Düdelsheim (Hessen)

https://de-academic.com/pictures/dewiki/75/Kreis_Salm%C3%BCnster.jpgWetteraukreis Karte Düdelsheim ist heute der zweitgrößte Stadtteil von Büdingen/Wetteraukreis - knapp 20 Kilometer nordöstlich von Hanau gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: de-academic.com  unKartenskizze 'Wetteraukreis',  aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).

 

Die in Düdelsheim ansässigen, meist in ärmlichen Verhältnissen lebenden jüdischen Familien standen bis 1806 unter dem Schutz der Grafen von Ysenburg-Büdingen. Der erste Nachweis eines im Dorfe lebenden Juden stammt aus dem beginnenden 17.Jahrhundert. Die Bildung einer Gemeinde muss zu Beginn des 18.Jahrhunderts erfolgt sein; denn im Jahre 1722 kann die Errichtung einer ersten Synagoge belegt werden. Nachdem dieser Betraum den Bedürfnissen nicht mehr entsprach und zudem das Gebäude marode geworden war, entschloss sich die Gemeinde zu einem Synagogenneubau. Dieses 1860/1861 in der Hauptstraße errichtete Gebäude war für ländliche Verhältnisse ein recht ansprechendes Bauwerk und unterschied sich im Baustil wesentlich von den allermeisten Landsynagogen. Die Einweihung wurde im August 1861 vom Provinzial-Rabbiner Dr. Levy aus Gießen vorgenommen.

Synagogengebäude (hist. Aufn., um 1940, Archiv) 

 Über die Einweihung der Synagoge berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“ in ihrer Ausgabe vom 28. August 1861 wie folgt:

Büdingen, 20. August. In der israelitischen Religions-Gemeinde zu Düdelsheim, hiesigen Kreises, waren die Tage vom 16. bis 18. d. Mts. Tage der Freude, aus Veranlassung einer Synagogenweihe. Erwähnenswerthe Momente hierbei sind: Die Betheiligung der Behörden, der benachbarten evangelischen Geistlichkeit und des Ortsvorstandes selbst. Der Tempel ist ein Prachtgebäude des Ortes, entworfen und ausgeführt von Baumeister Melior hier. Dieser Tempel ist auch ein echter Tempel der Humanität und Toleranz, indem die christlichen Bewohner Düdelsheims sämmtliche Baumaterialien unentgeltlich herbeifuhren, wodurch der israelitischen Gemeinde mehr als 1.000 fl. (=Gulden) geschenkt wurden.

Religiöse Aufgaben der Gemeinde erledigte ein angestellter Religionslehrer. Wenige Jahre nach der Jahrhundertwende wurde mit dem Nachbarort Rohrbach ein Schulverband gegründet, dem später auch Ortenberg beitrat. 

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20116/Duedelsheim%20AZJ%2018061861.jpg 

Anzeigen aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 18.Juni 1861 und "Der Israelit" vom 14.Sept. 1893

Ihre Verstorbenen begrub die Gemeinde auf einem ca. 1670/1680 angelegten Friedhofsareal am Ortsausgang Richtung Lindheim. Ein neues Begräbnisgelände wurde in den 1870er Jahren angelegt, auf dem auch Verstorbene aus Glauberg, Rohrbach und Stockheim beerdigt wurden.

Anmerkung: 2005 wurde ein in Vergessenheit geratener „uralter“ jüdischer Friedhof auf einem Grundstück „An den Steinern“ wiederentdeckt.

Der Düdelsheimer Gemeinde angeschlossen waren auch zeitweise die Juden aus dem benachbarten Rohrbach und Stockheim.

Die jüdische Gemeinde Düdelsheim war dem liberalen Provinzialrabbinat von Gießen unterstellt.

Juden in Düdelsheim:

         --- um 1600 .......................  eine jüdische Familie,

    --- um 1750 .......................   12     “   Familien,

    --- 1830 ..........................   95 Juden,

    --- 1861 ..........................  136   “ (ca. 12% d. Bevölk.),*    *andere Angabe: 167 Pers.

    --- 1880 ..........................   96   “ (ca. 8% d. Bevölk.),

    --- 1895 ..........................   88   “  ,

    --- 1905 ..........................   88   “  ,

    --- 1910 ..........................   81   “ (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1924 ..........................   74   “  ,

    --- 1933 ..........................   72   "  ,

    --- 1938 (Nov.) ...................   10   “  ,

    --- 1940 (Juni) ...................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 144  und  Chronik Düdelsheim von 1992

 

Die Düdelsheimer Juden setzten sich aus Kleinkaufleuten und Viehhändlern zusammen; sie lebten anfänglich in zumeist recht bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen; doch konnten sie im Laufe des 19.Jahrhunderts zu gewissem Wohlstand kommen. Eine am Ort von der jüdischen Familie Ehrmann gegründete Branntweinbrennerei hatte überregionale Bedeutung. Als zu Beginn des 20.Jahrhunderts ein Teil der vermögenderen Juden abgewandert war, verschlechterte sich die Lage der Gemeinde, sodass weitere Familien den Ort verließen. Anfang der 1930er Jahre soll sich die Kultusgemeinde offiziell aufgelöst haben; die meisten der noch verbliebenen Juden gingen nach 1933 in die Emigration. Die letzten Abmeldungen nach Frankfurt/M. erfolgten im Mai 1940.

