Creglingen (Baden-Württemberg)
Creglingen ist heute eine Kleinstadt mit derzeit ca. 4.600 Einwohnern im Main-Tauber-Kreis im Nordosten Baden-Württembergs (Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts stellten die jüdischen Bewohner einen Anteil von knapp 10% der Ortsbevölkerung.
Bereits im Mittelalter gab es in Creglingen - einem kleinen Ort zwischen Rothenburg o.T. und Tauberbischofsheim - vermutlich eine jüdische Gemeinde. Sie ging aber 1298 im Folge von Pogromen unter.
Anm.: In der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach, zu der Creglingen gehörte, wurden im 16./17. Jahrhundert - zu einer Zeit, in der Juden in den meisten Regionen vertrieben wurden -, jüdische Familien aufgenommen.
Eine neuzeitliche jüdischen Gemeinde entstand im überwiegend protestantisch geprägten Creglingen um 1600; infolge der Vertreibung aus den Reichsstädten und geistlichen Territorien bildeten die Juden hier bald eine nennenswerte Minderheit. Erste Schutzbriefe liegen seit dem Jahre 1616 vor. Die Ansiedlung von Juden wurde von der Bürgerschaft in Creglingen nicht immer gern gesehen; Versuche, diese wieder aus der Kleinstadt herauszudrängen, scheiterten aber am Einspruch der Landesherrschaft.
Ansicht von Kräglingen (=Creglingen) – M. Merian in Topographia Franconiae (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Als Creglingen 1810 von Bayern nach Württemberg überging, lebten zwölf jüdische Familien in der Kleinstadt; sie gehörten zunächst als Filialgemeinde dem benachbarten Archshofen an. Ab 1680 existierte vermutlich ein erster Betsaal in der Badgasse, dem auch eine Mikwe angeschlossen war. 1799/1800 errichtete die Creglinger Judenschaft - nach mehreren vergeblichen Anläufen - eine Synagoge am Faulturm, die bis 1938 ununterbrochen in Nutzung war.
Synagoge am Faulturm und Gemeindesiegel
Anfang der 1830er Jahre nahm die jüdische Schule in Creglingen ihren Betrieb auf; häufige Lehrerwechsel und innergemeindliche Konflikte kennzeichneten das Schulleben in den ersten Jahrzehnten; erst mit der Person von Josef Preßburger und dessen fast 50jähriger Tätigkeit als Elementar- und Religionslehrer gewann die israelitische Konfessionsschule und damit auch die Gemeinde allgemeines Ansehen. In einer Laudatio anlässlich seines 75.Geburtstages hieß es: „ ... Er wirkte über 50 Jahre (von 1877 bis 1928) ununterbrochen in vorbildlicher Treue und Anhänglichkeit an der hiesigen israelitischen Gemeinde. Ganze Generationen blicken zu ihm in Dankbarkeit und Verehrung als ihrem Lehrer und Erzieher auf. Fast sämtlichen württembergischen jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen stellte er während seiner hiesigen Wirksamkeit an führender Stelle seine unermüdliche Arbeitskraft zur Verfügung. Mit besonderer Liebe wandte sich seine Schaffenskraft der hiesigen Gemeinde zu, war er doch jahrzehntelang Vorsitzender des israelitischen Vorsteheramtes und in der Chewroh Kadischoh stets an erster Stelle und beispielgebend tätig. ...“
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Dez. 1928
Aus dem 17.Jahrhundert ist die Anlage eines weitläufigen jüdischen Friedhofs bekannt, der südöstlich der Ortschaft gelegen war; dieser diente auch als Begräbnisstätte für die verstorbenen Juden der umliegenden Gemeinden Archshofen, Craintal, Waldmannshofen und Welbhausen; der älteste noch lesbare Grabstein stammt aus dem Jahre 1696.
Die israelitische Gemeinde Creglingen gehörte bis 1914 zum Rabbinat Weikersheim, danach zu dem von Mergentheim.
Juden in Creglingen:
--- 1655 ........................... 7 jüdische Familien (mit „30 Seelen“),
--- um 1700 .................... ca. 15 “ “ ,
--- um 1765 ........................ 14 “ “ ,
--- 1811 ........................... 70 Juden (in 12 Familien),
--- 1824 ........................... 105 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- um 1830 .................... ca. 125 “ ,
--- 1846 ........................... 130 “ ,
--- 1869 ........................... 116 “ ,
--- 1886 ........................... 112 “ ,
--- 1900 ........................... 95 “ ,
--- 1910 ........................... 84 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1925 ........................... 77 “ ,
--- 1933 ........................... 73 “ ,
--- 1938 (Dez.) .................... 23 “ ,
--- 1939 (Mai) ..................... keine.
