Forst/Niederlausitz (Brandenburg)

 Jüdische Gemeinde - Cottbus (Brandenburg) Forst (Lausitz) ist mit derzeit ca. 18.000 Einwohnern die Kreisstadt des Landkreises Spree-Neiße – im äußersten Südosten Brandenburgs ca. 20 Kilometer östlich von Cottbus bzw. südlich von Guben gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Spree-Neiße', aus: ortsdienst.de/brandenburg/spree-neisse); am gegenüberliegenden polnischen Ufer liegt die Ortschaft Zasieki (dt. Skaren), die bis 1945 ein Stadtteil von Forst war. 

 

Bereits zu Beginn des 14.Jahrhunderts lebten Juden - allerdings in geringer Zahl - in den Niederlausitzer Städten. Nach einer Chronik aus dem 18.Jahrhundert sollen sich in Forst zu Beginn des 16.Jahrhunderts Juden kurzzeitig angesiedelt haben; ihre Wohnsitze sollen sie in der „Neustadt“ außerhalb der mittelalterlichen Stadt, am heutigen Lindenplatz, gehabt haben. Nach Einführung der Reformation wurden die Juden aus den Städten der Niederlausitz vertrieben. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges siedelten sie sich erneut an, aber nicht dauerhaft.

“ ... Gleichzeitig fanden sich wieder etliche Juden nach Forst. Sie mietheten das neue Vorwerk, trieben daselbst die Viehzucht, molken Ziegen, Kühe und Schafe, und machten Butter und Käse. Schon bei Tagesanbruch waren sie an der langen Brücke, kauften von den Altländern, was ihnen anstand, verkauften es dann wieder mit Profit oder schafften es weiter, und verursachten dadurch große Unzufriedenheit, welche zur Folge hatte, daß sie bald nach Polen zurückkehren mussten ....”

(aus: Chronik der Stadt und Standesherrschaft Forst von 1846)

Erst nach dem Wiener Kongress (1815) durften sich Juden wieder in Forst niederlassen; doch nur sehr wenige Familien machten zunächst davon Gebrauch. Die Juden von Forst gehörten anfangs der Synagogengemeinde Guben an; ab 1894 trennten sie sich von Guben und bildeten nun offiziell eine selbstständige Gemeinde; zur neuen Gemeinde, der auch polnische Juden angehörten, zählten zahlreiche kleinere Ortschaften des Umlandes. Zu diesem Zeitpunkt wurde an der Straße nach Teplitz ein eigener Begräbnisplatz angelegt (und 1898 die Chewra Kaddischa gegründet). Dieses ca. 2.500 m² große Friedhofsgelände ist teilweise noch erhalten und liegt heute auf dem Gebiet der polnischen Gemeinde Zasieki.

Zunächst nutzten die Forster Juden einen Betraum in einem Hintergebäude am Bismarckplatz; nach 1920 erwarb die Gemeinde ein Haus in der Wasserstraße und richtete im Obergeschoss eine Synagoge ein.

Mehrere jüdísche Vereinsgründungen können für Forst nachgewiesen werden: so die Ortsgruppe des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", ein 1903 ins Leben gerufener "Israelitischer Frauenverein", nach 1918 eine Ortsgruppe des "Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten", ein jüdischer Jugendverband und 1933 auch ein zionistischer Ortsverband.

Juden in Forst:

         --- 1844 ..........................    2 jüdische Familien,

    --- um 1860 ................... ca.   20 Juden,

    --- 1880 ..........................   56   “  ,

    --- 1903 ...................... ca.  100   “  ,

    --- 1905 ..........................  148   “  ,

    --- 1927/29 .......................  197   “  ,

    --- 1932 ..........................  190   “  ,

    --- 1933 ..........................  210   “  ,

    --- 1935 ..........................  220   “  ,

    --- 1937 ...................... ca.  190   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................   56   “  ,

    --- 1940 ..........................    ?   “  .

Angaben aus: Irene Diekmann/Julius H.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, S. 101 f.

 Ansichtskarte / Postkarte Forst in der Niederlausitz, Cottbusserstraße mit  Stadtkirche, Zigarrenhandlung

Berliner Platz u. Straße in Forst (Postkarte um 1880, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)  und  Cottbusser Straße (hist. Postkarte, aus: akpool.de)

 

Im ausgehenden 19. und beginnenden 20.Jahrhundert war infolge von Zuwanderung jüdischer Familien aus östlichen Provinzen Preußens eine deutliche Zunahme der Juden in Forst zu verzeichnen.

Ihren Lebensunterhalt verdienten die hiesigen Juden zumeist als selbstständige Kaufleute und Händler; einige waren Tuchmacher bzw. Tuchfabrikanten.

Forster Juden waren nach dem Ersten Weltkrieg mit massiver antisemitischer Hetze - vor allem betrieben vom „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“ - konfrontiert.

