Forth (Mittelfranken/Bayern)
Die kleine Ortschaft Forth ist seit der Gebietsreform von 1972 ein Ortsteil der mittelfränkischen Marktgemeinde Eckental im Kreis Erlangen-Höchstadt unweit von Nürnberg (Kartenskizze 'Kreis Erlangen-Höchstadt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im mittelfränkischen Dorfe Forth siedelten sich die ersten Juden vermutlich ab den 1580er Jahren an; im Forther Gemeindebuch werden erstmalig 1670/1672 Juden genannt. In der Folgezeit bildete sich eine jüdische Gemeinde, die ununterbrochen bis in die NS-Zeit Bestand hatte. Den Dorfbesitzern, den Herren von Gotzmann und Bünau, mussten die zugezogenen Familien Abgaben entrichten: Wer sich niederließ, musste drei Gulden Aufzugsgeld zahlen. Hinzu kamen Schutzgelder, Opfergulden an Michaelis sowie Zoll- und Nachtgebühren, wenn auswärtige Juden im Ort übernachteten. Extra erfunden wurden das Holzhauergeld und Abgaben für die Jagdhunde der Reichsritter von Bünau; der protestantische Pfarrer erhielt eine Stolgebühr. Im beginnenden 18.Jahrhundert entwickelte sich Forth von „einem unbedeutenden Dörflein zu einem marktähnlichen Ort“, der wegen seiner zentralen Lage nun noch mehr handelstreibende jüdische Familien anzog. Um 1750/1760 lebten in Forth mehr jüdische als christliche Familien; ein Teil der Juden verfügte damals über eigene Häuser, die zu beiden Seiten der Hauptstraße lagen; der andere Teil wohnte zur Miete.
Die Forther Juden unterstanden teilweise der bayrischen Landeshoheit, teilweise waren sie der Reichsstadt Nürnberg schutzgeldpflichtig. Um 1800 sah die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung wie folgt aus: „7 Viehhändler, 7 Händler (ohne genaue Bezeichnung), 4 Metzger, 3 Webmeister, 2 Schnittwarenhändler, 1 Landesproduktenhändler, 1 Geldhändler, 1 Cigarrenmeister und 2 Tagelöhner.“ Im Verlaufe des 19.Jahrhunderts „hatten die Juden fast den ganzen Handel an sich gerissen und der Wohlstand der meisten Judenfamilien blühte auf”.
Um 1725 - andere Quellen sprechen von 1745 - lässt sich in Forth ein Betraum nachweisen; trotzdem bestanden weiterhin enge Kontakte zur Schnaittacher Gemeinde; dort hatte auch das Rabbinat seinen Sitz, dem neben Forth auch Ottensoos und Hüttenbach unterstanden. Jahrzehnte später wurde in Forth eine neue Synagoge eingerichtet.
Synagoge (Vergrößerung aus hist. Postkarte - Sammlung J. Häselbarth, Forth)
Rekonstruktion nach Angaben von Th. Harburger (aus: Th. Schlick, Juden im Nürnberger Land)
Die Unterrichtung der jüdischen Kinder erfolgte anfänglich in zwei, in Privathäusern untergebrachte „Winkelschulen“. Ende der 1850er Jahre richtete die jüdische Gemeinde eine eigene Elementarschule ein, die ab 1865 in einem neuerbauten Gebäude untergebracht war. Als mit dem Wegzug jüdischer Familien auch die Schülerzahl stark gesunken war, wurde Anfang der 1920er Jahre die jüdische Volksschule aufgelöst.
Stellenausschreibungen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. April 1890 und vom 26.Okt. 1922
Verstorbene Forther Juden wurden auf dem alten israelitischen Friedhof in Schnaittach beerdigt. Gemeinsam mit den Juden aus Schnaittach, Ottensoos und Hüttenbach bildete die Judenschaft einen Rabbinatsverband, der gemeinsame Eigentumsrechte am Friedhof in Schnaittach besaß; nach langjährigen Querelen ging um 1710 das Eigentumsrecht am Friedhofsgelände auf die Schnaittacher Gemeinde über.
