Blieskastel (Saarland)
Blieskastel ist eine Stadt mit derzeit ca. 20.000 Einwohnern in 14 Stadtteilen im Saarpfalz-Kreis - etwa 25 Kilometer östlich der Landeshauptstadt Saarbrücken gelegen (topografische Karte, Elop 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Saar-Pfalz-Kreis', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Blieskastel mit Schloss um 1780 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Das im Dreißigjährigen Krieg schwer verwüstete und beinahe menschenleere saarpfälzische Blieskastel stand im Laufe der Jahrhunderte unter wechselnden Herrschaften. Die Anfänge einer jüdischer Niederlassung in Blieskastel reichen bis ins ausgehende 17.Jahrhundert zurück; 1688 ist erstmals ein Judenbegräbnis erwähnt. Die Erlaubnis für die Ansiedlung weniger Schutzjuden-Familien im damaligen Oberamt Blieskastel hatten die Grafen von Leyen gegeben. Anders als unter anderen Grundherrschaften standen den Juden Blieskastels gewisse Privilegien zu; zudem regelten zahlreiche Verordnungen das Zusammenleben von Christen und Juden am Ort. Ihren Lebensunterhalt bestritten die Juden überwiegend im Bereich des Handels, so etwa mit dem Viehhandel und mit Krämergeschäften.
Die Synagoge der Blieskasteler Judenschaft war seit ca. 1825 in einem angekauften Wohngebäude am Luitpoldplatz untergebracht; während sich der Synagogenraum im Obergeschoss befand, waren im Parterre die Schule und die Lehrerwohnung untergebracht. Vor 1825 hatten gottesdienstliche Zusammenkünfte in Räumen von Privathäusern stattgefunden.
Teilansicht der Synagoge in Blieskastel (hist. Aufn., um 1920, Landesamt)
Eine Mikwe befand sich im Keller des Gebäudes. Ab 1828 gehörte dann das Synagogengebäude der jüdischen Gemeinde.
Kleinanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1.Dez.1892, 9.Aug. 1900 und 3.Jan.1907
Um 1890 wurde die israelitische Elementarschule des Ortes aufgelöst.
Auf dem jüdischen Friedhof in Blieskastel (am Klosterweg) wurden vom ausgehenden 17. bis ins 19.Jahrhundert auch Verstorbene aus den jüdischen Nachbargemeinden Homburg, St. Ingbert, Gersheim und Medelsheim beerdigt. Die ältesten noch vorhandenen Grabsteine auf dieser zentralen Begräbnisstätte datieren aus dem 18.Jahrhundert.
Juden in Blieskastel:
--- 1785 ............................ 50 Juden (in 9 Familien),
--- 1808 ............................ 97 “ ,
--- 1825 ............................ 193 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1837 ............................ 193 “ ,
--- 1861 ............................ 178 “ ,
--- 1900 ............................ 57 “ ,
--- 1910 ............................ 34 “ ,
--- 1927 ............................ 11 “ ,
--- 1935 ............................ 10 “ ,
--- 1938 (Juni) ..................... 9 “ .
Angaben aus: Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute, S. 91
und Michael Lintz, Juden in der Saarpfalz
Im beginnenden 19.Jahrhundert hatte sich die Zahl der Juden in Blieskastel deutlich vergrößert; zeitweise erreichte ihr Anteil ca. 13% der Gesamtbevölkerung. Diese Zunahme kann darauf zurückgeführt werden, dass der Ort sich damals zu einem größeren Warenumschlagplatz entwickelt hatte. Die Juden Blieskastels lebten in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen, einige konnten als wohlhabend bezeichnet werden. Ab den 1860er Jahren setzte dann eine Abwanderung ein, und vier Jahrzehnte später war die Zahl der Gemeindeangehörigen um etwa zwei Drittel geschrumpft. Diese Tendenz war bei den Landgemeinden allgemein zu verzeichnen. Ihre Angehörigen wanderten überwiegend nach Saarbrücken ab, das sich in den 1920er Jahren endgültig zum Zentrum jüdischen Lebens an der Saar entwickelte. Auf Grund der enormen Abwanderung wurde die Blieskasteler Synagoge 1908 aufgegeben und das Gebäude an die Stadt verkauft.
