Eydtkuhnen (Ostpreußen)

undefined Die ostpreußische Grenzstadt Eydtkuhnen - 1938 in Eydtkau umbenannt - liegt heute in der russischen Exklave, heißt Tschernyschewskoje (Chernyshevkoye) und besitzt derzeit ca. 1.100 Einwohner. Bedeutung besaß der Ort ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts als Grenzbahnhof Preußens zu Russland (hist. Karte 'Kreis Gumbinnen' mit Eydtkuhnen am rechten Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Ausschnitt aus einer Landkarte aus den 1930er Jahren, aus: wiki-de.genealogy.net).

 

Der Bau der Königlichen Ostbahn von Berlin nach Königsberg und von hier über Stallupönen nach Eydtkuhnen zog ab den 1850er Jahren in hohem Maße Zuwanderer an, die hier neue ökonomische Perspektiven sahen.

Zahlreiche an der Bahnlinie liegende Städtchen, so auch Eydtkuhnen, zeigten nun eine dynamische Entwicklung. Davon profitierte auch die hiesige jüdische Gemeinde: Hatte das Dorf an der preußisch-russischen Grenze um 1800 ca. 40 Einwohner, zählte man 1867 bereits knapp 2.000 Einwohner, darunter etwa 200 Juden. Unter den 70 Gründungsmitgliedern der Eydtkuhner Synagogengemeinde waren auch Kaufleute und Spediteure, die vorher ihren Lebenserwerb mit dem Holzhandel auf der Memel bestritten hatten. Außerdem gab es am Ort mehrere Druckereien, die jüdische Literatur für den Export nach Russland fertigten.

Die jüdische Bevölkerung Eydtkuhnens zählte Anfang der 1880er Jahre mehr als 350 Personen; innerhalb von 30 Jahren reduzierte sich ihre Zahl auf ca. 120 Gemeindeangehörige.

Seit 1870 besaß die hiesige Judenschaft ein neues Synagogengebäude am Kirchplatz.

    

      Synagoge in Eydtkuhnen (hist. Postkarte, um 1910 und hist. Aufn., um 1930)

Auch über einen eigenen Friedhof verfügte die Gemeinde

Eydtkuhnen war einer der Orte in Deutschland, der von vielen osteuropäischen Juden als Transitstation auf ihrem Wege nach Übersee genutzt wurde. 

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Bahnhof in Eydtkuhnen (hist. Postkarte) 

Anm.: Zwischen 1881 und 1914 wanderten etwa zwei Millionen Juden aus dem Russischen Reich nach Übersee aus. Auf dem Weg dorthin mussten sie durch das Deutsche Reich. Zu Hunderttausenden reisten sie auf vorgeschriebenen Wegen durch Deutschland, um in Hamburg, Bremen oder Bremerhaven die Schiffe nach Amerika zu besteigen.

Diese Westwanderung setzte in den 1880er Jahren verstärkt ein und hielt bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges an. Ein in Eydtkuhnen ansässiges Komitee - es war von den jüdischen Gemeinden Ostpreußens ins Leben gerufen worden - unterstützte die oft mittellosen Emigranten.

https://c2.staticflickr.com/6/5497/12169660366_f852070d27_m.jpg Am Markt in Eydtkuhnen (hist. Postkarte)

Die jüdische Gemeinde Eydtkuhnens verlor seit Beginn des 20.Jahrhunderts viele Mitglieder. Waren es 1914 noch ca. 200 Personen, zählte man 1925 nur noch ca. 125. Nach der NS-Machtübernahme setzte sich die Abwanderung fort.

Das Synagogengebäude fiel einem Brandanschlag während der „Kristallnacht“ zum Opfer; der Friedhof wurde geschändet.

Auch die Flucht über die Grenze nach Litauen und in die anderen baltischen Länder konnte das Leben der jüdischen Bewohner nicht dauerhaft retten. Über das weitere Schicksal der noch verbliebenen jüdischen Bewohner Eydtkuhnens lagen dem Verfasser keine Informationen vor.

 

 

In Stallupönen - in den Jahren 1938 bis Kriegsende hieß die Stadt 'Ebenrode', seit 1946 Nesterow (mit derzeit ca. 4.000 Einw.) - existierte im 19.Jahrhundert auch eine israelitische Gemeinde, deren Existenz ebenfalls mit der wirtschaftlichen Prosperität der Grenzregion im Zusammenhang stand. Im Jahre 1843 gehörten der jüdischen Gemeinschaft knapp 60 Personen an; in den 1870er Jahren zählte diese immerhin ca. 110 Angehörige, um 1925 kaum noch 50. Um 1820 hatte man bereits einen jüdischen Friedhof angelegt; eine Synagoge richtete man in einem Privathause in den Mühlenstraße ein.

            Ortszentrum von Stallupönen (hist. Postkarte) http://static0.akpool.de/images/cards/21/212774.jpg

Während der Novembertage 1938 wurde der Betraum von Nationalsozialisten demoliert, die Inneneinrichtung herausgeschleppt und auf dem Altstädtischen Markt verbrannt. 

Anm.: 1938 wurde Stallupönen im Zuge der NS-Germanisierungspolitik in Ebenrode umbenannt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Karl Moszeik, Stallupönen. Geschichtliches bis zum Russeneinfall 1914, Leipzig-Stötteritz 1915

Reinhold Theweleit, Die jüdische Gemeinde Eydtkuhnen und Stallupönen (Aufsatz), aus: "Ebenroder Heimatbuch", o.J.

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 375 (Eydtkuhnen) und Vol. 3, S. 123271233 (Stallupönen)