Böchingen/Weinstraße (Rheinland-Pfalz)

Bildergebnis für landkreis südlicher Weinstraße ortsdienst Die Verbandsgemeinde | Landau-Land Böchingen ist ein kleiner Weinbauort mit derzeit kaum 800 Einwohnern im Landkreis Südliche Weinstraße und gehört der Verbandsgemeinde Landau-Land an (Kartenskizzen 'Landkreis 'Südliche Weinstraße' ohne Eintrag von Böchingen, aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/rhein-pfalz-kreis  und ''Verbandsgemeinde Landau-Land', aus: landau-land.de).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte etwa ein Viertel der Böchinger Dorfbevölkerung dem jüdischen Glauben an.

Seit Mitte des 16.Jahrhunderts sind in dem kleinen südpfälzischen Weinort Böchingen jüdische Familien urkundlich nachweisbar; erste Ansiedlungen müssen aber bereits im Laufe des 15.Jahrhunderts erfolgt sein. In der Regel mussten die Familien ein jährliches Schutzgeld zahlen, das ihnen ein Wohnrecht im Dorf sicherte.

Nach der französischen Herrschaft der Jahre von 1797 bis 1815 - sie hatte die Feudalherrschaften früherer Jahrhunderte abgelöst und den Juden gewisse Freiheiten gebracht - folgte die ‚bayrische Epoche’. Von den 1815 hier lebenden jüdischen 29 Familien wurden zwei als „bettelarm“, zwei als „arm“ bezeichnet; bei 20 Familien wurde das Vermögen als „gering“, bei zwei als „mittel“ eingestuft, und drei Familien wurden als „wohlhabend“ klassifiziert. Ihr Lebenserwerb war vor allem das Hausiergewerbe, aber auch einige Vieh- bzw. Häutehändler und Metzger lebten am Ort. Auch Jahrzehnte später waren die Böchinger Juden immer noch in erster Linie im Handel tätig. Zusammen mit den wenigen Juden des Nachbardorfes Burrweiler bildeten sie eine Kultusgemeinde. Der erste schriftliche Nachweis über das Vorhandensein einer Synagoge in Böchingen, in der Hauptstraße, stammt aus dem Jahre 1815; doch kann davon ausgegangen werden, dass bereits im 18.Jahrhundert eine Synagoge bzw. Betstube existiert hat. In den 1820er Jahren wurde wegen Baufälligkeit des Gebäudes an gleicher Stelle ein Synagogenneubau errichtet, der über 70 Männer- und ca. 50 Frauenplätze verfügte. - Die früheste Information über die Existenz einer jüdischen Schule in Böchingen datiert von 1813. Detaillierte Angaben stammen aus einem 1837 verfassten Bericht des Bezirksrabbiners Dr. Grünebaum, der nach einer Visitation der Böchinger Schule die folgenden Sätze schrieb:

“ Böchingen. Leider ! läßt es sich nicht leugnen, daß Isac Escales, der hier eingestellte Lehrer ist, nur ein sehr mittelmäßiges Subjeckt ist, aber noch weit weniger Methode als Wissen hat, überhaupt in seinem ganzen Wesen mehr alter Bacher als Lehrer ist. Er versteht es nicht seine Zöglingen auch nur den geringsten äußeren Anstand beizubringen, selbst der alte verdorbene Judendialekt wird in seiner Schule noch gesprochen. ... Da die Gemeinde kein Schullocal gestellt hat, sondern Escales auf seine Kosten stellen muß, so hat er zugleich seine Wohnstube in der Schule, was das bischen, das er wirken könnte, auch noch aufhebt. Es ist eine der schlechtesten Schulen und wird es ohne Erfolg bleiben.”

 

In den 1850er Jahren stand den jüdischen Kindern ein neues Schulhaus (in der Obergasse) zur Verfügung. Zu den Gemeindeeinrichtungen gehörte auch die in den 1830er Jahren erbaute Mikwe; zuvor war diese in einem Privathaus an der Eckgasse (am Hainbach) untergebracht.

Über ein eigenes Friedhofsgelände hat die Böchinger Judenschaft zu keiner Zeit verfügt; Verstorbene wurden bis 1869 auf dem alten Friedhof in Essingen begraben, danach auf dem neuangelegten im gleichen Ort.

Juden in Böchingen:

         --- 1584 .........................   3 jüdische Familien,

    --- 1759 .........................  22     "       "    ,

    --- 1773 .........................  13     “       “    ,

    --- 1808 .........................  80 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1823/25 ...................... 176   “   (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1835 ......................... 212   “  ,

    --- 1852 ......................... 240   “   (in 40 Familien, fast 25% d. Bev.),

    --- 1861 ......................... 187   “  ,

    --- 1871 ......................... 160   “  ,

    --- 1895 ......................... 119   “  ,

    --- 1910 .........................  90   “  ,

    --- 1932/33 .................. ca.  45   “  ,

    --- 1936 .........................  40   “  ,

    --- 1937 .........................  36   “  ,

    --- 1938 .........................  33   “  ,

    --- 1940 (Juli) ..................  keine.

Angaben aus: Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, S.181/83 + S. 186

und                  Bernhard Kukatzki, Juden in Böchingen - Spuren ihrer Geschichte 1548 - 1940, S. 5

 

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung der jüdischen Dorfbevölkerung zumeist in die USA ein, die die Gemeinde innerhalb weniger Jahrzehnte um mehr als die Hälfte schrumpfen ließ. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch etwa 45 jüdische Einwohner in Böchingen. Nach der NS-Machtübernahme wurden auch hier die jüdischen Dorfbewohner gesellschaftlich und wirtschaftlich ins Abseits gestellt. Böchingens Wählerschaft war mehrheitlich der NSDAP zugetan; so hatte die NSDAP im Jahr 1932 hier einen Stimmenanteil von ca. 75%!

