Birkenfeld/Nahe (Rheinland-Pfalz)
Birkenfeld ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern im Landkreis Birkenfeld im südwestlichen Teil von Rheinland-Pfalz – ca. 15 Kilometer südwestlich von Idar-Oberstein (hist. Karte 'Fürstentum Birkenfeld' von 1881, aus: wikipedia.org, gemeienfrei und Kartenskizze 'Landkreis Birkenfeld', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In dem ehemals badischen Ort Birkenfeld durften sich bis 1800 keine Juden niederlassen; doch es war ihnen erlaubt, gegen Erwerb von Geleitscheinen jederzeit die Kleinstadt zu betreten, um hier Handel zu treiben. Zu den regelmäßig stattfindenden Viehmärkten in Birkenfeld trafen sich die „Handelsjuden“ aus dem gesamten Rheinland. Allein im Jahre 1780 fanden hier 22 große Viehmärkte statt. Erst seit der französischen Besatzungszeit konnten sich jüdische Familien in der Stadt Birkenfeld niederlassen, sie lebten hier zumeist vom Handel mit Vieh, Textilien und Lederwaren.
Gottesdienste suchten die Birkenfelder Juden anfänglich im nahen Hoppstädten auf; seit den 1830er Jahren gab es am Ort einen Betraum in einem Privathaus, der fast drei Jahrzehnte benutzt wurde. 1863 errichtete die hiesige Judenschaft an der Schlossallee ihre Synagoge; über einen eigenen Rabbiner verfügte die Gemeinde aber nicht auf Dauer. Infolge der stark rückläufigen Zahl der Gemeindemitglieder wurde das Synagogengebäude in den Folgejahrzehnten immer mehr vernachlässigt und verwahrloste zusehends.
Synagoge in Birkenfeld (hist. Aufn., links: um 1920/1930; rechts: 1938/1939, Abb. aus: Landesamt)
Ein Religionslehrer, der zugleich als Vorbeter und Schächter tätig war, war seitens der Gemeinde in Anstellung.
Kleinanzeigen in "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 1.Jan. 1867 und 3.Aug. 1880
Namentlich bekannt ist der jüdische Lehrer Moses Eisenkrämer, der von Anfang der 1880er Jahre bis zu seinem Tod (1919) in Birkenfeld tätig war und sich hier auch als Heiratsvermittler betätigte.
Kleinanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31.Juli 1902
Alex Lewin (geb. 1888 in Adelsheim) begann nach seinem Schulbesuch in Tauberbischofsheim ein Universitätsstudium in Berlin (semitische Philologie u. Philosophie); zugleich besuchte er die dortige Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Seine Ausbildung zum Rabbiner wurde durch seine schwere Verwundung an der Westfront (1915) unterbrochen. Nach Kriegsende promovierte er in Heidelberg und nahm anschließend die Stelle des Landesrabbiners für den oldenburgischen Landesteil Birkenfeld an. Während seiner Amtszeit beschäftigte sich Dr. Alex Lewin u.a. auch mit der jüdischen Historie der Region. Nach 1933 wurde ihm sein vertraglich zugesichertes Salär entzogen und ihm ein Arbeitsverbot auferlegt. Während des Novemberpogroms wurde seine Wohnung geplündert, er selbst ins KZ Dachau eingewiesen. Nach kurzer Zeit wieder entlassen, wurde ihm alsbald die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Daraufhin ging er nach Frankreich, wo er 1940 interniert und 1942 nach Auschwitz deportiert wurde; hier verlor sich seine Spur.
Verstorbene Angehörige begrub die Gemeinde auf dem jüdischen Friedhof in Hoppstädten, auf dem auch Juden aus Baumholder und vermutlich auch aus Gimbsweiler und Nohfelden ihre letzte Ruhe fanden.