Aus einem Leserbrief des „Forster Tageblatt” vom 18.August 1920: “ ... Hier in Forst greift die Unsitte seit einigen Wochen weiter um sich, daß Schaufenster, Türen, Hauswände und sogar das Straßenpflaster mit unzähligen Zetteln unflätigen und antisemitischen Inhalts besudelt werden, die eine Pogromstimmung gegen die jüdischen Mitbürger heraufzubeschwören geeignet sind.Sind wir Deutschen neben dem wirtschaftlichen Niedergang auch schon auf dem niedrigsten Stand der Kultur und Zivilisation angelangt, daß ein solches schamloses Treiben, das zu Mord und Totschlag gegen friedliche Bürger auffordert, ungehindert in Szene gesetzt werden darf ? “

Mit Beginn des NS-Zeit setzte dann in der Lokalpresse eine ständig wiederkehrende antisemitische Hetze ein, die dazu führte, dass Juden bereits zu diesem Zeitpunkt die Kleinstadt verließen. Auch der am 1.4.1933 in Forst durchgeführte Boykott jüdischer Geschäfte wurde in der Presse durch Hasstiraden vorbereitet; so war im „Forster Beobachter” in seiner Ausgabe vom 1. April zu lesen:

"... Wir hassen die Juden. Ach, nein. Sie sind es nicht wert, daß wir dieses immerhin starke und große Empfinden an ihre Erbärmlichkeit verschwenden. Wir ‘hassen’ ja auch das Ungeziefer nicht. Wir wollen auch nicht töten, wollen unsere Hände und die deutsche Erde nicht mit Judenblut besudeln. Aber fort sollen sie. Fort ! Fort ! Wohin ist ihre Sache. Nur fort."

Bereits am Vorabend des sog. Boykotttages riefen Angehörige der lokalen SA die Einwohner von Forst auf, sich daran zu beteiligen. Der folgende Tag verlief wie in den meisten anderen deutschen Städten: SA-Angehörige waren vor jüdischen Geschäften postiert und Plakate nannten die Läden, die von den „Volksgenossen“ gemieden werden sollten. Während der folgenden Jahre setzte sich die antisemitische Hetze fort; dabei versuchte die lokale NSDAP-Führung das Ansehen von in der Bevölkerung besonders geachteten jüdischen Bewohner Forsts zu schädigen, namentlich u.a. die Familie Avellis und den Arzt Dr. Fritz Simon. Im Sommer 1938 schlossen die Behörden das Kaufhaus Loewenstein; Initiator war der Amtsvorsteher und NSDAP-Ortsgruppenleiter Prell. - Ende Oktober 1938 wurden etwa 20 in Forst lebende Juden polnischer Staatsangehörigkeit über die Grenze nach Polen abgeschoben. Die Ausschreitungen des Novemberpogroms in Forst begannen am 10.November 1938. Da es in Forst zu diesem Zeitpunkt keine größeren jüdischen Geschäfte mehr gab, richtete sich die Zerstörungswut der SA-Trupps auf die Synagoge in der Wasserstraße und die Wohnungen jüdischer Bürger. Eine Brandlegung der Synagoge verhinderte der verantwortliche Brandmeister der Feuerwehr dadurch, dass er den potenziellen Brandstiftern die Gefährdung der Nachbarhäuser deutlich machte. Die inzwischen herbeigeeilte Menschenmenge beließ es bei der Zerstörung der Inneneinrichtung; Ritualien und andere mobile Gegenstände wurden anschließend verbrannt, die Türen der Synagoge vernagelt. Zahlreiche Wohnungen von Forster Juden wurden demoliert. Während des Pogroms verhaftete die Polizei 31 jüdische Männer; direkt aus dem Polizeigefängnis wurden die meisten ins KZ Sachsenhausen überstellt.

                 Nach dem Pogrom vermeldete das lokale Tageblatt am 14.11.1938:

Forster Geschäftsleben wird judenfrei

Mit dem heutigen Tage können wir freudig erfüllt berichten: Das Forster Geschäftsleben wird judenfrei ! Die jüdischen Firmen Meier Nachfg., Loewenstein Nachfg. ... sind in arische Hände übergegangen; für die jüdische Firma Warschauer ist das gleiche in Bälde zu erwarten. Damit ist im Geschäftsleben unserer so arbeitssamen Industriestadt ein Schandfleck für alle Zeiten getilgt: denn die Juden werden hier nie wieder in Erscheinung treten können. Mögen sie dorthin gehen, woher sie ungerufen kamen: Niemand wird ihnen eine Träne nachweinen, die schmarotzend durch die Zeit und die Lande zogen überall verdienend, nicht schaffend, aber im Betrügen und Gaunern ganz groß. ... Wir sind diese Juden endlich los, und darüber freuen wir uns !  Mögen uns auch die Letzten dieser Rasse ... so schnell wie möglich verlassen.

