Bern (Schweiz)

Datei:Übersichtskarte der Schweiz.svg Die Schweizer Hauptstadt Bern mit ihren derzeit ca. 135.000 Einwohnern ist Zentrum der Wirtschaftsregion Bern-Mittelland (Übersichtskarte der Schweiz, Maximilian Dörrbecker, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 2.5).

 

Im Kanton Bern haben die jüdischen Bewohner stets eine nur verschwindend kleine Minderheit dargestellt.

Die Stadt Bern - Merian-Stich um 1640 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Erste urkundliche Erwähnungen von Juden in der Stadt Bern liegen aus der Mitte des 13.Jahrhunderts vor. Ebenfalls bestätigen aufgefundene Reste eines mittelalterlichen Friedhofs (das älteste aufgefundene Grabsteinrelikt stammt von 1293 !) die Annahme, dass bereits damals Juden in größerer Zahl in Bern gelebt haben. Die meisten sollen um 1260 in der Stadt vor Pogromen in Süddeutschland Zuflucht gefunden haben; da nicht alle innerhalb der Mauern sich niederlassen konnten, wurden sie vor dem Westtor, dem späteren Zeitglockenturm, ansässig. Diese Siedlung wurde kurz danach durch einen Mauergürtel mit drei Toren gesichert. Im Zusammenhang der infolge von Bränden und Kriegen sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in Bern richtete sich die Wut vornehmlich gegen die jüdischen Bewohner. Als nun die Juden Berns eines Kindermordes beschuldigt wurden, kam es im Jahre 1293 zu pogromartigen Verfolgungen: Einige des Kindesmordes beschuldigte Juden wurden öffentlich gerädert, die übrigen wies die Obrigkeit aus Bern aus. Mit diesen Vertreibungen konnte man die hiesige Bevölkerung beschwichtigen, die die Juden für ihre schlechte wirtschaftliche Situation verantwortlich machte. Im Zuge dieses Pogroms zerstörte der Mob auch den jüdischen Friedhof in der Inneren Neustadt; die Grabsteine wurden danach als Baumaterial für Häuser und Kirchen benutzt.

Offenbar kehrten aber bereits Jahre später einige Juden nach Bern zurück, obwohl die Bürgerschaft eine Satzung erlassen hatte, in der es hieß "daz kein jude niemerme gan Bern komen sollte".

Im Pestjahr von 1348 fand hier ein weiterer Pogrom statt, dem ein Großteil der israelitischen Bewohner auf dem Scheiterhaufen zum Opfer fiel.

1370 lebten erneut Juden - zumeist Geldverleiher und Ärzte - für mehrere Jahre in Bern, ehe sie 1398 vertrieben wurden; in diesem Kontext erklärte der Berner Magistrat die bestehenden Schuldbriefe der jüdischen Gläubiger für null und nichtig und konfiszierte deren Besitzungen innerhalb der Stadtmauern.

Nach vorübergehender Wiederansiedlung im Gefolge des großen Stadtbrandes (1405) - man benötigte dringend Kapital für den Wiederaufbau der Stadt - wurden die Juden Berns 1427 „für ewig“ aus der Stadt vertrieben, und auch jüdischen Hausierern und Marktfahrern blieb die Stadt dann bis Mitte des 17.Jahrhunderts verschlossen. Als Begründung für die Verweigerung bzw. das Nichtverlängern der Schutzbriefe hieß es, die Juden würden den christlichen Glauben schmähen und das Land mit ihrem Wucher schädigen. Formell blieb der Ausweisungsbeschluss von 1427 mehr als vier Jahrhunderte (!) in Kraft. Nur nach 1798 - in der Zeit der französischen Besetzung - kam es zu einer vorübergehenden Duldung.

Mit der Mitte des 19.Jahrhunderts einsetzenden Emanzipation verließen die meisten Juden die Dörfer und verzogen in die großen Städte. Die sich nun bildende Gemeinde in Bern setzte sich überwiegend aus den Nachkommen oberelsässischer Juden zusammen. Bis etwa 1850 behielten sich die städtischen Behörden Berns aber ausdrücklich das Niederlassungsrecht für hierher gekommene Juden vor.

