Bad Kissingen (Unterfranken/Bayern)
Bad Kissingen mit derzeit ca. 23.000 Einwohnern ist Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises im bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken und liegt an der Fränkischen Saale südlich der Rhön (topografische Karte, Lencer 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Kreis Bad Kissingen', aus: ortsdienst.de/bayern/bad-kissingen).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Angehörigen der jüdischen Gemeinde von Bad Kissingen ihren personellen Höchststand und machte damals zeitweise ca. 12% der Gesamtbevölkerung aus.
Bad Kissingen, Stahlstich um 1850 (Abb. Stadtarchiv, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Bereits im 13.Jahrhundert soll es hier eine jüdische Gemeinde gegeben haben, die jedoch im Jahre 1298 im Zusammenhang der sog. „Rindfleisch-Unruhen“ vernichtet wurde.
Anm.: Aus dem nahe gelegenen Elfershausen soll Süßkind von Trimberg, der erste jüdische Dichter Deutschlands, stammen.
Eine neue jüdische Gemeinde entwickelte sich in Kissingen erst wieder ab dem ausgehenden 16./beginnenden 17.Jahrhundert. Die Schutzjuden des adligen Herrn von Erthal wohnten in einem Ghetto, dem heute noch erhaltenen „Judenhof“ in der Bachgasse. Nach einer kurzzeitigen Vertreibung gegen Ende des 16.Jahrhunderts lebten Mitte des folgenden Jahrhunderts bereits wieder mehr als 150 jüdische Bewohner im Ort. Sie errichteten im Jahr 1705 ein Bet- und Schulhaus. 1850/1851 ließ die jüdische Gemeinde die (alte) Synagoge in der Bachgasse erbauen: Es war dies ein schlichtes Gebäude, das später an die Kommune veräußert und 1927/1928 wegen Straßenbaumaßnahmen abgerissen wurde.
alte Synagoge in Bad Kissingen (Skizze F. Kreiner, Stadtarchiv, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Aufn. um 1925, aus: alemannia-judaica.de)
Doch auf Grund der ständig anwachsenden jüdischen Bevölkerung erwies sich das Gebäude bald als zu klein. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde deshalb ein Synagogenneubau in der Maxstraße (früher Promenadenstraße) geplant. Nach mehr als zweijähriger Bauzeit konnte der große, repräsentative Synagogenbau im Sommer 1902 eingeweiht werden; das monumentale, im neoromanischen Stil gestaltete Gebäude - entworfen vom ortsansässigen Architekten Carl Krampf - spiegelte das gewachsene Selbstbewusstsein und Ansehen der Kissinger Gemeinde wider. Die „Saale-Zeitung” vom 16.Juni 1902 berichtete darüber:
Die Einweihungsfeierlichkeiten der neuen Synagoge dahier
nahmen einen würdigen alle Festtheilnehmer hochbefriedigenden Verlauf. Am Freitag Nachmittag um 4 1/2 Uhr nach dem Gottesdienste wurden unter feierlichen Gesängen die 4 Thorarollen mit ihren mehrfach prachtvollen Paramenten ... aus dem hl. Schrein in der alten Synagoge entnommen und in ruhigem Zuge in den Betsaal im neuen Schulhause verbracht, woselbst sie provisorisch niedergelegt wurden. Samstag Morgens 7 Uhr fand im Anschluß an den Morgengottesdienst die Abschiedspredigt in der alten Synagoge statt und vormittags 9 1/2 Uhr begann sodann die Einweihung des neuen Gotteshauses. Auf der Terrasse der Synagoge, dessen weiter Vorplatz mit deutschen und bayrischen Fahnen geschmückt war, hatte ein Sängerchor Aufstellung genommen, welcher im Augenblick, wo die Thorarollen das Schulhaus verließen, den Chor ‘Gott, Du Allmächtiger’ anstimmte. ...
Die neue Synagoge in Bad Kissingen (hist. Postkarten um 1910/1915, Stadtarchiv, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten zudem ein Gemeindehaus mit Schulräumen, eine Mikwe und ein 1817 auf einer Anhöhe (Zückberg) angelegter eigener Friedhof; zuvor waren Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Pfaffenhausen (bei Hammelburg) begraben worden.
