Czarnikau (Westpreußen)

  Czarnikau - Europa1900 Südlich von Schneidemühl (Pila) bzw. südöstlich von Schönlanke (Trzcianka) liegt die Kleinstadt Czarnikau a.d.Netze - das heutige poln. Czarnków mit derzeit ca. 11.500 Einwohnern; diese gehörte früher zum Kreisgebiet von Deutsch Krone im Netzedistrikt (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Czarnikau/Trzcianka rot markiert, Y. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In den Jahrzehnten um die Mitte des 19.Jahrhunderts stellten die Angehörigen der jüdischen Gemeinde etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

Jüdische Ansiedlung erfolgte nachweislich im 17.Jahrhundert, als Juden gemeinsam mit deutschen Kolonisten hierher kamen. Der älteste schriftliche Hinweis stammt aus dem Jahre 1677. Zahlreiche Juden waren hier als Handwerker tätig.

Die Wohnstätten der jüdischen Familien lagen zunächst in einem abgegrenzten Viertel am Nordwestrand der Stadt; ein Betreten derselben konnte erst mit Erlaubnis der städtischen Behörden erfolgen. Eine über die Straße gespannte Kette grenzte symbolisch das jüdische Wohngebiet vom übrigen Stadtgebiet ab. Neben einigen wenigen wohlhabenden Kaufleuten lebten die jüdischen Familien damals mehrheitlich am Rande des Existenzminimums.

Seit 1759 verfügte die hiesige Judenschaft über einen ersten massiven Synagogenbau; knapp 120 Jahre später (1878/1879) wurde ein repräsentativer Neubau aus rotem Backstein erstellt, der das Stadtzentrum dominierte. Zur Zeit der Einweihung hatte Shlomo Popper das Rabbinat inne; er war insgesamt 35 Jahre in Czarnikau als Rabbiner tätig.


Synagoge in Czarnikau (hist. Postkarten, um 1905/1910, links aus: sztetl.org.pl)

Aus den 1840er Jahren stammte das neue Gebäude der jüdischen Schule (1878 nochmals erweitert); die Einrichtung einer Schule eigens für die jüdischen Kinder war bereits im 18.Jahrhundert erfolgt. Neben der (öffentlichen) Elementarschule gab es in Czarnikau eine jüdische Religionsschule.

Ein altes Begräbnisgelände aus dem 17.Jahrhundert wurde um 1820 zu Gunsten eines neu angelegten Friedhofs aufgegeben.

Zu den von der Gemeinde betriebenen Vereinen gehörten neben der Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa) ein Israelitischer Frauenverein, ein Literaturverein und ein Verein zur Unterstützung durchreisender armer Juden.

Juden in Czarnikau:

--- 1773 ..........................   352 Juden (ca. 21% d. Bevölk.),

--- 1799 ..........................   463   ”  ,

--- 1816 ..........................   470   “  ,

--- 1831 ...................... ca. 1.000   “  (ca. 34% d. Bevölk.),

--- 1840 .........................  1.081   "  ,

--- 1855 ...................... ca. 1.200   “  (ca. 31% d. Bevölk.),

--- 1871 ...................... ca. 1.000   “  (ca. 23% d. Bevölk.),

--- 1890 ...................... ca.   800   “  ,

--- 1900 ...................... ca.   600   “  ,

--- 1919 ..........................   440   “  ,

--- 1926 ..........................   224   “  ,

--- 1933 ...................... ca.   240   “  ,*   *andere Angabe 180 Pers.)

--- 1938 ..........................   115   “  .

Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, S. Vol. 1, S. 284

und                 Czarnków, in: sztetl.org.pl

 Czarnków na starych pocztówkach. Musicie to zobaczyć! | Piła Nasze Miastohist. Postkarte, um 1910 (Abb. aus: pila.naszemiasto.pl/czarnko)

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte der jüdische Bevölkerungsteil seinen Höchststand; die ca. 1.200 Juden stellten damit etwa ein Drittel aller Bewohner. Um die Jahrhundertwende zeichnete sich bereits eine deutliche Abnahme der jüdischen Bevölkerung ab; diese Entwicklung setzte sich besonders nach Ende des Ersten Weltkriegs fort.

Unmittelbar nach der deutschen Okkupation wurde im September 1939 die Synagoge zerstört und Monate später abgerissen. Die noch in Czarnikau lebenden Juden wurden im Dezember 1939 aus der Stadt abtransportiert (Ziel Ghetto Lodz).

Auch der jüdische Friedhof wurde alsbald zerstört, die meisten Grabsteine für Wegebau zweckentfremdet. Nur etwa 30 Grabsteine bzw. -relikte findet man heute noch auf dem völlig von der Vegetation überwucherten und in Vergessenheit geratenen ehemaligen jüdischen Begräbnisgelände. Nur die Trauerhalle auf dem Gelände ist noch erhalten, allerdings in einem sehr schlechten baulichen Zustand.

         Czarnków, cmentarz żydowski, ul. Poznańska. Dom przedpogrzebowy Ehem. Trauerhalle (Aufn. Agata Skrukwa 2013, in: sztetl.org.pl)

 

 

Nur wenige Kilometer südwestlich von Czarnków liegt die kleine Landgemeinde Lubasz (deutsch: Lubasch), der heute zahlreiche kleine Dörfer angeschlossen sind. Früheste jüdische Niederlassung soll hier bereits im 13.Jahrhundert erfolgt sein. Im 19.Jahrhundert soll die Zahl der jüdischen Dorfbewohner etwa 100 Personen gezählt haben; ein Teil von ihnen soll dann Lubasch verlassen und ins nahe Czarnikau verzogen sein.

Zu Beginn des 2.Weltkrieges wurden die verbliebenen jüdischen Bewohner nach Czarnków und von dort ins Ghetto Lodz abtransportiert; ihre Spuren verloren sich dann in Kulmhof.

Ein relativ großflächiger jüdischer Friedhof – die ältesten Steine datierten aus dem 17.Jahrhundert – hat die Jahrhunderte überdauert; doch Zerstörung und Vandalismus, aber auch Witterungseinflüsse haben das Begräbnisgelände sehr in Mitleidenschaft gezogen. Einige Grabsteine wurden während eines Schulprojektes, das die jüdische Geschichte des Ortes wieder sichtbar machen wollte, hier wieder aufgestellt.

 

 

Weitere Informationen:

M.L. Bamberger, Geschichte der Juden in Schönlanke, o.O. 1912

Akiba Baruh Posner, Le-korot kehilat Czarnikau, 1957

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. Vol. 1, S. 284

D. Palka, Die Juden in Czarnkow im Laufe der Jahrhunderte, 2009 (in poln. Sprache)

Czarnków, in: sztetl.org.pl (detaillierte Informationen zur jüdischen Ortshistorie)

Lubasz: Wielkopolskie, in: iajgscemetery.org/eastern-europe/poland

School of Dialogue at Ignacy Jan Paderewski High School, Informationen zur jüdischen Geschichte von Lubasch/Lubasz (2014), online abrufbar unter: dialog.org.pl/szkola-dialogu/en/szkola/lubasz-2/