Bad Soden (Hessen)

Datei:Frankfurt 1905.png – Wikipedia Datei:Bad Soden am Taunus in MTK.svg   Bad Soden ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 22.000 Einwohnern im hessischen Main-Taunus-Kreis. Das einstige Dorf Soden, das über ergiebige Salzquellen verfügte, erlangte erst im 19.Jahrhundert als Kur- und Badeort gewisse Bedeutung (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, Soden am linken Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Main-Taunus-Kreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Einige wenige Juden lebten hier bereits seit Mitte des 17.Jahrhunderts; die Namen sind im „Sodener Gerichtsbuch“ und in Kirchenrechnungen genannt. Ihre Zahl blieb jedoch bis ins 19.Jahrhundert sehr gering. Zumeist lebten sie in ärmlichen Verhältnissen. Eine selbstständige jüdische Gemeinde gab es in Soden erst ab 1849; zuvor gehörten die jüdischen Einwohner zur Synagogengemeinde Niederhofheim.

[vgl.  Niederhofheim (Hessen)]

Einen Betraum gab es in Soden in den 1760er Jahren; doch mangels eines Minjans wurde er wenige Jahrzehnte später wieder geschlossen. Mit dem Anwachsen des Kurbetriebes kamen auch jüdische Gäste, vor allem aus Frankfurt, nach Bad Soden, sodass die Frage nach der Einrichtung einer Synagoge aktuell wurde. Um 1848 richtete die Judenschaft in einem Haus in der Altstadt - in der Enggasse bzw. der heutigen Neugasse - einen Synagogenraum ein, der allerdings über nur wenige Plätze verfügte. Zumindest zeitweise hatte die kleine Gemeinde einen Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20128/Bad%20Soden%20Israelit%2008031871.jpg Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8.März 1871

Ansonsten erhielten die jüdischen Kinder von Lehrern aus Königstein bzw. Falkenstein Religionsunterricht.

In einem Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Wiesbaden und Umgebung" vom 7. Okt. 1927 wurde über die bevorstehende Renovierung der Synagoge wie folgt berichtet:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20180/Bad%20Soden%20JuedWz%20Wi%2007101927.jpg

Ab Anfang der 1870er Jahre gab es in dem Kurort auch einen eigenen jüdischen Begräbnisplatz, auf dem auch Verstorbene aus Hattersheim, Höchst, Hofheim und Okriftel beerdigt wurden; das Friedhofsgelände lag auf einer Anhöhe an der Ausfallstraße nach Niederhofheim (gegenüber der Wilhelmshöhe). Hier fanden auch zahlreiche Juden aus anderen Ländern ihre letzte Ruhe, die während ihres Kuraufenthaltes bzw. als Patienten der Israelitischen Kuranstalt Soden verstorben waren. Vor 1870 hatte der alte jüdische Friedhof in Niederhofheim als Beerdigungsstätte gedient.

Juden in (Bad) Soden:

    --- 1699 ...........................  5 jüdische Familien,

    --- 1745 ...........................  7   “         “   ,

    --- 1842 ........................... 35 Juden (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1871 ........................... 38   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1885 ........................... 18   “   (ca. 1% d. Bevölk.),

    --- 1905 ........................... 36   “  ,

    --- 1925 ........................... 49   “  ,

    --- 1933 ....................... ca. 50   "  ,   

    --- 1937 ........................... 43   “  .

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 256

Bad Soden - hist. Postkarte, um 1905 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In den 1880er Jahren gründete der in Frankfurt beheimatete Baron Wilhelm C. von Rothschild in der Dachbergstraße in Bad Soden eine „Kuranstalt für arme Israeliten“, die zunächst als koschere Speiseanstalt für jüdische Kurgäste geführt wurde. Im Laufe der Folgejahrzehnte konnten sich in diesem streng-rituell geführten Hause mehrere tausend sozial schwach gestellter und kranker Personen erholen.