ältere Grabsteine des jüdischen Friedhofs in Bad Kissingen (alle Aufn. Sigismund v. Dobschütz, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der 1805 in Memmelsdorf geborene Gabriel Hirsch Lippmann amtierte in den Jahren 1852 bis 1864 als Distriktrabbiner in Bad Kissingen. Seine religiöse Ausbildung erhielt er schon in seinen frühen Jahren zunächst in Burgpreppach, danach in Fürth, Würzburg und Aschaffenburg.Danach studierte er an der Universität München; in Würzburg promovierte er. Nach verschiedenen Tätigkeiten als Hauslehrer/und Prediger wurde ihm 1852 die Führung des Distriktrabbinats Bad Kissingen angetragen, das er bis zu seinem Tode (1864) zwölf Jahre leitete.
Moses Löb Bamberger (geb. 1838 in Wiesenbronn), Sohn des bekannten Würzburger Rabbiners Seligmann Bar Bamberger, stand von 1867 bis zu seinem Tode (1899) dem Distriktsrabbibat Bad Kissingen vor. Wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Frömmigkeit war er allseits geachtet. Während seiner Amtszeit forcierte er den Bau der neuen Synagoge in Bad Kissingen, deren Fertigstellung er aber nicht mehr erlebte.
Von 1902 bis 1932 übte Isaak Seckel Bamberger (geb. 1863 in Fischach) das Amt des Distriktrabbiners in Bad Kissingen aus und wurde damit Nachfolger seines Schwiegervaters Moses Löb Bamberger. Während seiner Tätigkeit, die von seiner streng-orthodoxen Haltung geprägt war, engagierte er sich besonders auf sozialen Gebiet. Nach 30jähriger Amtszeit wurde er 1932 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Zwei Jahre später starb er; sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof von Bad Kissingen.
Letzter Amtsinhaber des Distriktrabbinats Bad Kissingen war Max Menachem Ephraim (geb. 1898 in Posen), der nach seiner Tätigkeit als Rabbiner in Burgpreppach die Nachfolge von Isaak Seckel Bamberger antrat. Bereits 1933 wurde er vorübergehend in ‚Schutzhaft‘ genommen und seine Amtsräume/Wohnung durchsucht. Wenige Wochen vor dem Novemberpogrom machte er eine Reise in die USA, von der er nicht mehr zurückkehrte. Ephraim war noch kurzzeitig im Temple Beth Sholem (Babylon/NewYork) tätig, ehe er 1942 verstarb.
Bad Kissingen besaß im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert eine blühende jüdische Gemeinde; seitdem sich das insgesamt 28 Gemeinden umfassende Bezirksrabbinat hier befand, war der Ort religiöses Zentrum im nördlichen Unterfranken.
Zur Erledigung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer in Anstellung, der zugleich auch als Kantor und Schochet tätig war; zeitweise waren diese Stellen von mehreren Personen besetzt.
Stellenausschreibungen der jüdischen Gemeinde aus der Zeitschrift "Der Israelit" (1870 - 1892)
Anzeige mit Neujahrsgrüßen des Rabbiners Moses Löb Bamberger (1890)
Ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung der jüdischen Gemeinde Kissingens waren die Heilbäder, die auch von zahlreichen Juden aus dem In- und Ausland aufgesucht wurden.
Anzeigen jüdischer Geschäftsleute (Hotel- u. Gaststättengewerbe) aus den Jahren 1845 - 1868 - 1902:
Hinweis: Das „Hotel Schwed“ bestand seit den 1820er-Jahren und wurde von Moses Herzfeld im Jahre 1900 übernommen.
Um 1920/1925 war die jüdische Gemeinde von Bad Kissingen mit ca. 500 Mitgliedern eine der zehn größten Gemeinden auf bayrischem Gebiet. Als Mitte der 1920er Jahre ein Abschwächung des Kurbetriebes - vornehmlich blieben ausländische Gäste fern - zu verzeichnen war, ging auch die Zahl der Juden in Bad Kissingen selbst zurück. Dieser Umstand veranlasste die Gemeinde, einen Verein zur Förderung des jüdischen Fremdenverkehrs ins Leben zu rufen.