In einem Schreiben des Rates der Stadt Bern an den Regierungsstatthalter vom 8.Juli 1850 hieß es u.a.:

„ ... Es hält der Gemeinderat die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung überhaupt und die Erleichterung und Begünstigung ihres gewerblichen Verkehrs insbesondere, keineswegs für wünschbar, weil, abgesehen von den petitionierenden Individuen, die hiesige jüdische Bevölkerung überhaupt durch ihre bisherigen Erwerbsquellen und durch die Art und Weise, wie sie ihre Geschäfte treibt, sich bei der hiesigen Einwohnerschaft eben keinen vorteilhaften Ruf erworben hat, ... so ist doch die Meinung festgestellt, daß von denselben Geldleihgeschäfte unter der Hand betrieben werden, welche ... doch der Sache nach als wucherische zu betrachten sind ...“

Die Kantonsverfassung von 1846 schuf erst die Grundlage für die Gründung einer jüdischen Gemeinde, die zwei Jahre später als „Corporation der Israeliten“ in Bern ihren Anfang nahm; die Gründungsväter waren elf israelitische, aus dem Elsass stammende Männer.

Bereits 1855 konnte die Gemeinde eine Synagoge in einem angekauften Reihenhaus im Innern Bollwerk sowie eine Religionsschule einrichten. (Anm.: Seit 1812 hatte es bereits an der Zeughausgasse, danach in der Aarbergergasse ein Bethaus gegeben.)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Bern%20AZJ%2001101855.jpg aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 1.Okt. 1855

Als dann diese Synagoge den Anforderungen nicht mehr genügte und ihr zudem der Abriss drohte, wurde sie 1905/1906 durch einen Neubau an der Kapellenstraße ersetzt. Am 10.September 1906 weihte der Züricher Rabbiner Dr. Littmann in Anwesenheit von Delegationen der größeren Schwestergemeinden, der Stadtgeistlichkeit und der -behörden das neue Synagogengebäude feierlich ein.

                 Synagoge in Bern (Abb. aus der Einladung zum Bankett)

Aus einem Bericht des Pfarrers E. Ryser über die Synagogeneinweihung: „Am letzten Montag wurde in Bern ein neues Gotteshaus eingeweiht, ohne Glockenklang, ohne Orgelbrausen und doch feierlich: die israelitische Synagoge. An der Genfergasse mußte die jüdische Gemeinde ausziehen und sich eine neue Stelle suchen. Sie fand sie in der Kapellenstraße, die nun füglich Synagogenstraße heißen sollte, ... Die Einweihung war eine erhebende Feier. ... Die Ansprache berührte in freundlicher Weise auch uns Eingeladene, die wir nicht als unreine Heiden behandelt wurden. Weitherzig war die Erklärung des Rabbiners: ‘Diese Mauern um uns sollen uns nicht scheiden von unsern Brüdern draußen, die einen andern Glauben haben als wir und Gott anders dienen; denn wir haben doch alle denselben Vater und sind alle untereinander Brüder’, und ergreifend klang das Dankgebet für das Vaterland, das so vielen Israeliten eine Heimat geboten. Als richtige Berner hatten sich unsere Juden den Festprediger aus der Heimat der Beredsamkeit, der Ostschweiz, kommen lassen; denn wir Berner haben wie Moses eine schwere Zunge. Dr. Littmann riß die Zuhörer hin, als er ihnen von ihrem schönen Bethaus sprach, das ein Bethaus sei für alle Völker; ‘aber der schönste Schmuck dieses Hauses, der seid ihr selbst, wenn ihr euch zahlreich hier versammelt’. So hinterließ die seltene Feier einen erhebenden Eindruck.”

Gemeindliche Annoncen aus den 1870er Jahren:

 von 1873 bzw. 1877

Der jüdische Friedhof Schermen wurde 1870 in der Papiermühlestraße angelegt. Bis dahin mussten verstorbene Gemeindemitglieder zum weit entfernten israelitischen Friedhof nach Hegenheim/Elsass gebracht werden.

