Fürstenberg/Havel (Brandenburg/früher Mecklenburg)
Fürstenberg/Havel wurde im Rahmen einer Gebietsreform 1952 dem Territorium des heutigen Landes Brandenburg zugeschlagen (historisch gehört der Ort aber zu Mecklenburg-Strelitz). Die Kleinstadt im äußersten Norden des Landkreises Oberhavel mit derzeit ca. 5.800 Einwohnern (incl. Ortsteile) liegt ca. 25 Kilometer südlich von Neustrelitz (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org Bild.PD-alt und Kartenskizze 'Landkreis Oberhavel', aus: ortsdienst.de/brandenburg/oberhavel).
Möglicherweise siedelten sich in Fürstenberg bereits um 1720 jüdische Familien an - was allerdings nicht urkundlich belegbar ist. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts ist jüdische Ansässigkeit in Fürstenberg – es lag im südlichsten Zipfel des kleinen Ländchens Mecklenburg-Strelitz angrenzend an Brandenburg - erstmals dokumentiert. Die Kleinstadt war in dieser Zeit zu einem für die Region bedeutenden Stapel- und Umschlagplatz für die Binnenschifferei avanciert und bot damit günstige Bedingungen für den Handel, die auch jüdische Händler anzogen. Zunächst waren es nur etwa fünf Familien, die in Fürstenberg sich ansiedeln durften. Schutzbriefe des Landesherrn, des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, garantierten den jüdischen Familien Ansässigkeit und Handel in bestimmtem Rahmen.
In dem Schutzbrief für den Juden Levin Marcus Lychenheim hieß es:
Georg von GOTTES GNADEN Großherzog von Mecklenburg pp. Demnach Wir den Schutzjuden Sohn Levin Marcus Lychenheim in Fürstenberg auf sein a.u. Anhalten in Unsern Schutz genommen, und ihn gnädigst gestattet haben, in Unserer Stadt Fürstenberg zu wohnen, und daselbst, hinsichtlich des Einkaufs aber auch auf dem platten Lande des hiesigen Herzogtums einen Handel mit Producten, d.h. mit roher Wolle, Blätter Taback, Fellen, Häuten, Wachs, Federn, und ähnlichen dergleichen Dingen, auch mit Lumpen, insofern er dieserhalb der bestehenden Verordnung Genüge leisten wird - mithin mit Ausschluß alles Handels mit Getreide, Butter, und anderen sonstigen, zum Verchehre der christlichen Einwohner, und Handelsleute lediglich verbleibenden Gegenständen zu treiben, jedoch daß er gegen jedermann sich unverweislich betragen, Unsern Landes- und andern Verordnungen gehörig Folge leiste, alles sonstigen Verchehrs mit andern Waaren einer jeden Art, welche zum kleinen Handel der Juden gehören ... sich gänzlich enthalten, ... Neustrelitz, den 15.April 1834
Auf Grund der liberalen Judenpolitik folgten bald weitere Familien nach; bis zum ersten Drittel des 19.Jahrhunderts war nun eine stete Zunahme zu verzeichnen. Als zweitgrößte jüdische Gemeinde des Herzogtums machte der jüdische Bevölkerungsanteil an der Gesamtbevölkerung Fürstenbergs zeitweise annähernd etwa 20% (!) aus. Aus Kaufleuten und Händlern verschiedenster „Sparten“ (so Pferdehändler, Altwarenhändler, Hausierer), aber später auch aus Angestellten und Arbeitern setzte sich die jüdische Bevölkerung zusammen. Der vermögendere Teil der Fürstenberger Juden erwarb eigene Wohnhäuser; die sozial schwächeren wohnten bei christlichen Hauseigentümern zur Miete.
Im Jahre 1777 wurde mit Erlaubnis des Herzogs ein einfaches Gebäude als Gebetshaus erstellt. Zwei Jahre später regelte die Fürstenberger Judenschaft in einem Reglement ihre inneren gemeindlichen „Angelegenheiten“.
Sowohl die 1788 erstellte Synagoge (Standort war ein angekauftes Grundstück im Westteil der Stadt) als auch die drei Jahre zuvor eingerichtete jüdische Schule wurden 1797 Opfer des großen Stadtbrandes. Die nach dem Stadtbrand von 1797 neu errichtete Synagoge wurde fünf Jahrzehnte später umfassend renoviert.
