Aufhausen (Baden-Württemberg)

Datei:Bopfingen in AA.svg Kastanienstraße in 73441 Bopfingen Aufhausen (Baden-Württemberg) Aufhausen ist seit seiner Eingemeindung (1975) ein Ortsteil der Stadt Bopfingen, die ihrerseits eine Bevölkerung von derzeit ca. 12.000 Einwohnern besitzt (Kartenskizze 'Ostalbkreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Aufhausen war eines der Dörfer im Ostalbkreis, das um 1850 einen jüdischen Bevölkerungsanteil von mehr als 40% (!) besaß.

Eine jüdische Gemeinde entstand in Aufhausen in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts. Die damalige Herrschaft, die Schenken von Schenkenstein, hatte Juden, die aus der Reichsstadt Bopfingen und vermutlich auch aus Nördlingen vertrieben worden waren, hier aufgenommen und unter ihren "Schutz" gestellt. Auch die Grafen von Oettingen - sie besaßen ab 1619 die Herrschaft in Aufhausen - bestätigten durch Schutzbriefe das Bleiberecht für die im Ort lebenden jüdischen Familien. Zwischenzeitlich waren sie ausgewiesen worden, konnten aber Jahre später zurückkehren. Doch mit jeder Verlängerung bzw. Neuausstellung der Schutzbriefe stiegen auch die zu leistenden Abgaben an die Schutzherrschaft. Die wirtschaftliche Situation der Juden Aufhausens besserte sich spürbar erst, als im Jahre 1812 das Gebiet um Aufhausen zum Königreich Württemberg kam.

Die erste gemeindliche Einrichtung der Juden Aufhausens war ein um 1560 unterhalb der Burg Schenkenstein angelegter eigener Friedhof, der später bis ca. 1900 auch verstorbenen Juden aus Bopfingen, Ellwangen und Lauchheim als letzte Ruhestätte diente. Nach der Vertreibung der Juden aus Baldern um 1660 nahmen sie ihre Grabsteine mit und stellten sie auf dem jüdischen Friedhof in Aufhausen wieder auf.

Jüdischer Friedhof (Aufn. J. Hahn, um 1970) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images9/Aufhausen%20Friedhof09.jpg

Im Laufe des 18. und 19.Jahrhunderts baute die zahlenmäßig recht starke jüdische Landgemeinde nacheinander mehrere Synagogen. Ihr erstes Gotteshaus konnte die Gemeinde 1730 errichten, nachdem die Herrschaft den Bau gestattet hatte. Etwa 50 Jahre später erfolgte dann ein Synagogenneubau.

 

Ortsansicht Aufhausen mit Synagoge (halbrechts) - Synagogengebäude (Ausschnitt), aus: Sammlung von Peter Karl Müller aus Kirchheim/Ries

                 Hochzeitsstein an der Synagoge in Aufhausen

Zusammen mit dem dritten Synagogenbau (1823) wurde auch eine jüdische Religionsschule eingerichtet, die Anfang der 1860er Jahre zur Elementarschule ausgebaut wurde, 1901 allerdings wegen Schülermangels schließen musste.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20137/Aufhausen%20Israelit%2025101894.jpgKurznotiz in der Zeitschrift „Der Israelit“ (1894)

Im Protokollbuch der Gemeinde Aufhausen ist aus dem Jahre 1824 folgende Notiz zu finden:https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20377/Aufhausen%20GemZeitung%20Wue%2001071929.jpg

Um 1840 richtete die jüdische Gemeinde gegenüber der Synagoge eine "Judentunke" (Mikwe) ein.

Die Aufhausener Gemeinde unterstand seit 1832 dem Rabbinat Oberdorf.