Angaben aus: Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation (Universität Tübingen), Nagold 1969, S. 327
und Hartwig Behr/Horst F. Rupp, Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen
Creglingen mit Tauberbrücke, hist. Postkarte (aus: akpool.de)
Die Mehrzahl der jüdischen Bewohner Creglingens, die es im Laufe des 19.Jahrhunderts besonders im Vieh- und Textilhandel zu Ansehen und Wohlstand gebracht hatten, war gesellschaftlich integriert und bekleidete auch in der politischen Gemeinde leitende Positionen.
Geschäftsanzeigen (1933)
Creglingen entwickelte sich Anfang der 1930er Jahre zu einer Hochburg der NSDAP. Zwei Drittel der Wähler hatten bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 für Hitler votiert. Am 25. März 1933 drang ein Rollkommando der Heilbronner SA in die dortige Synagoge, schleppte die anwesenden Gottesdienstbesucher heraus und unterzog diese im Rathaus brutalen Verhören. Infolge der dort erlittenen Misshandlungen starben zwei Männer. Trotz dieser beiden Morde blieben zunächst die allermeisten Juden in Creglingen wohnen; erst 1937/1938 setzte ihre Abwanderung ein.
Um die deutschen „Volksgenossen“ auf die jeweils am Ort bestehenden jüdischen Geschäfte hinzuweisen, gab die SA in Württemberg 1934 diesbezüglich eine Broschüre heraus.
Nach dem 10.November 1938 verließen innerhalb eines halben Jahres die letzten jüdischen Bewohner die Kleinstadt. Am 22.11.1938 schrieb der Creglinger Bürgermeister: „ ... Die Entjudung unserer hiesigen Stadt macht vollends rasch Fortschritte. Im Jahre 1933 waren hier noch 73 Juden wohnhaft, während es heute noch 23 sind. Von den 10 jüdischen Ladengeschäften ist heute nur noch eines in jüdischem Besitz, während alle anderen eingegangen bzw. verkauft sind.”
Im April 1939 informierte der Creglinger Bürgermeister die NSDAP-Kreisleitung: „ ... Der Kreisleitung melde ich hiermit, daß die Stadt Creglingen mit dem heutigen Tag vollständig judenfrei geworden ist. Die Stadt ist nunmehr nach über 200 Jahren, wobei durchschnittlich 50 bis 60 Juden hier wohnhaft waren, von Juden frei. Heil Hitler! “
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 39 gebürtige bzw. länger in Creglingen ansässig gewesene Bürger mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/creglingen_synagoge.htm).
Am Creglinger Rathaus erinnert seit 1947 eine Inschriftentafel an die ersten beiden jüdischen Opfer:
Sie sollen eine Mahnung sein
ROSENFELD ARNOLD
53 Jahre
STERN HERMANN
67 Jahre
Die ersten jüdischen Opfer des Jahres 1933
ermordet am 25.3.33
Ehem. Synagogengebäude vor und nach der Restaurierung (Aufn. J. Hahn, um 1980 und um 1990)
Am Gebäude der einstigen Synagoge in der Neuestraße - es wurde zunächst als Jugendherberge, dann als Gaststätte genutzt - erinnert seit 1987 eine Gedenktafel an die Geschichte dieses Hauses.
Das „Jüdische Museum Creglingen” hat seinen Standort seit 2000 in dem Haus in der Badgasse 3, das von 1618 bis 1879 die „Judenschul“ beherbergte und von 1903 bis 1933 im Besitz des jüdischen Viehhändlers Hermann Stern war. 1998 erfuhr der amerikanische Geschäftsmann Dr. Arthur Sinsheimer Obermayer, ein Nachfahre der einstigen jüdischen Besitzer, dass das Haus zum Verkauf stand. Er entwickelte die Idee, hier ein Museum einzurichten, das Leben und Wirken der früheren jüdischen Creglinger Bürger dokumentieren soll. Seine Initiative und großzügige finanzielle Zuwendung ermöglichte 1999 die Gründung der Stiftung „Jüdisches Museum Creglingen“, die das Gebäude erwarb und restaurieren ließ.
Jüdisches Museum (Aufn. GFreihalter, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Chr. Michelides, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Eine seit 2004 bestehende Dauerausstellung - unter der Überschrift „Wurzeln und Wege“ - dokumentiert jüdische Geschichte Creglingens und Archshofens seit dem 17.Jahrhundert bis 1939.
Der etwa einen Kilometer von Creglingen entfernt liegende jüdische Friedhof weist derzeit mehr als 300 Grabsteine auf; der wohl älteste Grabstein mit noch lesbarer Inschrift stammt aus dem Jahr 1696 und bezeichnet das Grab eines gewissen Eisik Jizchak ben Mosche.