Zusammen mit anderen Geldgebern stiftete die Frankfurter Kaufmannsfamilie Reiss das Armenbad Bethesda und half bei der Finanzierung der ersten Sodener Trinkhalle im Quellenpark.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20175/Bad%20Soden%20Israelit%2007061934.jpg Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.Juni 1934

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20128/Bad%20Soden%20Kuranstalt%20100.jpg Israelitische Kuranstalt (hist. Aufn., um 1910)

Hinweis: Detaillierte Angaben zur jüdischen Kuranstalt siehe unter: Bad Soden (Main-Taunus-Kreis), in: Alemannia Judaica

                                        Anzeige eines jüdischen Erholungsheimes (1911)

Herausragende Persönlichkeiten wie die Ärzte Salomon Friedrich Stiebel, David Rothschild und Max Isserlin haben Sodens Ruf als Kurort gestärkt. Der Kommerzienrat Enoch Reiss und seine Familie sind in Soden lange Zeit karitativ tätig gewesen.

* Salomon F. Stiebel veröffentlichte 1840 das Buch „Soden und seine Heilquellen“, in dem er die „neue wohltätige Luft“ des Kurortes lobte.

Die um die Jahrhundertwende hier lebenden wenigen jüdischen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt als Kaufleute. Daneben gab es einen Viehhändler, einen Landesproduktenhändler, einen Chemiker und einen Bankkaufmann. In Bad Soden wohnten damals keine jüdischen Familien, die über mehrere Generationen hinweg hier ansässig gewesen waren.

Bereits in den Jahren nach 1933 verließen die wenigen jüdischen Bewohner den Kurort, z.T. emigrierten, z.T. verzogen sie in größere Städte. Ab 1934 begannen die Versuche, die „Israelitische Kuranstalt“ unter fadenscheinigen Gründen aus Bad Soden zu verdrängen. Zum Zeitpunkt des Novemberpogroms von 1938 besaß der Kurort kaum noch jüdische Einwohner.

Die Inneneinrichtung der Synagoge in der Neugasse wurde im November 1938 völlig zerstört, und die Einrichtungsgegenstände wurden verbrannt. Die Patienten der „Jüdischen Kuranstalt“ in der Talstraße jagte man in Schlafanzügen und Bademänteln aus dem Gebäude. Nach der Plünderung durch Mitglieder der NSDAP-Ortsgruppe zündete man das Haus an und ließ es vollständig niederbrennen. Ein Teil der Bewohner wurde dann zum Sodener Bahnhof abgeführt, der andere Teil war geflüchtet.

Auch zwei Privathäuser jüdischer Eigentümer wurden demoliert. Die Leichenhalle des jüdischen Friedhofs in der Niederhofheimer Straße entging ebenfalls nicht der Zerstörungswut der Nationalsozialisten

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 16 längere Zeit in Bad Soden wohnhaft gewesene jüdische Personen Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_soden_synagoge.htm).

Bei einem Prozess gegen die Hauptbeteiligten der gewalttätigen Aktionen im Jahr 1949 erhielten die drei Hauptangeklagten mehrjährige Haftstrafen, die übrigen wurden 1950 amnestiert.

 

Zur Erinnerung an die ehemalige „Jüdische Kuranstalt“ erinnert heute eine Gedenktafel; diese ersetzte einen in den 1980er Jahren aufgestellten Gedenkstein, der die Inschrift besaß: "Hier stand die ehemalige Israelitische Kuranstalt, sie wurde 1938 ein Opfer der Kristallnacht".

            Gedenktafel (Aufn. aus: stolpersteine.in-bad-soden.de) https://www.stolpersteine-in-bad-soden.de/wp-content/uploads/2016/05/P1130558.jpg

          Ende der 1980er Jahre brachte man am Standort der ehemaligen Synagoge eine Gedenkplatte an. Nach erheblichen Kontroversen im Stadtrat konnten 2011 bzw. 2014 die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt werden: fünf Steine für die Familie des Badearztes und Leiter der Israelitischen Kuranstalt Dr. Max Isserlin; weitere folgten, so z.B. 2016 in der Neugasse für fünf Angehörige der Familie Strauss und 2017 für vier Mitglieder der Familie Strausser/Neuhof in der Königsteiner Straße (ehem. "Villa Rheinfels"). Einzelne Steine sind auch nicht-jüdischen NS-Opfern gewidmet.

