Georgenburg/Memel (Litauen)
Die heutige Stadt Jurbarkas (derzeit ca. 13.000 Einw.) entstand als litauische Grenzsiedlung in der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts; seit 1611 besaß der Ort die Stadtrechte. Im Zuge der 3. Teilung Polens (1795) wurde Georgenburg (oder Georgsburg) von Russland annektiert (Ausschnitt aus hist. Karte mit Georgenburg am rechten oberen Kartenrand, aus: rathenow-kirchen.de).
Georgenburg a.d.Memel (lit. Jurbarkas, jidd. Yurburk) – südöstlich von Memel, in Grenzlage zu Ostpreußen – war jahrhundertelang ein Ort, in dem zahlreiche Nationalitäten sich ansiedelten und vermischten. Juden waren hier besonders zahlreich vertreten. Die ersten Familien sollen hier bereits um 1600 gelebt haben; um 1650 sind zehn jüdische Familien urkundlich nachweisbar. Auf Grund der günstigen Verkehrslage an der Memel prosperierte die Stadt. Anfang der 1860er Jahre wurden hier mehr als 2.500 jüdische Einwohner gezählt. Ihren Lebensunterhalt bestritten einige jüdische Familien mit dem Betrieb von Dampf- und Frachtschiffen, die zwischen Ruß und Kaunas pendelten. Andere betrieben Handel mit Gütern des täglichen Bedarfs, die zweimal wöchentlich auf dem Markt in Georgenburg vertrieben wurden.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten ein Friedhof und eine aus Holz im Stiele des Mittelalters erstellte Synagoge (erbaut um 1790). Zudem gab es in der Stadt noch mehrere kleinere Gebetshäuser.
aus Holz gebaute Synagoge von Georgenburg (Lithographie um 1870, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und hist. Postkarte von 1916)
Drei Schulen in der Stadt standen den jüdischen Kindern zur Verfügung.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden zeitweise mehr als 7.000 Juden im Ort gezählt. Damals gehörten rund 70 Prozent der Geschäfte hiesigen Juden.
Während des Ersten Weltkrieges verließen viele Juden die Stadt und gingen zumeist in die Emigration. In den Folgejahren vergrößerte sich aber wieder die Zahl der jüdischen Bewohner (darunter waren auch Familien, die hierhier wieder zurückkehrten) und erreichte 1923 ca. 4.300 Personen.
Hauptstraße in Yurburg (Aufn. 1927)
In den 1930er Jahren lebten in der Stadt mehr als 2.000 Juden und machten damit etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Fast alle Geschäfte/Handelsunternehmen befanden sich damals in jüdischem Besitz.
1940 wurde auch die Stadt Yurburg im Gefolge des sowjetischen Einfalls in Litauen von der Roten Armee besetzt; jüdische Geschäfte wurden enteignet und jüdische Organisationen von den neuen Machthabern unterdrückt. Nach der alsbaldigen deutschen Okkupation (Juni 1941) wurde die jüdische Bevölkerung vom „SS-Einsatzkommando Tilsit“ (unter dem Befehl von SS-StF Hans Joachim Böhme) und von litauischen Nationalisten zu Zwangsarbeit herangezogen bzw. systematische umgebracht. Vor ihrer Ermordung waren die Juden noch gezwungen worden, ihre Synagoge niederzureißen. Bis Oktober 1941 wurden etwa 6.000 Menschen im deutsch-litauischen Grenzgebiet ermordet.
Nur wenige Juden Yurburgs überlebten die Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Vor wenigen Jahren wurde der etwas außerhalb der Stadt (nahe der Memel) liegende jüdische Friedhof restauriert; seit 2006 erinnert ein neuerstelltes Tor aus gelben Ziegeln an den einstigen Eingang der fast schon in Vergessenheit geratenen Begräbnisstätte.
Gesamtansicht des jüdischen Friedhofs - Holocaust-Mahnmal in Jurbarkas (Aufn. aus: wikimapia.org)
Stolpersteine in Jurbarkas (Aufn. Chr.Michelides, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Isaak Rülf, Zur Geschichte der Juden in Memel, Memel 1900
Letas Palmaitis, Juden in Litauen - Ein Abriß über die Geschichte der Lite und die Blütezeit der jüdischen Kultur 1918 - 1941, in: "Zeitschrift Osteuropa", 52.Jg., Heft 9/10, S. 1326 f.
Joachim Tauber, ‘Juden, Eure Geschichte auf litauischen Boden ist zu Ende!’ Litauen und der Holocaust im Jahre 1941, in: "Zeitschrift Osteuropa", 52.Jg., Heft 9/10
The Encylopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, University Press New York 2001, Vol. 1, S. 529/530
Joel Alpert, Yurburg (Lithuania), Material-Sammlung
Holocaust in Jurbarkas. Die Massenvernichtung der Juden von Jurbarkas in den Provinzen Litauen während der deutschen Nazi-Besatzung (online)
Joel Alpert/Fania Hileson Jivitovsky, Old Jewish Cemetery, in: Lithuania Restored with the help of local townspeople, in: jewishgen.org/Yurburg/YurburgCemetery 2007
Yad Vaschem (Hrg.), Yurbarkas, in: The Untold Stories, The murder Sites of the jews in the occupied territories of the former USSR
N.N. (Red.), Yurburg baut Denkmal für seine jüdische Gemeinde, in: "Tachles – das jüdische Wochenmagazin" vom 1.2.2018
Susanne Šemelė (Red.), Jüdisches Memelland - Die Geschichte hinter den mystischen Buchstaben, in: nordisch-info/litauen/ vom 14.5.2023