Auerbach (Hessen)
Der heutige Kurort Auerbach ist mit derzeit etwa 10.000 Einwohnern der größte Stadtteil der Stadt Bensheim an der Bergstraße in Südhessen – ca. 20 Kilometer südlich von Darmstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Auerbach, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und hist. Karte um 1840, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Bergstraße', aus: ortsdienst.de/hessen/bergstrasse).
Erste, allerdings nur vereinzelte jüdische Bewohner gab es in Auerbach in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts; so ist erstmals 1657 ein „Jude aus Auerbach“ urkundlich erwähnt; 1684 wird ein „Aaron zu Auerbach“ genannt. Im Laufe des 18.Jahrhunderts nahm dann die Zahl der Juden allmählich zu; um 1730 soll es am Ort vier jüdische Familien gegeben haben. Ihr Wohngebiet lag in der Bachgasse.
Eine Heilquelle im Fürstenlager brachte dem Dorf einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung, an dem auch die jüdischen Händler Anteil hatten.
Eine Synagoge soll um 1780 erbaut worden sein, zu einer Zeit, als sich die Juden Auerbachs von der jüdischen Gemeinde Bensheims gelöst und eine eigene Synagogengemeinschaft gebildet hatten. Zuvor hatten sie - zusammen mit den Schwanheimer Juden - die Bensheimer Synagoge mitgenutzt. Das Auerbacher Synagogengebäude im spätbarocken Stil lag zwar in der Ortsmitte in der Bachgasse, fiel dort aber wenig auf. Autonom ist die Kultusgemeinde Auerbach erst im Jahre 1841 geworden; Gottesdienste wurden in der religiös-orthodoxen Form abgehalten; die Frauen nahmen auf einer Empore sitzend an ihnen teil. Eine Mikwe war seit den 1830er Jahren im Keller des damaligen Schulhauses untergebracht.
Seit 1823/1824 mussten die jüdischen Kinder mit dem Beginn der allgemeinen Schulpflicht die christliche Schule besuchen, nur vom christlichen Religionsunterricht waren sie befreit. Um 1840 richtete man eine kleine jüdische Elementarschule am Ort ein; diese musste jedoch wegen Schülermangels in den 1870er Jahren ihre Pforten schließen; von da an besuchten alle jüdischen Kinder die allgemeine Schule.
Stellenangebote aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Nov.1866 und vom 24. Febr.1875
Lehrer Abraham Weinmann (gest. 1891) betrieb in Auerbach neben seiner Tätigkeit als Vorbeter und Schochet auch eine streng koscher geführte Gastwirtschaft:
Inserat aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28.Juni 1892
Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begrub die Auerbacher Judenschaft auf dem großen jüdischen Verbandsfriedhof in Alsbach, der von fast 30 Ortschaften der südhessischen Region genutzt wurde.
Die Auerbacher Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Darmstadt II.
Juden in Auerbach:
--- 1770 ......................... 5 jüdische Familien,
--- um 1830 .................. ca. 80 Juden,
--- um 1850 .................. ca. 140 “ ,
--- 1861 ......................... 120 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1871 ......................... 80 “ ,
--- 1905 ......................... 50 “ ,
--- 1914 ......................... 41 “ ,
--- 1933 ......................... 31 “ ,* *andere Angabe: 42 Pers.
--- 1942 (Dez.) .................. keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 50
und R.Lesser/K.Storch/R.Köster, Erinnerungen an die Juden in Auerbach
In Auerbach betrieben die Juden im 17. und auch noch im 18.Jahrhundert vorwiegend Viehhandel. Bis zum Ende des 18.Jahrhunderts lebten die meisten Juden aber in recht ärmlichen Verhältnissen. Mit dem durch Nutzung einer Heilquelle einhergehenden wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes war ein Zuzug jüdischer Familien zu verzeichnen. Ab den 1860er Jahren setzte dann wieder eine Abwanderung aus diesem ländlichen Ort ein, und die jüdische Gemeinde verarmte zusehends. Die wenigen Auerbacher Juden schlossen sich nun mit der benachbarten jüdischen Gemeinde Zwingenberg zusammen und besuchten seit Ende der 1920er Jahre die Synagoge in Zwingenberg.
Bis 1933 lebten die jüdischen Familien, die im Getreide- u. Viehhandel, als Metzger, Textilhändler und Schneider tätig waren, in recht bescheidenen Verhältnissen; nur zwei Familien galten als vermögend.
Nach der NS-Machtübernahme blieben die meisten Auerbacher Juden zunächst in ihrem Heimatort wohnen. Doch auch hier führte die antijüdische Hetze bald zum Erfolg: So distanzierte sich ein Teil der „arischen“ Bevölkerung immer mehr von seinen jüdischen Nachbarn - wohl aus Angst vor möglichen Konsequenzen.
Aus dem „Bergsträßer Anzeigeblatt” vom 7.9.1933:
Auerbach, 7.Sept. Ein Mahnruf an die Auerbacher Hausfrauen ! Trotzdem in den Tageszeitungen immer wieder betont wird: kauft in deutschen Geschäften, gibt es leider immer noch eine Anzahl Mitbürger und Mitbürgerinnen, die sich in den Geist des neuen Deutschlands noch nicht hineingelebt haben. .... Es geht nicht an, daß Hausfrauen - und um diese dreht es sich hier besonders - in andersgearteten Geschäften ihren Bedarf decken, noch dazu, wenn der Ehemann Beamter und Pg. ist. Allen Mitbürgern und besonders den Hausfrauen sei daher nochmals an Herz gelegt: Kauft nur in deutschen Geschäften !
