Breyell (Nordrhein-Westfalen)
Breyell – eine Ortschaft mit etwa 8.000 Einwohnern - ist seit 1970 ein Ortsteil von Nettetal, einer am Niederrhein gelegenen Stadt im Kreis Viersen westlich von Krefeld nahe der deutsch-niederländischen Grenze (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Viersen', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ab Mitte des 18.Jahrhunderts lassen sich einige wenige jüdische Familien in Breyell urkundlich nachweisen, die sich allerdings zunächst nur zeitweise hier aufgehalten haben. Einer der ersten namentlich bekannten Juden in Breyell war Benjamin Levy, der 1748 urkundlich nachweisbar ist.
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts haben in Breyell keine jüdischen Bewohner gelebt. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert kann dann von einer dauerhaften Anwesenheit ausgegangen werden. Nachdem die Judenschaft in Breyell zu Beginn des 20.Jahrhunderts eine gewisse Größe erreicht hatte, aber nie mehr als 30 Personen, beschloss sie, eine neue Synagoge zu errichten. Dieser für ihre Verhältnisse recht aufwändige Bau in der heutigen Biether Straße - auf dem Grundstück eines Gemeindemitgliedes (Jacob Klaber) - wurde im Jahre 1910 eingeweiht. Im „Brachter Volksbote” vom 15.10.1910 wurde über die bevorstehende Einweihung der neuen Synagoge wie folgt berichtet:
Am nächsten Freitag findet seitens der hiesigen Synagogengemeinde die feierliche Einweihung der neuerbauten Synagoge statt. Die kirchliche Feier beginnt nachm. 3 1/2 Uhr. Der Festzug setzt sich vom Hause des Vorstehers Herrn Abraham Levy, Bieth aus in Bewegung. Der Weiheakt wird durch den Herrn Oberrabbiner Dr.Levy vollzogen. Am 21.Oktober findet nur die kirchliche Feier statt, hieran schließen sich an den beiden folgenden Tagen größere Festlichkeiten, bestehend in Konzerte und Festbälle im Hotel zum Elefanten an. Bekunden wir durch allseitgen reichen Flaggenschmuck den israelitischen Mitbürgern unsere Teilnahme, entbieten wir dadurch auch gleichzeitig den fremden Festteilnehmern ein freundliches Willkommen. Haben doch unsere israelitischen Mitbürger erfreulicherweise bei allen Anlässen stets die größte Anteilnahme bekundet, durch welche wir gewissermaßen verpflichtet sind, auch an dieser ihrer Festesfreude durch den Besuch der weltlichen Festlichkeiten teilzunehmen.
Anmerkung: Vermutlich suchten auch die Juden aus Brüggen, Bracht und Lobberich die Breyeller Synagoge auf; denn seit 1875 bestand ein Zusammenschluss der Juden aus Breyell, Bracht und Brüggen.
Synagoge in Breyell (hist. Aufn., Quelle unbekannt, Stadtarchiv)
Juden in Breyell:
--- 1824 ........................... 8 Juden (eine Familie),
--- 1895 ........................... 18 “ ,
--- 1905 ........................... 44 “ ,
--- 1925 ........................... 32 “ ,
--- 1939 ........................... 26 “ ,
--- 1942 (Aug.) .................... keine.
Angaben aus: Leo Peters, Aus der Geschichte der Juden im Gebiet der heutigen Stadt Nettetal
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts setzte sich die kleine israelitische Gemeinde aus den Angehörigen der vier Familien Höflich, Hoffstadt, Klaber und Levy zusammen.
Die Breyeller Synagoge wurde während des Novemberpogroms zerstört. Auf behördliche Anweisung hin musste die jüdische Gemeinde für die Beseitigung der Trümmer sorgen. Da der Grundstückseigentümer, die Witwe des jüdischen Viehhändlers Jacob Klaber, die Kosten nicht zahlen konnte, war er zur Abtretung des Synagogengeländes an die Kommune angehalten. So ging das Grundstück für RM 300,- an die Kommune über, die den Betrag einbehielt – als Abgeltung der für sie entstandenen Kosten.
Im Jahre des Kriegsbeginns lebten in Breyell 25 jüdische Bewohner. In den Unterlagen der Gemeindeverwaltung vom 10.12.1941 hieß es: „Die Juden sind heute nach Krefeld abtransportiert worden.” Die letzten Breyeller Juden wurden nach Riga und nach Theresienstadt verschleppt. Nach ihrer Deportation wurde das von ihnen hinterlassene Eigentum von der politischen Gemeinde übernommen. Nur ein einziger der Deportierten soll überlebt haben.
Kurzbiografien der in Breyell lebenden jüdischen Familien siehe: wikipedia.org/wiki/Jüdische_Opfer_des_Nationalsozialismus_(Nettetal)#Breyell
Eine Gedenktafel, die an die einst in Breyell lebenden jüdischen Bewohner und ihre Synagoge erinnert, vermisste man bislang. Zwei Initiativen zum Gedenken an die Einweihung der Breyeller Synagoge vor 100 Jahren ist es zu verdanken, dass nun die Anbringung einer Gedenktafel bzw. Aufstellung eines Gedenksteines ins Auge gefasst ist; allerdings hatten ungeklärte Eigentumsverhältnisse eine Realisierung auf dem ehemaligen Synagogengrundstück dies bislang verhinderte. Zum 75.Jahrestag des Novemberpogroms wurde auf Initiative von Schülern der Gesamtschule Breyll ein Mahnmal eingeweiht, das die Namen aller Breyller Juden trägt, die Opfer der NS-Herrschaft geworden sind. Seinen Platz hat das Mahnmal an der Ecke Biether Straße/Jupp-Busch-Straße.
