Burgkunstadt (Oberfranken/Bayern)
Burgkunstadt ist eine Kleinstadt am Obermain im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels mit derzeit ca. 6.500 Einwohnern – östlich der Kreisstadt bzw. ca. 15 Kilometer nordwestlich von Kulmbach (Kartenskizze 'Landkreis Lichtenfels', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Stadtansicht Burgkunstadt (Abb. aus: burgkunstadt.eu)
Burgkunstadt war über einen längeren Zeitraum hinweg das jüdische Zentrum am Obermain und zählte zu den bedeutendsten jüdischen Gemeinden im ehemaligen Hochstift Bamberg. In den Jahrzehnten um 1800 besaß die Ortschaft einen jüdischen Bevölkerungsanteil von ca. 35%.
Im Verlauf des 13.Jahrhunderts haben sich hier vermutlich die ersten jüdischen Familien angesiedelt. Von den Verfolgungen der Jahre 1298 und 1699 waren auch die Burgkunstadter Juden betroffen, doch überstanden sie diese Zeiten, sodass vom Mittelalter bis in die Neuzeit durchgängig Juden hier ansässig gewesen sind. Unter dem Schutz der Fürstbischöfe von Bamberg und reichsritterschaftlicher Familien wuchs die Zahl der in Burgkunstadt lebenden Juden stark an und erreichte gegen Ende des 18.Jahrhunderts mehr als 300 Personen; dies entsprach einem Anteil von etwa einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Die jüdischen Bewohner lebten fast ausnahmslos bis ca. 1810 als „Schutzjuden“ in der Unterstadt.
Schon frühzeitig muss es hier eine Synagoge gegeben haben, die ihren Standort in der „Judengasse“, der heutigen Kulmbacher Straße, hatte. Auch die Nachfolgebauten standen jeweils am gleichen Platz.
Synagoge - Bildmitte (um 1935, Stadtarchiv, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ab 1852 gab es in Burgkunstadt auch eine jüdische Elementarschule.
Ausschreibungen gemeindlicher Stellen 1847 - 1883 - 1897:
In die Zeit des beginnenden Dreißigjährigen Krieges fiel die Anlage einer jüdischen Begräbnisstätte am Ebnether Berg nordwestlich von Burgkunstadt; hier fanden verstorbene Juden aus der gesamten Region des Obermain, so aus Altenkunstadt, Kulmbach, Bayreuth, Kronach, Redwitz u.a. Orten, ihre letzte Ruhe. Mit mehr als 2.000 Grabsteinen zählt dieses Begräbnisareal zu den zehn größten jüdischen Landfriedhöfen in Bayern.
Grabsteine von 1710/1730 (Aufn. um 1928, Sammlung Harburger)
Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges war Burgkunstadt Sitz eines Distriktrabbinats; nach dessen Auflösung übernahm Bayreuth diese Funktion.
Zwei Ausschreibungen der Rabbinatsstelle von 1844 und 1886
Juden in Burgkunstadt:
--- 1785 ........................ 327 Juden,
--- 1812 ........................ 385 “ (ca. 32% d. Bevölk.),
--- 1824 ........................ 78 Familien (Matrikelinhaber),
--- um 1830 ..................... 416 Juden,
--- 1837 ........................ 420 “ ,
--- 1867 ........................ 282 “ (ca. 23% d. Bevölk.),
--- 1875 ........................ 255 “ ,
--- 1900 ........................ 150 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1910 ........................ 103 “ ,
--- 1925 ........................ 59 “ ,
--- 1933 ........................ 53 “ ,
--- 1939 ........................ 32 “ ,
--- 1940 (Jan.) ................. 12 “ ,
--- 1942 ........................ ein “ ().
