Altena (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Allgemeiner historischer Handatlas - Herzogtum Westfalen im 15. Jahrhundert.pngDatei:Altena in MK.svg Altena mit derzeit ca. 16.500 Einwohnern ist eine Kleinstadt im Märkischen Kreis in Nordrhein-Westfalen – ca. 15 Kilometer nördlich von Lüdenscheid bzw. 25 Kilometer südöstlich von Hagen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1886 ohne Eintrag von Altena, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Märkischer Kreis', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Blick auf Altena a. d. Lenne, um 1870 (Abb. aus: wikipedia-org, gemeinfrei)

 

Früheste Angaben über die Anwesenheit eines Juden in Altena stammen aus dem ausgehenden 16.Jahrhundert. Doch erst in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts nehmen die urkundlichen Hinweise über jüdisches Leben in Altena zu. Schon vor 1780 hat es nachweislich eine Gemeinde gegeben. Meist handelte es sich aber um nur wenige Familien, denen - mit Schutzbriefen ausgestattet - hier eine Niederlassung gestattet wurde. Erst nach 1815 wuchs die Zahl der in Altena lebenden Juden an und erreichte in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundert ihren Zenit. Die Familien lebten damals überwiegend vom Handel und dem Metzgergewerbe. Zu den wohlhabendsten Angehörigen der jüdischen Gemeinde Altena zählte in den 1870er Jahren der Manufakturwarenhändler Abraham Hanf. Etwa zur gleichen Zeit legte der Kaufmann Hermann Heinemann mit seinem Kurzwarengeschäft die Basis für das später von seinem Sohn geführte angesehene große Textilkaufhaus (Lennestr.).

Um 1780 trafen sich die Juden Altenas zu Gottesdiensten in der Betstube eines angemieteten Hauses, das 1808 in Besitz der kleinen Gemeinde kam. Als dieser Betraum wegen der wachsenden Mitgliederzahlen nicht mehr ausreichte, erwarb die Judenschaft Ende der 1820er Jahre ein Haus im Stadtzentrum (in der Kirchstraße), in dem Synagoge, Schulraum und Lehrerwohnung untergebracht waren. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde das baufällige Gebäude aufgegeben und ein Haus in der Schlossstraße, der heutigen Fritz-Thomée-Straße, erworben, das nun zur Synagoge umgebaut wurde. Seit 1853 existierte offiziell die „Kreissynagogengemeinde Altena“, zu der die „Untergemeinden“ Altena, Plettenberg, Neuenrade, Lüdenscheid und Meinerzhagen gehörten; ihr erstes Statut datiert aus dem Jahre 1858. Vom späten 19. bis ins beginnende 20.Jahrhundert gab es in Altena, mit Unterbrechungen, eine kleine jüdische Elementarschule. Zu anderen Zeiten besuchten die jüdischen Kinder christliche Schulen.

Ein eigener Begräbnisplatz stand den Altenaer Juden Am Grünen Weg (im heutigen Stadtteil Mühlendorf) zur Verfügung; der erste archivarische Hinweis auf diesen Friedhof stammt aus dem Urkataster von 1829. Der älteste noch vorhandene Grabstein datiert aber bereits aus dem Jahre 1718, der den Namen von Mosche Schimschon ben Jokew Mosche unter der hebräischen Inschrift " Hier ist geborgen und verborgen ein gerechter und aufrechter Mann (...)“ trägt.

Juden in Altena:

         --- 1740/41 .......................   4 jüdische Familien (22 Pers.),

    --- um 1775 .......................   5     “       “   ,

    --- 1796 ..........................  40 Juden,

    --- 1806 ..........................  33   "  ,

    --- 1818 ..........................  60   “  ,

    --- 1829 ..........................  90   “  ,

    --- 1843 ..........................  94   "  (in 23 Familien),

    --- 1858 .......................... 105   "  ,

    --- 1871 .......................... 100   "  ,

    --- 1895 .......................... 102   "  ,

    --- um 1905 ................... ca.  70   “  ,

    --- 1914 ..........................  11 jüdische Familien,

    --- 1925 ..........................  40 Juden,

    --- 1933 ..........................  22   “  ,

    --- 1939 (Dez.) ...................   7   “  ,

    --- 1942 (Aug.) ...................   keine.