Mahnmal in Breyell - Entwurf und Realisierung (Aufn. N., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Beginnend im Nov. 2010 wurden im Laufe der Jahre in den Gehwegen Breyells zahlreiche sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Opfer der Shoa erinnern.
"Stolpersteine", Josefstr. (Aufn. R. Houven, 2012, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
verlegt in der Josefstr. bzw. Vorbruch (Aufn. Ph., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Brüggen ist eine kleine jüdische Gemeinde seit Beginn des 19.Jahrhunderts existent gewesen; die Zahl ihrer Angehörigen erreichte kaum 30 Personen. Neben zwei zuvor genutzten Begräbnisplätzen legte die hiesige Judenschaft um 1885 einen neuen Friedhof in der Herrenlandstraße an. Zum Gebet kamen die jüdischen Bewohner in privaten Räumlichkeiten zusammen. Nach dem Anschluss an die Gemeinde Breyell suchten sie die dortige Synagoge auf. Anfang der 1930er Jahre lebten in Brüggen noch ca. 15 jüdische Bewohner.
Auf dem alten jüdischen Friedhof (Hochstraße) findet man fünf Grabstätten; die letzte Beerdigung fand hier 1851 statt.
jüdischer Friedhof (Aufn. K.u.B. Limburg, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auch der neue jüdische Friedhof in Brüggen (Herrenlandstraße) weist nur wenige Gräber auf.
Ende 2022 wurden auf einstimmigen Beschluss der Kommunalverteter in Brüggen sechs sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an die Schicksale der Angehörigen der jüdischen Familien Wolff (Hochstraße) und Braun (Klosterstraße) erinnern, die nach Riga deportiert und dort ermordet wurden.
verlegt in der Hochstraße (Aufn. Gmbo, 2024, aus: wikipedia.org, CCO)
und in der Klosterstraße
In Bracht – heute Ortsteil der Kommune Brüggen – gibt es einen jüdischen Friedhof; das schmale Begräbnisgelände in der Stiegstraße weist noch ca. 15 Grabsteine auf. Die letzte Beerdigung soll hier Ende der 1920er Jahre erfolgt sein.
Aufn. K. u. B.Limburg, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In einem anderen Ortsteil von Nettetal, in Lobberich, haben im ausgehenden 19./beginnenden 20.Jahrhundert nur sehr wenige jüdische Familien mit insgesamt nie mehr als 20 Personen gelebt. Ein Denkmal nahe der Alten Kirche u. Ingenhovenpark erinnert an die deportierten und ermordeten ehemaligen jüdischen Bewohner der Ortschaft.
2022 wurden auch im Stadtteil Lobberich insgesamt 15 sog. "Stolpersteine" verlegt, die dem Angedenken an ermordete ehemalige jüdische Bürger gewidmet sind – so für Angehörige der Familien Sanders und Zanders (Süchtelner Straße bzw. Niedieckstraße) und für das Ehepaar Rosenthal (Hochstraße).
(Abb. aus: stolpersteine-wdr.de)
Damit zählt man im gesamten Stadtgebiet von Nettetal ca. 100 Steine, die an ehemalige jüdische Bewohner erinnern, die Opfer des NS-Regimes geworden sind; während einigen noch die lebensrettende Emigration gelang, wurden die meisten deportiert und ermordet (Stand 2023).
vgl. auch Kaldenkirchen (Nordrhein-Westfalen).
Weitere Informationen:
Dieter Hangebruch (Bearb.), In der Gewalt der Gestapo. Das Schicksal der Juden des Kreises (1933-1945), in: „Heimatbuch des Kreises Viersen“, Teil 1/1978, S. 152 – 170 und Teil 2/1979, S. 239 - 260
Leo Peters (Bearb.), Aus der Geschichte der Juden im Gebiet der heutigen Stadt Nettetal, in: Gerhard Rehm (Hrg.), Geschichte der Juden im Kreis Viersen, "Schriftenreihe des Kreises Viersen", No. 38, Hrg. Oberkreisdirektor, Viersen 1991, S. 175 ff.
Frank Kauwertz, Die drei Eisheiligen. Geschichten und Dokumente wider das Vergessen. Schicksale von Bürgern der israelitischen Gemeinden in Kaldenkirchen und Nachbarorten, Alano-Herodot-Verlag, Aachen 1999
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen: Teil II: Regierungsbezirk Düsseldorf, J.P. Bachem Verlag, Köln 2000, S. 542
Jüdische Opfer des Nationalsozialismus in Nettetal (ausführliche Darstellung, vor allem personenbezogene Daten), abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Jüdische_Opfer_des_Nationalsozialismus_(Nettetal)
Ludger Peters (Red.), Nettetal: Mahnmal erinnert an Breyeller Juden, in: rp-online vom 11.11.2013
22 Stolpersteine vor Häusern in Schaag und Breyell, in: „Rheinische Post“ vom 10.12.2013
Auflistung der verlegten Stolpersteine in Nettetal, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nettetal
Arbeitskreis Mahnmal der Gesamtschule Nettetal (Bearb.), Wach bleiben – erinnern für heute und morgen, online abrufbar unter: mahnmal.ge-nettetal.de
Julia Esch (Red.), Stolpersteine auch für Brüggen? in: rp-online.de vom 24.11.2019
N.N. (Red.), Auf Spurensuche nach den Opfern – Stolpersteine für Brüggen geplant, in: rp.online.de vom 8.12.2020
N.N. (Red.), In Nettetal stiften die Grünen Stolpersteine für Lobberich, in: rp.online.de vom 9.2.2022
N.N. (Red.), Erinnerung an NS-Opfer in Brüggen – Hier liegen Brüggens erste Stolpersteine, in: „Rheinische Post“ vom 6.12.2022