Geroldshausen (Unterfranken/Bayern)

Datei:Geroldshausen in WÜ.svg Geroldshausen ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.300 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Würzburg und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim – kaum 20 Kilometer südlich von Würzburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Würzburg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts stellten Angehörige der hiesigen israelitischen Gemeinde fast ein Drittel der Dorfbevölkerung.

Eine kleine jüdische Gemeinschaft wird erstmals 1345 in Geroldshausen erwähnt; in den folgenden Jahrhunderten gibt es keine Quellen zu jüdischer Ansiedlung im Dorfe. Die Wurzeln einer Gemeinde liegen im ausgehenden 17.Jahrhundert.

Als „bischöflicher Schutzjude“ erhielt der Viehhändler und „Wechseljud“ Elias Löw gegen Mitte des 18.Jahrhunderts das Recht zur Niederlassung im Dorf zugesprochen; er besaß in der Hauptstraße damals eines der ansehnlichsten Gehöfte im Dorf. (Hinweis: Seine Familie nahm 1817 den Familiennamen „Neumann“ an und spielte innerhalb der hiesigen jüdischen Gemeinde eine besondere Rolle. Die wohlhabende Familie verließ 1898 das Dorf.)

Auf den Matrikellisten von 1817 sind für Geroldshausen insgesamt 10 Familienvorstände genannt.

Bereits 1730 ist eine „alte Schul“ auf dem Gelände des Ritterschaftlichen "Judenhofes" belegt; auch eine Mikwe soll damals vorhanden gewesen sein. Gegen 1840 wurde dann ein neues Synagogengebäude im „Judenhof“, der heutigen Hauptstraße, errichtet; dessen gottesdienstliche Nutzung soll vermutlich in den Jahren nach der Jahrhundertwende eingestellt worden sein. Das Gebäude ist baulich erhalten geblieben und dient heute Wohnzwecken.

           Ehem. Synagogengebäude (Aufn. in: I.Schwierz, um 1985)

Zwischen 1820 und 1840 verrichtete der Ortsrabbiner Abraham Ellinger aus Giebelstadt die religiösen Dienste (Religionsunterricht) in Geroldshausen. Gemeinsam mit der Nachbargemeinde Kirchheim hatten danach die Gerolshausener Juden einen Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet fungierte.

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Allersheim, einige möglicherweise auch in Wenkheim, beerdigt.

Die kleine Gemeinde gehörte wie die meisten israelitischen Gemeinden des Bezirksamtes Ochsenfurt von 1840 bis 1850 zum Rabbinatbezirk von Marktsteft, bis 1871 zu Mainbernheim, bis 1937 zum Bezirksrabbinat Kitzingen, zuletzt dann zu dem von Würzburg.

Juden in Geroldshausen:

         --- 1740 .........................  6 Schutzjuden-Familien,

    --- 1750 .........................  3      "          "   ,

    --- 1813 ......................... 50 Juden (in 11 Familien),

    --- 1817 ......................... 16 jüdische Familien,

    --- 1839 ......................... 14     "        "   (ca. 60 Pers.),

    --- 1848 ......................... 10     "        "   (ca. 55 Pers.),

    --- 1867 ......................... 35 Juden (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1890 ......................... 28   “  ,

    --- 1910 ......................... 12   “  ,

    --- 1925 ......................... 12   “  ,

    --- 1933 .........................  9   “   (in 3 Familien),

    --- 1939 .........................  9   “  ,

    --- 1942 (Febr.) .................  2   “  ,

             (Mai) ...................  keine.

Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 299

und                 Synagogenarchiv (Synagoge Memorial) Jerusalem

und                 Synagogengedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine ..., S. 647

 

Auf Grund der immer weniger werdenden Gemeindemitglieder konnte kaum der für Gottesdienste erforderliche Minjan erreicht werden, so dass möglicherweise bereits nach 1900 die Synagoge nicht mehr genutzt wurde.

Durch die zunehmenden Repressalien und die Folgen des wirtschaftlichen Boykotts verarmten die hier noch lebenden Juden; 1937 waren vier unterstützungsbedürftig geworden.

Über Ausschreitungen beim Novemberpogrom 1938 ist nichts bekannt. 1940/1941 konnten noch fünf jüdische Einwohner in die USA emigrieren, einer verzog 1940 nach Würzburg, von wo aus er im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt verbracht wurde. Die letzten beiden jüdischen Dorfbewohner wurden Ende April 1942 - über Würzburg - ins „Generalgouvernement“, konkret nach Izbica/bei Lublin, deportiert.

Nach Angaben der Gedenstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 18 aus Geroldshausen stammende bzw. hier länger ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/geroldshausen_synagoge.htm).

