Bibergau (Unterfranken/Bayern)
Bibergau mit derzeit ca. 600 Einwohnern ist heute größter Ortsteil von Dettelbach im unterfränkischen Landkreis Kitzingen – ca. 20 Kilometer östlich von Würzburg gelegen (Kartenskizzen 'Landkreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Ortsteile von Dettelbach', Monandowitsch 2018, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde ihren personellen Zenit; etwa jeder 4. Dorfbewohner war damals Angehöriger der jüdischen Gemeinde.
In Bibergau gab es vom beginnenden 18.Jahrhundert, eventuell bereits schon ab dem ausgehenden 17.Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts eine relativ große jüdische Gemeinde; zeitweise machten die Juden fast 30% der Dorfbevölkerung aus. Im Jahre 1691 wurden die Juden von Bibergau und Schernau verdächtigt, einen Ritualmord an einem christlichen Kind aus Euerfeld begangen zu haben. Der Würzburger Bischof nahm die Beschuldigten vor den ungerechtfertigten Angriffen der christlichen Bevölkerung in Schutz; die Bluttat wurde nie aufgeklärt.
Das Alter der Synagoge in der Muckengasse ist unbekannt, vermutlich wurde sie um 1800 erbaut.
Bei der Ausschreibung der Religionslehrer- und Vorsängerstelle (1876) durch die Gemeinde Bibergau wurde die Übernahme des Schächterdienstes in Dettelbach in Aussicht gestellt – allerdings ohne Absprache mit der Dettelbacher Gemeinde (vgl. die beiden ff. Anzeigen).
Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 27.Sept. 1876 und vom 12.Okt. 1876
Verstorbene Glaubensgenossen begrub die Bibergauer Judenschaft auf dem alten, gegen Ende des 16.Jahrhunderts eingerichteten jüdischen Zentralfriedhof in Schwanfeld. Gegen eine festgelegte Gebühr wurden hier auch Verstorbene aus zahlreichen umliegenden Ortschaften beerdigt.
Juden in Bibergau:
--- um 1800 ....................... 9 jüdische Haushalte (Angabe fraglich)m
--- 1813/15 ....................... 131 Juden (ca. 26% d. Bevölk.),
--- 1823 ...................... ca. 140 “ (in 32 Familien),
--- 1830 .......................... 149 “ (ca. 27% d. Bevölk.),
--- 1867 .......................... 91 “ (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1875 .......................... 77 “ ,
--- 1880 .......................... 46 " ,
--- 1890 .......................... 26 “ ,
--- 1900 .......................... 12 “ ,
--- 1910 .......................... 6 “ ,
--- 1925 .......................... 6 " ,
--- 1939 .......................... 4 " ,
--- 1942 (Sept.)................... keine.
Angaben aus: Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern
und Bibergau, in: alemannia-judaica.de
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 972
Im Laufe des 18.Jahrhunderts war ein deutliches Anwachsen der Gemeinde zu verzeichnen; diese zählte dann damals zu einer der größeren im Hochstift Würzburg. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) sind für Bibergau 30 jüdische Familienvorstände genannt; ihren Lebensunterhalt bestritten sie vornehmlich im Klein- und Viehhandel, waren aber auch teilweise als Landwirte oder Handwerker tätig.
In den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts ging - bedingt durch die Aufhebung der Matrikelpflicht - die Zahl der Gemeindeangehörigen immer mehr zurück (siehe: Statistik oben). Auf Antrag der Kultusgemeinde Dettelbach wurde schließlich die Vereinigung der Bibergauer Gemeinde mit der Dettelbachs seitens der bayrischen Behörden verfügt. Der letzte Gottesdienst in Bibergau wurde anlässlich der Auflösung der jüdischen Gemeinde am 12.Juni 1907 gefeiert.
In einem Bericht in der Zeitschrift „Der Israelit" vom 20.Juni 1907 hieß es:
Dettelbach (Unterfranken), 18. Juni Am vergangenen Erew Rosch HaChodesch (12. Juni 1907) fand in dem dreiviertel Stunden von hier entfernten Bibergau eine eigenartige Feier statt. Die dortige jüdische Gemeinde ist seit Jahren in starkem Rückgang begriffen und hat sich jetzt aufgelöst. Von einst mehr als 40 Haushaltungen sind nur noch zwei verblieben. So wurde die Gemeinde Bibergau der zu Dettelbach einverleibt. Am Erew Rosch HaChodesch fand man sich nun zu einem feierlichen Abschiedsgottesdienste in der altehrwürdigen Synagoge zusammen. Nach den üblichen ...Gebeten hielt Herr Lehrer Mannheimer von hier eine Ansprache, in der er die Bedeutung der denkwürdigen Stunde hervorhob. Ein Jahrhunderte altes Gemeindeleben fand seinen Abschluß. Bilder einer hehren Vergangenheit zogen am geistigen Auge der Anwesenden vorüber, die jetzt zum letzten Male die im altjüdischen Stil gehaltene Synagoge zum Ort ihrer Gebetsversammlung machten. Als man die heilige Lade zum letzten Male zu den Schemot öffnete und das Schma (‘Höre Israel’) ertönte, da fühlte jeder den ergreifenden Ernst dieser Abschiedsfeier. Und in Friedensakkorden klang sie aus: das älteste noch ortsansässige Mitglied verrichtete zum Schluß ein Kaddischgebet: man verließ den geweihten Ort mit der schönen Bitte "Oseh Schalom" usw. - Kein Auge blieb tränenleer. In seiner Ansprache betonte Lehrer Mannheimer, daß die Gemeinde Dettelbach nicht ein 'froher Erbe' sei. Sie hätte gewünscht, daß die Schwestergemeinde noch lange freundnachbarlich neben ihr blühte. Sie sei sich wohl bewußt, ein heiliges Gut zu überkommen und damit auch heilige Pflichten. Mit tiefer Wehmut entnahm man dann der heiligen Lade die sieben Torarollen und brachte sie hierher. Der denkwürdige Akt wird jedem der Teilnehmer unvergeßlich bleiben.
Nach Auflösung der Kultusgemeinde Bibergau gehörten die sehr wenigen noch hier lebenden Juden der jüdischen Gemeinde Dettelbach an. Das Synagogengebäude ging wenige Jahre später in Privathand über, wurde nun als Scheune benutzt und 1930 bei einem Brand völlig zerstört.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13.März 1930
Die letzten vier jüdischen Dorfbewohner wurden im Laufe des Jahres 1942 nach Izbica bei Lublin bzw. nach Theresienstadt deportiert
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden sieben aus Bibergau stammende jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bibergau_synagoge.htm).
vgl. dazu: Dettelbach (Bayern)
Weitere Informationen:
Reinhold Kuhn, Aus der Geschichte des Ortsteiles Bibergau 1900 – 1984, in: Stadt Dettelbach (Hrg.), Dettelbach 1484 – 1984. Festschrift und kleine Charakteristik einer 500jährigen Stadt, Dettelbach 1984, S. 258 ff.
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 272
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 45
Josef Mack, Die Judengemeinde in Bibergau, in: Bibergau 1994 – Ein Dorf stellt sich vor, Markt Erlbach 1994, S. 150 - 153
Bibergau (Gemeinde Dettelbach), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 101/102
Hans Schlumberger/Cornelai Berger-Dittscheid (Bearb.), Dettelbach mit Bibergau in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 955 - 976