Bad Freienwalde/Oder (Brandenburg)
Bad Freienwalde (Oder) ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 13.000 Einwohnern im brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland - ca. 45 Kilometer südlich von Schwedt/Oder gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Märkisch-Oderland', aus: ortsdienst.de/brandenburg/maerkisch-oderland).
Nach dem 1671 vom Brandenburger Kurfürsten erlassenen Edikt, das die Vertreibungsphase beendete, siedelten sich wenige Jahre später auch die ersten jüdischen Familien im Städtchen Freienwalde an. Der erste nachweisbare Jude hieß Isaac Levy, dem 1674 bzw. 1677 ein Schutzbrief für Freienwalde - einschließlich der Konzession zum Wollhandel - ausgestellt wurde. Allerdings stießen die neuen Bewohner bei den hiesigen Bürgern auf eine ablehnende Haltung; um sie wieder loszuwerden, versuchten Bürgermeister und Rat in Briefen an den Kurfürsten, die Juden in den schwärzesten Farben zu beschreiben; so hieß es z.B.:
“ ... Bestehet der Juden Handtirung darin, daß sie vor sich nichts arbeiten, sondern nur bloß durch Schachern und Wucher Von den Christen sich nehmen, wie Sie dann frey sagen, ihro profession es also mitbringe. ... Das Meiste auch ist, daß alles, waß etwan in als außer der Stadt gestohlen wird, nirgends als an die Juden kompt, ... ... Und wolten wir, wenn E.Churf. Gnaden unß die hohe Gnade Zuthun gnädigst geruheten, sehr gerne sehen, daß zu Freyenwalde kein Jude mehr seßhafft wehre.”
Bis ins beginnende 19.Jahrhundert kamen die Juden Freienwaldes zu Gottesdiensten in einem Privathaus zusammen. 1819 erwarb die jüdische Gemeinschaft ein Gebäude in der Jopenstraße, in dem ein Betraum eingerichtet wurde, und auch die Lehrerwohnung war hier untergebracht. Eine Beschreibung liefern die Memoiren von Hans Keilson: „Die Synagoge in Freienwalde war ein kleines, weiß getünchtes und unscheinbares Gebäude, äußerlich nicht als Tempel zu erkennen. […] Von der Königsstraße führte die ‚Judentreppe‘ zur Fischerstraße, entlang am Synagogengarten, hinunter zum Eingang. Von der Empore, auf der die Frauen saßen, konnte man direkt hinaus in den Garten gehen.“
Um 1848/1850 erfolgte die offizielle Gründung eines Synagogenverbandes. Ihren Friedhof „Bei den weißen Sandgruben“ am Fuße des Galgenberges legten die Juden gegen Ende des 17.Jahrhunderts an. Bis in die 1730er Jahre begruben hier auch die Juden aus Wriezen ihre Verstorbenen.
Juden in (Bad) Freienwalde:
--- 1688 ......................... 4 jüdische Familien,
--- 1812 ......................... 13 “ “ ,
--- 1910 ......................... 67 Juden,
--- 1932 ......................... 10 jüdische Familien,
--- 1940 ......................... keine.
Angaben aus: Irene Diekmann/Julius H.Schoeps, Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, S. 16 - 21
Ansicht von Bad Freienwalde - hist.Postkarte
Im Jahr 1933 waren auch hier Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte zu verzeichnen. Da Bad Freienwalde ein besonders von Berliner Juden besuchter Badeort war, führten die Diffamierungskampagnen der Nationalsozialisten dazu, dass viele zahlungskräftige Gäste ausblieben, was sich negativ auf das Geschäftsleben der Kurstadt auswirkte. Bereits auf dem Bahnhof wurden ankommende jüdische Gäste mit Plakaten wie „Juden halt! Euer Zug geht gleich weiter !” und „Bad Freienwalde wünscht keine Juden!” begrüßt.