Angaben aus: Baruch Z. Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 122
und Josef Motschmann, Als aus Juden Nachbarn und aus Nachbarn Juden wurden ..., S. 306
Burgkunstadter Oberstadt, hist. Aufn. um 1870 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Im beginnenden 19.Jahrhunderts verdienten die hiesigen jüdischen Familien – sie stellten damals knapp ein Drittel der Ortsbevölkerung - ihren Lebensunterhalt vor allem als Schnittwarenhändler auf Märkten und Messen und im Hausier- und Einzelhandel sowie als Viehhändler. Zu antijüdischen Ausschreitungen kam es im Revolutionsjahr 1848, als in Burgkunstadt, aber auch in anderen Orten der Region, Häuser von Juden angegriffen und geplündert wurden. Zahlreiche Juden flüchteten daraufhin nach Bamberg. Eine unmittelbare Folge dieser Ausschreitungen war eine Abwanderung vor allem jüngerer jüdischer Einwohner, überwiegend in die USA. So ging in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts die jüdische Bevölkerung Burgkunstadts deutlich zurück, machte aber trotzdem noch ca. 10% der Gesamtbevölkerung aus.
Reklame der Matzenbäckerei J. Oppenheimer von 1895
zwei Lehrstellenangebote (1901/1905)
Der gegen Ende des 19.Jahrhunderts einsetzende wirtschaftliche Aufschwung der Region war maßgeblich auch jüdischen Unternehmern zu verdanken: Neben der Schuhfabrikation der Firmen Joseph Weiermann, Carl Iglauer und Pretzfelder & Riexinger hatten sich Spinn- u. Tuchfabriken sowie eine Essig- und Senffabrik (Gebr. Lindner) in Burgkunstadt angesiedelt. Anfang der 1930er Jahre lebten in Burgkunstadt noch knapp 60 Bürger mosaischen Glaubens.
Nach entsprechender Anweisungen aus Bayreuth leitete der NSDAP-Kreisleiter Lorenz Klaus die ‚Aktionen’ am 10.November 1938 in Burgkunstadt, aber auch in Altenkunstadt und Lichtenfels. Die Inneneinrichtung der hiesigen Synagoge wurde total verwüstet, die Fenster wurden zerschlagen und Wohnungen jüdischer Einwohner demoliert. Das beschädigte Synagogengebäude ging danach unentgeltlich in den Besitz der Stadt Burgkunstadt über; die Kultusgemeinde verzichtete auf jeglichen Anspruch. Wochen später wurde das Gebäude aus „verkehrstechnischen Gründen“ abgerissen. Ein „Vorfall“ aus den Märztagen 1939 macht deutlich, wie die NS-Propaganda arbeitete: Ein achtjähriger jüdischer Junge hatte in eine Milchkanne gespuckt und war dabei beobachtet worden. Sein „Vergehen“ wurde sofort an die Bürgermeisterei gemeldet. Daraufhin ließ der Bürgermeister den Vater des Jungen verhaften und über sämtliche Juden Burgkunstadts eine Ausgangssperre verhängen. Die Darstellung in der Lokalpresse sah wie folgt aus:
Burgkunstadt, 4. März. Unglaubliche Gemeinheit. Judenbengel rotzt in die Milch, der deutsche Mensch soll sie trinken. Der Milchhändler ... stellte am Donnerstag vormittags gegen 11 Uhr in der Bahnhofstraße seiner Kundschaft die Milch zu. In einem für den Judenbengel Nebel günstigen Augenblick öffnete dieser eine Milchkanne und rotzte in diese, verschloß sie wieder und verschwand. Glücklicherweise wurde dies beobachtet und der Ortspolizeibehörde mitgeteilt, die sofort die verunreinigte Milch sicher stellte und die Volksgenossen verständigte, die bereits aus dieser Kanne Milch erhalten hatten, ... Der Bevölkerung bemächtigte sich über eine solche hundsgemeine Tat heftige Empörung, weshalb der Vater des Judenbengels in Schutzhaft genommen werden mußte. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit und um von vornherein ähnliche Vorkommnisse auszuschalten, können sich die Juden bis auf weiteres nur zu bestimmten Zeiten in der Oeffentlichkeit zeigen. Es bewahrheitet sich wiederum: Für den Christen ist in den Augen der Juden der Kot gut genug als Nahrungsmittel ... Kein Volksgenosse will daher auch nur das geringste mit den Fremdrassigen zu tun haben.