Juden in Forth:
--- um 1680 ..................... 4 jüdische Familien,
--- 1682 ........................ 7 “ “ ,
--- 1692 ........................ 10 “ “ ,
--- 1733 ........................ 20 “ “ ,
--- 1754 ........................ 35 “ “ ,
--- um 1800 ..................... 38 “ “ ,
--- 1811/12 ..................... 154 Juden (ca. 27% d. Dorfbev.),
--- um 1830 ..................... 225 “ (ca. 36% d. Dorfbev.),
--- 1867 ........................ 151 “ ,
--- 1890 ........................ 77 “ ,
--- 1900 ........................ 72 “ ,
--- 1910 ........................ 57 “ ,
--- 1925 ........................ 44 “ ,
--- 1933 ........................ 31 “ ,
--- 1938 (Okt.) ................. 15 “ ,
(Dez.) ................. keine.
Angaben aus: Wilhelm Held, Die Judengemeinde in Forth
und Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 178
Ab der Mitte des 19.Jahrhunderts zeigte sich in der Berufsstruktur der Forther Juden eine Veränderung: Nun spielte der Hopfenhandel eine größere Rolle; Viehhandel war jedoch nach wie vor dominierend. Die nach Mitte des 19.Jahrhunderts einsetzende Landflucht erfasste auch die Forther Juden; einige wanderten in die größeren Städte in der Region ab, jüngere Familien emigrierten in die USA. Nach 1900 lebten dann nur noch wenige jüdische Familien im Dorf. 1925 hatte die kleine Forther Judengemeinde vom bayrischen Staat das Büger Schloss erworben, das ein Jahrzehnt lang als Ferienheim für jüdische Kinder genutzt wurde. Die wenigen jüdischen Bewohner Forths waren 1935/1936 ersten Angriffen ausgesetzt, die zunächst nur Sachgegenständen galten; so zerschlugen z.B. im Januar 1936 Schulkinder die Fenster der Synagoge. Während des Novemberpogroms wurde die schon längere Jahre ungenutzte Forther Synagoge in Brand gesteckt; das Gebäude brannte völlig aus. Die Ritualien waren bereits zuvor nach München überführt worden.SA-Angehörige brachen Anwesen der Forther Juden gewaltsam auf und demolierten Mobiliar. Die zu diesem Zeitpunkt im Dorf befindlichen 13 jüdischen Bewohner wurden per Lastwagen nach Erlangen oder Nürnberg gebracht; über ihr weiteres Schicksal ist kaum etwas bekannt.
Während der Kriegsjahre wurde das Synagogengebäude abgerissen, das anfallende Baumaterial weiter verwendet.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 29 gebürtige bzw. länger im Ort ansässig gewesene Forther Juden Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/forth_synagoge.htm).
In einem Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth wurde fünf Jahre nach Kriegsende insgesamt 28 Personen aus Erlangen und Forth der Prozess gemacht. Auch der ehemalige Bürgermeister Fink hatte sich hier zu verantworten und wurde zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
In Forth erinnerte über Jahrzehnte hinweg kein Mahnmal bzw. keine Gedenktafel an die frühere jüdische Gemeinde. Am 9.November 2009 wurde dann inmitten des Ortes ein Mahnmal für die deportierten, vertriebenen und ermordeten Forther Juden enthüllt; die Initiative dafür ging von einer privaten „Interessengruppe“ aus.
Die angebrachte Inschrift lautet: "In unserer Mitte geboren, in Hass und Schmerz verloren. Nie wieder, wie schon einmal, schweigen zu Unrecht und Gewalt. Wir gedenken derer, deren kein Kindeskind gedenken kann." (Aufn. Jürgen Hanke, aus: alemannia-judaica.de)
2010 eröffnete in der Ermreuther Synagoge die Wanderausstellung „Shalom Forth“, die erstmalig Dokumente zur 350jährigen Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde Forth zeigt. Alle aus der Forther Synagoge stammende Ritualien sind nicht mehr auffindbar; einzig die Thora-Rolle ist noch erhalten geblieben; sie befindet sich im Jüdischen Museum in Fürth.