1904 schlossen sich 13 jüdische Gemeinden, darunter auch die von Bern, zum Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) zusammen, um gemeinsam die Interessen der jüdischen Bevölkerungsminderheit zu vertreten.

Juden in Bern:

         --- 1836 .............................  124 Juden (0,6% d. Bevölk.),

    --- 1846 .............................  165   “  , (im Kanton: 315 Pers.)

    --- 1856 ......................... ca.  180   “  , (im Kanton: 643 Pers.)

    --- um 1870/75 .......................  300   “  , (im Kanton: 1.400 Pers.)

    --- 1890 .............................  307   “  ,

    --- 1900 .............................  655   “  ,

    --- 1910 ................... mehr als 1.000   “  ,

       --- nach 1910*   ................            * eindeutige Angaben unbekannt

    --- 1930 .............................  854   "  ,

    --- 1941 .............................  814   “  , (im Kanton: 1.336 Pers.)

    --- 1950 .............................  792   “  , (im Kanton: 1.321 Pers.)

    --- 1960 .............................  668   “  , (im Kanton: 1.192 Pers.)

    --- 1970 .............................  561   “  , (im Kanton: 1.134 Pers.)

    --- 1980 .............................  403   “  , (im Kanton: 886 Pers.)

    --- 1990 .............................  334   "  ,

    --- 2000 ......................... ca.  340   “  .

Angaben aus: Emil Dreifuss, Juden in Bern. Ein Gang durch die Jahrhunderte, Betadruck Bern 1983

Bern, Burgerspial, Heiliggeistkirche und Christoffeltor um 1840.jpg Bern, Bahnhofplatz, Heiliggeistkirche, 1902.jpg

 Stadtansichten von Bern um 1850 bzw. 1900 (Abb. Sp., 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

 Gewerbliche Anzeigen:

       http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Bern%20Israelit%2013061900.jpg           https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Bern%20Israelit%2023081900.jpgvon 1900

                  von 1916

Um die Jahrhundertwende erfolgte der größte Zuwachs der Juden in Bern. Es waren vor allem russische Juden, die wegen antijüdischer Gesetzgebung wie auch Pogromen im Zarenreich nach Westeuropa geflüchtet waren. Diese russischen Zuwanderer, die eigentlich die USA als Emigrationsziel ins Auge gefasst hatten, blieben aber z.T. in der Stadt Bern wohnen, wo sie als Fabrik- und Hilfsarbeiter, als Hausierer und als Kleinhändler arbeiteten. Auch aus dem damals österreichischen Galizien kamen vor dem Ersten Weltkrieg streng orthodoxe „Ostjuden“ in schweizerische Städte. Die schon über Jahrzehnte hier lebenden Berner Juden standen diesen Neuankömmlingen mit ihren religiösen Riten und ihrer fremden Lebensweise weitgehend verständnislos gegenüber.

Da sich die ostjüdischen Zuwanderer in der Berner Synagoge fremd fühlten, organisierten sie an hohen Feiertagen eigene Gottesdienste in angemieteten Räumen. Bald folgte auch die Gründung einer selbstständigen ostjüdischen Gemeinde, die auch eine eigene Schule unterhielt. Erst die Verfolgungen der NS-Zeit ließen die beiden Berner Gemeinden enger zusammenrücken: Gemeinsam versuchte man, jüdischen Emigranten Hilfe zu leisten. Eine Einheitsgemeinde gibt es in Bern aber erst seit dem Jahre 1959.

Seit Ende des 19.Jahrhunderts bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges war auch eine Zuwanderung jüdischer Studenten aus Osteuropa an die Universität Bern zu verzeichnen.