Diese Meldung wurde sogar in überregionalen Zeitungen abgedruckt! Die Maßnahmen des Bürgermeisters wurden jedoch von übergeordneten Stellen wieder aufgehoben und der Vater des Jungen aus der Haft entlassen.
Im Frühjahr 1942 wurden zwölf Juden Burgkunstadts „in den Osten umgesiedelt“; gemeinsam mit Glaubensgenossen aus dem Bamberger Land mussten sie den Weg in den Tod antreten: im Juni 1942 wurden sie in Belzec bzw. Sobibor ermordet. Nur eine "in Mischehe" lebende jüdische Frau blieb im Ort zurück.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 87 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum in Burgkunstadt wohnhaft gewesene Bürger mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/burgkunstadt_synagoge.htm).
Vor dem Amtsgericht Lichtenfels fand im Sommer 1946 eine (erste) justizielle Aufarbeitung der Zerstörung der Synagogen von Alten- u. Burgkunstadt statt, bei der einige (damals) minderjährige Täter zu kurzzeitigen Haftstrafen verurteilt wurden. 1947 wurden dann Gefängnistrafen gegen weitere Tatbeteiligte - so den ehem. Burgkunstädter NSDAP-Ortsgruppenleiter Wendelin Kolb und den damaligen Ortsbürgermeister Leo Feuersinger – verhängt.
Auf dem ehemaligen Synagogengelände in der Kulmbacher Straße erinnert neben dem Treppenaufgang seit 1987 ein granitener Felsblock mit dort angebrachter Bronzetafel an das einstige jüdische Gotteshaus (Aufn. T., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0); seine Inschrift lautet:
Den Opfern der Gewalt 1933 – 1945
Hier stand die Synagoge – zerstört in der Pogromnacht 1938 und im gleichen Jahr abgebrochen.
Seit 2009 beteiligt sich auch Burgkunstadt am sog. „Stolperstein“-Projekt. Fünf Steine erinnern seit 2014 an Angehörige der Familie Iglauer; sie befinden sich in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Standortes der von Carl Iglauer 1892 gegründeten Schuhfabrik in der Lichtenfelser Straße.
verlegt im Burgweg (Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
in der Lichtenfelser Straße
Eingangspforte und Teilansicht des jüdischen Friedhofs* (Aufn. S., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)
* Im Vordergrund Grabsteine aus den Anfangsjahren (um 1650), im Hintergrund aus der Zeit um 1840 bis 1870
Taharahaus (Aufn. S., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)
Auf dem an der Straße Richtung Ebneth bei Burgkunstadt gelegenen jüdischen Friedhof sind heute noch mehr als 2.000 Grabsteine erhalten, darunter zahlreiche künstlerisch bedeutende Grabmäler aus der Zeit des Barock, Rokoko und Biedermeier. Die ältesten Steine datieren aus dem 17.Jahrhundert; sie sind teilweise tief in den Erdboden eingesunken.
Am Friedhofseingang befindet sich eine Tafel mit folgendem Text:
Gesegnet bist Du, unser Gott, König der Welt, der Euch gezeugt hat nach dem Gesetz,
und Euch unterhält nach dem Gesetz.
Er weiß die Zahl von Euch und er wird Euch später auferstehen lassen nach dem Gesetz.
Gott soll gelobt werden, weil er die Toten auferweckt.
Im Jahre 1973 wurde der Friedhof schwer geschändet; mehr als 500 Grabsteine wurden von alkoholisierten Jugendlichen umgeworfen.