Angaben aus: Kurt Höttler, Erinnerungen an jüdische Mitbürger - auch ein Kapitel der Stadtgeschichte

und                 Klaus Dieter Kohl (Bearb.), Altena, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe, S. 115/116

 

Ansichtskarte / Postkarte Altena in Westfalen, Lennestraße hist. Ansicht von Altena (Abb. aus: akpool.de)

Die Juden Altenas, die in die kleinstädtische Gesellschaft weitestgehend integriert waren, lebten zu Beginn des 20.Jahrhunderts meist vom Einzelhandel. Infolge eines seit 1890 einsetzenden kontinuierlichen Rückgangs der jüdischen Bevölkerung wohnten Anfang der 1930er Jahre aber nur noch wenige Familien in Altena.

Während des Novemberpogroms kam es zu gewalttätigen Übergriffen. Jüdische Geschäfte wurden gestürmt und geplündert, und im Kaufhaus Heinemann zerstörte ein Lastwagen alle Schaufensterscheiben. Das Synagogengebäude wurde von uniformierten NSDAP- und SA-Angehörigen gestürmt und die Inneneinrichtung teilweise vernichtet oder beschlagnahmt, das Gebäude selbst aber nicht in Brand gesetzt.

Auch das Konfektionshaus von Jacob Schnitzler (Kirchstr.) war von Gewalttätigkeiten betroffen; noch im Dez. d. J. wurde es von einem „arischen“ Kaufmann unter neuem Namen wieder eröffnet. Bürger aus Altena und Nachrodt sollen sich an den Plünderungen während der „Kristallnacht“ beteiligt haben.

Aus einer Kurznotiz der „Westfälischen Landeszeitung. Rote Erde“ vom 10.12.1938: „ALTENA. In arische Hände übergegangen. Die Firma des Juden H. Heinemann geht mit Wirkung vom 10.Dezember in die Hände der arischen Firma Otto Böhrer K.-G., Altena, über. Heute, Sonnabend mittag, ist ein Gefolgschaftsappell angesetzt, dem sich die Eröffnung des Geschäfts anschließt. Altena hat somit wieder einen jüdischen Händler weniger; hoffen wir, daß auch bald der letzte dieser Artgenossen aus unserer Stadt verschwunden sein wird.“.

Mehrere jüdische Männer wurden in Haft genommen, einige davon ins KZ Sachsenhausen verbracht.

Den verbliebenen jüdischen Bewohnern diente das Synagogengebäude danach als vorläufige Unterkunft bis zu ihrer Deportation. Die Geschichte der Juden in Altena endet im Juli 1942 mit folgendem Akteneintrag: „Heute sind die letzten Juden, und zwar die Eheleute Lehmann Meier; Wwe. Lennhoff und Levi Schnitzler, aus Altena abgewandert und auf behördliche Anweisung umgesiedelt.” 16 jüdische Bewohner aus Altena wurden Opfer der Shoa.

 

Nach Kriegsende hat sich in Altena keine jüdische Gemeinde mehr gebildet. Heute erinnert nur noch der jüdische Friedhof in einem Waldstück am Hang der Egge ("Am Grünen Wege") daran, dass in Altena über einen längeren Zeitraum hinweg jüdische Familien gelebt haben. Der während der NS-Zeit stark verwüstete Friedhof - damals wurden alle metallenen Einfassgitter sowie das eiserne Eingangstor entfernt, viele Grabsteine umgestoßen und beschädigt - wurde 1950 wieder hergerichtet. In den 1980er Jahren wurde der Friedhof zweimal geschändet und dabei größere Schäden angerichtet. Heute weist das ca. 2.400 m² große Begräbnisareal noch 56 Grabstätten/-steine auf.

Altena-JuedischerFriedhof2-Bubo.JPG

Eingangstor und Teilansicht des jüdischen Friedhofs (beide Aufn. B., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

2015 wurde in Altena mit der Verlegung sog. "Stolpersteine" begonnen; in den Gehwegen der Stadt trifft man derzeit auf zehn solcher Steinquader (Stand 2023), von denen neun ehemaligen jüdischen Bewohnern gewidmet sind, die deportiert/ermordet wurden.