Juden in (Bad) Kissingen:
--- 1655 .............................. 3 jüdische Familien,
--- 1675 .............................. 6 " " ,
--- 1720 .............................. 11 " " ,
--- 1740 .............................. 16 " " ,
--- 1798 .............................. 21 " " ,
--- 1816 .............................. 181 Juden (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1837 .............................. 210 “ ,
--- 1848 .............................. 228 " (in 48 Familien),
--- 1867 .............................. 314 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1880 .............................. 356 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1900 .......................... ca. 330 “ (ca. 7% d. Bevölk.)
--- 1910 .............................. 307 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1925 .............................. 504 “ ,
--- 1933 .............................. 344 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1936 (Jan.) ....................... 218 “ ,
--- 1938 (Jan.) ....................... 156 “ ,
(Nov.) ....................... 91 “ ,
--- 1939 (Mai) ........................ 63 “ ,
--- 1942 (Febr.) ...................... 43 “ ,
--- 1943 (Mai) ....................... ein " ().
--- 1945 (Nov.) ...................... 30 " ,
--- 1946 (Frühjahr) .............. ca. 130 " ,
--- 1947 ............................. 13 “ .
Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 262
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1, Unterfranken, S. 93
Die demographischen Angaben - insbes. die das 17./18.Jahrhundert betreffen - differieren in den verschiedenen Publikationen deutlich.
Marktplatz mit Altem Rathaus und Pfarrgasse um 1925 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Nach der NS-Machtübernahme waren es vor allem jüdische Besitzer von Hotels und Pensionen sowie jüdische Ärzte und Rechtsanwälte, die der antijüdische Wirtschaftsboykott hart traf. Im Sommer 1934 erließ die Stadtverwaltung auf Anregung der NSDAP-Kreisleitung ein Verbot, das es Juden und Nichtjuden untersagte, gemeinsam die Bäder aufzusuchen.
Schmierereien, eingeschlagene Fenster von Häusern und Geschäften jüdischer Besitzer und Schändungen des Friedhofes waren äußere Kennzeichen der sich verstärkenden antisemitischen Tendenzen in Bad Kissingen, besonders ab 1935. Auch die Lokalpresse beteiligte sich aktiv an der judenfeindlichen Stimmungsmache, wie der folgende Bericht verdeutlicht:
„ ... Die jüdischen Geschäfte verstehen es noch immer, sich in das rechte Licht zu setzen. Sie treiben ihre Bauernfängerei auf die verschiedenste Weise, aber jedesmal anders. Es kommt darauf an, wen sie ins Garn locken wollen. Sie scheinen aber in letzter Zeit gemerkt zu haben, daß die deutschen Volksgenossen wissen, um was es bei dem Kampf gegen das Judentum geht und daß auch diejenigen, die bisher abseits standen, den Sinn der Bewegung begreifen. Deshalb legen sich scheinbar plötzlich die jüdischen Geschäftsleute in Bad Kissingen auf eine besondere Werbemethode, mit der sie ... ihre eigenen Rassegenossen von ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen versuchen. ... Seit gestern früh tragen nämlich alle Schaufenster der jüdischen Geschäfte hebräische Buchstaben, ... Wir sparen uns die Mühe ihre Bedeutung zu entziffern. ... Eigentlich ist durch diese ‘Werbeschrift erst Ordnung eingekehrt, denn nun weiß der Jude, wohin er zu gehen hat und der ortsunkundige arische Kurgast kann auch nicht mehr fehlgehen. ...”
(aus: „Mainfränkische Zeitung” vom 9.8.1935)
Mit Ausnahme der religiösen und kulturellen Aktivitäten war das Leben der jüdischen Gemeinde nun lahmgelegt. Im Frühjahr 1938 wurden in der Stadt Anordnungen erlassen, wonach jüdische Geschäfte mit gelben Schildern als solche zu kennzeichnen waren, zudem war Juden der Besuch von Vergnügungsstätten untersagt. Eine eigens gekennzeichnete „gelbe Kurkarte“ schränkte den Kuraufenthalt erheblich ein. Erlaubt war, in den wenigen Hotels und Pensionen jüdischer Besitzer zu wohnen.