Einhergehend mit der NS-Machtübernahme in Deutschland nahm in der Schweiz die antisemitische Hetze zu, und die hiesigen Kantonalbehörden sahen sich genötigt, zunehmend auf gerichtlichem Wege gegen die Verbreiter nationalsozialistischen Gedankenguts vorzugehen. Einer der ersten Fälle dieser Art war der sog. „Berner Prozess“ (1933-1937), in dem sich fünf Männer verantworten mussten. Im Mittelpunkt des mehrfach unterbrochenen Verfahrens standen jedoch die sog. „Protokolle der Weisen von Zion”.*

* Diese Protokolle avancierten in den 1920er Jahren zum antisemitischen Standardwerk nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ihr Ursprung ist unbekannt, doch scheint es ziemlich sicher, dass hohe zaristische Geheimdienst-Polizeioffiziere wesentlich an der Entstehung beteiligt waren. Die ursprüngliche französische Fassung erschien 1895, die russische folgte 1905. Als Herausgeber gilt Sergej Nilus (1862-1929). Die Protokolle wurden als angeblich wörtlicher Bericht über 24 Geheimsitzungen der „Häupter der jüdischen Weltverschwörung“ ausgegeben. Es sei erklärtes Ziel der jüdischen Weltverschwörung, alle Staaten zu vernichten und an Stelle der Nationalstaaten ein jüdisches Weltreich zu etablieren - mit einem Juden als Oberhaupt. Zu diesem Zweck würden sich die Juden verschiedener Geheimorganisationen vor allem der Demokratie, des Liberalismus und des Sozialismus bedienen. Die „Protokolle der Weisen von Zion” dienten dann sowohl in Frankreich als auch in Russland bestimmten politischen Kreisen als Propagandainstrument, um jüdische Ressentiments aufzugreifen und hochzuspielen, so etwa im Kontext der Dreyfuß-Affäre. Das Berner Obergericht erachtete in seinem abschließenden Spruch die Protokolle eindeutig als „Schundliteratur im politischen Sinne“, doch betrachtete ihre Verbreitung nicht als strafbar. Das Urteil wurde von den Nationalsozialisten als Sieg gefeiert!

Auch während der Kriegsjahre versuchte die Berner Israelitische Gemeinde weiterhin, jüdischen Emigranten Hilfe zu leisten. Im April 1942 wurde ein Berner Gemeindemitglied von einem durch antisemitische Hetze verführten Fanatiker ermordet.

In dem vom „Israelitischen Frauenverein Zürich“ gegründeten Kinderheim Wartheim in Heiden (südlich von Bern) wurden Ende der 1930er Jahre auch jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland u. Österreich aufgenommen.1945 verließen die meisten „Waisenkinder“ das Kinderheim dann in Richtung Palästina.

 

Außer zwei Fragmenten von jüdischen Grabsteinen ist von der mittelalterlichen jüdischen Präsenz in Bern nichts vorhanden; diese beiden Steinrelikte befanden sich als Mauersteine in barocken Gebäudefundamenten und wurden um 1890/1900 entdeckt. Als Schaustücke sind sie heute im Bernischen Historischen Museum zu besichtigen.

1971 konnten die jahrelangen Planungen für ein Gemeindehaus umgesetzt werden. Dieses neue jüdische Zentrum gab der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung der Gemeinde neuen Antrieb.

2006 konnte die Jüdische Gemeinde Bern (JGB) das 100jährige Bestehen der Synagoge am Kapellenweg begehen.

 Bildergebnis für Synagoge Bern

Synagoge in Bern (links: Aufn. Janz, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)   –   rechts: Innenraum Berner Synagoge (Aufn. aus: swissinfo.ch)

Der jüdische Friedhof an der Papiermühlestraße besitzt mehr als 1.800 Grabstätten; das Areal ist fast vollständig belegt.

http://files.newsnetz.ch/story/2/3/8/23828981/3/topelement.jpg 

Älterer u. jüngerer Teil des Friedhofs in Bern (Aufn. Valérie Chételat und Matteo da Torina, 2014, aus: wikipedia.org, CC-BY-SA 4.0)

Seit 1988 erinnert auf dem jüdischen Friedhof ein von Oskar Weiss entworfenes Mahnmal an die Holocaust-Opfer.

