Drove (Nordrhein-Westfalen)
Drove mit seinen derzeit ca. 500 Einwohnern ist heute ein Ortsteil von Kreuzau im Kreis Düren - nur wenige Kilometer südlich der Kreisstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Drove/Kreuzau, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Düren', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Dorf Drove wurden die ersten jüdischen Familien im Laufe des 17.Jahrhunderts ansässig. Auf Grund des relativ hohen jüdischen Bevölkerungsanteils galt Drove als „Judendorf“. Die jüdische Gemeinde Drove, zu der auch die Juden von Kreuzau und Nideggen zählten, war eine Filialgemeinde im Synagogenbezirk Düren.
Ein bereits vor 1800 bestehendes Gotteshaus wurde 1865 durch einen Neubau an der Hauptstraße/Ecke Wewordenstraße) ersetzt; auch die Zivilgemeinde hatte die Finanzierung des Gebäudes unterstützt. Das Gotteshaus war ein massives, verputztes Bauwerk. An allen vier Ecken begrenzten gequaderte Pfeiler das Gebäude, die in kleinen Türmchen mit spiralförmigen Aufsätzen endeten; auf der Giebelspitze befand sich ein Davidstern.
Synagoge in Drove (hist. Aufn., Archiv Kreuzau)
Auch ein eigenes Beerdigungsgelände - an der Landstraße am Bruchberg zwischen Drove und Thum gelegen - stand den verstorbenen Gemeindeangehörigen am Ort zur Verfügung (angelegt vermutlich vor 1800); hier fanden auch verstorbene Juden aus Kreuzau und Nideggen seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts ihre letzte Ruhe.
Juden in Drove:
--- 1806 ........................... 34 Juden,
--- 1826 ........................... 43 “ ,
--- 1857 ........................... 52 “ ,
--- 1872 ........................... 98 “ ,
--- 1895 ........................... 50 “ ,
--- 1905 ........................... 58 “ ,
--- 1911 ........................... 66 “ ,
--- 1933 ........................... 31 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 104
Während des Pogroms im November 1938 setzten SA-Angehörige aus Düren, Kreuzau und Drove die Synagoge in Brand. Das Gebäude brannte nieder; die Ruine wurde während der Kriegsjahre abgetragen. Das Grundstück ging für 500,- RM in den Besitz der Kommune über. Das Haushaltswarengeschäft von Rosa Holländer wurde im Rahmen der ‚November-Aktion‘ demoliert.
Vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager (Frühjahr 1942) wurden die noch in Drove verbliebenen Juden im Hause der Familie Kaufmann ghettoisiert und von dort in ein Sammellager nach Lendersdorf gebracht.
Nach Kriegsende wurde der beschädigte Friedhof wieder instandgesetzt; man findet auf dem Gelände ca. 60 Grabsteine. Die Kommune ließ hier 1962 eine drei Meter hohe Gedenkstele für die jüdischen NS-Opfer errichten.
Grabsteingruppe u. alter Grabstein auf dem jüdischer Friedhof in Drove (Aufn. Reinhardhauke, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Gedenkstele für die Opfer des Nationalsozialismus
Zwei weitere Mahnmale in der Wewordenstraße nahe der ehemaligen Synagoge erinnern heute an die jüdische Vergangenheit von Drove.
Im Stadtgebiet von Kreuzau wurden 2021 an drei Standorten in der Drovestraße insgesamt neun sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der drei jüdischen Familien Daniel, Hirschberg und Leiser erinnern.
Abb. aus: stolpersteine.wdr.de/web/de/stolperstein
Der Schriftsteller Heinrich Böll hat in seiner Erzählung „Die Juden von Drove” den früheren jüdischen Familien ein literarisches Denkmal gesetzt. In seinem Essay heißt es: „... Die Menschen leben dort mit ihren Friedhöfen, richten sich da welche ein, wo sie bleiben wollten und eine Bleibe hatten, wo sie gar nicht angenommen, integriert werden mußten, weil sie längst angenommen und integriert waren; weil sie längst dazu gehörten. Es war ihr Dorf, sie waren Deutsche, so klug und so dumm wie ihre Nachbarn, sprachen deren Platt, fühlten sich nicht endlich, sondern längst zu Hause, hatten Verwandte in den Nachbardörfern, spielten Karten mit den Dorfbewohnern, turnten mit ihnen und spielten Fußball, nahmen an Kriegen teil, wurden verwundet, fielen, hatten ihre Vorurteile, ihre Urteile. ...”
In der Bürgermeisterei Nideggen haben stets nur wenige Juden gelebt; sie zählten zur Filialgemeinde von Drove.
Die ersten jüdischen Familien, die in die Region um Nideggen siedelten, waren vermutlich im Spätmittelalter aus Städten vertrieben worden; in Nideggen soll bereits um 1300 eine jüdische Familie gelebt haben. Für die folgenden Jahrhunderte gibt es keine bzw. nur unsichere Belege für den Aufenthalt von Juden in Nideggen. Im 17.Jahrhundert lassen sich dann Bewohner mosaischen Glaubens in Nideggen nachweisen, die zeitweilig hier lebten.
Ansiedlungen bzw. die Erlaubnis einer Gewerbeausübung scheiterten noch zu Beginn des 19.Jahrhunderts am Widerstand der Lokalbehörden; so schrieb der Bürgermeister des Fleckens Nideggen im September 1812: „Die Juden genießen kein Ansehen in der Öffentlichkeit. Sie leben recht schlecht vom Kleinhandel und besitzen kein Kapital, um einen profitablen Handel zu betreiben. Sie müssen berufstätig sein, um ihr Leben zu fristen.” In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts soll es am Ort eine Synagoge gegeben haben. Ihre Verstorbenen begrub die Judenschaft Nideggens auf dem jüdischen Friedhof in Drove.