Die wenigen jüdischen Kinder Böchingens mussten ab 1936 die jüdische Sonderklasse an der Volkshauptschule Landau besuchen.

Während des Novemberpogroms wurde die Böchinger Synagoge von einem NS-Rollkommando zerstört; von einer Brandlegung nahm man wegen der Gefährdung von Nachbargebäuden Abstand.

Anm.: Das Synagogengrundstück ging danach in den Besitz der Kommune über, die Synagogenruine wurde Anfang der 1950er Jahre abgebrochen.

Der damalige Synagogenvorsteher Salomon Wolff wurde einen Tag nach dem Pogrom nach Landau gebracht, wo er im Betsaal der dortigen Gemeinde bei einem Verhör durch SA-Leute zu Tode kam. Am 12.März 1940 meldete „Der Stürmer” in einer Notiz unter „Judenfrei !”, dass nun auch „Böchingen, Kreis Landau (Pfalz)” zu den „judenfreien Orten“ zähle.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 39 aus Böchingen stammende Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/boechingen_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende kehrte keiner der überlebenden Böchinger Juden in sein Heimatdorf zurück.

Am ehemaligen Standort der Synagoge in der Hauptstraße 29 wurde 1997 eine Gedenktafel angebracht, die folgenden Text trägt:

Auf diesem Grundstück stand die 1827 erbaute Synagoge,

das Bethaus der Jüdischen Kultusgemeinde Böchingen.

Die Synagoge wurde von den Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht 1938 zerstört, die Ruine 1951 abgetragen.

Das heute noch bestehende Wohnhaus wurde 1856 von der Kultusgemeinde erbaut

und diente bis in die 1930er Jahre als jüdische Schule.

Böchingen 1997

Zahlreiche sog. "Stolpersteine" markieren im Ort die jeweiligen letzten Wohnorte der während der NS-Zeit vertriebenen, deportierten und ermordeten Juden Böchingens; die im Jahre 2011 begonnene Verlegeaktion wurde bis in die Gegenwart fortgesetzt. Allein im November 2017 fanden insgesamt 17 Steine ihren Platz im Gehwegpflaster.

Stolperstein Böchingen Mayer Bertha geb Mayer.jpeg Stolperstein Böchingen Mayer Herbert.jpeg Stolperstein Böchingen Mayer Mina geb Loeb.jpeg Stolperstein Böchingen Mayer Siegfried.jpeg Stolperstein Böchingen Mayer Arthur Markus.jpeg Stolperstein Böchingen Mayer Jonathan.jpeg

Erinnerung an Angehörige der Familien Mayer, Landauer Str. (Aufn. S., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 Die 1896 geb. Salomea Kern emigrierte 1936 in die USA und überlebte so die NS-Zeit, während fast alle ihre Angehörigen der Shoa zum Opfer fielen. An ihrem letzten Wohnsitz in der Landauer Straße erinnern heute acht sog. „Stolpersteine“ an Mitglieder der Familie Kern (Aufn. Helga Schreieck).

Stolperstein“ für den ehem. Synagogenvorsteher Salomon Wolff  

 

 

 

In Burrweiler sind Juden seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisbar; denn um 1570/1590 hatten die Grafen von Dahn einige Juden im Dorf aufgenommen, die sich hier als Musikanten und Spielleute ihren kargen Lebensunterhalt verdienten. Während des Dreißigjährigen Krieges erhielten einige jüdische Familien Aufnahme und Schutz am Ort. Die Judenschaft am Ort blieb jedoch immer sehr klein, eine eigenständige jüdische Gemeinde gab es hier zu keiner Zeit.

Die jüdischen Familien gehörten zur israelitischen Gemeinde Böchingen und suchten auch deren gemeindliche Einrichtungen auf.
Verstorbene Burrweiler Juden fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Essingen.

Juden in Burrweiler:

--- 1680 ..........................   3 jüdische Familien,

--- um 1790 .......................   6     “       “    ,

--- 1809 ..........................   2     “       “    ,

--- 1815 ..........................   7     “       “    ,

--- 1823 ...................... ca.  30 Juden,

--- 1848 ..........................  21   “  (in 5 Familien),

--- 1857 ..........................  14   “  ,

--- 1867 ..........................  keine.

Angaben aus: Burrweiler, in: alemannia-judaica.de

Die letzte jüdische Familie verließ den Ort bereits gegen Mitte der 1860er Jahre.

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau 1986, S. 180 ff.

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße 1988

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute. Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1992

Bernhard Kukatzki, Juden in Burrweiler, Landkreis Südliche Weinstraße, in: "SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", 5. Jg., Ausgabe 1/1995, Heft Nr. 9, S. 16 - 22

Bernhard Kukatzki, Juden in Böchingen - Spuren ihrer Geschichte 1548 - 1940, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz, Landau/Pfalz 1996

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 121/122

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, hrg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 53

Auflistung der in Böchingen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Böchingen

www.swr.de/swr2/stolpersteine/orte/akustische-stolpersteine-boechingen

Böchingen, in: alemannia-judaica.de

Burrweiler, in: alemannia-judaica.de

Amtsblatt der Verbandsgemeinde Landau-Land (Hrg.), Weitere Stolpersteine in Böchingen verlegt, Pressemeldung vom 22.11.2017