Brüx (Böhmen)

Bildergebnis für aussig nordböhmen karte"  Die im Nordwesten Böhmens am Fuße des Erzgebirges gelegene Stadt Brüx - nördlich von Saaz bzw. südwestlich von Aussig - ist das tschechische Most mit derzeit ca. 66.000 Einwohnern. Die einst von einer rein deutschen Bevölkerung bewohnte Stadt zog auf Grund der industriellen Entwicklung - Abbau und Verarbeitung von Braunkohle - im 19.Jahrhundert zahlreiche tschechische Arbeitskräfte an (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, PD-alt-100 und Kartenskizze 'Tschechien' mit Most rot markiert, K. 2005, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Die Anwesenheit von Juden in Brüx ist seit dem 14.Jahrhundert urkundlich nachgewiesen, doch haben sich vermutlich bereits Jahrzehnte früher Juden im Ort aufgehalten und hier ghettoartig vor der Stadtmauer - der späteren Sterngasse - gelebt. Eine jüdische Begräbnisstätte in Brüx wird urkundlich im Jahre 1456 erwähnt. Während der Dauer ihres Aufenthaltes in Brüx unterstanden die hier lebenden Familien nicht der Stadtgerichtsbarkeit, sondern genossen als sog. „Kammerknechte“ der Kaisers besondere Privilegien, für die aber eine jährliche Abgabe zu entrichten war. Alle Brüxer Juden sollen Geldhandel - oft in Verbindung mit Pfandgeschäften - betrieben haben; zu den Darlehensnehmern gehörten Adlige aus Böhmen und Sachsen, aber auch zahlreiche Bewohner aus der Region. Im Jahre 1453 wurde alle Juden aus Brüx ausgewiesen. 1464 verbot dann der böhmische König - auf Drängen der Brüxer Bewohner - jegliche jüdische Ansiedlung in und um Brüx. Als Ausgleich für die entgangenen Schutzgelder musste die Stadt daraufhin einen jährlichen Tribut an den König zahlen.

Es sollte fast 400 Jahre dauern, ehe sich jüdische Familien wieder in der Stadt niederlassen konnten. Nach zunächst zögerlichem Zuzug gründeten die in der Stadt lebenden Juden im Jahre 1868 eine Kultusgemeinde. 1872/1873 wurde auch eine Synagoge erbaut und 1878 ein eigener Begräbnisplatz im  Stadtviertel Tschausch (Souš) angelegt.

                   Synagoga Most.jpg

Synagoge in Brüx (hist. Aufn. um 1920) und Aufn. Talmidavi, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Juden in Brüx:

         --- 1849 ......................... zwei jüdische Familien,

    --- 1872 ..........................  47 Juden,

    --- 1890 .......................... 626   “  ,

    --- 1900 .......................... 786   “  ,

    --- 1910 .......................... 868   “   (ca. 8% d. Bevölk.),

    --- 1921 .......................... 737   “  ,

    --- 1930 .......................... 662   “  ,

    --- 1939/40 ....................... keine.

Angaben aus: Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums ... , S. 25

14404-Brüx-1912-Minoritenplatz-Brück & Sohn Kunstverlag.jpgMinoritenplatz in Brüx (hist. Aufn., um 1910, aus: commons.wikimedia, CCO)

 

In den Jahren nach 1875 nahm die Zahl der jüdischen Bewohner von Brüx sprunghaft zu, und um 1910/1920 stellten die deutsch-sprechenden jüdischen Bewohner mit fast 1.000 Personen etwa ein Zwölftel der Gesamtbevölkerung der Stadt. Die jüdische Gemeinde Brüx war auch relativ wohlhabend; dies zeigt sich in jüdischen Vereinen und Stiftungen, die von ihr unterhalten wurden.

