Arnstein (Unterfranken/Bayern)
Arnstein ist eine Kleinstadt mit derzeit etwa 8.000 Einwohnern im östlichsten Bereich des unterfränkischen Landkreis Main-Spessart – ca. 25 Kilometer südwestlich der Stadt Schweinfurt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte aus dem 18.Jahrh., Lubiesque 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Landkreis Main-Spessart', aus: ortsdienst.de/bayern/main-spessart/).
Zu den Opfern der Rintfleischpogrome (1298) gehörten nach Angaben der Nürnberger Memorbuches auch jüdische Bewohner Arnsteins. In dem Städtchen gab es im Hochmittelalter eine kleine jüdische Gemeinde, die bis zur ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts bestanden haben soll. In den Jahrzehnten danach lassen sich nur vereinzelte Juden in Arnstein nachweisen; für das 15./16.Jahrhundert sind keine Hinweise auf jüdisches Leben im Ort vorhanden.
Die Anfänge einer neuzeitlichen Gemeinde stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges; dabei handelte es sich vermutlich um den Zuzug jüdischer Familien, die aus Landgemeinden hierher geflohen waren. Das Magistrat hatte anfangs die Ansiedlung von Schutzjuden gefördert, da er sich eine Belebung der durch den Krieg geschädigten Wirtschaft versprach.1652 lebten fünf jüdische Familien in Arnstein; zwei von ihnen waren so arm, dass sie das jährliche Schutzgeld nicht aufbringen konnten. Sie bewohnten mehrheitlich die parallel zur Stadtmauer verlaufende Goldgasse, früher „Judengasse“ genannt. Ihren schmalen Lebensunterhalt bestritten sie durch Handel mit Pferden und Kleinvieh sowie durch Hausierhandel. Doch alsbald forderten dann die Stadtoberen vom Hochstift Würzburg die „Ausschaffung“ der Juden, da diese größtenteils mittellos wären und dem Ort keine finanziellen Vorteile brächten.
Bei der Erstellung der bayrischen Matrikellisten (1817) sind für Arnstein 18 wohnberechtigte jüdische Familienvorstände aufgeführt.
Eine Betstube war möglicherweise bereits schon gegen Ende des 17.Jahrhunderts vorhanden. Dass auch in der Folgezeit Gebetsräume existiert haben müssen, darauf weisen alte Ritualien hin, die der Arnsteiner Gemeinde zugeschrieben werden.
Thora-Schmuck aus dem 18.Jahrhundert (Aufn. aus: Th. Harburger, um 1930)
Im Jahre 1819 weihte die jüdische Gemeinde ihre im Stile des Klassizismus erbaute Synagoge in der Goldgasse ein; um 1905 wurde das Gebäude im Jugendstil renoviert.
Auch das jüdische Schulhaus mit der Mikwe befand sich ganz in der Nähe des Synagogengebäudes. Zur Besorgung der religiös-rituellen Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt; ansonsten erhielten die jüdischen Kinder Elementarunterricht in der christlichen Ortsschule.
Verstorbene Gemeindemitglieder wurden auf dem jüdischen Friedhof in Schwanfeld und auf dem in Euerbach beerdigt.
Ab Mitte der 1860er Jahre war die Arnsteiner Kultusgemeinde dem Distriktrabbinat Schweinfurt zugeteilt.
Juden in Arnstein:
--- 1652 ........................ 5 jüdische Familien,
--- 1675 ........................ 4 " " ,
--- 1699 ........................ 35 Juden,
--- 1720 ........................ 6 jüdische Familien,
--- um 1740 ..................... 7 " " ,
--- 1801 ........................ 11 " " ,
--- um 1820 ..................... 18 " " ,
--- 1839 ........................ 19 " " (57 Pers.),
--- 1859 ........................ 12 " " (65 Pers.),
--- 1871 ........................ 70 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1900 ........................ 57 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1910 ........................ 47 “ ,
--- 1925 ........................ 32 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1933 ........................ 29 “ ,
--- 1939 ........................ keine.
Angaben aus: Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, S. 12
und Synagogengedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), "Mehr als Steine ...", S. 150
Arnstein um 1910 (hist. Karte aus: nailizakon.com/a/02-by/arnstein-bay)
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts lebten die hiesigen jüdischen Familien fast ausschließlich vom Handel mit Waren und Vieh; ab Mitte des 19. Jahrhunderts eröffneten einige von ihnen auch Gewerbebetriebe.
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe 1890 - 1910 (aus: "Der Israelit"):
Zentrum von Arnstein (hist. Postkarte, aus: Sammlung K.P. Müller)
Anm.: Das zweite Haus links ist das Manufakturwaren-, Kurzwaren- und Schuhgeschäft von Salomon Bauer, der in den 1930er Jahren als Gemeindevorsteher fungierte.