Laut der Gemeindestatuten von 1808 wurde die Fürstenberger israelitische Gemeinde von drei Vorstehern geleitet; die vom Landesherrn oktroyierte Gemeindeordnung von 1854 sah dann nur noch einen Vorsteher vor.
Weit vor der Stadt war mit herzoglicher Genehmigung bereits Anfang der 1730er Jahre ein eigener Friedhof angelegt worden, der mehrere Jahrzehnte lang in Nutzung war. Danach fanden Begräbnisse auf einem Areal an der Amtsstraße statt. Nach der Angliederung der jüdischen Gemeinde an die von Neubrandenburg (1914) verwahrloste der Friedhof, obwohl noch bis 1925 hier Bestattungen erfolgten. Mittels finanzieller Zuwendungen von auswärts wohnenden ehemaligen jüdischen Bewohnern Fürstenbergs und durch bereitgestellte Gelder durch die Kommune wurde das Begräbnisgelände wieder hergestellt. Wenige Monate vor Kriegsbeginn wurde der jüdische Friedhof schließlich eingeebnet; später wurden auf dem Gelände Kleingärten angelegt. Vom Friedhof gibt es heute keinerlei Relikte mehr.
Juden in Fürstenberg:
--- 1823 ............................. 45 jüdische Haushalte,
--- um 1830/40 ................... ca. 260 Juden,
--- 1851 ............................. 130 " ,
--- 1880 ......................... ca. 50 " ,
--- 1890 ......................... ca. 30 " ,
--- 1913 ............................. 12 “ ,
--- 1935 ............................. 2 " ,
--- 1940 ............................. eine Jüdin.
Angaben aus: M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in ..., S. 351
und Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Fürstenberg (Havel)
hist. Postkarte, um 1900 (aus: wikipedia.org, CCO)
In den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts führte Abwanderung der jüdischen Familien zu einer rapiden Dezimierung der Zahl der Gemeindeangehörigen. 1913/1914 wurde die nun nicht mehr lebensfähige Gemeinde schließlich aufgelöst, die Synagoge aufgegeben und veräußert. Die wenigen verbliebenen Juden schlossen sich der Gemeinde Neubrandenburg an.
Mit dem Auftreten einer Ortsgruppe des Deutsch-Völkischen Schutz- u. Trutzbundes setzte auch in Neubrandenburg die antijüdische Hetze ein, die dann mit dem Beginn der NS-Herrschaft – wie überall in Deutschland - staatlich sanktioniert und sich in Repressalien gegen die wenigen vorhandenen jüdischen Einwohner dokumentierte. 1935 lebten dann nur noch zwei jüdische Einwohner in Fürstenberg.
Die letzten beiden jüdischen Bewohner verließen Ende der 1930er Jahre die Kleinstadt, so dass der Bürgermeister die „Entjudung“ seiner Stadt vermelden konnte.
2012 wurde der erste sog. „Stolperstein“ in Fürstenberg (Röblinsee-Siedlung) verlegt; dieser erinnert an die ehem. jüdische Einwohnerin Ruth Hamburger, die sich kurz vor ihrer Deportation das Leben nahm.
In unmittelbarer Nähe Fürstenbergs wurde 1939/1940 das Konzentrationslager Ravensbrück eingerichtet; es war das größte deutsche KZ für weibliche Häftlinge auf deutschem Boden; es bestand bis April 1945. Das Gelände des Lagers umfasste eine Fläche von ca. 170 Hektar. Das KZ Ravensbrück besaß 45 Außenlager bzw. -kommandos im Reichsgebiet sowie in den besetzten Gebieten, in denen Frauenhäftlinge Zwangsarbeit in der Industrie - hauptsächlich für die Kriegswirtschaft - verrichten mussten. Als sich die Front dem KZ Ravensbrück immer mehr näherte, wurde es ab dem 27. April 1945 schließlich von der SS geräumt und die Insassinnen auf den Todesmarsch getrieben; lediglich schwerkranke Häftlinge blieben zurück. Am 30. April erreichten sowjetische Truppen Fürstenberg und befreiten die verbliebenen Häftlinge des KZs. Die auf dem Todesmarsch befindlichen Frauen wurden bis zum 3. Mai 1945 von sowjetischen Einheiten eingeholt und ebenfalls befreit.
Seit 1959 befindet sich auf dem Gelände die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (obige Abb. aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0).