Am frühen Morgen des 10.November drangen ortansässige SA-Leute in Zivil in die Häuser der Juden ein und zerschlugen das Mobiliar; auch sämtliche jüdischen Geschäfte wurden demoliert. Die Synagoge wurde vor den Augen zahlreicher Schaulustiger in Brand gesteckt, nachdem die Täter sich durch den Hintereingang Zutritt verschafft hatten. Das Synagogengebäude brannte im Innern völlig aus. Auch das Gemeindehaus entging nicht der Zerstörung; hier wurden die Inneneinrichtung und wertvolle Kultgeräte zerschlagen.
ausgebranntes Synagogengebäude (aus: wikipedia.org, gemeinfrei) und Abbruch der Synagoge - Gemälde Otto Kraus (Abb. aus: badkissingen.de)
Anm.: Noch vor Beginn der Kursaison 1939 beschloss der Stadtrat den Abbruch des Synagogengebäudes, obwohl die Bausubstanz noch intakt war. Die hohen Abrisskosten wurden in Kauf genommen, um die Spuren jüdischen Lebens in der Kurstadt auszulöschen.
Etwa 30 jüdische Männer wurden verhaftet, darunter befanden sich auch die beiden Rabbiner Dr. Moses und Dr. S. Bamberger. Einen Teil der festgenommenen Männer eskortierte man angekettet zum jüdischen Friedhof; dort mussten sie ein Grab öffnen, in dem zuvor jüdische Ritualien niedergelegt worden waren. Diese Kultgegenstände mussten dann dem Grab entnommen und an einen anderen Ort verbracht werden. Anschließend wurde einige Männer ins KZ Dachau verschleppt. Die aus dem Amtsgerichtsgefängnis entlassenen hingegen wurden angewiesen, sich „zu ihrer eigenen Sicherheit“ weder auf der Straße noch an den Fenstern ihrer Wohnung zu zeigen, notfalls sie sonst wieder „in Schutzhaft“ genommen würden. Aus einem Bericht der Kriminalpolizei Bad Kissingen vom 11.1.1938:
“ ... In der Nacht vom 9./10.Nov. 1938 mußten, wegen allgemeiner Empörung der Bevölkerung ... , eine Anzahl hiesiger Juden aus Gründen ihrer persönlichen Sicherheit in Schutzhaft genommen werden. Beim Vollzug dieser Maßnahme wurde bekannt, daß im hiesigen Judenfriedhof vor einiger Zeit verschiedenes belastendes Material vergraben worden sei. Es wurde daher am 10.Nov. 1938 ... unter Zuziehung von 6 Juden an einer bezeichneten Stelle im Judenfriedhof gegraben. Dabei wurden aus einem etwa 2 m tiefen Schacht circa 30 Säcke, die mit jüdischen Schriften, Büchern, Gebetsrollen usw. gefüllt waren zu Tage gefördert. Das gesamte Material, das noch gesichtet werden muß, wurde vorläufig in den Luftschutzkeller des Kreishauses gebracht. ...”
Durch Emigration und Abwanderung in größere Städte war die jüdische Gemeinde in Bad Kissingen Anfang 1942 auf etwa 40 Personen dezimiert. Dann begannen die Deportationen. Am 29.5.1942 berichtete die „Kissinger Saale-Zeitung“:
( ) Bad Kissingen judenfrei. Wie vom Bürgermeister der Stadt mitgeteilt wird, hat am 20.Mai 1942 der letzte Jude Bad Kissingen verlassen. Wenn man bedenkt, daß am 1.Januar 1933 248 Juden in Bad Kissingen ansässig waren und am 1.Januar 1937 immer noch 143 Juden sich hier aufhielten, kann man nur mit großer Freude von dieser Mitteilung Kenntnis nehmen und die Bad Kissinger Einwohner sowie das Bad gern besuchenden Kurgäste zu diesem freudigen Ereignis beglückwünschen. In Zukunft wird keiner mehr in Bad Kissingen durch den Anblick eines Judensterns unangenehm berührt werden.
Nachweislich wurden mindestens 126 gebürtige bzw. längere Zeit in Bad Kissingen ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_kissingen_synagoge.htm).
Anfang 1949 begann vor dem Landgericht Schweinfurt der Prozess gegen 14 Beteiligte am Novemberpogrom. Der Hauptangeklagte Emil Otto Walter erhielt wegen „Anstiftung zur Brandstiftung“ eine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe. Zwölf Angeklagte - unter ihnen der ehemalige Kreisleiter, der Kreispropagandaleiter sowie der stellv. Bürgermeister Bad Kissingens - wurden "mangels Schuld" bzw. "mangels Beweises" freigesprochen, das Verfahren gegen einen weiteren Angeklagten wurde ganz eingestellt.