Datei:Bad Soden am Taunus, Alleestr. 24, Stolperstein Rosa Grünebaum.jpg Datei:Bad Soden am Taunus, Alleestr. 24, Stolperstein Markus Grünebaum.jpg Datei:Bad Soden am Taunus, Neugasse 3, Stolperstein Moritz Strauss.jpg Datei:Bad Soden am Taunus, Neugasse 3, Stolperstein Karoline Strauss.jpg

vier in Bad Soden verlegte Stolpersteine (Aufn. Werner v. Basil, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Neben den insgesamt ca. 30 verlegten Gedenktäfelchen erinnert eine "Stolperschwelle" an die Verwüstung der Israelitischen Kuranstalt (Talstraße) während des Pogroms am 10. November 1938 sowie an die Schändung und Zerstörung der Synagoge in der Neugasse.

Im Jahre 2016 wurde in Bad Soden eine Straße nach dem angesehenen jüdischen Badearzt Max Isserlein benannt, der sein Leben durch Emigration retten konnte und 1965 im Alter von 90 Jahren in Manchester starb.

Der jüdische Friedhof in Bad Soden, der in der NS-Zeit weitestgehend erhalten geblieben ist, besitzt auf einer Fläche von ca. 2.200 m² derzeit noch ca. 190 mehr oder weniger beschädigte/verwitterte Grabsteine.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20357/Bad%20Soden%20Friedhof%201645.jpg


Aufgang u. Eingangspforte zum jüdischen Friedhof (St. Haas, 2013 und P. 2008, aus: commons.wikimedia.org 3.0) und Teilansicht (Aufn. K. 2010, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

                Auf dem ehem. jüdischen Sammelfriedhof erinnert eine Gedenktafel mit den Worten:

Jüdischer Friedhof

Als „Isr. Todenhof-Anlage seit 1873 Sammelfriedhof für die Jüdischen Kultusgemeinden von Soden, Höchst a.M. mit Unterliederbach, Okriftel, Hattersheim und Hofheim. Es wurden 288 Tote bestattet, auch Menschen, die nicht hier ansässig waren, z.B. Kurgäste in Soden. Der Friedhof und die links vom Eingang gelegene Leichenhalle wurden im November 1938 von Nationalsozialisten verwüstet. Letzte Beerdigung im Januar 1939. Die Vertreibung der jüdischen Mitbürger aus ihren Heimatgemeinden hatte begonnen. Der unbelegte Eingangsbereich wurde bei einer Straßenverbreiterung in den 1960er Jahren abgetragen.

(Aufn. der obig abgebildeten Gedenktafel: Peng, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Gefolge der 2017/18 durchgeführten Sanierungsmaßnahmen des jüdischen Friedhofs (u.a. soll die das Gelände umgebende Mauer teilweise erneuert werden) ist eine Dokumentation der Grabsteine durch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit erstellt worden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. S. 256 – 259

Edith Vetter/Kurt Wagner, Der jüdische Friedhof Bad Soden am Taunus, in: "Materialien zur Bad Sodener Geschichte 3", Bad Soden 1987

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Königstein i.Ts.1988, S. 164

Joachim Kromer, 10.November 1938 - Darstellung der Entwicklungen und der Aktionen gegen Juden in Bad Soden a.Ts. nach den Akten des Prozesses vom Juni 1949, in: "Materialien zur Bad Sodener Geschichte 4", Bad Soden 1988

Joachim Kromer, Die jüdische Gemeinde Bad Soden, in: J.Kromer, Bad Soden am Taunus - Leben aus den Quellen, S. 315 ff.