Shoa-Mahnmal (Aufn. Detlef E. Rosenow, 2008, aus: alemannia-judaica.de) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20177/Bern%20Friedhof%200915.jpg

Langjährige Streitigkeiten um die Errichtung eines „Judendenkmals“ im Zentrum der Stadt sind 2006 dahingehend beendet worden, dass man sich auf eine bloße Informationstafel in der Amtshausgasse, der ehem. Judengasse, beschränkte. So befindet sich seit 2009 beim Bundeshaus Ost eine Informationstafel, die in deutscher und hebräischer Sprache über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im Mittelalter in Bern informiert. 2016 wurde an gleicher Stelle eine neue Tafel erstellt

Seit jüngster Vergangenheit wurden Überlegungen angestellt, in der Schweiz ein offizielles zentrales Holocaust-Mahnmal zu errichten. Damit soll an diejenigen Frauen, Männer und Kinder erinnert werden, denen die Schweizer Behörden während des Zweiten Weltkriegs die Rettung verweigerten. Inzwischen haben sich der Nationalrat und der Ständerat für die Schaffung eines Mahnmals ausgesprochen, das in Bern seinen Standort haben soll. Neben einem künstlerisch-gestalteten Werk soll hier auch eine Art Museum für Ausstellungen und Veranstaltungen geschaffen werden (Stand 2022)

2023 wurden in den Bern die ersten "Stolpersteine" - gewidmet fünf Personen - verlegt, die an ehemals in der Stadt lebende jüdische Opfer der NS-Zeit erinnern.

undefinedundefinedundefinedundefined Abb. Chr. Michelides, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

Anm.: Mindestens 450 Personen mit Schweizer Bürgerrecht landeten in Konzentrationslagern; zählt man Menschen mit Bezug zur Schweiz dazu – etwa in der Schweiz geborene oder wohnhaft gewesene Personen – sind es mehr als 1.000 Schweizer Opfer - nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern auch Homosexuelle oder politische Gegner der Nazis.

Bildergebnis für carl lutz schweizer diplomat  Auf dem Berner Bremgartenfriedhof ist der Schweizer Diplomat Carl Robert Lutz (geb. 1895 in Walzenhausen, gest. 1975 in Bern) begraben. Der seit 1942 als Vizekonsul in Budapest tätige Carl Lutz konnte 1944 Zehntausende ungarische Juden vor der Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau retten: Als Leiter der Abteilung „Fremde Interessen“ an der Schweizer Botschaft stellte er Schutzpässe und Schutzbriefe für die Auswanderung nach Palästina aus. Diese bewahrten ihre Inhaber vor der Deportation, denn Eichmanns SS-Dienststelle respektierte diese Papiere. Damit wurde Lutz - neben dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg - zum Retter vieler tausender Juden in Ungarn. Als Carl Lutz nach Kriegsende in Genf eintraf, erwartete ihn kein Dank für seine selbstlose Tätigkeit, sondern man warf ihm vor, seine Kompetenzen überschritten zu haben. Lutz starb einsam und verbittert im Jahre 1975 in Bern. Erst Jahre nach seinem Tode wurde er seitens der Schweizer Behörden vollständig rehabilitiert. 2019 (!) wurde auf jahrelanges Betreiben überlebender Juden aus Ungarn an seinem Geburtshaus in Walzenhausen eine Ehrentafel angebracht. Bereits seit 1991 erinnert ein Denkmal in Budapest an Carl Lutz.

 

 

 

In Burgdorf - im Kanton Bern gelegen – haben sich bereits im 14.Jahrhundert Juden aufgehalten; sie wurden im Zuge der Pestpogrome vertrieben und ihr Vermögen eingezogen. Erst in der Mitte des 19.Jahrhunderts sollen wieder einige jüdische Familien zugezogen sein; in der Zeit des Ersten Weltkrieges lebten in Burgdorf ca. 50 Personen mosaischen Glaubens. Zeitweilig war im Ort ein Betraum vorhanden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Burgdorf%20CH%20Israelit%2024071884.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Burgdorf%20CH%20Israelit%2021021887.jpg Kleinanzeigen von 1884 bzw. 1887

Verstorbene wurden auf dem israelitischen Friedhof in Bern begraben.