Nach Kriegsende zogen etwa 25 Neubürger jüdischen Glaubens wieder nach Bad Kissingen, jedoch kehrte kein einziges früheres Gemeindemitglied hierher zurück. Zu einer Neugründung einer Gemeinde kam es nicht. Der nach 1945 wieder seiner ursprünglichen Bestimmung übergebene Betsaal wurde Mitte der 1990er Jahre vollständig umgebaut und unter dem Namen „Josef-Weissler-Betsaal” feierlich neu eröffnet. Benannt ist er nach Josef Weissler, der von 1947 bis 1989 in Bad Kissingen gelebt hat. Er hat in den 1950er Jahren den Betsaal, in dem er selbst als Kantor tätig war, einrichten lassen und zwei Thorarollen beschafft.
Im August 1967 wurde am ehemaligen Standort der Synagoge in der Promenadenstraße eine Gedenktafel angebracht; ihre Inschrift lautet:
Hier stand die Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde
Sie wurde am 9.11.38 durch die damaligen Machthaber zerstört.
Aus Anlass des 100jährigen Jubiläums der Neuen Synagoge wurde eine neue bronzene Gedenktafel eingeweiht, die unter der stilisierten Darstellung der ehemaligen Synagoge die Sätze trägt:
Hier stand die 'Neue Synagoge'. Sie wurde am 14. Juni 1902 eingeweiht. In der Reichspogromnacht - 9./10. November 1938 - wurde sie von SA- und SS-Leuten verwüstet und in Brand gesteckt. Ihr Abriss erfolgte im April 1939 auf Beschluss des Stadtrates. Die Synagoge war Ausdruck der gelungenen Integration, der Heimatverbundenheit und des Glaubens der Kissinger Juden. Ihre Zerstörung markiert den Untergang einer jahrhundertealten jüdischen Gemeinde.
Die Stadt Bad Kissingen gedenkt ihrer jüdischen Bürger, die Opfer von Verfolgung und Deportation wurden. 14. Juni 2002
Gedenkstele von 2002 (Aufn. M., 2010, aus: wikipedia.org, CCO) virtuelle Rekonstruktion der Synagoge (M. Gellert, TU Darmstadt)
Im Obergeschoss des ehemaligen jüdischen Gemeindehauses, ebenfalls in der Promenadenstraße gelegen, erinnert eine Dauerausstellung daran, dass Bad Kissingen über einen langen Zeitraum hinweg jüdischen Familien eine Heimat war.
Der jüdische Friedhof der Stadt in der Bergmannstraße existiert heute noch; er weist noch etwa 400 Grabsteine auf; teilweise sind die Grabsteininschriften infolge Verwitterung nicht mehr lesbar.
Jüdischer Friedhof in Bad Kissingen, rechts: ältester Teil (alle Aufn. Sigismund v. Dobschütz, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auch das Taharahaus ist heute noch vorhanden.
In Bad Kissingen wurden auf Anregung einer Bürgerinitiative sog. „Stolpersteine“ verlegt; eine Erstverlegung fand im Juni 2009 statt, weitere folgten; derzeit gibt es im Stadtgebiet ca. 75 solcher messingfarbener Gedenkquader (Stand 2024).
"Stolpersteine" (Aufn. S.v. Dobschütz, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auch die Kommune Bad Kissingen beteiligt sich am unterfränkischen Projekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ (Würzburg) mit hölzernen Skulpturen in Form eingerollter Decken (Aufn. Takayo Miura, 2020 und aus: inFranken.de); die Holzarbeiten wurden von Auszubildenden in der Drechslerei der Staatlichen Berufsschule Bad Kissingen geschaffen (drei der fünf Werkstücke sollen in Orten im Landkreis aufgestellt werden).
2020 erfolgt eine Umbennung des jüdischen Kurheims Eden-Park – es ist die einzige jüdische Einrichtung dieser Art in Deutschland. Nun trägt die 1993 eröffnete Einrichtung die Bezeichnung „Kurheim Beni Block“.
Ein mehr als 250 Jahre alter Thoravorhang aus Bad Kissingen (Abb. Hans-Jürgen Beck) befindet sich heute in einer Synagoge in Chicago (Stadtteil Skokie). Während des Novemberpogroms hatte der Hausmeister der Synagoge das wertvolle Stück vor der Zerstörung retten können. Nach Kriegsende übergab er den Parochet einem US-Soldaten, der diesen nach Chicago mitnahm.
