Freudenburg/Saar (Rheinland-Pfalz)
Freudenburg mit derzeit ca. 1.600 Einwohnern ist heute eine Ortsgemeinde der Verbandsgemeinde Saarburg-Kell im Landkreis Trier-Saarburg (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Landkreis Trier-Saarburg', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ob bereits im späten Mittelalters Juden in Freudenburg lebten, ist mehr als fraglich; doch vermutlich hielten sie sich auf den Jahrmärkten des Fleckens zu Handelszwecken auf. Der erste urkundliche Hinweis eines am Ort wohnenden Juden datiert aus dem Jahre 1589. Im 17./18. Jahrhundert haben aber nur sehr wenige jüdische Familien dauerhaft hier gelebt.
Ganz in der Nähe der 1784/1785 errichteten Synagoge in der Hintergasse (heutige Balduinstraße) muss es zuvor bereits eine Betstube gegeben haben. Der schlichte Synagogenbau - ohne Malerei und bunte Fenster - verfügte nur über 25 Männer- und 20 Frauenplätze; letzte befanden sich auf einer hölzernen Empore, die über eine außenliegende Treppe erreichbar war. Bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts wurde die Freudenburger Synagoge auch von den Juden aus Kirf und Meurich genutzt.
ehem. Synagogengebäude - halbrechts mit Giebeldach (Aufn. um 1935) Synagoge in Freudenburg (Lithographie um 1860)
Die wenigen jüdischen Kinder besuchten im 19.Jahrhundert die katholische Volksschule; Religionsunterricht erteilte unregelmäßig ein von der Kultusgemeinde eigens verpflichteter Lehrer, dessen Bezahlung nicht immer gesichert war. Aus einem Schreiben vom 29.11.1875: „ ... Die jüdische Gemeinde dahier hält seit Bestehen mit kleinen Unterbrechungen immer einen Religionslehrer. Da dies in letzter Zeit mit großen Unkosten verbunden war, so gaben wir es seit zwei Jahren auf und hielten, da die Sache zu kostspielig war, keinen mehr. Wir finden aber, daß dies durchaus nicht geht, teils weil die Kinder in religiöser Beziehung zurückbleiben und verwildern, teils wenn die Kinder in die Gemeinde aufgenommen werden, wie es unter uns Sitte und Brauch ist, ihre deshalbige Vorbildung nur da geschehen kann, wo ein israelitischer Lehrer ist. ...”
Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12.5.1887, vom 10.7.1902 und vom 22.4.1920
Der jüdische Friedhof - vorm Ort im Gewann „Öhlbaumsgarten“ - soll bereits in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstanden sein, er wird 1694 erstmals urkundlich erwähnt. Im Laufe des 19.Jahrhunderts wurde dessen Areal erheblich erweitert und war mit Abstand das größte jüdische Bestattungsgelände im heutigen Kreisgebiet Trier-Saarburg. Auch verstorbene Juden aus den Nachbarorten Kirf und Meurich, aber auch aus Könen und Merzig, fanden hier ihre letzte Ruhe.
In einem Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ - erschienen am 14. Febr. 1935 – wurde auf das 150jährige Synagogenjubiläums und gleichzeitig auf die missliche Lage der Gemeinde aufmerksam gemacht.
aus: "Der Israelit" vom 14.Febr. 1935
Juden in Freudenburg:
--- um 1700 ....................... 5 jüdische Familien,
--- um 1770 ....................... 7 “ “ (ca. 50 Pers.),
--- um 1800 ................... ca. 10 “ “ ,
--- 1808 .......................... 5 “ “ (33 Pers.),
--- 1833 .......................... 35 Juden,
--- 1845 .......................... 51 “ ,
--- 1875 .......................... 62 “ ,
--- 1900 .......................... 67 “ (in 15 Familien),
--- 1933 .......................... 54 “ ,* *andere Angabe: 44 Pers.
--- 1935 (März) ................... 50 “ ,
--- 1936 (Jan.) ................... 36 “ ,
--- 1938 (Nov.) ................... 14 “ ,
--- 1939 .......................... 6 “ ,
--- 1940 .......................... keine.
Angaben aus: Günter Heidt/Dirk S.Lennartz, Fast vergessene Zeugen - Juden in Freudenburg und ...
Das Berufsbild der Freudenburger Juden blieb seit dem 18.Jahrhundert nahezu unverändert; fast alle waren zogen über die Dörfer, um dort als Hausierer und Handelsmänner ihre Waren anzubieten; gleichzeitig trieben sie auch Viehhandel und vergaben Darlehen an meist bäuerliche Schuldner. Die schlechte wirtschaftlichen Lage der Bewohner Freudenburgs und die fehlenden beruflichen Perspektiven veranlassten viele ab ca. 1850, ihren Heimatort zu verlassen; von 1856 bis 1892 wanderten ca. 120 Ortsbewohner ab, darunter auch jüdische Familien. Zumeist emigrierten sie in die USA, wo sie sich bessere Lebensbedingungen erhofften.
Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Freudenburg noch 16 jüdische Familien; hauptsächlich bestritten sie ihren Lebensunterhalt mit dem Vieh- und Kleinwarenhandel. Um keinen Anlass zu ‚Klagen’ zu geben, ließen die meisten die alltäglichen Demütigungen über sich ergehen und zogen sich aus der Öffentlichkeit immer mehr zurück. Über ihre Lage berichtete der Amtsbürgermeister an den Landrat in Saarburg am 22.9. / 20.10.1934:
„ ... Die dem Juden angeborene Schläue und Feigheit lassen ihn alles meiden, was ihn unliebsam bemerkbar machen könnte. Hier gibt es 16 jüdische Familien .... Sie haben durch die Inflation einen Teil ihrer früheren Wohlhabenheit eingebüßt, leben in gedrückten Verhältnissen und müssen ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen. Bei ihrer Berufstätigkeit sind sie ziemlich ängstlich und suchen sich mit den Bauern und sonstigen Kunden gut zu stehen. ...
... Bei den in den Orten Freudenburg und Weiten wohnenden jüdischen Familien handelt es sich um ‘kleine’ Leute, die ausschließlich ihr Brot durch Handel verdienen. Sie sind möglichst bestrebt, sich so zu halten, nicht aufzufallenund keinen Anlaß zu Klagen zu geben, wenngleich man ihnen wenig trauen kann und sie nach wie vor als politisch unzuverlässig bezeichnet werden müssen. “
Ab 1935 grenzte man die Juden Freudenburgs noch weiter aus; jegliche Kontakte von „Volksgenossen“ wurden fast völlig unterbunden; damit brachte man die jüdischen Händler an den Rand ihres wirtschaftlichen Ruins. Folge war ihre Abwanderung; vorausgegangen waren antisemitische Ausschreitungen, die zumeist von Jugendlichen aus einem nahen HJ-Lager begangen wurden; dabei warfen die Jungen Scheiben ein und drangen in mehrere Läden jüdischer Eigentümer ein. Die polizeilichen Ermittlungen nach den Tätern blieben natürlich ergebnislos; die Presse ging dabei sogar so weit zu behaupten, dass die geschädigten Juden „selbst derartiges in Szene gesetzt haben, um wieder billig als Märtyrer zu erscheinen”. Im „Trierer Nationalblatt” hieß es am 22.August 1935:
‘Waih geschrieen’ - Raus mit euch !
Saarburg. Ja, ist es möglich, die in Systemzeiten so gehätschelten und bedienerten Juden ziehen es vor, aus zahlreichen Orten unseres Kreises zu entweichen ! ... Denn in den letzten Tagen haben zahlreiche Juden ihren Schnappsack , den sie ja lange zum Schaden unserer geplagten Volksgenossen handhabten, auf den Buckel genommen, um sich mit Weib und Kind und Kegel eine neue Heimat zu suchen. So wird aus Freudenburg berichtet, der ehemals freudenreichen Burg für Juden. ... In endlicher Erkenntnis, wirklich überflüssig und lästig zu sein, ziehen sie denn dahin, diese Kinder Israels, nachdem sie Jahrhunderte auch in diesen Gegenden Fürsten und Herren, Bauern und fahrendes Volk begaunert, ausgezogen und ihrem Unglück überlassen haben. ... ‘Waih geschrieen’ - diesmal schert uns das Gejammere einen Katzendreck. Wir rufen ihnen einen guten deutschen Abschiedsgruß zu: Raus mit euch ! Die Zeit des ‘auserwählten’ Volkes ist in Deutschland endgültig zu Ende. ...
Von den gewaltsamen Ausschreitungen des November 1938 waren alle noch in Freudenburg lebenden jüdischen Familien betroffen; Privatwohnungen und Läden wurden verwüstet, ihre Eigentümer misshandelt und gedemütigt. Auch die Synagoge wurde von den SA-Angehörigen im Innern stark beschädigt; auf dem jüdischen Friedhof wurden Grabsteine umgeworfen.
Die wenigen jüdischen Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen, anschließend nach Saarburg gebracht, wo sie - zusammen mit anderen - durch die Straßen der Stadt geführt und vom fanatisierten Mob verhöhnt wurden. Nach wenigen Tagen kehrten die Männer wieder nach Freudenburg zurück. 1939/1940 lebten in Freudenburg keine jüdischen Bewohner mehr.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 71 gebürtige bzw. längere Zeit in Freudenburg ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/freudenburg_synagoge.htm).