Juden in Birkenfeld:
--- 1808 .......................... 11 Juden,
--- 1843/45 ....................... 208 “ ,* * Amtsbezirk Birkenfeld
--- 1871 .......................... 202 “ ,
--- 1900 .......................... 76 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1905 .......................... 60 “ ,
--- 1910 .......................... 45 “ ,
.......................... 555 “ ,**
--- 1925 .......................... 454 “ ,**
--- 1933 .......................... 37 “ ,
.......................... 388 “ ,**
--- 1938 .......................... 11 “ (in 3 Familien),
--- 1939 .......................... 208 “ ,** ** Kreis Birkenfeld
--- 1941 (Apr.) ................... 2 “ . Anm.: Einige Angaben variieren in den veschiedenen Publikationen
Angaben aus: Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld .., S. 266 f.
und Willy Franz, Menschen unserer Heimat. Juden an der Nahe, S. 90
Zu Beginn der NS-Zeit setzte sich die Birkenfelder jüdische Gemeinde aus ca. 120 Personen zusammen. Wenige Wochen nach der Machtübernahme kam es am Ort zu ersten gewaltsamen Ausschreitungen gegen hier ansässige Juden und Oppositionelle; so wurden Mitte März 1933 mehrere politische Gegner und drei jüdische Männer von SA-Angehörigen festgenommen und misshandelt.
Auch in Birkenfeld rief die NSDAP-Ortsgruppe für den 1.April 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Ob dieser befolgt wurde, ist nicht bekannt. Eine Woche später veröffentlichte die „Birkenfelder Landeszeitung” die folgende Annonce des jüdischen Kaufhauses Loeb:
Im Sommer 1938 lebten in Birkenfeld nur noch elf jüdische Einwohner bzw. drei Familien. Während der „Kristallnacht“ wurden an den Häusern zweier jüdischer Familien Fenster eingeworfen. Das schon längere Zeit ungenutzte Synagogengebäude, das im Frühjahr 1938 an den Kreiskommunalverband verkauft worden war, blieb hingegen unzerstört. Zu Beginn des Jahres 1939 wurde das marode Gebäude abgerissen und auf dem Grundstück das Forstamt eingerichtet.
In der lokalen Presse hieß es dazu am 23.März 1939:
Ein Schandmal verschwunden - Synagoge völlig abgerissen
Birkenfeld. Die jüdische Synagoge, die seit Monaten kein Dach mehr trug und nur noch einen Giebel zum Himmel emporragte, wurde am Dienstag völlig abgerissen. Damit ist ein Gebäude beseitigt, das seit der Mitte des 19.Jahrhunderts dort stand und Generationen ein Stein des Anstoßes war. Hat man es doch nie verstehen können, daß einmal diesen fremdrassigen Schmarotzern die Erlaubnis erteilt werden konnte, ihren Jahwetempel an der Auffahrt zum Großherzoglichen Schloß ... zu errichten. Der Trümmerhaufen der einstigen Judenschule kennzeichnet symbolhaft die Lage des Judentums im neuen Deutschland. So wie man dort die Steine bis auf den letzten wegschaffen wird, so wird einst der letzte JudeDeutschland verlassen. Für Birkenfeld aber ist dieser Schutthaufen eine Gewähr dafür, daß nie wieder Angehörige dieser Rasse in den Mauern unserer Stadt eine Rolle spielen werden. ...
Die „Entjudung“ der Gewerbebetriebe war 1939 abgeschlossen, die des übrigen Grundbesitzes setzte sich im Folgejahr fort. Die letzten beiden in Birkenfeld wohnenden Jüdinnen wurden Mitte 1942 deportiert.
Nach Angaben des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 18 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum im Ort wohnhaft gewesene Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/birkenfeld_synagoge.htm).
Auf dem Gelände des Synagogengebäudes wurde anlässlich des 50.Jahrestages des Novemberpogroms eine Gedenktafel mit dem folgenden Text angebracht:
Zum Gedenken und zur Mahnung.