Trotzdem soll es eine ganze Reihe von Dorfbewohnern gegeben haben, die weiterhin Kontakte zu jüdischen Nachbarn und ehemaligen Geschäftspartnern unterhielten. Das Synagogengebäude blieb in der Pogromnacht unzerstört, da es bereits nach 1933 nicht mehr gottesdienstlichen Zwecken diente und im Frühjahr 1938 nach der Auflösung der Gemeinde im Jahr 1937 verkauft worden war und nun als Reparaturwerkstatt für Landmaschinen genutzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch vereinzelte jüdische Bewohner am Ort. Bis Kriegsbeginn hatten die meisten Juden Auerbach verlassen. Die letzten sechs, die im Haus Bachgasse 42 lebten, wurden 1942 „in den Osten“ deportiert, wo alle gewaltsam ums Leben kamen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 15 aus Auerbach stammende bzw. längere Zeit im Ort ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/auerbach_synagoge.htm).
Mitte der 1970er Jahre wurde das ehemalige Synagogengelände zwecks Abbruchs an die Ortsgemeinde verkauft. Als bereits einige Gebäude auf dem Gelände niedergelegt waren, beschloss der Stadtrat von Bensheim 1979 den Erhalt und damit die Restaurierung des noch stehenden Synagogengebäudes. In Zusammenarbeit mit dem 1984 gegründeten Auerbacher Synagogenverein wurde das Gebäude grundlegend saniert, und nach Abschluss der Arbeiten übergab die Stadt es dem Auerbacher Synagogenverein. Seitdem wird die ehemalige Synagoge für kulturelle und religiöse Veranstaltungen genutzt. Auf Veranlassung des Synagogenvereins wurde am Standort der Synagoge eine bronzene Gedenktafel mit dem folgenden Text angebracht:
Hüte dich und bewahre deine Seele gut, daß du die Geschichte nicht vergißt, die deine Augen gesehen haben,
und daß sie nicht aus deinen Herzen komme ein Leben lang und tue sie deinen Kindern kund.
Ehemalige Synagoge erbaut um 1780
Zur Erinnerung an die Jüdische Gemeinde in Bensheim-Auerbach
Gedenktafel (Text siehe oben) von 1986 (Aufn. Kp., 2011, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Synagoge Auerbach (Aufn. A.Kübelbeck, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Jahre 2011 wurden insgesamt zwölf sog. „Stolpersteine“ in Auerbach (an vier Standorten in der Bachstraße) verlegt; die Steine erinnern an Angehörige der Familien Haas, Hahn und Israel.
Zwei "Stolpersteine" verlegt in der Bachgasse (Aufn. aus: bergstrasse.de)
für Angehörige der Familien Hahn und Israel (Aufn.G., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Bensheim-Auerbach existierte von September 1944 bis Ende März 1945 ein Außenkommando des KZ Natzweiler-Struthof. In den Höhlen eines ehemaligen Marmorbergwerkes, die zuvor griechische Zwangsarbeiter hatten ausbauen müssen, wurde der Rüstungsbetrieb der Fa. Hans Heymann untergebracht. KZ-Häftlinge aus Buchenwald wurden hier zur Zwangsarbeit eingesetzt. Zunächst wurden sie täglich von Darmstadt hierher transportiert, nach der Bombardierung von Darmstadt Mitte September 1944 brachte man sie dann in Baracken nahe der Bensheimer Produktionsstätte unter. Ende März 1945 folgte ihre Evakuierung nach Neckarelz und von hier per Bahn ins KZ Dachau.
[vgl. Bensheim (Hessen)]
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 50/51
Ludwig Hellriegel, Die Auerbacher Juden und ihre Synagoge, in: "Geschichtsblätter Kreis Bergstraße", No.15/1982, S. 219 - 222
Rudolf Kunz, Statistik der Juden 1774 - 1939 im Gebiet des heutigen Kreises Bergstraße, in: "Geschichtsblätter Kreis Bergstraße", No.15/1982, S. 285/286
Rolf Lesser, Erinnerungen an die Juden in Auerbach, Hrg. Auerbacher Synagogenverein, Bensheim-Auerbach 1986
Thea Altaras, Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945 ? Verlag K.R.Langewiesche Nachfolger Hans Köster, Königstein/T. 1988, S. 119/120
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Reg.bezirk Darmstadt, 1995, S. 242 f.
R.Lesser/K.Storch/R.Köster, Erinnerungen an die Juden in Auerbach, Hrg. Auerbacher Synagogenverein, 2.Aufl., Bensheim 1998
Renate Dreesen (Red.), Denkzeichen. Von Alsbach bis Zwingenberg. Orte von Widerstand und Verfolgung. Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen in Südhessen und Umgebung, hrg. von der Initiative ‘Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt’, 2005, S. 13 f.
Auerbach, in: alemannia-judaica.de (mit einigen, meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen - Was geschah seit 1945? 2. Auflage, Königstein/Taunus 2007, S. 273 f.
Auerbacher Synagogenverein (Hrg.), Stolpersteine in Bensheim und Auerbach, online abrufbar unter: bergstrasse.de (Anm.: die Internetpräsentation des Auerbacher Synagogenvereins enthält viele Informationen zur jüdischen Lokalhistorie)
Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bensheim-Auerbach (Flyer), hrg. vom Auerbacher Synagogenverein, 2009
Liste der Stolpersteine in Auerbach, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bensheim
Eva Bambach (Red.), Auerbacher Synagoge fiel beinahe Sanierungseifer zum Opfer, in: „Bergsträßer Anzeiger“ vom 22.9.2023