Während des Novemberpogroms wurde das Synagogengebäude in Brand gesetzt und brannte teilweise aus. Die wenigen noch in Bad Freienwalde verbliebenen jüdischen Bewohner verließen alsbald ihren Heimatort. Einige gingen nach Berlin, andere emigrierten.
Um 1950 wurde der jüdische Friedhof, der in der NS-Zeit geschändet, aber nicht zerstört worden war, von der Stadtverwaltung abgeräumt und das Gelände eingeebnet. Nur ein Gedenkstein und ein einziger, zufällig wiederaufgefundener Grabstein erinnern heute daran, dass hier einst das Bestattungsgelände der jüdischen Gemeinde war.
Denkmal (Aufn. Clemens Franz, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das ehemalige Synagogengebäude in der Fischerstraße - nach 1938/1939 zu einem Wohnhaus mit Werkstatt ausgebaut - wurde 1969 wegen Baufälligkeit abgerissen.
Ein Mahnmal erinnert seit 1998 an den Standort des einstigen jüdischen Bethauses, das über die sog. „Judentreppe“ erreicht werden konnte.
Auf Initiative von Schüler/innen des Berthold-Brecht-Gymnasiums wurden 2010 die ersten vier sog. „Stolpersteine“ verlegt.
Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Zwei Jahre später wurde am ehemaligen Standort der Synagoge ein neuer „Gedenkort“ geschaffen; neben einem stählernen geborstenen Eingangstor, das symbolhaft die Synagogentür darstellen soll, sind Bänke und ein Wasserbecken mit Gedenkstein angeordnet. Zwölf Obstbäume symbolisieren die zwölf Stämme Israels.
Gedenkort (Aufn. aus: henningsen-berlin.de/projekte/)
Hans Keilson, Arzt und Psychoanalytiker, wurde im Jahre 1990 die Ehrenbürgerschaft von Bad Freienwalde zuerkannt. Als Sohn des jüdischen Kaufmanns Max Keilson wurde er 1909 in Freienwalde geboren. Nach seinem Medizinstudium emigrierte er 1936 in die Niederlande. Während des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich am holländischen Widerstandskampf; nach 1945 war Hans Keilson an der Gründung einer Hilfsorganisation für jüdische Waisen beteiligt. Zahlreiche literarische und wissenschaftliche Werke hat er im Laufe seines Lebens publiziert. In den 1980er Jahren war er Präsident des P.E.N. Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Seit 2004 trägt auch die Stadt- und Kreisbibliothek den Namen von Hans Keilson. Im Jahre 2005 zeichnete ihn die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Johann Heinrich Merck-Preis aus. - 2011 veröffentlichte er im hohen Alter von 101 Jahren seine Autobiographie mit dem Titel „Da steht mein Haus“; im gleichen Jahre verstarb er in Hilversum (Niederlande).
Gedenktafel am Geburtshaus von Hans Keilson (Abb. aus: cafe-deutschland.blogspot.com)
In Joachimsthal – ca. 25 Kilometer nordwestlich von Bad Freienwalde – erinnert heute noch ein jüdischer Friedhof an ehemalige jüdische Ansässigkeit. Waren anfänglich Verstorbene auf dem israelitischen Friedhof in Oderberg beerdigt worden, so stand für die wenigen hier lebenden Familien seit Mitte des 18.Jahrhunderts ein eigener Begräbnisplatz am Ort (hinter der Amtskoppel) zur Verfügung. Dieses Areal wurde bis zur Auflösung der Gemeinde (um 1920) genutzt. Von den ehemals ca. 60 Grabstätten haben etwa 30 Grabsteine die Zeiten überdauert.
Aufn. Ralf Roletschek, 2016, aus: wikipedia.org, GFDL 1.2
Zwei sog. „Stolpersteine“ erinnern in der Schulstraße an ehemalige jüdische Bewohner (Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia,org, CC BY-SA 4.0).