                  Aus dem Bericht der Gestapo an den Regierungspräsidenten in Frankfurt/Oder:

“... Im Laufe des Vormittags wurde die gesamte Inneneinrichtung der Synagoge, das Aktenmaterial, Silberzeug, Gebetrollen ... polizeilich sichergestellt. Die Gebetbücher und Gebettücher, Fahnen, Altarbehänge etc. wurden am Abend auf dem Platz der SA verbrannt. Jüdische Geschäfte sind in Forst nicht mehr vorhanden. Die einsetzenden Demonstrationen richteten sich gegen die Wohnhäuser und Wohnungen und zwar in erster Linie gegen die bemittelten Juden. Die Wohnungseinrichtungen von drei jüdischen Familien wurden restlos zerstört, von weiteren drei wurden diese teilweise vernichtet. In weiteren vier jüdischen Haushaltungen wurden geringfügige Zerstörungen vorgenommen. 24 jüdische männliche Personen wurden bisher in Schutzhaft genommen. Weitere Inschutzhaftmaßnahmen stehen bevor. Sichergestellt wurden bisher drei Personenkraftwagen. ..”

(aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band I, S. 498/502)

Das im Inneren völlig verwüstete und ausgeplünderte Synagogengebäude ging im Frühjahr 1939 in kommunalen Besitz über; es wurde nach 1945 als Stadtbibliothek genutzt und Anfang der 1970er Jahre abgerissen. Mit dem Zwangsverkauf des Friedhofsgeländes (1939/1940) war die jüdische Gemeinde in Forst endgültig liquidiert.

Anm.: Das weitere Schicksal der jüdischen Bewohner von Forst nach 1939 ist äußerst schlecht dokumentiert; die letzte bekannte Nachricht über die Juden von Forst stammt aus dem Jahre 1940.

 

Im Jahre 1988 wurde in der Nähe des einstigen Synagogengebäudes eine Gedenkplatte angebracht, die folgende Inschrift trägt:

Ehrendes Gedenken der jüdischen und aller Opfer des Faschismus unserer Stadt

anläßlich des 50.Jahrestages der faschistischen Pogromnacht.

Rat der Stadt Forst

Den ehemaligen Standort der Synagoge an der Uferstraße (Abriss erfolgte 1972) markiert seit 1998 ein mächtiger Findling.

                                Gedenkstein (Aufn. Moses-Mendelssohn-Zentrum Potsdam)

2014 wurden bei Ausschachtungsarbeiten für einen Gebäudeneubau Überreste der Synagoge freigelegt.

Das im heute polnischen Teil von Forst (Zasieki) liegende Friedhofsgelände, das in den Jahrzehnten nach Kriegsende weitestgehend vernachlässig worden war, ist seit den 1990er Jahren - zumindest teilweise - wieder hergerichtet worden; doch Zerstörungen und Schändungen in der Vergangenheit prägen jedoch bis heute das Erscheinungsbild des Areals.

Spuren der Geschichte in Zasieki Aufn. Anke Geißler-Grünberg, aus: uni-potsdam.de

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20231/Forst%20Friedhof%20175.jpgAufn. Hans-Peter Laqueur, 2009, aus: alemannia-judaica.de

Auf Initiativen der ‚Aktion Sühnezeichen‘ und später der Evangelischen Kirche wurden ab Anfang der 1990er Jahre erste Maßnahmen in Gang gesetzt, das Begräbnisgelände wieder herzurichten. Doch waren in der Folgezeit mehrfache Schändungen des jüdischen Friedhofs zu verzeichnen.

2024 wurden vor der Schule in der Max-Fritz-Hammer-Straße in Forst die ersten „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Levy erinnern, die verfolgt und deportiert wurden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Aron Ackermann, Geschichte der Juden in Brandenburg a.H., Berlin 1906

Rudolf Lehmann, Zur Geschichte der Juden in der Niederlausitz bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts, in: "Niederlausitzer Mitteilungen 1936", Band 24, S. 1 - 46

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 498 - 502

Klaus Arlt, Aufbau und Niedergang jüdischer Gemeinden in der Mark Brandenburg im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert, in: "Menora - Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1993"

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 340/341

Irene Diekmann/Julius H.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Edition Hentrich, Berlin 1995, S. 101 - 124

J.Meissner/D.Wilking, Zur Geschichte der Juden in Forst, Hrg. Museumsverein der Stadt Forst (Lausitz) e.V., Forst 1998

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 390

Jürgen Scholz (Red.), Leben und Sterben jüdischer Familien in der Niederlausitz, in: "Lausitzer Rundschau" vom 27.3.2007 (betr. Ausstellung)

Moses-Mendelssohn-Zentrum (Bearb.), Forst/Lausitz, in: Synagogen in Brandenburg – Auf Spurensuche, online abrufbar unter: uni-potsdam.de

Jüdischer Friedhof in Forst, in: alemannia-judaica.de (mit Bildmaterial)

Anke Geißler-Grünberg, Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Forst (Zasieki) und des Friedhofs in Zasieki , in: Universität Potsdam - Institut für jüdische Studien und Religionswissenschaft (Hrg.), Jüdische Friedhöfe in Brandenburg, online abrufbar unter: uni-potsdam.de (2021)

N.N. (Red.), Erinnerung an NS-Opfer: Forst verlegt erste Stolpersteine, in: “Niederlausitz aktuell” vom 18.9.2024

Marcel Laggai (Red.), Stolpersteine in Forst. Gedenken an Familie Levy – Erlebtes sorgt für Gänsehautmomente, in: “Lausitzer Rundschau” vom 25.9.2024