Nach der Besetzung von Brüx durch deutsche Truppen im Oktober 1938 begann auch hier die nationalsozialistische Verfolgungspolitik. Allerdings hatten die meisten Familien in den Wochen zuvor die Stadt bereits verlassen, und kurz vor dem Einmarsch flüchtete das Gros der noch verbliebenen Juden nach Innerböhmen. Organisiert von Angehörigen der Parteiorgane der NSDAP wurde während der „Kristallnacht“ die Synagoge in Brüx niedergebrannt. In der Brüxer Klosterchronik heißt es: „ ... Am 10.11. um rund 6 Uhr abends wurde die jüdische Synagoge absichtlich angezündet und brannte vollständig nieder. Viele Juden flohen, viele wurden gefangen und zu körperlicher Arbeit gezwungen.”

        Brennende Synagoge in Brüx, Nov. 1938 (Stadtarchiv)

Nachdem Ende 1941 die wenigen noch in Brüx lebenden jüdischen Bewohner ihre Häuser und Wohnungen hatten räumen müssen und in städtische Baracken umgesiedelt worden waren, setzte wenige Monate später die Deportation ein.

 

Nach Kriegsende bildete sich wieder eine kleine jüdische Gemeinde, deren Angehörige aus der Karpatho-Ukraine stammten.

Jüdischer Friedhof von Most (Aufn. 2009, in: wikipedia.org, CCO)

 

 

 

In der ländlichen Region um Brüx gab es bis ins ausgehende 19.Jahrhundert mehrere jüdische Landgemeinden, so in Lischnitz (Lisnice), in Hareth und in Kolosoruk (Korozluky).

 

In der nur wenige Kilometer nordöstlich von Brüx bzw. südlich von Teplitz-Schönau gelegenen Ortschaft Bilin (tsch. Bílina) sind Juden nachweislich seit dem beginnenden 15.Jahrhundert bekannt. Um 1525/1530 sollen in der Stadt ca. 40 jüdische Familien gelebt haben, die den Schutz der Familie von Lobkowitz genossen; damals soll Bilin eine der größten Judensiedlungen Nordböhmens besessen haben. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war nur einer einzigen jüdischen Familie das Wohnrecht in Bilin zugestanden worden. Erst nach 1848 setzte eine nennenswerte Ansiedlung von Juden in der Kleinstadt ein. Die neuzeitliche jüdische Gemeinde von Bilin erreichte mit ca. 80 Mitgliedern im ausgehenden 19.Jahrhundert ihren Höchststand. Eine Synagoge wurde im Jahre 1895 eingeweiht, die nach einem Umbau eines Wohnhauses hier eingerichtet worden war. (Anm. Ein erster Betraum hatte aber schon seit den 1860er Jahren bestanden.)

   

Synagoge in Bilin (hist. Aufn. aus: zanikleobce.cz und L. Faigl, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

Ein eigenes Friedhofsgelände wurde erst um 1890 eingerichtet; zuvor waren Verstorbene in Brüx (Most) begraben worden.

Nach der Besetzung des Sudetenlandes durch die Deutschen verließen die meisten jüdischen Bewohner die Kleinstadt. Wer nicht emigrieren konnte, wurde 1942 nach Theresienstadt und von dort in die Vernichtungslager deportiert.

File:Jewish cemetery in Bílina, 2012-04, 06.JPGJüdischer Friedhof Bílina (Aufn. Ladislav Faigl, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

Michael Halberstam (Bearb.), Geschichte der Juden in Brüx, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 70 – 77

A.H. Teller (Bearb.), Geschichte der Juden in Bilin und Umgebung, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 34 - 37

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 115 (Bilin) und S. 184 – 186 (Brüx)

Rudolf M.Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Riesengebirgsvorlandes, in: Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien, Bd. 2, Marburg/Lahn 1987

Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 66, R.Oldenbourg-Verlag, München 1997

Ludomir Kocourek, Das Schicksal der Juden im Sudetengau im Licht der erhaltenen Quellen, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1997", S. 86 - 104

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 149

The Jewish Community from Most (Brüx), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/most

Jewish Families from Most (Brüx), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Most-Br%25C3%25BCx-Bohemia-Czech-Republic/15124

The Jewish Community of Bilina (Bilin), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/bilina

Jewish Families from Bílina (Bilin), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-B%25C3%25ADlina-Bilin-Bohemia-Czech-Republic/15118

Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938 - 1945, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 105, Verlag R. Oldenbourg, München 2006