Eingangstor zum Friedhof (Aufn. M. Heuwinkel, 2003) und alte Grabsteine (Aufn. H. U. Schmidt, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
1998 wurde an der Friedhofsmauer eine den Opfern des Nationalsozialismus aus Creglingen und Archshofen gewidmete Gedenktafel angebracht.
Gedenktafel (Aufn. Jüdisch Historischer Verein Augsburg)
An fünf Standorten der historischen Altstadt Creglingens wurden 2015 sog. „Stolpersteine“ in das Gehwegpflaster verlegt. 2024 folgten weitere fünf messingfarbene Gedenkquader, die in der Creglinger Hauptstraße an Angehörige der jüdischen Familie Wolf erinnern.
verlegt in der Lindleinstraße (alle Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Im Stadtteil Archshofen gab es ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die noch etwas größer als die Creglingens war; in den 1840er Jahren zählte sie beinahe 150 Angehörige. Seit ca. 1740 gab es hier eine Synagoge, die etwa 60 Jahre später durch einen Neubau ersetzt wurde. Im Gebäude befand sich auch eine Mikwe, die durch den Mühlkanal gespeist wurde. Das Synagogengebäude wurde während des Novemberpogroms von 1938 beschädigt.
[vgl. Archshofen (Baden-Württemberg)]
Der „Jüdische Kulturweg Hohenlohe-Tauber“ - eine Initiative, der sich zwölf Kommunen (Bad Mergentheim, Braunsbach, Crailsheim, Creglingen, Dörzbach, Gerabronn, Krautheim, Niederstetten, Schöntal, Schwäbisch-Hall, Wallhausen und Weikersheim) angeschlossen haben – soll künftig dazu motivieren, sich mit Zeugnissen der jüdischen Kultur auseinanderzusetzen. Der Kulturweg erschließt jüdische Friedhöfe, Synagogen, Mikwen, Rabbinatsgebäude, Museen und Gedenkstätten in den genannten ehemaligen jüdischen Landgemeinden. Mit Informationstafeln, einer Broschüre und einer gemeinsamen Internetpräsentation soll der „Jüdische Kulturweg Hohenlohe-Tauber“ ins Blickfeld gerückt und an die ehemals enge Verflechtung der christlichen und jüdischen Bevölkerung erinnert werden.
Weitere Informationen:
Josef Preßburger, Der jüdische Friedhof in Creglingen, in: "Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden in Württemberg VII", No. 14 vom 16.10.1930
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 63 - 66
Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation Universität Tübingen, Nagold 1969
Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945: Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1984
E. Bauer, Die Geschichte der jüdischen Minderheit in Archshofen, o.O. 1985
Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, S. 40
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 338 - 341
Situtunga Michal Antmann (Bearb.), Der jüdische Friedhof Creglingen, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalsamtes Baden-Württemberg, 1998
Hartwig Behr/Horst F. Rupp, Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen, Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 1999
Creglingen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Gerhard Naser (Hrg.), Lebenswege Creglinger Juden. Das Pogrom von 1938. Der schwierige Umgang mit der Vergangenheit, Verlag Eppe GmbH, Bergatreute 1999
Claudia Heuwinkel, Jüdisches Creglingen. Ein Gang durch die Stadt, in: Orte jüdischer Kultur, Verlag Medien und Dialog, 2001/2002
Eva Maria Kraiss/Marion Reuter, Bet Hachajim - Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Württembergisch Franken, Swiridoff Verlag, Künzelsau 2003, S. 114 - 123 (Anm. mit ausdrucksstarken Fotos vom Creglinger Friedhof)
Martina Schäfer, Von Wurzeln und Wegen: Die jüdische Gemeinde Creglingens und die Judenverfolgung, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 2007, S. 91 - 94
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 84 – 89
K. Libo/Michael Feldberg (Bearb.),The Obermayers. A history of a Jewish family in Germany and America 1618 – 2009, o.O. 2009
Jüdisch Historischer Verein Augsburg (Hrg.), Vom Leben der Juden im wundervollen Creglingen, online abrufbar unter: jhva.wordpress.com
Inge Braune (Red.), Viel mehr als eine Touristikroute – In Creglingen wurde der jüdische Kulturweg eröffnet, in: “Haller Tageblatt” vom 12.7.2017
Auflistung der in Creglingen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Creglingen
Arbeitskreis Jüdischer Kulturweg. Hohenlohe – Tauber (Bearb.), Creglingen (und weitere Orte) – Broschüre oder online abrufbar unter: juedischer-kulturweg..de (letzte Aktualisierung Mai 2018)
Arno Boas (Red.), Stolpersteine erinnern an die Ermordung unschuldiger Menschen, in: “Fränkische Nachrichten” vom 17.9.2024