Gedenkzeichen auf ehem. Lagergelände (Aufn. Z., 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Hinweis: In Fürstenberg/Oder – heute Ortsteil von Eisenhüttenstadt – erinnert bis heute ein jüdischer Friedhof an die einstige kleine israelitische Gemeinschaft, die der Gubener Gemeinde zugeordnet war. Verstorbene wurden zunächst in Friedland beigesetzt. Ein eigener Friedhof wurde in Fürstenberg 1840 weit außerhalb der Stadt, angelegt, der etwa fünf Jahrzehnte in Nutzung war. Ein neuer jüdischer Friedhof wurde im Jahre 1890 eingeweiht; die letzte Beisetzung fand hier 1939 statt.
Ende der 1920er Jahre lösten sich die wenigen jüdischen Familien aus der Gubener Gemeinde und gründeten eine autonome Gemeinde.
In der NS-Zeit und danach wurde die Begräbnisstätte am Kirchhofweg mehrfach geschändet und teilweise abgeräumt; von den ursprünglich 20 bis 25 Steinen sind nur noch ca. 15 erhalten.
Friedhof Fürstenberg/Oder (Aufn. J. Rzadkowski, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Vom ersten jüdischen Friedhof gibt es heute keinerlei Spuren mehr.
Weitere Informationen:
Frauen-KZ Ravensbrück, Autorenkollektiv unter Leitung von G.Zörnerm Hrg. Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, Röderberg-Verlag, Frankfurt/M., 1982
Ino Arndt, Das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, in: "Dachauer Hefte", No.3/1987, S. 125 ff.
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche u. Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 351
Bernhard Strebel, Ravensbrück - das zentrale Frauenkonzentrationslager, in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Hrg. Herbert/Orth/Dieckmann, Verlag Wallstein, Göttingen 1998, Bd. 1, S. 215 - 258
Wolfgang Stegemann, Fürstenberg/Havel – Ravensbrück. Beiträge zur Kulturgeschichte einer Region zwischen Brandenburg und Mecklenburg. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Verlag Hentrich & Hentrich: Teetz 2000
Wolfgang Weißleder, Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 35
Wolfgang Stegemann/Wolfgang Jakubeit, Fürstenberg/Havel – Ravensbrück. Beiträge zur Kulturgeschichte einer Region zwischen Brandenburg und Mecklenburg, Bd. 2: Im Wechsel der Machtsysteme des 20. Jahrhunderts, Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 2004.
Günter Popp, Strelitz-Alt hatte eine eigene jüdische Polizei. Jüdisches Leben in Fürstenberg und im Strelitzer Land, in: "Mecklenburg Heimatzeitschrift für Landsleute und Freunde Mecklenburgs", Bd. 47, Schwerin 2005
Felicitas Spring (Red.), Einblicke in die jüdische Gemeinde Fürstenberg/Havel im 19.Jahrhundert, in: Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V. (Hrg.), "Mitteilungsblatt", 113.Jg (2012), Heft 2, S. 85/86
Felicitas Spring, Die jüdische Gemeinde in Fürstenberg (Havel) vom 18. bis 20.Jahrhundert: zugleich ein Beitrag zur Familiengeschichte des Schutzjuden Gottschalck Moses und der Familie Riess, in: "Herold-Jahrbuch", Jg. 17, Berlin 2012, S. 145 - 259
Sabine Slatosch (Red.), Erster Stolperstein mahnt in Fürstenberg, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 2.12.2012
Felicitas Spring (Red.), Die jüdische Gemeinde Fürstenberg (Havel) und ihre Mitglieder 1854/55, in: "Zeitschrift für Mitteldeutsche Familiengeschichte", No.54/2013, S. 38 – 42
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Fürstenberg (Havel), in: Die Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 24.9.2015, in: http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Fuerstenberg_Havel
Felicitas Spring (Bearb.), Geschichte der jüdischen Gemeinde in Fürstenberg/Havel und der jüdische Friedhof, in: Universität Potsdam - Institut für jüdische Studien und Religionswissenschaft (Hrg.), Jüdische Friedhöfe in Brandenburg, online abrufbar unter: uni-potsdam.de/
Katja Anders/u.a. (Bearb.), Was bleibt? Spuren jüdischer Geschichte in Fürstenberg/Havel: Historische Stadttouren, 2018
Jürgen Rammelt (Red.), Gedenken. Auf einmal war Toni verschwunden, in: „MOZ – Märkische Oderzeitung“ vom 10.11.2019