnbereich, den sog. „Judenhof“, der sich am östlichen Ortsrand befand; hier befand sich vermutlich auch deren Betraum.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine gegen Mitte der 1830er Jahre neuerbaute Synagoge (der Betsaal befand sich im Obergeschoss des zweigeschossigen Fachwerkgebäudes), von der es in einem damaligen Bericht hieß: „Licht in der Dunkelheit - Zu Untermerzbach an der sächsisch-bayerischen Grenze wurde am 4. September von den Israeliten ein Bethaus eingeweiht, nicht wie weiland mit Hokuspokus, sondern mit schönen deutschen Gesängen und einer passenden Rede; alle Confessionen nahmen an dieser schönen Feierlichkeit Antheil."
Westlich des Dorfes befand sich der jüdische Friedhof, der erst um 1840 angelegt worden war; in den Jahrzehnten zuvor waren verstorbene Juden aus Untermerzbach auf dem israelitischen Friedhof in Ebern beerdigt worden.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Religionslehrer angestellt.
Nachdem die Zahl der jüdischen Einwohner stark zurückgegangen war und die geringe Zahl der Kinder einen eigenen Schulbetrieb nicht mehr gewährleistete, wurde seit den 1880er Jahren die Gemeinde vom jüdischen Lehrer aus Memmelsdorf betreut: Zweimal wöchentlich kam dieser nach Untermerzbach, um den wenigen jüdischen Kindern Religionsunterricht zu erteilen.
Juden in Untermerzbach:
--- 1814 ......................... 121 Juden (ca. 22% d. Bevölk.),
--- 1825......................... 122 " ,
--- 1837 ......................... 120 “ (ca. 23% d. Bevölk.),
--- 1853 ......................... 150 " (ca. 30% d. Bevölk.),
--- 1867 ......................... 44 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1871 ......................... 32 " ,
--- 1880 ......................... 20 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1900 ......................... 12 “ ,
--- 1910 ......................... 5 “ ,
--- 1925 ......................... 7 “ .
Angaben aus: Untermerzbach, in: alemannia-judaica.de
Ortsmitte von Untermerzbach - hist. Postkarte (aus: akpool.de)
Die jüdischen Familien stellten um 1820/1830 knapp 25% der Dorfbevölkerung; zwei Jahrzehnte später waren es ca. 30%. Um 1860 gab es in Untermerzbach zwei größere jüdische Unternehmen: so die Fa. des Großhändlers/Fabrikanten Meyer Lebermann und die des Kaufmanns Löb Brüll.
Bis zur Jahrhundertwende ging der jüdische Bevölkerungsanteil durch Abwanderung ganz erheblich zurück (1900 nur noch 12 Pers.); die nun winzige Gemeinde löste sich auf, die verbliebenen, zumeist verarmten Angehörigen schlossen sich der Kultusgemeinde Memmelsdorf an.
Verkaufsanzeige in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 27.6.1889
1923 soll es zu Tätlichkeiten gegenüber den beiden noch im Dorf lebenden jüdischen Familien gekommen sein; die jugendlichen Täter gehörten dem rechten Spektrum an.
Im Jahre 1933 hielten sich noch sechs jüdische Bewohner in Untermerzbach auf; die letzte hier wohnende Jüdin wurde 1942 - via jüdisches Altersheim Schweinfurt - nach Theresienstadt deportiert.
Acht aus Untermerzbach stammende jüdische Bewohner fielen nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ der „Endlösung“ zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/untermerzbach_synagoge.htm).
Das Synagogengebäude war bereits 1902 verkauft worden; anschließend wurde es als Scheune/Getreidespeicher benutzt und danach zu einem Wohnhaus umgebaut, das bis heute erhalten ist.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. R. Hanke, 2014)
Mit einer umfassenden Sanierung der historischen Synagoge von Untermerzbach, die mit erheblichen Landesmitteln erfolgen soll, will die Kommune den Fortbestand des Gebäudes sichern (Stand 2019).
Auf dem jüdischen Friedhof - das Gelände hat eine Größe von ca. 1.500 m² - findet man heute noch ca. 50 Grabsteine.
Friedhof in Untermerzbach (Aufn. S., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Bereich der Kommune Untermerzbach wurde im Frühjahr 2014 eine Etappe des „Lehrpfades zur Geschichte des Fränkischen Landjudentums“ eröffnet.
vgl. dazu: Memmelsdorf (Unterfranken/Bayern)
Weitere Informationen:
Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 417
Gisela Krug, Die Juden in Mainfranken zu Beginn des 19.Jahrhunderts: Statistische Untersuchungen zu ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, in: "Mittelfränkische Studien", Band 39/1987, Würzburg 1987, S. 19 ff.
Harm-Hinrich Brandt (Hrg.), Zwischen Schutzherrschaft und Emanzipation. Studien zur Geschichte der mainfränkischen Juden im 19.Jahrhundert, in: "Märkische Studien", Band 39/1987, Würzburg 1987, S.
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 128/129
Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischen Lebens in unterfränkischen Gemeinden. Beispiele Memmelsdorf, Kleinheubach, Mainstockheim und Untermerzbach, in: "‘Frankenland’ - Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege", Heft 3/1993, S. 69 f.
Cordula Kappner, Aus der jüdischen Geschichte des heutigen Landkreises Hassberge, Hrg. Landratsamt Haßberge, Haßfurt 1998
Herbert Liedel/Helmut Dollhopf, Jerusalem lag in Franken. Synagogen und jüdische Friedhöfe, Echter-Verlag GmbH, Würzburg 2006, S. 104 – 107
Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern - Franken und Oberfranken, in: "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands", Bd. 25, Büchenbach 2010, S. 87 – 89
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 188 – 191
Untermerzbach, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Günther Geiling (Red.), Stelen rufen längst vergangene Zeiten ins Gedächtnis, in: „Main-Post“ vom 13.5.2014 (betr. Themenweg „Lehrpfad zur Geschichte des Fränkischen Landjudentums“)
Markus Erhard (Red.), 130.000 Euro für die Synagoge in Untermerzbach, in: „Main-Post“ vom 15.3.2019
W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 539 - 564 (unter Memmelsdorf)