Juden in Aufhausen:

         --- 1587 ...........................  27 jüdische Familien,

    --- um 1650 ........................   9     “        “   ,

    --- 1788 ........................... 150 Juden,

    --- 1806 ...........................  36 Familien,

    --- 1812 ........................... 102 Juden,

    --- 1824 ........................... 234   “  ,

    --- 1831 ........................... 276   “  ,

    --- 1843 ........................... 328   “  ,

    --- 1854 ........................... 378   “  (ca. 43% d. Dorfbev.),

    --- 1869 ........................... 211   “  ,

    --- 1886 ........................... 107   “  ,

    --- 1900 ...........................  56   “  ,

    --- 1910 ...........................  15   “  ,

    --- 1925 ...........................   9   “  ,

    --- 1933 ...........................   5   “  .

Angaben aus: Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, S. 327

und                 Felix Sutschek, Zur Geschichte der Juden in Aufhausen(maschinenschriftliche Kurzdarstellung)

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Aufhausener jüdische Gemeinde mit ca. 380 Mitgliedern ihren Höchststand. In den folgenden Jahrzehnten ging infolge von Ab- und Auswanderung die Zahl aber wieder drastisch zurück. Bis ins ausgehende 19.Jahrhundert lebten die Aufhausener Juden vor allem vom Handel mit Grundstücken und landwirtschaftlichen Produkten und vom Kleinhandel bzw. der Hausiererei. Einige Familien brachten es zu bescheidenem Wohlstand.

Mangels von Mitgliedern wurde 1910 die selbstständige jüdische Gemeinde in Aufhausen aufgelöst, und die wenigen verbliebenen Juden gehörten bis 1925 der Nachbargemeinde Oberdorf an.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20137/Aufhausen%20Israelit%2018031926.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20147/Aufhausen%20Israelit%2024051928.jpg

Zwei Anzeigen des jüdischen Kinderheims in Aufhausen aus den 1920er Jahren

Im Jahr 1925 wurde die Synagoge geschlossen und ging nach Auflösung der Gemeinde in den Besitz des Israelitischen Oberrat über; dieser verkaufte es 1931 nach längeren Verhandlungen an die Kommune, wobei der Bürgermeister die Finanzierung aus eigenen Mitteln geleistet haben soll. Das Gebäude wurde während der NS-Zeit als HJ-Heim (!) genutzt. Nach 1945 wurde es an einen einheimischen Landwirt verkauft, der es umbaute bzw. teilweise abreißen ließ.

Von den fünf zu Beginn der NS-Zeit in Aufhausen lebenden Juden wurden vier Opfer der NS-Verfolgung. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 27 aus Aufhausen stammende Bewohner mosaischen Glaubens der Shoa zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/aufhausen_synagoge.htm).

 

Heute erinnert nur noch der jüdische Friedhof an die einstige jüdische Gemeinde in Aufhausen. Gelegen unterhalb der Ruine Schenkenstein war dieser ewige Ruhestätte von Juden aus mehr als 30 umliegenden Ortschaften. Etwa 350 Grabsteine auf dem mehr als 4.000 m² großen Gelände haben die Zeiten überdauert. Den ältesten Teil des Friedhofs bildeten ehemals Grabsteine aus Baldern; diese hatten die jüdischen Familien nach ihrer Vertreibung von dort (um 1660) von ihrem Friedhof hierher mitgebracht und aufgestellt; diese Steine sind aber nicht mehr erhalten.

Jüdischer Friedhof Aufhausen Gräber.JPG

Jüdischer Friedhof in Aufhausen (Aufn. M., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Aus Aufhausen stammten die beiden Brüder Samuel Liebmann (geb. 1799) und Leopold Liebmann (geb. 1805).