Die Synagoge wurde während der Novembertage 1938 durch ein SA-Rollkommando aus Büdingen, dem sich Einheimische angeschlossen hatten, verwüstet. Das aus dem Gebäude herausgeschleppte Inventar mitsamt der Ritualien wurde zur Marktwiese gefahren und im Beisein einer Menschenmenge verbrannt; z.T. wurden die Ritualgegenstände auch gestohlen. Wohnungen der im Dorf lebenden Juden wurden aufgebrochen, demoliert und teilweise geplündert; deren Bewohner wurden gedemütigt und unter Verhöhnungen „zur Schau“ gestellt.

Von den insgesamt ca. 50 Düdelsheimer Juden gelang etwa 30 Personen die Auswanderung in die USA und nach Südafrika.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...wurden 19 gebürtige bzw. längere Zeit in Düdelsheim ansässig gewesene Juden Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/duedelsheim_synagoge.htm).

 

Bauliche Reste der Düdelsheimer Synagoge sind heute nicht mehr vorhanden, da das Gebäude Ende der 1940er Jahre abgerissen wurde. Heute erinnert eine Gedenktafel am Grundstück der ehem. Synagoge an die jüdische Bevölkerung Düdelsheims und deren Gotteshaus. Die Inschrift lautet:

Ehemalige Synagoge der Jüdischen Gemeinde Düdelsheim. Erbaut 1861 und während der nationalsozialistischen Diktatur am 9. November 1938 zerstört.

Zur Erinnerung und zum Gedenken an unsere verfolgten und ermordeten jüdischen Mitbürger.

Die Thorarolle der Düdelsheimer Gemeinde tauchte im Ort im Jahre 1961 wieder auf; sie wurde dem Jüdischen Museum in Michelstadt/Odenw. übereignet.

Die beiden jüdischen Friedhofsareale zeigen sich heute in einem "naturbelassenen" Zustand. Auf dem jüngeren bis 1938 benutzten Beerdigungsgelände – es weist eine Fläche von ca. 2.000 m² auf – befinden sich etwa 80 Grabsteine.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20389/Duedelsheim%20Friedhof%20IMG_6904.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20389/Duedelsheim%20Friedhof%20IMG_6870.jpg.

 Blick auf den alten und jüngeren Teil des jüdischen Friedhof von Düdelsheim (beide Aufn. J. Hahn, 2015)

Seit 2011 erinnern insgesamt elf sog. „Stolpersteine“ an vier Standorten in Düdelsheim (Hauptstraße und Am Weinberg) an Angehörige der jüdischen Familien Hess und May, die Opfer der NS-Herrschaft geworden sind.

 

[vgl.  Büdingen (Hessen)]

[vgl.  Eckartshausen (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 144/145

Büdinger Geschichtsverein (Hrg.), Zur Geschichte und Kultur der Juden in Büdingen und Umgebung, Museumsinformation 5/1981

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, 1988, S. 184

Klaus Peter Decker, Aus der Frühzeit der jüdischen Gemeinde bis an die Schwelle des 19.Jahrhunderts, in: Magistrat der Stadt Büdingen (Hrg.), Chronik Düdelsheim 792 – 1992, Büdingen 1991

Rainer Hess, Die jüdischen Mitbürger und die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung 1933 – 1945, in: Magistrat der Stadt Büdingen (Hrg.), Chronik Düdelsheim 792 – 1992, Büdingen 1991

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen, Was geschah seit 1945? Teil II, 1994, S. 148

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, hrg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand, 1995 S. 314/315

Werner Wagner/Christa Wiesner, Der alte Judenfriedhof in Düdelsheim. Grabsteinbestand – Inschriften – Personenerkundung am 26. Januar 2000, in: "Büdinger Geschichtsblätter", No. 17/2001, S. 317 – 342

Susanne Gerschlauer, Synagogen. Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, in: "Wetterauer Geschichtsblätter - Beiträge zur Geschichte und Landeskunde", Band 53, Friedberg 2004, S. 289 - 326

Düdelsheim (Stadt Büdingen), in: alemannia-judaica.de

Werner Wagner, Der alte Judenfriedhof in Düdelsheim – Ergänzungen und Berichtigungen, in: "Büdinger Geschichtsblätter", No.20/2007-2008, S. 205 – 208

Verlegung von “Stolpersteinen” in Düdelsheim und Eckartshausen, in: jungborn-buedingen.de vom 12.6.2011

dör (Red.), Die Steine erhalten die Erinnerung lebendig, in: „Gelnhäuser Tageblatt“ vom 27.10.2011

Auflistung der in Büdingen/Düdelsheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Büdingen

Heuson-Museum Büdingen (Hrg.), Dauerausstellung zur Geschichte der Büdinger Juden, online abrufbar unter: heuson-museum.de/index.php/de/zur-juedischen-geschichte

Susanne Kleinmann (Red.), Unterwegs auf dem Mönchspfad, in: „Kreisanzeiger Zentralhessen“ vom 19.3.2016

Heuson-Museum Büdingen (Hrg.), Stolpersteine in Büdingen, Düdelsheim und Eckartshausen (Stand 2019), online abrufbar unter: heuson-museum.de/ (Anm. mit Namenslisten und Verlegeorte)