Cloppenburg (Niedersachsen)
Cloppenburg (ehemals Kloppenburg) ist heute eine niedersächsische Kreisstadt mit derzeit ca. 32.500 Einwohnern - ca. 45 Kilometer südlich von Oldenburg bzw. 60 Kilometer südwestlich von Bremen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, 16.Jahrh., aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Niedersachsen-Karte, aus: niedersachsen.de und Kartenskizze 'Landkreis Cloppenburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ansicht von Cloppenburg – Stich M. Merian, 1647 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit Mitte des 17.Jahrhunderts galt in der Region eine durch die Fürstbischöfe von Münster erlassene, recht umfangreiche Judenordnung; sie betraf „Schutzjuden“ und „unvergleitete“ Juden. Die „Schutzjuden“ hatten Reglementierungen ihres Alltagslebens am Wohnort hinzunehmen, z.B. durften sie nicht in der Nähe einer Kirche wohnen oder mussten sich von Gründonnerstag bis Ostern von der Straße fernhalten. Unvergleitete Juden genossen danach auch einen gewissen Schutz; so verordnete der Bischof nicht deren Ausweisung aus seinem Bistum, sondern gestattete denjenigen „welche durch diesen unseren stift ihrer geschefte halber zu gehen oder bey unseren vergleiteten Juden zu tun haben werden oder sich sonsten darein auff einige zeit zur treibung ihrer handtierung aufhalten wollen, wan sich nur friedt- und unaergerlich bezaigen” Bewegungsfreiheit in seinem Territorium. Die erste Ansiedlung eines "Schutzjuden" in Cloppenburg ist aus dem Jahre 1713 belegt; sein Wohnrecht war zunächst auf zwölf Jahre begrenzt, wurde gegen erneute Geldzahlung jeweils verlängert. Weitere Familien zogen später nach; allerdings blieb ihre Zahl stets gering. Übergriffe auf Juden schienen in Cloppenburg üblich gewesen zu sein; es wurde zur Tradition, nach der von Gründonnerstag auf Karfreitag erfolgten Nachtprozession die Häuser der jüdischen Familien mit Steinen zu bewerfen. Auch ein offizielles Verbot konnte diesem Treiben keinen Einhalt gebieten.
Ab 1803 gehörte Cloppenburg dem Herzogtum Oldenburg an. Eine vom Oldenburger Herzog Peter neue strenge Judenverordnung aus dem Jahre 1827 - sollte eine Zunahme der Juden im Herzogtum verhindern; so war der Zuzug fremder Juden nicht gestattet und hiesige Juden konnte nur mit behördlicher Genehmigung heiraten.
Dass die Zahl der Juden in Cloppenburg immer so gering blieb, lag daran, dass die wirtschaftlichen Möglichkeiten hier recht bescheiden waren; ihren Lebensunterhalt verdienten sie zumeist im Viehhandel und als Metzger.
1865/1866 errichtete die kleine und arme jüdische Gemeinde auf einem vom Großherzog zur Verfügung gestellten Grundstück im Hofgarten (Hofkamp) ihre Synagoge. Zuvor besaß die jüdische Kleinstgemeinde in dem angemieteten (ehem.) Pförtnerhaus am Crapendorfer Tor einen Bet- und Schulraum mit Lehrerunterkunft. Die Bau- und Einrichtungskosten der Synagoge von ca. 1.400 "Reichsthalern" wurden durch Eigenleistung, Kollekten und private Spenden erbracht; hinzu kamen Zuschüsse der Stadt Cloppenburg sowie des Staatsministeriums in Oldenburg. Dass zum Bau der Synagoge auch die beiden am Orte bestehenden christlichen Gemeinden einen finanziellen Beitrag leisteten, kann als Beleg für das inzwischen entkrampfte Verhältnis zwischen Juden und Christen gewertet werden.