Wolf-Arno Kropat, Kristallnacht in Hessen - Der Judenpogrom vom November 1938. Eine Dokumentation, in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen", Band X, S. 184/185 (Bildmaterial), Wiesbaden 1988

Georg-Wilhelm Hanna, Geschichte der Juden in Bad Soden-Salmünster, in: "Bergwinkel-Bote", 40/1989, S. 39 - 47

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945, Teil II, Königstein i.Ts. 1994, S. 139

Renate Hebauf, Der jüdische Friedhof von Bad Soden in den Jahren 1938 – 1945. Geschichte einer Zerstörung, in: "Materialien zur Bad Sodener Geschichte 15", Bad Soden/T. 1994

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 230 f.

Stadtmuseum Bad Soden,„...und blieben dennoch immer Fremde? Vergangenes jüdisches Leben in Soden“. Sonderausstellung Herbst 2008

Bad Soden, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur "Israelitischen Kuranstalt" und zahlreichen Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)

Wolfgang Zink (Bearb.), Jüdische Sitten und Bräuche am Beispiel des Friedhofes in Bad Soden, online abrufbar unter: historische-eschborn.de/berichte/Main-Taunus-Kreis/Judische_Sitten/judische_sitten.html

Gesellschaft für Jüdisch-Christliche Zusammenarbeit e.V. (Bearb.), Spuren jüdischen Lebens: Bad Soden, online abrufbar unter: main-taunus.deutscher koordinierungsrat.de/gcjz-main-taunus-spuren-bad-soden

AG Stolpersteine in Bad Soden (Hrg.), Stolpersteine in Bad Soden – Warum?, online abrufbar unter: stolpersteinein-bad-soden.de

AG Stolpersteine in Bad Soden (Hrg.), The Jewish Clinic ("Israelitische Kuranstalt“), online abrufbar unter: tolpersteine.in-bad-soden.de/the-jewish-clinic-israelitische-kuranstalt/

AG Stolpersteine in Bad Soden (Hrg.), mehrere Flyer aus den Jahren aus den Jahren 2014 bis 2017, als download unter: stolpersteine.in-bad-soden.de

Zeremonie zu Ehren von Max Isserlein, in: „Höchster Kreisblatt“ vom 29.3.2016

Brigitte Kramer (Red.), Einst geachtet, dann geächtet. Stolpersteine erinnern an Familie Strauss, in: „Höchster Kreisblatt“ vom 5.7.2016

Jürgen Streicher (Red.), Digitales Archiv für Grabinschriften angestrebt, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 16.2.2017

Adolf Albus (Red.), Stolpersteine werden in Bad Soden verlegt, in: frankfurt-live.com vom 15.5.2017

Brigitte Kramer (Red.), Stolpersteine. Der letzte Ausweg war der Freitod, in: „Höchster Kreisblatt“ vom 19.5.2018

Lissy Hammerbeck, Der jüdische Friedhof in Bad Soden … ein Archiv im Freien, Bad Soden 2019

Andrea Rost (Red.), Bad Soden: Grabsteine erzählen Geschichte, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 20.7.2020

Adolf Albus (Red.), Stolperschwelle in Bad Soden zur Erinnerung an die Israelitische Kuranstalt, in: „Frankfurt Live“ vom 16.11.2020

Brigitte Kramer (Red.), Stolpersteine. Broschüre zeigt den Leidensweg der Menschen, in: „FNP – Frankfurter Neue Presse“ vom 1.6.2021

AG Stolpersteine in Bad Soden (Hrg.), STOLPERSTEINE und Orte der Erinnerung in Bad Soden am Taunus – Broschüre (2021)

AG Stolpersteine in Bad Soden (Hrg.), Aktuell. Ausstellung „Wider das Vergessen – 10 Jahre AG Stolpersteine“, online abrufbar unter: stolpersteine-in-bad-soden.de (2023)