Im heutigen Ortsteil Garitz soll es im 18./19.Jahrhundert vermutlich eine winzige jüdische Gemeinschaft gegeben haben, deren Angehörige ghettoartig im „Judenhof“ lebten. Die hiesigen Juden verfügten angeblich über einen Betraum in einem der Wohnhäuser
In Münnerstadt – wenige Kilometer nordöstlich von Bad Kissingen – gab es im Hochmittelater jüdische Ansässigkeit; die wenigen Familien waren dem Grafen von Henneberg untertan. Während der sog. Rintfleischpogrome (1298) und den Jahren der Pestzeit (1348/49) wurden die hiesigen Juden verfolgt, vertrieben bzw. ermordet. Die ehemalige Synagoge befand sich an der Stelle, an der im 16.Jahrhundert die Kelterhalle des Klosters stand (Finstere Gasse). Der mittelalterliche Friedhof war unterhalb des Oberen Tores gelegen.
Im 19./20.Jahrhundert lebten keine jüdischen Familien – außer der Familie Gutmann - dauerhaft im Ort; diese hatte seit den 1870er Jahren hier ein Bekleidungsgeschäft geführt
Bekleidungshaus Selly Gutmann (hist. Aufn. Sabine Exner)
Im Landkreis Bad Kissingen existierten noch weitere jüdische Gemeinden, so in Bonnland, Bad Brückenau, Dittlofsroda, Geroda, Hammelburg, Maßbach, Oberthulba, Platz, Poppenlauer, Riedenberg, Steinach, Untererthal, Völkersleier, Westheim und Zeitlofs.
Weitere Informationen:
Werner Eberth, Die sogenannte Reichskristallnacht vom 9./10.Nov. 1938 in Bad Kissingen, Steinach, Maßbach und Poppenlauer, in: „Quellenblätter Heimatkundliche Beilage der Saale-Zeitung für den Landkreis Bad Kissingen", No. 36 und No. 37 (Nov./Dez. 1978)
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 262 - 267
Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 314 – 333 und S. 349 f.
Hans-Jürgen Beck, Juden in Bad Kissingen während der Zeit des Nationalsozialismus, Zulassungsarbeit Universität Würzburg, Würzburg 1987 (2 Bände)
Hans-Jürgen Beck/Rudolf Walter, Jüdisches Leben in Bad Kissingen, Rötter Druck und Verlag GmbH, Bad Kissingen/Bad Neustadt 1990
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2. Aufl., München 1992, S. 39 ff.
Cornelia Binder/Michael Mence, Last Traces - Letzte Spuren von Deutschen jüdischen Glaubens im Landkreis Bad Kissingen, Mellrichstadt 1992, S. 20 f. , S. 43 f. und S. 115 – 118
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof Bad Kissingen, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 8. Jg. No. 58/1993, S. 20
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 73/74
Die Glaubensgemeinschaften in Bad Kissingen - Die israelitische Gemeinde, in: Thomas Ahnert/Peter Weidisch (Hrg.), 1200 Jahre Bad Kissingen (801-2001). Facetten einer Stadtgeschichte. Festschrift zum Jubiläumsjahr und Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Sonderpublikation des Stadtarchivs Bad Kissingen, Bad Kissingen 2001, S. 308 ff.
Hans-Jürgen Beck (Bearb.), Die wechselvolle Geschichte der Kissinger Synagogen, in: Programmheft „Jüdische Kulturtage Bad Kissingen 2002“, Bad Kissingen 2002, S. 4 - 8
Frank Bajohr, "Unser Hotel ist judenfrei". Bäderantisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, Fischer-Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2003, S. 94 f.