Synagoge Cloppenburg – Skizze (aus: cad-cook.architektur.tu-darmstadt.de)
Modell der Synagoge (angefertigt von Schülern der BBS-Technik Cloppenburg auf der Basis einer Rekonstruktionszeichnung von Dipl. Ing. Lothar Wischmeyer (1987)
In einem Edikt des Fürstbischof zu Münster von 1720 über das "Hauptgeleit" für die Juden war festgelegt worden, dass den "verglaideten Juden jedes Ortes ein ehrlicher Platz zur Begräbnis außerhalb der Stadt ohentgeltlich angewiesen und verstattet, und sie darinnen keiner Gestalt molestirt [=belästigt], oder beeinträchtigt werden" solle. In Cloppenburg hat vermutlich seit etwa 1730 eine jüdische Begräbnisstätte bestanden; urkundlich nachweisbar ist diese aber erst 1772. Dieser Friedhof lag außerhalb Cloppenburgs am Weg nach Stedingmühlen – am rechten Talhang der Soeste. In Verbindung mit dem Synagogenneubau wurde dieser Friedhof aufgegeben und um 1870 hinter der neuen Synagoge ein neuer Bestattungsplatz angelegt.
Die dem Landrabbinat Oldenburg unterstellte Gemeinde Cloppenburg umfasste auch die Ortschaften Friesoythe, Lindern und Löningen.
Juden in (Amt) Cloppenburg:
--- um 1715 ...................... eine jüdische Familie,
--- 1795 ......................... 6 jüdische Familien,* * Amt Cloppenburg
--- 1822 ......................... 30 Juden,*
--- 1850 ......................... 34 “ ,
--- 1871 ......................... 41 “ ,
--- 1895 ......................... 24 “ ,** ** andere Angabe: 30
--- 1910 ......................... 31 “ ,
--- 1925 ......................... 32 “ ,
--- 1933 ......................... 38 “ ,
--- 1939 ......................... 18 “ .
Angaben aus: Harald Schieckel, Die Juden im Oldenburger Münsterland, S. 160 f.
und Werner Teuber, Als gute Unterthanen und Bürger .... geduldet, verfolgt, vertrieben, ermordet ..., S. 20
Die wirtschaftliche Lage der kleinen Judenschaft Cloppenburgs war auch zu Beginn des 20.Jahrhunderts nicht besonders gut; neben einer wohlhabenden Familie gehörten die übrigen zur unteren Mittelschicht ohne größere Vermögenswerte. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft blieb die jüdische Bevölkerung Cloppenburgs zahlenmäßig relativ stabil; sie zählte um die 35 Personen.
Die wenigen Kinder mussten ab Herbst 1937 - wie alle schulpflichtigen Kinder des Landes Oldenburg - die neu geschaffene jüdische Bezirksvolksschule in Oldenburg besuchen.
Während der Reichspogromnacht von 1938 wurde die Synagoge von einem SA-Kommando in Brand gesetzt; die herbeigerufene Feuerwehr durfte aber nur die angrenzenden Gebäude schützen. Schüler wurden von Lehrern zum "Judenfriedhof" geführt; dort stürzten sie Grabsteine um und schändeten Gräber.
Die „Münsterländische Zeitung” berichtete über die Vorgänge in Cloppenburg wie folgt:
Vergeltung für den jüdischen Mord Synagoge brannte aus
Wie in fast allen Städten und Orten des Reiches kam auch in Cloppenburg in der Frühe des Donnerstag die berechtigte Empörung über den vom internationalen Judentum angezettelten und von Judenhand ausgeführten feigen Meuchelmord an dem Gesandschaftsrat vom Rath machtvoll zum Ausdruck. Die männlichen Juden wurden in Schutzhaft genommen, in der sie sich auch heute noch größtenteils befinden. An den Judenhäusern und Geschäften wurden Plakate angebracht, die von der Vergeltung für das scheußliche Verbrechen jüdischer Mörderhände sprachen: In einem Geschäft wurde eine Scheibe zertrümmert und die Waren sichergestellt. Außerdem ging in den Morgenstunden der Judentempel in Flammen auf. ... In Cloppenburg vollzog sich dieser Vergeltungsakt in voller Ruhe und Disziplin, nachdem vorher von den SA-Männern alles Wertvolle geborgen und sichergestellt wurde. Die Feuerlöschpolizei war wegen Sicherung mit der Motorspritze anwesend, die die anliegenden Häuser zum Teil auch abspritzte. Die Synagoge brannte völlig aus und erst in den Abendstunden erlosch die letzte Flamme im ehemaligen Cloppenburger Judentempel, um niemals wieder aufzustehen. Das war die Antwort der nationalsozialistischen Bevölkerung Cloppenburgs auf den hinterlistigen Meuchelmord ihres Rassegenossen Grünspan. ..."