In Oderberg - wenige Kilometer nördlich von Bad Freienwalde gelegen - ließen sich im letzten Viertel des 17.Jahrhunderts Juden nieder und bildeten Jahrzehnte später eine kleine jüdische Gemeinde, die um 1785 sechs Familien (knapp 50 Angehörige) zählte. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine kleine angemietete Betstube in der Rittergasse und ein spätestens um 1700 nahe der Stadt angelegter Friedhof auf dem „Mönkefeld“, am Südhang der zur Oder abfallenden Höhen. Nach dem Erwerb eines Grundstücks ließ die Gemeinde anstelle der Betstube ein Fachwerkgebäude errichten, in dem die Synagoge untergebracht war. Um 1850 lebten im Ort 58 jüdische Bewohner; sechs Jahrzehnte später waren es nur noch 13.
Nach der Auflösung der Gemeinde wurde das baufällige Synagogengebäude Mitte der 1920er Jahre abgerissen; die wenigen verbliebenen Juden suchten danach die Synagoge in Angermünde auf. Bis 1939/1940 hatten alle jüdischen Bewohner Oderberg verlassen.
Das während der NS-Zeit geschändete Beerdigungsgelände wurde nach 1945 wiederhergerichtet; ca. 35 Grabsteine bzw. -relikte sind noch vorhanden; die älteste Grabstelle ist die von Israel Gutherz aus dem Jahre 1848; die letzte Beerdigung fand hier 1933 statt.
Zuweg zum jüdischen Friedhof Oderberg (Aufn. Anke Geißler-Grünberg, aus: uni-potsdam.de/juedische-friedhoefe/friedhof-oderberg.html)
Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Oderbergerin Jüdin Frieda Lesser, die 1943 deportiert und ermordet wurde, erinnert seit 2012 ein sog. „Stolperstein“.
verlegt in der Hermann-Seidel-Straße (Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).
2023 wurden zwei weitere sog. „Stolpersteine“ verlegt; die beiden Steine in der Angermünder Straße erinnern an zwei jüdische Bewohner, die 1942 deportiert und in Auschwitz bzw. Chelmo ermordet wurden.
Hinweis: Im gleichnamigen Freienwalde/Hinterpommern (Kreis Saatzig) war auch eine kleine israelitische Gemeinde beheimatet. vgl. dazu: Freienwalde (Hinterpommern).
Weitere Informationen:
Rudolf Schmidt, Bad Freienwalde. Geschichte der Stadt in Einzeldarstellungen, Band 1, Bad Freienwalde/Oder, 1934
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 346/347
Reinhard Schmook, Bad Freienwalde, in: Irene Diekmann/Julius H.Schoeps, Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Edition Hentrich, Berlin 1995, S. 16 – 21
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 403
Reinhard Schmook, Zum Umgang mit jüdischen Spuren im Oderbruch (Barnim – Lebus), in: "Transodra Online" (2007)
Reinhard Schmook (Bearb.), Oderbruch – Bad Freienwalde/O., in: Irene A. Diekmann (Hrg.), Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart, Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Band 5, Berlin 2008, S. 246 - 253
sgoettmann (Red.), Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „MOZ - Märkische Oderzeitung“ vom 25.3.2010
Hans Keilson, Das Leben geht weiter – Autobiographie, Frankfurt/O. 2011
Peter Goenewold (Red.), Bad Freienwalde und Hans Keilson, online abrufbar unter: cafe-deutschland.blogspot.com
Jens Sell (Red.), Jüdischer Gedenkort eingerweiht, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 28.1.2012
Jacqueline Westermann (Red.), Jüdisches Leben: Geschichte der Bad Freienwalder „Judentreppe“, in: "MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 8.3.2020
Kathrin Hiller (Red.), Engagement der Bürgerschaft: Stolpersteine in Oderberg verlegt, in: Pressemitteilung Amt Britz-Chrorin-Oderberg vom 10.10.2023