Altena-Stolpersteine-FamilieHeinemann-Lennestr68-1-Bubo.JPGZwei Schicksale von zehn, die jetzt in Altena als Stolpersteine aufgearbeitet wurden.

Stolpersteine in der Lennestraße (Aufn. Bubo, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und Reichelt, 2015)

Altena-Stolperstein-LeopoldSchnitzler-Kirchstr29-1-Bubo.JPGAltena-Stolperstein-JakobSchnitzler-Kirchstr29-1-Bubo.JPGAltena-Stolperstein-ElseNeuhaus-Kirchstr29-1-Bubo.JPG in der Kirchstraße (Aufn. Bubo, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

[vgl. Plettenberg (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

 

In Neuenrade – heute eine Kleinstadt mit ca. 12.000 Einw. östlich von Altena – sind Juden erstmals nach dem Dreißigjährigen Krieg urkundlich genannt. Um 1740 haben fünf jüdische Familien im Ort gelebt; im Laufe des 19.Jahrhunderts waren es zwischen zwei und vier Familien. Zwischenzeitlich war es nur eine einzige Familie, der gegen jährliche Schutzgeldzahlung ein Aufenthaltsrecht gewährt wurde.

Ein jüdischer Friedhof findet erstmals 1776 Erwähnung; ca. ein Jahrhundert später erfolgte die Neuanlage einer Begräbnisstätte im Nordosten der Altstadt in der Landwehr.

1933 lebte dann nur noch eine einzige jüdische Familie im Ort (Fam. Lewin); drei Jahre später verließ die letzte Jüdin Neuenrade und emigrierte nach Südamerika.

2007 wurde auf dem alten Friedhof ein Gedenkstein mit -tafel aufgestellt, der an die Historie der kleinen jüdischen Gemeinschaft erinnert.

Gedenktafel am ehem. alten jüdischen Friedhof (Abb. aus: come-on.de)

 

 

Weitere Informationen:

Karl Reuter, Artikelserie über die Altenaer Juden (in 16 Ausgaben der "Westfälischen Rundschau" des Jahres 1976)

Kurt Höttler, Erinnerungen an jüdische Mitbürger - auch ein Kapitel der Stadtgeschichte, in: "Heimatbuch zum Kreisheimattag ‘88 des Heimatbundes Märkischer Kreis in Altena", S. 66 - 70

Friedrich Petrasch, Jüdische Schicksale unterm Hakenkreuz, in: „Altenauer Kreisblatt“, mehrere Ausgaben vom Nov. 1988

Friedrich Petrasch, Siegmund Heinemann - ein jüdischer Kaufmann in Altena, in: "Der Märker. Landeskundliche Zeitschrift für den Bereich der ehemaligen Grafschaft Mark und den Märkischen Kreis", Jg. 40/Heft 5, 1991, S. 202 - 206

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 95/96

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 12

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 401 - 406

Johannes Bonnekoh (Red.), Jüdischer Friedhof wird jetzt im Internet beschrieben, in: come-on.de vom 7.12.2012

Johannes Bonnekoh (Red.), Ein gutes Miteinander, in: come.on.de vom 25.1.2013 (betr. Neuenrade)

Johannes Bonnekoh (Red.), Stolpersteine erinnern an ermordete Juden, in: „Meinerzhagener Zeitung“ vom 27.11.2015

Stolperstein-Initiative in Altena, online abrufbar unter: altena-stolpersteine.info

Auflistung der in Altena verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Altena

Klaus Dieter Kohl (Bearb.), Altena, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 111 - 120

Rolf-Dieter Kohl (Bearb.), Neuenrade, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 644 – 649

Friedrich Petrasch (Bearb.), Altena / Nachrodt, in: Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V. (Hrg.), Jüdische Nachbarn im heutigen Märkischen Kreis ca. 1235 – 2021, Lüdenscheid 2021, S. 3 – 11

Rolf Dieter Kohl (Bearb.), Neuenrade, in: Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V. (Hrg.), Jüdische Nachbarn im heutigen Märkischen Kreis ca. 1235 – 2021, Lüdenscheid 2021, S. 59/60