[vgl. Schnaittach - Ottensoos - Hüttenbach]
In Forth wurde 1844 Abraham Alfred Gerngroß geboren. Zusammen mit seinem älteren Bruder Hugo gründete er 1879 in Wien ein Textilgeschäft. Auf Grund ihrer erfolgreichen Geschäftstätigkeit schufen sie nach 1900 das größte Warenhaus Wiens, das zeitweilig ca. 1.500 Angestellte besaß. Nach dem Tode seiner Gründer führten deren Söhne das Geschäft weiter. 1938 wurde das Kaufhaus zwangsweise „arisiert“; die Familie Gerngroß emigrierte nach Montevideo/Uruguay. 1947 kehrte Paul Gerngroß nach Wien zurück und übernahm wieder die Geschäftsführung. Das Kaufhaus besteht bis zur Gegenwart, allerdings erfolgten inzwischen zahlreiche Besitzerwechsel.
Kaufhaus Gerngroß in Wien (Aufn. von 1889)
Weitere Informationen:
F. Fellner, Das Modewarenhaus A. Gerngroß in Wien, Wien 1905
Magnus Weinberg, Der Bezirk Rothenberg (Schnaittach, Ottensoos, Hüttenbach, Forth), Sulzbürg 1909
Martin Schütz, Die Ganerbenschaft Rothenberg in ihrer politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bedeutung, Nürnberg 1924
Wilhelm Held, Die Judengemeinde in Forth, aus: Ortschronik von Forth (handschriftlich vorliegend), Forth 1954/55
Fritz Schnellbögl, Ortsgeschichtliche Bilder - Zwischen Dorf und Markt. Zur Entstehungsgeschichte des Ortes Forth, in: „Altnürnberger Landschaft“, Heft 3/1958, S. 53 ff.
Hannelore Letsch, Die Emanzipation der Juden im Erlanger Raum. Zulassungsarbeit - Universität Erlangen-Nürnberg 1978 (Anm.: ‘Die Durchführung des Edikts von 1813 in den Judengemeinden Büchenbach, Bruck, Forth, Dormitz, Ermreuth, Schnaittach, Hüttenbach, Ottensoos’, S. 17 ff.)
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 178/179
K. Guth, Jüdische Landgemeinden in Oberfranken 1800 - 1942 (Band 1), Bayrische Verlagsanstalt GmbH, Bamberg 1988
Birgit Albersdörfer, Die Geschichte der Judengemeinden in Ottensoos und Forth, Zulassungsarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulen in Bayern, Universität Erlangen-Nürnberg 1991
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 163
Daniel J. Cohen (Hrg.), Die Landjudenschaften in Deutschland als Organe jüdischer Selbstverwaltung von der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert. Eine Quellensammlung, Band 2, Jerusalem 1996
Sabine Lang, Gemeindeleben und Einzelschicksale in den mittelfränkischen Orten Forth und Schnaittach. Zulassungsarbeit - Universität Erlangen-Nürnberg 1997
Forth, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Martina Switalski, Forth, in: Gemeindebrief der Evang.-Luth.-Kirchengemeinde St. Anna, Ausg. August/September 2008
B. Eberhard/H.-Chr. Haas, Forth, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 250 – 265
Die jüdische Gemeinde in Forth, in: Juden im Nürnberger Land, online abrufbar unter: juden-im-nuernberger-land.de
Spaziergänge durch Eckental (Heft 2) – Forth und seine jüdische Geschichte (Broschüre), 2010
Martina Switalski, Shalom Forth. Jüdisches Dorfleben in Franken (Taschenbuch), Waxmann-Verlag, Münster 2012
Haus der Bayrischen Geschichte (Bearb.), Jüdisches Leben in Bayern – Forth, online abrufbar unter: hdbg.eu/juedisches_leben/gemeinde/forth/211