1942 war das gemeindliche Grundeigentum für einen Spottpreis von RM 522,20 (!) an die Ortsgemeinde übertragen worden; wo die Ritualgegenstände verblieben sind, ist nicht bekannt. Das zeitweilig als Lager- und Wohnhaus genutzte Synagogengebäude ist noch erhalten. Hingegen wurde das angrenzende jüdische Gemeindehaus (vermutlich in den 1960er Jahren) abgerissen.

 

2004 wurde im Dorf ein Gedenkstein enthüllt, der die Worte trägt: „Die Würde des Menschen ist in Gefahr. Geschichte und Gegenwart mahnen zur Menschlichkeit. Die Gemeinde Geroldshausen gedenkt der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Verfolgung.(Anm.: Auf die jahrhundertelange Existenz jüdischer Familien im Dorf und ihre Verfolgung während der NS-Zeit wird nicht explizit eingegangen.)

Geroldshausen beteiligt sich - wie zahlreiche andere unterfränkische Kommunen - am Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" in Würzburg  (vgl. dazu: Würzburg/Bayern).

            Koffer und Deckenrolle (Aufn. G Ehrhardt, aus: denkort-deportationen.de)

Jüngst fanden am neuen Dorfplatz in Geroldshausen die aus Muschelkalk gefertigten Doubletten der Koffer- und Deckenskulptur - symbolisch an die deportierten jüdischen Gemeindeangehörigen erinnernd - ihren festen Platz (2022); in Anwesenheit von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates, wurde das steinerne Ensemble der Öffentlichkeit übergeben.

 

In seinem 2001 erschienenen Buch „Der Judenacker – eine Erbschaft“ zeichnet Ulrich Völklein zum einen die Geschichte der gesellschaftlichen Aussonderung, Entrechtung, Deportation und Ermordung der Geroldhausener Juden nach, zum anderen auch die Geschichte der gesellschaftlichen Reintegration der SS-Täter in die Dorfgemeinschaft nach 1945. Parallel hierzu erzählt er das Schicksal von Heinz Maier, der bei Kriegsende als amerikanischer Soldat an den Ort seiner Jugend zurückkehrte; ihm war es gelungen, unmittelbar vor seiner Emigration (1941) das Archiv der jüdischen Gemeinde seiner Heimat zu verstecken.

Aus Geroldshausen stammte Dr. Abraham Neumann (geb. 1809), der nach Besuch der Fürther Jeschiwa und Studium an der Universität Würzburg als Rabbiner tätig war. 1843 übersiedelte er nach Riga; hier fand er große Anerkennung als deutscher Prediger (eine Zeitlang als Oberrabbiner), vor allem aber als Direktor der dortigen modernen jüdischen Gemeindeschule. Diese sollte dann Vorbild für die staatlichen jüdischen Schulen Russlands werden. Anfang der 1860er Jahre ging Dr. Neumann nach St. Petersburg, wo er bis zu seinem Tode als Rabbiner und Religionslehrer amtierte.

 

[vgl. Kirchheim (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 299

Jutta Sporck-Pfitzer, Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg, hrg. vom Landkreis Würzburg, Würzburg 1988, S. 61

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 62

Geroldshausen, in: alemannia-judaica.de

Hanskarl Mühlhäuser/Paul M. Ritzau, Geroldshäuser Leben. Eine Dorfchronik von Geroldshausen in Wort und Bild, Geroldshausen 2000

Ulrich Völklein, Der Judenacker - eine Erbschaft. Eine familien- und ortsgeschichtliche Untersuchung, Gerlingen 2001

Peter Roos (Red.), „Nix mehr wiss!“. Wie ein Dorf in Franken mit seinem "Judenacker lebt" – und einem Buch darüber, aus: „Die ZEIT“, No. 51/2002

Ulrich Völklein/u.a., Geroldshäuser Leben. Weiterführung der Dorfchronik aus dem Jahre 2000 durch Befragung von Zeitzeugen, Geroldshausen 2004

Traudl Baumeister (Red.), Mahnung zur Menschlichkeit – Gedenkstein für Opfer von Krieg, Gewalt und Verfolgung, aus einem Artikel der Lokalzeitung aus dem Jahre 2004

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 225

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Geroldshausen mit Kirchheim, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 640 - 650

Gemeindeverwaltung Geroldshausen (Hrg.), Jüdisches Leben in Geroldshausen, online abrufbar unter: geroldshausen.de/geschichte/jüdisches-leben

Pirmin Breninek (Red.), Eine unterfränkische Gemeinde stellt sich ihrer NS-Geschichte, in:: BR24 vom 11.9.2022

Stefan W. Römmelt (Red.), Geroldshausen. Ein Koffer zum Erinnern, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 15.9.2022