Da die Regierungskommission des Saargebietes nach der NS-Machtübernahme auch in Blieskastel judenfeindliche Aktionen befürchtete, war die örtliche Polizei hier angewiesen, jegliche Versuche eines Boykotts jüdischer Geschäfte zu unterbinden. Doch 1935 kehrte auch das saarländische Blieskastel „heim ins Reich“. Ab jetzt setzten auch hier die antijüdischen Maßnahmen ein - antijüdische Propaganda hatte es bereits vor diesem Zeitpunkt gegeben. Unmittelbare Folge war die Abwanderung einiger jüdischer Familien.
In der vom Bürgermeisteramt erstellten „Judenkartei“ vom März 1936 lebten nicht einmal mehr zehn Personen jüdischen Glaubens in Blieskastel. Während des Novemberpogroms wurden die wenigen jüdischen Bewohner aus ihren Wohnungen vertrieben, Mobiliar und Waren wurden auf die Straße geworfen. Im Dezember 1940 wohnte nur noch „der Jude David mit seiner deutschblütigen Frau und seinen Kindern” in der Kleinstadt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 21 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bürger Blieskastels Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/blieskastel_synagoge.htm)
Das ehemalige Synagogengebäude hat die Zeiten überdauert und dient heute als Wohnhaus.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. A, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Sog. "Stolpersteine" in der Gerbergasse/Ecke Zweibrücker Straße u. der Kardinal-Wendel-Straße und eine gläserne Tafel an der ehemaligen Synagoge erinnern seit 2009 sichtbar an Schicksale ehemaliger jüdischer Bewohner von Blieskastel.
verlegt in der Gerbergasse (Aufn. E- 2024, aus: commons.wikimedia.org CCO)
Der jüdische Friedhof war 1939/1940 verwüstet worden und wurde nach 1945 - so gut es eben möglich war - wieder hergerichtet. Im älteren Teil der Begräbnisstätte sind noch Grabdenkmale erhalten, die aus dem 18.Jahrhundert stammen.
Aufn. TeKaBe, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Teilansicht des älteren Friedhofteiles - ungewöhnliches Grabsteinrelief (Aufn. J. Hahn, 2009)
Am Eingang des jüdischen Friedhofs am Klosterweg befindet sich eine Gedenktafel mit dem folgenden Text:
Den ehemaligen Mitgliedern der Synagogengemeinde Blieskastel,
ihrer einstigen Synagoge, ihrer hier ruhenden Toten zur ehrenden Erinnerung !
Synagogengemeinde Blieskastel Synagogengemeinde Saar
In der Straße „An der Stadtmauer“ informiert ein Hinweisschild darüber, dass diese Straße bis ins Jahr 1935 die Bezeichnung „Judengasse“ trug; diese war in der NS-Zeit in „Straße am Schlangenbrunnen“ umbenannt worden.
David Oppenheimer (geb. 1834 in Blieskastel) wanderte 1848 mit fast allen zehn Geschwistern in die USA aus. Die Familie ließ sich zunächst in New Orleans nieder, wo David O. Buchhaltung lernte. Ab 1851 war er in Kalifornien als Händler, Grundstücksmakler und Gastwirt tätig und verzog 1858 nach Victoria (Vancouver Island), wo sein Bruder Charles ein Handelsunternehmen gegründet hatte. Als mit Beginn des Goldrausches immer mehr Menschen nach British Columbia strömten, errichteten die Brüder weitere Läden zur Versorgung der Neuankömmlinge. Oppenheimer war zudem Geschäftspartner der Canadian Pacific Railway, die in den 1880er Jahren eine Eisenbahnstrecke durch das Gebirge baute. Von 1888 bis 1891 war David Oppenheimer Vize-Bürgermeister von Vancouver. Sechs Jahre später verstarb er dort.
Im Dorf Gersheim - es gehörte wie Blieskastel, Homburg und St. Ingbert zur bayrischen Pfalz - hat es vermutlich seit der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts eine kleine israelitische Gemeinschaft gegeben, die zunächst unter dem Schutz der Grafen von der Leyen stand. Im 19.Jahrhundert zählten die ca. 30 Mitglieder zur Kultusgemeinde Blieskastel. Ab 1885 war dann die kleine jüdische Gemeinschaft in Gersheim autonom, d.h. sie besaß nun ein eigenes Synagogengebäude, das 1890 eingeweiht worden und „eine Zierde des ganzen Ortes” war.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23.Juni 1890 ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1960 ?, Landesamt)
Ein jüdischer Lehrer, der die religiösen Belange der noch jungen Gemeinde erfüllte, war nur für wenige Jahre angestellt.
Kleinanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2.Aug. 1894
Begräbnisse fanden aber weiterhin auf dem jüdischen Friedhof in Blieskastel statt.
Durch den Wegzug mehrerer Familien konnten bereits ab 1908 keine Gottesdienste mehr abgehalten werden; etwa zehn Jahre später wurde die Gemeinde aufgelöst. Das nur zwei Jahrzehnte genutzte Synagogengebäude wurde verkauft und nach Umbauten zu Wohnzwecken genutzt. Mitte der 1930er Jahre lebten noch sechs jüdische Bewohner im Dorf, drei von ihnen wurden nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gersheim_synagoge.htm).
"Stolpersteine" verlegt in der Hauptstraße (Aufn. S., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Im nahen Medelsheim wurde um 1725 Cerf Beer (eigentlich Naphtali Ben Dov) als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Nachdem er sich um 1755 im elsässischen Bischheim niedergelassen hatte, machte er sich als einflussreicher Berater und Geldgeber an verschiedenen Fürstenhäusern einen Namen. Beer erwarb ausgedehnten Grundbesitz im Elsass und in Paris. So gehörten ihm in Straßburg mehrere Patrizierhäuser, die er mit seiner Großfamilie bewohnte. Als Bankier fungierte er auch als Rat der Hofrentkammer am Hof Leyen in Blieskastel. Sogar mit dem französischen König Ludwig XVI. stand er in Kontakt. Cerf Beer engagierte sich auch für die Emanzipation der Juden und die Gewährung der bürgerlichen Freiheiten für die in Frankreich lebenden Juden. Cerf Beer starb 1793 in Straßburg, sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Rosenweiler.
Weitere Informationen:
F.J. Much, Blieskastel, Blieskastel 1975
Karl Lillig, Cerf Beer von Medelsheim (1725 - 1793) Hof- und Handelsjude saarländischer Herkunft, in: "Saarheimat", No.7/8 (1980), S. 171 ff.
Toni Lembert, Die ehemalige israelitische Kultusgemeinde Gersheim, in: "Saarpfalz. Blätter für Geschichte und Volkskunde", Sonderheft 1989, S. 57/58
Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute - Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße, 1992, S. 91/92
Hans-Walter Herrmann, Das Schicksal der Juden im Saarland 1920 - 1945, in: "Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz u. im Saarland von 1800 - 1945", Bd. 6
Albert Marx, Die Geschichte der Juden an der Saar, 2. Aufl., Saarbrücken 1992
Michael Lintz, Juden in der Saarpfalz, in: Clemens Lindemann (Hrg.), Der Saarpfalz-Kreis, Stuttgart 1993, S. 124/125
Edwin Weinmann/Kurt Legrum, Blieskastel im Nationalsozialismus, in: "Blätter für Geschichte und Volkskunde", Sonderheft, Homburg 1997
Kurt Legrum (Bearb.), Festschrift “900 Jahre Blieskastel”, Hrg. Stadt Blieskastel, 1998
Christian Schuler, Der letzte Jude von Blieskastel, in: "Streckenläufer 2003", S. 38 - 42
S. Fischbach/I. Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “ Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 435 – 438 (Blieskastel) und S. 441 - 443 (Gersheim)
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, hrg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 51
Blieskastel, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Gersheim, in: alemannia-judaica.de
„Judengasse“ erhält neue Würdigung – Vor 75 Jahren wurde der Name geändert, in: gruene-blieskastel.de (August 2010)
pep (Red.), „Stolpersteine“ in Gersheim erinnern an Opfer der Nazi-Zeit, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 10.4.2011
Juden in Blieskastel – Unterrichtsprojekt im Fache Religion der Geschwister-Scholl-Schule, 2015 (Anm. mit kurzen Angaben zu jüdischen Familien)
Dokumentation des jüdischen Friedhofs Blieskastel, in: epidat - epigrafische Datenbank, Hrg. Salomon-Steinheim-Institut
Auflistung der in Blieskastel verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Blieskastel
Joachim Schickert (Red.), Die Steine gegen das Vergessen säubern, in: "Saarbrücker Zeitung" vom 24.1.2018