Ab den 1870er Jahren setzte eine Abwanderung jüdischer Bewohner ein, und zu Beginn der 1930er Jahre wohnten in Arnstein nur noch ca. 30 Juden. Auf Grund zunehmender Ausgrenzung (1935 wurde in Arnstein „der erste judenfreie Viehmarkt“ abgehalten) und sich verstärkender Repressalien verließen Mitte der 1930er Jahre alle jüdischen Bewohner ihren Heimatort Arnstein; 1938 wurde die jüdische Gemeinde für aufgelöst erklärt, das Synagogenegebäude verkauft. Die der Schweinfurter Kultusgemeinde überlassenen, z.T. wertvollen Ritualien wurden während der Novembertage 1938 vernichtet. Unmittelbar nach dem Pogrom verließen die letzten beiden jüdischen Einwohnerinnen ihren Heimatort. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Leonhard Herbst berichtete dem Bezirksamt: „Ich melde hiermit den heute erfolgten Wegzug der letzten hier ansässig gewesenen jüdischen Familie. … Arnstein ist somit ab heute judenrein.“ Der Verkauf des demolierten Synagogengebäudes erfolgte im April 1939 für den Preis von 500 RM! (Anm.: Nach 1945 wurde das Gebäude mehrere Jahre als Lager bzw. Gewerbebetrieb benutzt.)
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 25 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden Arnsteins Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/arnstein_synagoge.htm).
In den 1990er Jahren erwarb die Kommune das in der Zwischenzeit für unterschiedliche Zwecke genutzte ehemalige Synagogengebäude in der Goldgasse, um es zu restaurieren; dabei sollten auch die noch sichtbaren Malereien im Gebäudeinnern, die aus dem frühen 19.Jahrhundert stammen, erhalten werden.
Ehem. Synagoge vor und nach der Sanierung 2009 - 2014 (Aufn. J. Hahn und Tilman, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der 2005 gegründete Förderkreis „Alte Synagoge Arnstein e.V.” bemühte sich erfolgreich, die finanziellen Mittel bereitzustellen, um das marode Gebäude künftig einer kulturellen Nutzung zuzuführen. Das Konzept beinhaltet auch eine Ausstellung zum jüdischen Leben der Region („Landjudentum in Unterfranken“). Die umfangreichen kostenintensiven Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten wurden im Jahre 2012 abgeschlossen. Hauptanziehungspunkt für Besucher ist das Tonnengewölbe des Gebäudes mit dem dort angebrachten Sternenhimmel.
Innenraum (Aufn. Gabi Rudolf, 2011 Institut für Fränk. Landesgeschichte)
Die Stadt Arnstein hat sich am Mahnmal-Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" mit einer eigenen Installation - einer stilisierten Deckenrolle - beteiligt. (Mahnmal-Projekt siehe: Würzburg/Unterfranken)
Decken-Skulptur (Aufn. Martin Rudloff, 2021)
Weitere Informationen:
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 254/255
Stefan Reis, “ ... auf höhere Weisung abgewandert “ . Juden im Main-Spessart (VI): Im Sinngrund bestand eine eigenständige Gemeindekultur, in: “Main-Echo”, Ausgabe Main-Spessart-Kreis, 12.11.1988
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 34/35
Israel Schwierz, Die einstige Synagoge von Arnstein – Zeichen des Patriotismus der 'Deutschen Juden', in: "Frankenland N.F." 45/1993, S. 361 f.
Ilse Lauer, Die Synagoge in Arnstein, in: "Jahrbuch des Arnsteiner Heimatkunde-Vereins" 5/1994, S. 187 - 202
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, S. 18 - 20, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998
Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, Hrg. Förderkreis Synagoge Urspringen e.V., Haigerloch 2000, S. 12/13
Arnstein, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Günther Liepert, „Juden werden hier nicht bedient“. Die Arnsteiner Juden im Dritten Reich, in: "Jahrbuch des Arnsteiner Heimatkunde-Vereins", 13/2002
Ottmar Seuffert, Spuren jüdischen Lebens in Arnstein, in: "Jahrbuch des Arnsteiner Heimatkunde-Vereins", 18/2007, S. 46 - 64
Biographien zu einzelnen jüdischen Personen aus Arnstein, in: "Jahrbücher des Arnsteiner Heimatkundevereins", verschiedene Jahrgänge
Martina Amkreutz-Götz (Red.), So lebten die Juden auf dem Land – Die ehemalige Synagoge in Arnstein soll Dokumeentationszentrum werden, in: „Main-Post“ vom 10.3.2010
N.N. (Red.), „Himmel über Arnstein“ - Ehemalige Synagoge wird am 8.Juni wieder eröffnet, in: „Main-Post“ vom 2.6.2012
Förderkreis “Alte Synagoge Arnstein” e.V., Ehemalige Synagoge, online abrufbar unter: alte-synagoge-arnstein.de/ehemalige-synagoge.html
Axel Töllner/Hans-Christof Haas (Bearb.), Arnstein, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 135 - 154
Förderkreis "Alte Synagoge Arnstein" e.V. (Hrg.), Ehemalige Synagoge u.a., online abrufbar unter: alte-synagoge-arnstein.de/ehemalige-synagoge.html
Günter Roth (Red.), Arnstein beteiligt sich am DenkOrt Aumühle, in: “Main-Post” vom 11.3.2018
Israel Schwierz (Red.), 200 Jahre Synagoge Arnstein, in: haGalil.com vom 2.3.2019
Christine Riedl-Valder (Bearb.), Arnstein Synagoge, hrg. vom Haus der Bayrischen Geschichte, online abrufbar unter: hdgb.eu/juedisches Leben