Wie lange Personen mosaischen Glaubens in der Kleinstadt gelebt haben, ist nicht bekannt.

 

 

 

In Avenches – ca. 30 Kilometer westlich von Bern – existierte eine zeitweise relativ große jüdische Gemeinde, die ihre maximale Mitgliederzahl mit ca. 270 Personen um 1870 erreicht hatte. Anfänglich stand ihren Angehörigen ein Betraum in einem Privathaus zur Verfügung, ehe dann gegen Mitte der 1860er Jahre ein neues Synagogengebäude errichtet und in Anwesenheit des Hegenheimer Rabbiners Moise Nordmann eingeweiht wurde. Während sich im Erdgeschoss die Wohnung des hiesigen Rabbiners befand, war das erste Obergeschoss als Betraum den Männern, die zweite Etage den Frauen vorbehalten.

   Avenches Synagoge 1.jpg https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/Avenches_Synagoge_2.jpgSynagoge in Avenches (Abb. aus: wikipedia.org/wiki/Synagoge_(Avenches)

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

     http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20175/Avenches%20Israelit%2002031893.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20302/Avenches%20Israelit%2004121902.jpg aus: "Der Israelit" von 1893 und 1902

Auf Grund der Abwanderung der jüdischen Familien fanden seit den 1930er Jahren hier keine Gottesdienste mehr statt; etwa zwei Jahrzehnte später wurde das Gebäude abgebrochen. Die Ritualien gingen in den Besitz der Gemeinden von Bern und Lausanne über, wo sich abgewanderte jüdische Avencher Familien niedergelassen hatten.

Seit 1979 erinnert ein Gedenkstein an die einst im Ort bestehende israelitische Gemeinde; seine französische Inschrift lautet in deutscher Übersetzung:Hier erhob sich die Synagoge der israelitischen Gemeinschaft. Die ersten Juden ließen sich 1826 in Avenches nieder. Die Gemeinschaft zählte bis zu 250 Mitglieder und löste sich im Laufe der Jahre langsam auf. Oktober 1979“

           Bildergebnis für Avenches Schweiz synagogeGedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2008, aus: alemannia-judaica.de)

 

 

 

In Biel – etwa 25 Kilometer nordwestlich von Bern gelegen – ist auch eine israelitische Gemeinde existent, die sich in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bildete und bis heute besteht.

vgl. dazu: Biel (Schweiz)

 

 

 

Weitere Informationen:

Gustav Tobler, Zur Geschichte der Juden im alten Bern bis 1427, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 12/1889, Bern 1889, S. 336 - 367

Gustav Tobler, Bern und die Juden, in: "Berner Taschenbuch 1893/94"

N.N. (Red.), Der Berner Prozeß um die ‚Protokolle‘, aus: „Der Israelit“ vom 9.5.1935

Eugen Messinger, Ein Rückblick auf die Geschichte der Juden in der Stadt Bern seit dem Jahre 1191, in: Festschrift zur Jahrhundertfeier der israelitischen Kultusgemeinde Bern 1848 - 1948, Hrg. Israelitische Kultusgemeinde Bern 1948

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 74 – 77 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 106 - 110

Augusta Weldler-Steinberg, Geschichte der Juden in der Schweiz. Vom 16.Jahrhundert bis nach der Emanzipation, 2 Bände, Zürich 1970 (Band 2), S. 216 f.