Hier stand von 1862 bis zu den Jahren des Naziterrors
die Synagoge der jüdischen Mitbürger der Stadt Birkenfeld
1938 9. November 1988
Auf Beschluss des Stadtrates (2015) wurden zwei Jahre später in Birkenfeld die ersten drei sog. „Stolpersteine“ verlegt. 2022 folgten weitere fünf messingfarbene Steinquader in der Achtstraße, die an Angehörige der Familie Senator erinnern.
verlegt für die Jüdinnen Rosa und Ida Schiffmann (Aufn. aus: "Rhein-Zeitung" vom 12.5.2017)
verlegt für Angehörige der Familie Senator in der Achtstraße (Aufn. Hans-Georg Heck, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem Anfang der 1890er Jahre angelegten jüdischen Friedhof sind heute noch ca. 20 Grabsteine vorhanden.
Jüdischer Friedhof in Birkenfeld (Aufn. J. Hahn, 2006 bzw. 2012)
Auf dem jüdischen Friedhof erinnert seit 1969 ein Findling mit einer Gedenkplatte an die jüdischen Bürger:
Zum Gedenken an die Vertriebenen und Verfolgten
jüdischen Mitbürger unserer Stadt
1933 - 1945
Weitere Informationen:
Willy Franz, Menschen unserer Heimat. Juden an der Nahe, in: "Heimatkalender: Beiträge zur Geschichte und Gegenwart des Landes an der oberen Nahe", Idar-Oberstein 1956, S. 85 ff.
Willy Franz, Juden an der Nahe, im Westrich und am Glan, in: "Heimatkalender des Landkreises Birkenfeld, Neuwied 1966", S. 85 - 103
Karl-Josef Rumpel (Bearb.), Landesrabbiner Dr. Alex Lewin, in: "Heimatkalender Landkreis Birkenfeld 1969“, S. 177 ff.
Dorothee Meigen, Zur Geschichte der Juden in Idar-Oberstein, in: "Schriftenreihe der Kreisvolkshochschule Birkenfeld", No.17/1983, Birkenfeld 1986, S. 8 f.
Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld 1933 - 1945. Eine Dokumentation, in: Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach, Band 24, Bad Kreuznach 1988
Kreisverwaltung Bad Kreuznach (Hrg.), Die jüdischen Synagogen im Landkreis Bad Kreuznach, Bad Kreuznach 1988
Axel Redmer, Das Ende der Synagogen - vergessene Gebäude an der oberen Nahe, in: "Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde im Landkreis Birkenfeld und der Heimatfreunde Oberstein", No.62/1988, S. 137 - 149
Cilli Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch - Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800, in: Forschungen zur Geschichte der Juden, Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Juden e.V., Band 3, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1996
Birkenfeld (Rheinland-Pfalz), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Reiner Schmitt, Die jüdischen Einwohner von Birkenfeld/Nahe 1817-1942, o.O. 2001
Reiner Schmitt, Die Synagoge in Birkenfeld/Nahe 1862/63 - 31.03.1939, 2011
Reiner Schmitt, Gedenkbuch - Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung aus den Orten des Birkenfelder Landes 1933-1945, 2011 (nicht im Druck erschienen; vorhanden im Hauptlandesarchiv Koblenz bzw. der Stadtbibliothek Trier)
Andreas Nitsch (Red.), Erinnerung an NS-Opfer: Birkenfeld ist nun bereit für Stolpersteine, in: „Rhein-Zeitung“ vom 28.1.2015
Axel Munsteiner (Red.), Stolpersteine in Birkenfeld und Hoppstädten: Schulen setzen sich für Projekt zum Gedenken der Opfer ein, in: „Rhein-Zeitung“ vom 15.7.2016
Axel Munsteiner (Red.), Birkenfeld. Erinnerung an drei Opfer des Naziterrors: In Birkenfeld wurden erstmals Stolpersteine verlegt, in: „Rhein-Zeitung“ vom 12.5.2017
Auflistung der in Birkenfeld verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Birkenfeld