Anholt (Nordrhein-Westfalen)
Anholt ist heute - zusammen mit den Bauerschaften Dwarsefeld, Regniet, Hahnerfeld und Breels - ein Stadtteil von Isselburg (Kreis Borken) im westlichen Münsterland - zwischen Emmerich/Rhein (im W) und Bocholt (im O) gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte der Herrschaft Anholt, um 1790, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Borken', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Aus der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts finden sich erste Hinweise darauf, dass sich in der reichsfreien Herrschaft Anholt einige wenige Juden aufgehalten haben oder ansässig waren. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts lebten dann mehrere Familien im Ort, die dem Fürsten Salm-Salm Schutzgelder zahlen mussten. Im letzten Viertel des 18.Jahrhunderts zogen jüdische Familien aus den Niederlanden zu.
Seit ca. 1730 ist in Anholt ein Betraum in einem Wohnhaus nachweisbar; ab dem Jahr 1831 verfügte die kleine jüdische Gemeinschaft über eine neue Synagoge, die in einem schlichten Backsteingebäude in der Niederstraße untergebracht war. Der Betraum mit Empore befand sich im hinteren Bereich des Hauses; im vorderen waren der Schulraum und die Wohnung des Vorsängers untergebracht. Über die Synagoge ist die folgende Beschreibung überliefert: „... Das einfache, schmucklose ... Gebäude ... ist aus Backsteinen hergestellt, die z.T. die hebräischen Namen der Gemeindemitglieder tragen, und enthält von rechts und links je einen Wohnraum, links die Treppe zur Frauenempore ... Der Innenraum weist die in jüdischen Gotteshäusern üblichen Geräte und Gegenstände aus, von denen wir besonders den schweren, alten Kronleuchter in der Mitte des Schiffes als wertvoll nennen, eine Gebetstafel, die unter dem preußischen und fürstlichen Wappen des an jedem Sabbat vorzutragende Gebet für den König von Preußen und den Fürsten zu Salm-Salm in deutscher und hebräischer Sprache enthält. ...” (aus: Leo Nußbaum, Zur Geschichte der Juden in Anholt, 1919)
Anm.: Zur Einweihung der Synagoge verfasste der Bocholter Lehrer Abraham Mayer eine Gedenkschrift, die dem Fürsten zu Salm-Salm gewidmet war, der die Judenschaft bei der Finanzierung ihres Gotteshauses unterstützt hatte.
Weit außerhalb der Ortschaft - in einer Flur der Bauernschaft von Dwarsefeld - begruben die Anholter Juden ihre Verstorbenen. Das Beerdigungsgelände befand sich auf einer Anhöhe, auf dem sog. „Judenberg“, in der Gemarkung der Bauernschaft Dwarsefeld. Die ältesten noch vorhandenen lesbaren Grabsteine des Friedhofs - insgesamt sind es nur 17 Steine - stammen aus der Zeit um 1820.
Jüdischer Friedhof von Anholt (beide Aufn. Z., 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Die Anholter Juden waren ab 1853 offiziell dem Synagogenbezirk Bocholt angeschlossen; zu diesem zählten auch die Juden aus Dingden, Liedern, Rhede und Werth.
Juden in Anholt:
--- 1812 .......................... 24 Juden (in 5 Haushalten),
--- 1818 .......................... 44 " ,
--- um 1835 ....................... 6 jüdische Familien,
--- 1843 .......................... 42 Juden,
--- um 1860 ....................... 66 " ,* * mit Werth u. Isselburg
--- 1871 .......................... 42 “ ,
--- 1895 .......................... 33 “ ,
--- um 1920 ....................... 2 jüdische Familien (15 Pers.),
--- 1925 .......................... 11 Juden,
--- um 1930 ....................... eine jüdische Familie,
--- 1938 .......................... 4 Juden.
Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Reg.bez. Münster, S. 95
und Winfried Grunewald (Bearb.), Isselburg-Anholt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen …, S. 432
In den ersten beiden Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts war die Zahl der Gemeindeangehörigen derart niedrig, dass keine Gottesdienste mehr begangen werden konnten. Zwar wurde das Gebäude vom letzten noch in Anholt verbliebenen Gemeindemitglied vor dem Verfall bewahrt, dennoch musste es schließlich verkauft werden. Während des Pogroms von 1938 blieb das Synagogengebäude unangetastet, es wurde jedoch im März 1945 durch Kriegseinwirkung vollständig zerstört.
Die letzte jüdische Einwohnerin verließ die Ortschaft 1939 und verzog nach Emmerich. Diejenigen, die in die Niederlande gegangen waren, holte die NS-Herrschaft 1940 wieder ein; von hier aus erfolgte ihre Deportation in die „Lager des Ostens“, nach Auschwitz und Sobibor.
Insgesamt wurden zehn Jüdinnen und Juden aus Isselburg, Anholt und Werth Opfer der Shoa.
Ein einziger aus Anholt stammender Jude kehrte nach Kriegsende nach Deutschland (nach Wesel) zurück; 1950 wurde er Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Oberhausen.
Seit 2005 erinnert ein Bronzerelief des Künstlers Dieter von Levetzow am Gebäude der Volksbank Emmerich-Rees, Zweigstelle Anholt (Niederstraße) an die einstige jüdische Gemeinde des Ortes.
Bronzerelief (Aufn. aus: vanderkrogt.net)
Am oberen Rand der Gedenktafel steht in hebräischer Schrift das Schma Jisrael, das jüdische Bekenntnis der Einheit Gottes. Der Text unter dem Davidstern lautet: „An der Niederstr. in Höhe der Haus Nr. 30 stand von 1831 - 1945 die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Anholt. Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig. 5.Mose 6.4“
Im Dorfe Werth - heute ebenfalls ein Ortsteil von Isselburg - waren vereinzelt Juden ansässig, stets aber nur sehr wenige.
[vgl. Bocholt (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Leo Nußbaum, Zur Geschichte der Juden in Anholt, in: "Münsterland", Jg. 6, Heft 11/1919, S. 284 – 290
Edmund Janssen, Aus dem kirchlichen Leben Anholts. Die jüdische Gemeinde in Anholt, in: Sechshundert Jahre Stadt Anholt 1347 – 1947, Münster 1947, S. 42 f.
Heinz Neulinger, Aus der Geschichte der Juden in Anholt, in: "Unsere Heimat - Jahrbuch des Kreises Borken 1984", Borken 1985, S. 261/262
Klaus Zelzner, Gottesdienste in privaten Betstuben oder Wohnhäusern, in: Heimatverein Anholt (Hrg.), Anholter Geschichten - 650 Jahre Anholt, 1997, S. 232 f.
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 95 – 99
Arbeitskreis Synagogenlandschaften (Hrg.), Zur Geschichte der Juden in Anholt, Isselburg en Werth, 2005, online abrufbar unter: mizrach.fsmail.postinbox.com/anholt
Bernd-Wilhelm Linnemeier (Bearb.), Die Juden in der Herrschaft Anholt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 21 – 37
Winfried Grunewald (Bearb.), Isselburg-Anholt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 429 - 436