Cornelia Binder/Michael Mence, Nachbarn der Vergangenheit - Spuren von Deutschen jüdischen Glaubens im Landkreis Bad Kissingen mit dem Brennpunkt 1800 bis 1945, Selbstverlag, o.O. 2004
Klaus Gasseleder, Aus der Chronik einer jüdischen Familie, eines fränkischen Dorfes und eines Weltbades in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, o.O. 2005
Bad Kissingen, in: alemannia-judaica.de (Anm. umfangreiche Dokumentation der Historie der Kultusgemeinde)
Münnerstadt, in: alemannia-judaica.de
N.N. (Red.), Liegt der Schutt der Synagoge unter Rosen? in: „Main-Post“ vom 7.5.2008
Hans-Jürgen Beck, „Und dieses Haus, geweiht dem Ewigen / Der Andacht Stätte durch Gebet und Lehre“ - Zur Geschichte der Kissinger Synagogen, in: „Frankenland“ 60/4 (2008), S. 265 - 291
Siegfried Farkas (Red.), BAD KISSINGEN - Verbeugung vor Opfern des Terrors - Gunter Demnig verlegt erste Stolpersteine in Bad Kissingen, in: „Main-Post“ vom 19.6.2009
Siegfried Farkas (Red.), BAD KISSINGEN. Die Opfer in die Stadt zurückholen. Gunter Demnig verlegte am Freitag 13 weitere Stolpersteine in Bad Kissingen, in: „Main-Post“ vom 22.1.2010
Siegfried Farkas (Red.), Gunter Demnig setzt weitere 13 Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „Main-Post“ vom 18.5.2015
Siegfried Farkas (Red.), Gedenkort Gehsteig, in: „Main-Post“ vom 29.10.2016
Hans-Jürgen Beck/Josef Bötsch/Peter-Karl Müller (Bearb.), Dokumentation des jüdischen Friedhofs von Bad Kissingen, 2016
Auflistung der in Bad Kissingen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Kissingen
sek (Red.), Bad Kissingen. Weitere Stolpersteine, in: inFranken.de vom 16.2.2018
Bad Kissingen (Hrg.), Liste der Bad Kissinger Stolpersteine, online abrufbar unter: badkissingen.de/stadt/geschichtliches/juedisches-leben/badkissinger-stolpersteine/38603.Liste-der-Bad-Kissinger-Stolpersteine.html
Anke Gundelach (Red.), Erinnern an jüdische Mitbürger. Stolperstein-Verlegung in Bad Brückenau und Bad Kissingen, in: "Bayrischer Rundfunk" vom 23.2.2018
Ralf Ruppert (Red.), Gedenken an Deportation auch im Kreis Bad Kissingen, in: "Main-Post" vom 11.4.2018 (betr. "DenkOrt Aumühle")
Isolde Krapf (Red.), Bad Kissingen. Eine bedrückende lebendige Erinnerung, in: „Main-Post“ vom 12.11.2018
Thomas Ahnert (Red.), Die Nacht, als auch in Kissingen die Synagoge brannte, in: „Main-Post“ vom 29.11.2018
Ronja Auerbacher (Red.), Kurheim Eden-Park in Bad Kissingen erhält neuen Namen, online abrufbar unter: BR24 vom 21.1.2020
Sigismund von Dobschütz (Red.), Geschichte. Gedenkbuch jetzt online – Die Biografien von 620 Kissinger Juden können im Internet nachgelesen werden, in: inFranken.de vom 24.1.2020
Sigismund von Dobschütz (Red.), Gedenkstücke aus Holz gedrechselt, in: „Main-Post“ vom 31.1.2020
Cornelia Berger-Dittscheid/Hans-Jürgen Beck (Bearb.), Bad Kissingen, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), ... Mehr als Steine - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 47 - 105
Peter Rauch (Red.), Holocaust: Gedrechselt um zu gedenken, in: „Saale-Zeitung“ bzw. inFranken.de vom 20.6.2021
Franziska Keller (Red.), Es ist Eile geboten – Für jüdische Friedhöfe könnte es dank eines Leader-Projektes Geld von der EU geben …, in: „Main-Post“ vom 23.11.2021
Franziska Keller (Red.), Jüdischer Friedhof Bad Kissingen: Jeder Stein erzählt eine Geschichte, in: inFranken.de vom 5.12.2021
Marlies und Rudolf Walter (Bearb.), Biografisches Gedenkbuch der Bad Kissinger Juden während der NS-Zeit, online abrufbar unter: biografisches-gedenkbuch-bk.de
Hans-Jürgen Beck (Bearb.), „Kissingen war unsere Heimat über Jahrhunderte ...“ - Eine Chronik jüdischen Lebens in Bad Kissingen, hrg. von der Stadt Bad Kissingen, online abrufbar unter: badkissingen.de (detaillierte Darstellung der jüdischen Lokalgeschichte mit umfangreichen Quellenangaben)