Erich Fischhof, Die Stellung der Juden in der Stadt Bern im Mittelalter, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1973

Richard Feller, Geschichte Berns, 4.Aufl., Bern 1974

Willy Guggenheim (Hrg.), Juden in der Schweiz. Glaube, Geschichte, Gegenwart, Küsnacht 1982

Emil Dreifuss, Juden in Bern. Ein Gang durch die Jahrhunderte, Verlag Verbandsdruckerei - Betadruck Bern 1983

Willy Guggenheim (Hrg.), Juden in der Schweiz. Glaube - Geschichte - Gegenwart, edition kürz, Küsnacht/Zürich 1987

Urs Lüthi, Der Mythos von der Weltverschwörung. Die Hetze der Schweizer Frontisten gegen Juden und Freimaurer – am Beispiel des Berner Prozesses um die „Protokolle der Weisen von Zion“, Basel/Frankfurt a.M. 1992

Michael Hagemeister, Sergej Nilus und die “Protokolle der Weisen von Zion”, in: "Jahrbuch für Antisemitismusforschung", 5/1996, Campus-Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 127 ff.

Georg Eisner/Rupert Moser, Reiz und Fremde jüdischer Kultur. 150 Jahre jüdische Gemeinden im Kanton Bern, Kulturhistorische Vorlesungen, Universität Bern 1998/1999

Erwin Marti, Der Berner Prozeß um die “Protokolle der Weisen von Zion”, in: G. Eisner/R. Moser, Reiz und Fremde jüdischer Kultur. 150 Jahre jüdische Gemeinden im Kanton Bern, Kulturhistorische Vorlesungen, Universität Bern, 1998/99, S. 181 – 198

Hans-Jörg Gilomen, Spätmittelalterliche Siedlungssegregation und Ghettoisierung, insbesondere im Gebiet der heutigen Schweiz, in: Abgrenzungen – Ausgrenzungen in der Stadt und um die Stadt, Band 3, Zürich 1999, S. 85 – 106 (online abrufbar unter: academia.edu/3400661/Spatmittelalterliche_Siedlungssegregation_und_Ghettoisierung)

Oliver Landolt, Burgdorf und die Judenverfolgungen in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in: "Berner Zeitschrift für Geschichte", No.71/2009, Heft 2, S. 48 - 51 

Oliver Landolt, Die jüdische Bevölkerung, in: Berns mutige Zeit (das 13. und 14.Jahrhundert), Stämpfli-Verlag, Bern 2003, S. 270 ff.

Robert Barth, Von der Einheit zur Vielfalt. Anerkennung nichtchristlicher Gemeinschaften am Beispiel der Berner Juden, in: Bern, die Geschichte der Stadt im 19. und 20.Jahrhundert, Stämpfli-Verlag, Bern 2003, S. 219 ff.

Ron Epstein-Mil, Die Synagogen der Schweiz – Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und Akkulturation, in: "Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz", Band 13, Chronos-Verlag, Zürich 2008, S. 202 – 211 (Bern) und S. 94 - 97 (Avenches) - Neuaufl. 2017

Shifra Kuperman, Jiddisch an der Aare. Die Universität Bern und ihre ostjüdischen Studenten vor dem Ersten Weltkrieg, in: "Jüdische Studien. Beilage des Instituts für jüdische Studien an der Universität Basel", Sept. 2011, S. 6/7

Sibylle Hofer, Richter zwischen den Fronten. Die Urteile des Berner Prozesses um die „Protokolle der Weisen von Zion“ 1933-1937, Verlag Helbing Lichtenhahn 2011

René Bloch/Jacques Picard (Hrg.), Wie über den Wolken. Jüdische Lebens- und Denkwelten in Stadt und Region Bern, 1200 – 2000, in: "Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz - Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes", Band 16/2014, Chronos-Verlag, Zürich 2014 (Anm. mit Beiträgen von 25 Autoren und Autorinnen)

Bern, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Burgdorf (Kanton Bern), in: alemannia-judaica.de

Marcus Dütschler (Red.), Berns Juden: Geduldet – verfolgt – anerkannt, in: „Der Bund“ vom 13.5.2014

Peter Bollag, Hauptstädtische Kleingemeinde, in: "Jüdische Allgemeine" vom 28.5.2015

Marcus Dütschler (Red.), Infotafel zur jüdischen Geschichte hat endlich ihren Platz gefunden, in: „Der Bund“ vom 13.8.2016

