Griedel (Hessen)
Griedel ist heute ein Stadtteil von Butzbach im Nordwesten des hessischen Wetteraukreises gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte ohne Eintrag von Griedel, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Wetteraukreis', aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).
Bereits im 16.Jahrhundert sollen vereinzelt Juden in Griedel sich aufgehalten bzw. wohnhaft gewesen sein. Die Entstehung einer kleinen israelitischen Gemeinde datiert im 18.Jahrhundert; gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen mit ca. 70 Personen ihren Höchststand. Als gemeindliche Einrichtungen waren eine Synagoge, eine Religionsschule, ein rituelles Bad und ein Friedhof vorhanden. Die Synagoge war 1866 in Anwesenheit von Rabbiner Levi aus Gießen feierlich eingeweiht worden; die Baukosten wurden teilweise durch Spenden getragen.
Synagoge - Bildausschnitt, hist. Aufn. (aus: Sammlung J. Hahn)
Zur Verrichtung religiös-ritueller Aufgaben war im 19. Jahrhundert seitens der Gemeinde vermutlich zeitweise ein jüdischer Lehrer angestellt; doch nachdem sich die Gemeinde deutlich verkleinert hatte, übernnahm der Lehrer aus Butzbach die religiöse Unterweisung der Kinder.
Im Hof eines Anwesens in der Brudergasse befand sich ein Mikwen-Häuschen; es wurde Mitte der 1980er Jahre "wiederentdeckt".
Vor Anlage eines jüdischen Friedhofs in Griedel wurden Verstorbene auf dem israelitischen Friedhof in Grüningen beerdigt.
Die Gemeinde gehörte bis Anfang des 20.Jahrhunderts zum orthodoxen, ab Mitte der 1920er Jahre zum liberalen Provinzialrabbinat Oberhessen mit Sitz in Gießen.
Juden in Griedel:
--- 1830 .......................... 37 Juden,
--- 1861 .......................... 70 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1880 .......................... 61 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1900/1905 ..................... 37 “ ,
--- 1910 .......................... 39 “ ,
--- 1924 .......................... 29 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1933 .......................... 28 “ (in 6 Familien),
--- 1939 .......................... 8 “ ,
--- 1940 (Mai) .................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 278
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten am Ort sechs jüdische Familien.
Beim Novemberpogrom wurde das Synagogengebäude in Brand gesetzt. Bis Mitte 1940 hatten dann alle jüdischen Bewohner Griedel verlassen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 14 Personen mosaischen Glaubens, die aus Griedel stammten bzw. längere Zeit hier gelebt hatten, während der NS-Zeit gewaltsam ums Leben gekommen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/griedel_synagoge.htm)
Synagogenruine in Griedel, Aufn. 1953 (Stadtarchiv Butzbach)
1992 wurde am ehemaligen Standort der Synagoge in der Bruderstraße – das stark zerstörte Gebäude wurde einige Jahre nach Kriegsende abgetragen - eine kleine Gedenktafel angebracht; ihr Text lautet:
Hier stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Griedel, erbaut 1865 und zerstört am 10. November 1938 - unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Diese Tafel soll uns an unsere verfolgten jüdischen Mitbürger erinnern und uns zur Menschlichkeit ermahnen.
Gedenktafel - angebracht am Feuerwehrgerätehaus (Stadtarchiv Butzbach)
Seit 1992 erinnert eine weitere Gedenktafel an die Angehörigen der ehemaligen jüdischen Gemeinde.
An zwei Standorten in der Brudergasse erinnern seit 2020 neun sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der jüdischen Familien Stern und Kugelmann.
Aufn. M&K, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Auf dem von einer Bruchsteinmauer umgrenzten jüdischen Friedhof an der Straße Richtung Gambach findet man heute noch ca. 40 Grabsteine; der älteste datiert aus dem Jahre 1854.
Ummauertes Friedhofsgelände (Aufn. Ch., 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, 278/279(
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 552
Werner Wagner, Zur Geschichte der Griedeler Judengemeinde, in: W.Wagner, Griedel im 19.Jahrhundert. Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Musikvereins Griedel, Griedel 1982, S. 101 - 109
Thea Altaras, Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945 ?, Verlag K.R.Langewiesche Nachfolger Hans Köster, Königstein/T. 1988, S. 187/188
Werner Wagner, Zur Geschichte der Juden und der jüdischen Gemeinde in Griedel, in: "Wetterauer Geschichtsblätter", No. 38/1989, S. 73 - 83
Werner Wagner, Schutzbrief für den Griedeler Juden Meyer, in: "Butzbacher-Geschichtsblätter", No.71/Juli 1991
Werner Wagner, Die Familie Groedel aus Griedel, in: "Butzbacher Geschichtsblätter", No.107/1995, 38/1989, S. 35/36
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 319
Bernd Krausgill, Die Nieder-Weiseler Juden, in: Festschrift 75 Jahre Musikverein Nieder-Weisel e.V. 1922 - 1997, Nieder-Weisel 1997, S. 91 - 101
Werner Reusch, Wäi die Bimbel noach ean Polgies gehalt hoat. Pohl-Göns im 20.Jahrhundert (Heimatbuch), Selbstverlag Butzbach-Ebergöns 1998, S. 248 - 288 und S. 333 - 382
Dieter Wolf (Hrg.), Vor 50 Jahren brannten die Synagogen - Aus sieben Jahrhunderten jüdischen Lebens in Butzbach und Umgebung, Begleitheft zur Sonderausstellung des Stadtarchivs u. Museums der Stadt Butzbach, 3.Aufl., Butzbach 1998
Griedel (Stadt Butzbach), in: alemannia-judaica.de
Hanno Müller, Familienbuch Butzbach Band V: Judenfamilien in Butzbach und seinen Stadtteilen (mit Dokumentation des Friedhofs), online abrufbar
pd (Red.), Neun Stolpersteine in Griedel, in: „Butzbacher Zeitung“ vom 31.1. 2020
Auflistung der in Butzbach/Griedel verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Butzbach#Griedel