Der ältere der beiden, Samuel L., der später als Gastwirt und Bierbrauer in Ludwigsburg tätig war, wanderte 1855 mit seiner Familie in die USA aus. Als Unterstützer der deutschen 1848-Revolution war das Scheitern dieser Volkserhebung vermutlich der ausschlaggebende Grund dafür, dass er damals seine Heimat verließ. In New York begründete er die „Liebmann'sche Brauerei“, die innerhalb weniger Jahre zu einer der bedeutendsten Brauereien im Land wurde. Samuel Liebmann starb 1872, seine Söhne übernahmen das Brauerei-Unternehmen. Zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren war das Unternehmen mit seinem Hauptprodukt „Rheingold Extra Dry“ eine der erfolgreichsten Brauereien der Stadt.   Im Jahre 2005 wurden die „Rheingold Breweries“ von der Holding Drinks Americas gekauft.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20141/Liebmann%20Leopold%2001.jpg Der jüngere Bruder Leopold L. war nach seinem Studium am Lehrerseminar in Esslingen seit 1825 Lehrer an der israelitischen Volksschule in Esslingen; 1842 kam er als Lehrer an das damals dort neu gegründete Israelitische Waisenhaus „Wilhelmspflege“. Zudem war Leopold L. als jüdischer Religionslehrer am Lehrerseminar Esslingen tätig und weiterhin Vorsänger in der Israelitischen Gemeinde in Esslingen. Er verstarb 1893.

 

 

In der Stadt Bopfingen waren bereits im Hochmittelalter einige Juden ansässig; in den folgenden Jahrhunderten wechselten Duldung und Vertreibung einander ab. Eine neuzeitliche kleine jüdische Gemeinschaft, die offiziell der Synagogengemeinde Oberdorf angehörte, bestand erst wieder ab Mitte des 19.Jahrhunderts. Sie zählte aber nie mehr als ca. 50 Personen.

 

Im Bopfinger Stadtteil Baldern sind erstmalig in den 1340er Jahren Juden nachweisbar, die unter dem Schutz der Grafen von Oettingen standen. Jahrhunderte später kam es vorübergehend auch zur Bildung einer jüdischen Gemeinde: So sollen in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts zwölf jüdische Familien hier ansässig gewesen sein, die damals über eine Synagoge und einen eigenen Friedhof verfügten.

 

Die zahlenmäßig größte jüdische Gemeinde auf heutigem Bopfinger Stadtgebiet war die in Oberdorf a. Ipf, die gegen Mitte des 19.Jahrhunderts fast 550 Mitglieder zählte und die größte Kultusgemeinde in Ostwürttemberg war.

 [vgl. Oberdorf a. Ipf (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Ludwig Müller, Aus fünf Jahrhunderten: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries, in: "Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg", Jahrgang 1899, S. 81 - 182

Wolfgang Irtenkauf, Der Judenfriedhof von Aufhausen - Ein ehernes Mahnmal der Zeit, in: ‘Pessach’, Hrg. Israelitische Kultusvereinigung Württemberg und Hohenzollern, 1962

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 29 – 31

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 47/48 (Baldern)

Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation (Universität Tübingen), Nagold 1969

Helmut Enßlin, Bopfingen - Freie Reichsstadt - Mittelpunkt des württembergischen Rieses, Stuttgart/Aalen 1971

Ursula Laurentzsch, Zur Geschichte der Judengemeinde Aufhausen bei Bopfingen, Zulassungsarbeit an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, 1978

Karlheinz Bauer, Juden im Raum Aalen, in: "Aalener Jahrbuch 1984", S. 302 - 344

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 32/33

Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 419 - 421

Felix Sutschek, Zur Geschichte der Juden in Aufhausen, (maschinenschriftliche Kurzdarstellung), Bopfingen 2001

Rolf Hofmann, The Originators of Rheingold Beer: From Ludwigsburg to Brooklyn – A Dynasty of German-Jewish Brewers (2001), online abrufbar unter: beerhistory.com (betr. Leben von Samuel Liebmann)

Aufhausen, in: alemannia-judaica.de (mit sehr zahlreichen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte, zudem diverse Fotos)

Baldern, in: alemannia-judaica.de

Dietrich Bösenberg, Jüdische Friedhöfe im Ries (Aufsatz), o.J.

Felix Sutschek/Bernhard Hildebrand, Museum zur Geschichte der Juden im Ostalbkreis in der ehemaligen Synagoge Bopfingen-Oberdorf (Katalog), Bopfingen 2004, S. 64 f.

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 50 - 54