Die Steine der Synagogenruine wurde weiter verbaut oder abgetragen. Die Kommune Cloppenburg erhielt nach Auswanderung des letzten Vorstehers der Synagogengemeinde den alten jüdischen Friedhof und das Synagogengrundstück als städtisches Eigentum übertragen.
Plünderung des Geschäftes Heiersberg* (Aufn. aus: Werner Teuber, Als gute Unterthanen ...)
*Hermann Heiersberg gelang nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen mit seiner Familie die Emigration nach Südafrika.
Die männlichen Juden Cloppenburgs wurden in "Schutzhaft" genommen und ins Konzentrationslager Sachsenhausen/Oranienburg eingeliefert, wo sie mehrere Wochen verblieben. Die „Arisierung“ ihrer Geschäfte war bereits Anfang 1939 abgeschlossen.
Ein Teil der Cloppenburger Juden (etwa 20 Pers.) konnte emigrieren (USA/Südafrika), der andere Teil wurde später (nach der staatlich angeordneten "Evakuierung" aus Oldenburg u. Ostfriesland) von seinen neuen Wohnsitzen aus deportiert und kam im besetzten Polen ums Leben; nachweislich fanden 20 Cloppenburger Juden in den Ghettos/Vernichtungslagern den Tod.
Nur ein einziger ehemaliger jüdischer Einwohner kehrte nach Kriegsende nach Cloppenburg zurück; er wurde später auf dem hiesigen Friedhof begraben. Der (neue) jüdische Friedhof (an der Ritterstraße) besitzt auf einer Fläche von ca. 1.400 m² noch etwa 30 Grabsteine; der älteste datiert von 1875.
Friedhof in Cloppenburg (Aufn. M. J. Schmid, aus: alemannia-judaica.de)
Nahe des jüdischen Friedhofs, am ehemalige Standort der Synagoge an der Ecke Krankenhaus-/Ritterstraße, erinnert seit 1983 eine Stele mit einer Bronzeplatte (siehe Abb. unten) an das einstige jüdische Gotteshaus; die Inschrift auf der Metallplatte lautet:
Hier stand die Synagoge
das Gotteshaus der Jüdischen Gemeinde Cloppenburg
frevelhaft zerstört am 9.November 1938
Der Friedhof unserer jüdischen Mitbürger soll erinnern und ewig mahnen.
Laßt uns Frieden halten !
ES SOLL FRIEDEN SEIN IN DER GANZEN WELT (hebr.)
Betonblock mit Gedenktafel (Aufn. Martin J. Schmid)
Nach dem Abriss der Krankenhaus-Leichenhalle an der Ritterstraße könnte der freiwerdende Platz als Erinnerungs- und Lernort in die Gedenkstätte „Zerstörte Synagoge Cloppenburg“ eingebunden werden.
Auf Initiative der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Oldenburger Münsterland und der Stadt Cloppenburg hat im November 2010 Gunter Demnig auch in Cloppenburg sog. „Stolpersteine“ verlegt; insgesamt ca. 40 messingfarbene Steinquader markieren die ehemaligen Wohnstätten der jüdischen Bürger Cloppenburgs (Stand 2023).
Erinnern an Fam. Heiersberg, verlegt Lange Straße (Aufn. Gmbo, 2016, aus: wikipedia.org, CCO)
verlegt in der Osterstraße
In Löningen – südwestlich von Cloppenburg - lassen sich jüdische Bewohner erstmals 1735 nachweisen; 1795 lebten zwei Familien im Ort. Auch im Laufe des 19.Jahrhunderts blieb deren Zahl sehr gering; im Jahre 1837 waren es zwölf, 1861 nur noch sechs Personen mosaischen Glaubens. Die Familien lebten vom Fell- und Häutehandel.
Außer einem kleinen Begräbnisgelände gab es im Ort keine gemeindlichen Einrichtungen.
1876 verzog die letzte Jüdin aus Löningen.
Seit Anfang der 1920er Jahre lebte der jüdische Kaufmann Julius Steinburg zusammen mit seiner Schwester in Löningen. Drangsalierungen in der NS-Zeit führten dazu, dass er 1939 sein Haus in Löningen verlassen musste; er verzog ins elterliche Haus nach Haselünne.