René Bloch/Jacques Picard (Hrg.), Wie über Wolken. Jüdische Lebens- und Denkwelten in Stadt und Region Bern 1200 – 2000, Chronos-Verlag Zürich 2014 (Anm. mit Beiträgen von 25 Autoren/Autorinnen)

Ron Epstein-Mil, Die Synagogen der Schweiz - Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und Akkulturation, in: "Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz", Band 13 (Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds), 2. erw. Aufl., Chronos-Verlag, Zürich 2017

Roland Gerber (Bearb.), Pogrom von 1293, hrg. von der Stadt Bern, 2018 (online abrufbar unter: bern.ch/themen/stadt-recht-und-politik/)

Roland Gerber (Bearb.), Pogrom von 1398, hrg. von der Stadt Bern, 2018 (online abrufbar unter: bern.ch/themen/stadt-recht-und-politik/)

Roland Gerber (Bearb.), Juden werden 1405 wieder nach Bern gerufen, hrg. von der Stadt Bern, 2018 (online abrufbar unter: bern.ch/themen/stadt-recht-und-politik/)

Roland Gerber (Bearb.), Endgültige Vertreibung 1427, hrg. von der Stadt Bern, 2018 (online abrufbar unter: bern.ch/themen/stadt-recht-und-politik/)

Fabian Christl (Red.), Berner Juden fordern offizielles Shoa-Mahnmal, in: „Der Bund“ vom 26.1.2019

N.N. (Red.), Schweizer Judenretter Carl Lutz wird mit Gedenktafel geehrt, in: ref.ch – das Portal der Reformierten vom 22.3.2019

Heimito Nollé (Red.), „Eine Gedenkstätte macht uns für jede Form von Ausgrenzung sensibler“, in: ref.ch – Portal der Reformierten vom 20.2.2020

Nicole Mohler (Red.), Gedenken an NS-Opfer. Historikerin: „Die Zeit ist reif für ehrliche Erinnerungskultur", in: srf.ch/kultur/ vom 24.1.2021

Fabian Eberhard (Red.), Dokumentationszentrum in Bern – Die Schweiz soll ein offizielles Holocaust-Mahnmal bekommen, in: „Blick“ vom 19.3.2021

Benno Tuchschmid (Red.), Mahnmal für NS-Opfer in der Schweiz. Erinnern, aber richtig!, in: „Blick“ vom 19.3.2021

Walter Mayr (Red.), Grandhotel Waldhaus Vukpera im Engadin. Wo sich Nazibonzen und Juden im Bankettsaal tragen, in: „SPIEGEL Politik“ vom 26.3.2021 (auch unter: "Abgereist in den Tod, in: „Der SPIEGEL“, No.13/März 2021)

Rafael von Matt (Red.), Forderung nach Schweizer Holocaust-Mahnmal wird immer lauter, in: SRF vom 25.5.2021

Lois Hechenblaikner/Anfrea Kühbacher (Hrg.), „Keine Ostergrüße mehr“ - Die geheime Gästedatei des Grand Hotel Waldhaus Vulpera“, Edition Patrick Frey, 2021

Melissa Flück, Jüdisches Biel – ein Portraitbuch, Baden /Schweiz 2022

André Ruch (Red.), Die Schweiz erhält ein offizielles Holocaust-Denkmal, in: SRF vom 1.3.2022

ja (Red.), Neue Gedenkstätte für NS-Opfer. Der Bundesrat in Bern bewilligte hierfür 2,5 Millionen Franken, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 27.4.2023

SDA (Red.), Gedenksteine für Opfer des Nationalsozialismus nun auch in Bern, in: „Blick“ vom 15.6.2023

Auflistung der in Bern verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_der_Schweiz

Martin Erdmann (Red.), Jüdische Gemeinde in Bern – Zwischen Tradition, Frauenfrage und Hadern mit Gott, in: „Berner Zeitung“ vom 3.7.2023

Roger Reiss (Bearb.), 1938-1945: Ein Memorial für die Schweiz, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“ Heft 139/12-2023  (Anm. betrifft auch jüdisches Kinderheim Wartheim in Heiden)