In Ebneth – ein kleines Kirchdorf, heute Ortsteil von Burgkunstadt – gab es seit dem 18.Jahrhundert eine winzige jüdische Gemeinde, deren Angehörige unter dem Schutz der Freiherren von Seckendorff standen. In den 1820er Jahren erstellten Matrikellisten waren für Ebneth vier Haushaltungen verzeichnet. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte vermutlich eine Betstube in einem der Privathäuser. Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Burgkunstadt begraben.In den 1830er Jahren lebten im Dorf etwa 30 Personen mosaischen Glaubens. Etwa drei Jahrzehnte später galt die jüdische Gemeinschaft als aufgelöst.
Weitere Informationen:
Baruch Z. Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 122/123
Gabriele Walling, Geschichte und Schicksal der Juden von Burgkunstadt. Facharbeit für das Lehramt an Realschulen, Universität Erlangen, 1982
Josef Motschmann, Der Leidensweg der Juden am Obermain - Das Ende der Jüdischen Gemeinden in Lichtenfels, Burgkunstadt und Altenkunstadt in den Jahren 1933 - 1942, Lichtenfels 1983
Hans Pfreundner, Materialien zur Geschichte der Juden in Burgkunstadt und Umgebung Burgkunstadt 1989, Beilage zum Jahresbericht des Gymnasiums Burgkunstadt 1988/89
Josef Motschmann, Als aus Juden Nachbarn und aus Nachbarn Juden wurden. Jüdische Gemeinden im 19. und 20.Jahrhundert, in: G.Dippold/J.Urban (Hrg.), Im oberen Maintal, auf dem Jura, an Rodach und Itz, Lichtenfels 1990, S. 309 f.
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 211/212
Barbara Rösch, Judenwege in Oberfranken - Untersuchungen am Beispiel der Judenstraße zwischen Scheßlitz und Burgkunstadt, in: "Jüdische Landgemeinden in Franken II, Schriften des Fränkischen Schweiz-Museum", Band 5/1998, S. 37 - 49
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 117 – 130
Günter Dippold, Die jüdischen Friedhöfe in der Umgebung von Burgkunstadt, in: J.Motschmann/S.Rudolph (Hrg.), „Guter Ort“ über dem Maintal, Lichtenfels 1999, S. 129 – 144
M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 124/125
Michael Schneeberger, Die Juden von Kunstadt, in: "Jüdisches Leben in Bayern", 18. Jg., No. 92 (Sept. 2003), S. 24 - 29
Herbert Liedel/Helmut Dollhopf, Jerusalem lag in Franken. Synagogen und jüdische Friedhöfe, Echter-Verlag GmbH, Würzburg 2006, S. 30/31
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Mittel- und Oberfranken. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2012, S. 54 − 59
Burgkunstadt, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie und ihrer Mitglieder)
Der jüdische Friedhof in Burgkunstadt, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen historischen und aktuellen Aufnahmen)
Ebneth, in: alemannia-judaica.de
Auflistung der in Burgkunstadt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Burgkunstadt
Angela Hager/Hans-Christof Haas (Bearb.), Burgkunstadt, in: Wolfgang Kraus/Berndt Hamm/Meier Schwarz (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band I (Bayern), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 106 - 111
Gerda Völk (Red.), Burgkunstadt. Erinnerung an die Familie Iglauer, in: „Obermain-Tagblatt“ vom 1.12.2014
Ramona Popp (Red.), Burgkunstadt. Warum der Erhalt etwas wert ist, in: „Fränkischer Tag“ vom 11.9.2015 (betr. Gebäude der ehem. Schuhfabrik Iglauer in der Lichtenfelser Straße)
Andreas Motschmann (Red.), Der Judenfriedhof bei Burgkunstadt ist 400 Jahre alt, in: „Obermain-Tagblatt“ vom 18.9.2020
Inge Goebel (Red.). Rare Fotos der Synagogen von Altenkunstadt und Burgkunstadt, in: “Obermain-Tagblatt“ vom 15.12.2020
Roland Dietz (Red.), Erinnern an ehemalige jüdische Burgkunstädter, in: “Fränkischer Tag” vom 5.5.2023
Roland Dietz (Red.), Stolpersteine – Tochter kommt zur Feierstunde, in: “Fränkischer Tag” vom 28.8.2023