In Barßel – im nördlichen Kreisgebiet Cloppenburgs gelegen – erinnert ein sog. „Stolperstein“ an Alexander Hess, der seit 1920 in Barßel gelebt hat und von Beruf Schiffsheizer war.
Weitere Informationen:
Harald Schieckel, Die Juden im Oldenburger Münsterland, in: "Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1969", S. 160 ff.
Leo Trepp, Die Oldenburger Judenschaft, Oldenburg 1973
Harald Schieckel, Die Juden im Oldenburger Münsterland, Teil II, in: "Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1975", S. 77 – 79 (Löningen)
Johannes-Fritz Töllner/Wouter J. van Bekkum/Enno Meyer/Harald Schieckel, Die jüdischen Friedhöfe im Oldenburger Land. Bestandsaufnahme der erhaltenen Grabsteine, in: "Oldenburger Studien", Band 25, Oldenburg 1983, S. 649 - 670
Franz-Josef Schröder, Die jüdische Gemeinde in der Stadt Cloppenburg, in: 550 Jahre Stadt Cloppenburg, in: "Münsterländische Tageszeitung", Juni 1985
Hans Hochgartz, Zur Geschichte der Cloppenburger Synagoge, in: Enno Meyer (Hrg.), Die Synagogen des Oldenburger Landes, Heinz Holzberg Verlag, Oldenburg 1988, S. 18 - 27
Ulrike Hinrichs, Die Jüdische Gemeinde in Cloppenburg, in: "Beiträge zur Geschichte der Stadt Cloppenburg", Band 2/1988, S. 357 - 365
Werner Teuber, Als gute Unterthanen und Bürger .... geduldet, verfolgt, vertrieben, ermordet - Jüdisches Schicksal 1350 - 1945, in: "Dokumente und Materialien zur Geschichte und Kultur des Oldenburger Münsterlandes", Band 3/1988
Werner Teuber, Jüdische Viehhändler in Ostfriesland und im nördlichen Emsland 1871 – 1942. Eine vergleichende Studie zu einer jüdischen Berufsgruppe in zwei wirtschaftlich und konfessionell unterschiedlichen Regionen, Cloppenburg 1995
Walter Denis, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde Cloppenburg. Ein Beitrag zur Stadtgeschichte, hrg. vom Heimatbund für das Oldenburger Münsterland e.V., Cloppenburg 2003
Tamar Avraham (Bearb.), Cloppenburg, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 422 – 429
E. Varelmann (Red.), Willner. Eine jüdische Familie in Cloppenburg: Gerson Samuel Willner, ... , Haupt- u. Realschule Cloppenburg, 2009
Martin J. Schmid (Bearb.), Löningen, in: alemannia-judaica.de
Die Löninger Juden Julius und Malchen Steinburg. Einblicke in ihr Leben, in ihre Behandlung durch einige Löninger und in ihr Ende, online abrufbar unter: realschule-loeningen.de
Martin J. Schmid (Bearb.), Der alte jüdische Friedhof in Cloppenburg, in: alemannia-judaica.de
Martin J. Schmid (Bearb.), Der neue jüdische Friedhof in Cloppenburg, in: alemannia-judaica.de
Werner Teuber, Jüdische Familien in Cloppenburg um 1935, in: M.A.Zumholz/ M.Hirschfeld/K.Deux (Hrg.), Biographien und Bilder aus 575 Jahren Cloppenburger Stadtgeschichte. Münster 2011, S. 272 - 286
Antonius Bösterling, 39 Stolpersteine in Cloppenburg. Erinnerung an 39 jüdische Mitbürger – dort, woher sie kamen, in: "Volkstum und Landschaft. Heimatblätter der Münsterländischen Tageszeitung", Cloppenburg No. 173/Nov. 2011, S. 8 - 11
Verena Bahlmann, Die Cloppenburger Stolpersteine, in: „Cloppenburger Stadtmagazin“ vom 27.2.2014
Auflistung der in Cloppenburg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Cloppenburg
N.N. (Red.), Sieverding will Lern- und Gedenkort, in: "Nord-West-Zeitung" vom 16.5.2018
Michael Rottmann (Red.), Cloppenburg: Leichenhalle auf Synagogen-Gelände verschwindet, in: „Kirche + Leben. Das katholische Online-Magazin“ vom 1.7.2018 (auch online abrufbar unter: kirche-und-leben.de)