Der in den Jahren 1917 bzw. 1919 und in der NS-Zeit geschändete und verwüstete jüdische Friedhof - unweit des alten Ortskerns gelegen - ist in seiner ursprünglichen Form nicht erhalten geblieben. Die heute noch auf einer Fläche von ca. 3.500 m² befindlichen ca. 120 Grabsteine stellen nur einen Bruchteil der ehemals vorhandenen dar. Die letzte Beerdigung erfolgte hier im Jahre 1971.
Jüdischer Friedhof in Freudenburg (Aufn. Helge Klaus Rieder, 1999, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit 1962 erinnert ein zwei Meter hoher Steinblock auf dem jüdischen Friedhof an die Opfer der jüdischen Gemeinden von Freudenburg, Kirf und Meurich. Die letzten Reste des 180 Jahre alten Synagogengebäudes wurden Anfang der 1960er Jahre beseitigt.
Synagogenruine in Freudenburg (Aufn. um 1955, Sammlung Günter Heidt)
Im Kellergeschoss eines Hauses in der König-Johann-Straße befindet sich eine historische Mikwe mit einem vom Grundwasser gespeisten Tauchbecken.
Auf Beschluss des Freudenburger Gemeinderates wurde auf dem Platz der ehemaligen Synagoge ein Denkmal mit einer Bronzetafel aufgestellt:
Zur Erinnerung an unsere Mitbürger jüdischen Glaubens, an ihre Synagoge auf diesem Platz.
Im Gedenken an ihr durch Unrecht und Gewalt in den Jahren 1933 bis 1945 erlittenes Schicksal.
“Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.”
Die Bürger der Ortsgemeinde Freudenburg 1995
Seit 2011 erinnern vor der Markt-Apotheke und dem Nachbarhaus 24 sog. „Stolpersteine“ an das Schicksal der einst in Freudenburg lebenden Familien von Gustav Kahn und Samuel Samuel, die während der NS-Zeit verschleppt und ermordet bzw. aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
fünf "Stolpersteine" für Angehörige der Familie Samuel (alle Aufn. Helmut Bauer, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
verlegt für drei ermordete Jugendliche
Isaak Julius Samuel wurde 1902 als Sohn von Samuel Samuel und seiner Frau Ida geb. Weil geboren. Nach seinem Abitur in Trier (1922) ließ er sich am Rabbinerseminar in Berlin ausbilden. Er war von 1930 bis zu seiner Deportation 1942 nach Auschwitz norwegischer Landesrabbiner in Oslo. 2011 wurde für Rabbiner Samuel vor seiner ehemaligen Schule (Max-Planck-Gymnasium) in der Sichelstraße in Trier ein "Stolperstein" verlegt.
Weitere Informationen:
Günter Heidt, “ Es erschienen vor Meyer und Gericht ...” Skizzen und Szenen aus 130 Jahren Alltagsgeschehen der Juden von Freudenburg (1662 - 1798), Selbstverlag, Trier 1994
Cilli Kasper-Holtkotte, Juden im Aufbruch - Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Juden e.V.", Hrg. H. Castritius/u.a., Band 3, Hannover 1996
Dirk S.Lennartz/Günter Heidt, “Vergessene Zeugen” - Denkmale der jüdischen Gemeinde Freudenburg, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft No.11, 1/1996, S. 5 - 18
Günter Heidt/Dirk S.Lennartz, Fast vergessene Zeugen - Juden in Freudenburg und im Saar-Mosel-Raum 1321 – 1943, Saarburg 2000 (Anm.: sehr detaillierte Darstellung)
Robert Reichard/Thomas Heidenblut, Synagogen im Landkreis Trier-Saarburg, o.O. 2000
Freudenburg mit Weiten, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie und etlichen Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 155/156
Günter Heidt/Reiner Nolden, Juden im Altkreis Saarburg, in: "Kreisjahrbuch Trier - Saarburg 2010", Trier 2009
Willi Körtels, Die jüdische Schule in der Region Trier, hrg. vom Förderverein Synagoge Könen e.V., 2011, S. 91 - 101
Günter Heidt, Religiosität und Gelehrsamkeit: Rabbiner, Lehrer und Kantoren aus dem Saar-Mosel-Raum seit Beginn des 17. Jahrhunderts, in: "Kreisjahrbuch Trier-Saarburg 2012", Trier 2011
Günter Heidt (Bearb.), Die 73 Opfer der Shoah aus Freudenburg und Weiten, als PDF-Datei unter: alemannia-judaica.de/images/Images 318/Freudenburg Liste der Opfer.pdf
Auflistung der in Freudenburg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Freudenburg
Herbert Thormeyer (Red.), Ein Spaziergang in Freudenburg durch 1000 Jahre Ortsgeschichte, in: „Trierer Volksfreund“ vom 15.9.2020
Marion Maier (Red.), Der jüdische Friedhof in Freudenburg – 400 Jahre alt und von zentraler Bedeutung, in: „Trierer Volksfreund“ vom 27.3.2023