Juden in Nideggen:
--- um 1780 ....................... eine jüdische Familie,
--- um 1795 ....................... 5 “ “ n,
--- 1812 .......................... 18 Juden,
--- 1837 .......................... 6 “ ,
--- 1860 .......................... 28 “ ,
--- 1894 .......................... 22 “ ,
--- 1910 .......................... 18 “ ,
--- 1930 .......................... 26 “ ,
--- 1933 .......................... 13 “ ,
--- 1939 (Dez.) ................... 6 “ .
Angaben aus: Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert
Die jüdischen Bewohner arbeiteten vorwiegend als Viehhändler und Metzger, als Einzelhändler und auch als Handwerker. Insgesamt sollen 19 gebürtige Nideggener Juden in die „Lager des Ostens“ deportiert worden und dort umgekommen sein.
Seit 2002 erinnert eine bronzene Gedenktafel am Eingang zum Rathaus an die jüdischen NS-Opfer von Nideggen mit den folgenden Worten:
Wir gedenken unserer jüdischen Bürger, die in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ab 1933 entrechtet, vertrieben und grausam ermordet wurden.
Mit der Verlegung von 18 sog. „Stolpersteinen“ wurde in Nideggen und seinen Ortsteilen im Jahre 2015 begonnen; weitere Steine folgten.
[vgl. Nideggen/Rur (Nordrhein-Westfalen)]
Auch im heutigen Nideggener Ortsteil Embken gab es eine relativ großen jüdischen Bevölkerungsanteil; der Höchststand wurde um 1900 mit etwa 50 Personen erreicht; im Altkreis Düren war Embken der Ort, an dem sich Juden bevorzugt niederließen.
[vgl. Embken (Nordrhein-Westfalen)]
In Untermaubach, ebenfalls ein Ortsteil der Kommune Kreuzau, waren im 18.Jahrhundert jüdische Familien ansässig, allerdings nur sehr wenige. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts soll das baufällige Bethaus geschlossen worden sein; seitdem orientierten sich die Untermaubacher Juden nach Drove. Anderen Angaben zufolge soll ab den 1820er Jahren eine kleine Synagoge existiert haben, die auch von Juden umliegender Dörfer aufgesucht wurde. Die sehr wenigen in der NS-Zeit hier lebenden jüdischen Bewohner wurden im Frühjahr 1942 in das Sammellager Thuir nach Lendersdorf verbracht; von hier erfolgte ihre Deportation „in den Osten“.
Auf dem einst großflächigen jüdischen Friedhof - in Richtung Bogheim gelegen - erinnern nur noch acht Grabstellen an die jüdische Vergangenheit; neben drei aufrecht stehenden Steinen ist noch eine liegende Grabplatte zu finden. In den 1970er und 1990er Jahren wurde der Friedhof geschändet.
Aufn. Käthe u. Bernd Limburg, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 de
Weitere Informationen:
Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert, Düsseldorf 1972
Heinrich Böll, Die Juden von Drove, in: Köln u. das rheinische Judentum. Festschrift Germania Judaica 1959 - 1984, Köln 1984, S. 487 ff.
Nikolaus Nolden, Die Juden. Kapitel eines Entwurfs der Chronik für den Bereich der Gemeinde Kreuzau, Manuskript 1988 (Gemeindearchiv Kreuzau)* * erschienen in den ‘Beiträgen zur Geschichte von Kreuzau 1794 - 1988’, 1997
Franz-Josef Brandenburg, Die Juden von Nideggen, Hrg. Heimat- und Geschichtsverein e.V., 1989 (Anm. wenig strukturierte Arbeit mit zahlreichen Personenangaben)
Regina Müller, Um Heimat und Leben gebracht. Zur Geschichte der Juden im alten Landkreis Düren 1830 - 1945, Verlag Hahne & Schloemer, Düren 1989
Ludger Dowe, Die jüdischen Friedhöfe im Kreis Düren, in: Jahrbuch des Kreises Düren 1989, S. 87 - 96
Willi Dovern, Juden im Kreis Düren,Teil I : Die ältesten Nachrichten über jüdisches Leben im Kreis Düren, in: Jahrbuch des Kreises Düren, 1993, S. 124 - 134
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 103 -107
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999
Dieter Peters, Der jüdische Friedhof in Kreuzau-Drove, in: Kreisjahrbuch 2004, Düren, S. 119 f.
R.Nolden/K.-J.Nolden/K.Schnitzler (Bearb.), Sie waren Nachbarn, Freunde, Kamerdaen. Zur Geschichte der Juden von Drove, Düren 2008
Drove (Gemeinde Kreuzau) – Jüdischer Friedhof, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen voon Grabsteinen)
Kommune Kreuzau (Hrg.), Die jüdische Gemeinde in Drove und die Reichspogromnacht, als PDF-Datei abrufbar unter: kreuzau.de/ug/downloads/otberichte/Juedische_Gemeinde.pdf
Gudrun Klinkhammer (Red.), Nideggen. Stolpersteine verlegt: Das Gedenken an einen jüdischen Viehhändler, in: „Aachener Zeitung“ vom 9.10.2015
Gudrun Klinkhammer (Red.), Nideggen gedenkt: Stolpersteine erinnern an die Schicksale, in: „Aachener Nachrichten“ vom 21.6.2016
Auflistung der in Kreuzau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Kreuzau
N.N. (Red.), Ein Stein für jedes Opfer des NS-Terrors, in: Aachener Zeitung“ vom 28.1.2024