Grebenstein (Hessen)

Bildergebnis für landkreis kassel ortsdienst karte Grebenstein mit derzeit ca. 6.000 Einwohnern ist eine Kleinstadt im nordhessischen Landkreis Kassel – ca. 20 Kilometer nördlich von Kassel gelegen (Ausschnitt aus hist Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis Kassel', aus: ortsdienst.de/hessen/landkreis-kassel).

 

Erstmals fanden Juden in Grebenstein im Jahre 1345 Erwähnung.

undefinedGrebenstein um 1655 - Stich Merian (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Während des Dreißigjährigen Krieges wurden jüdische Familien in Grebenstein ansässig; ob bereits in den Jahrhunderten zuvor Juden hier dauerhaft gelebt haben, ist urkundlich nicht nachweisbar. Im Laufe des 18.Jahrhunderts nahm die Zahl der unter dem Schutz des hessischen Landgrafen stehenden jüdischen Familien am Ort zu; ihren Lebensunterhalt verdienten sie zu diesem Zeitpunkt durch Garn-, Häute- und Lederhandel. Für das Jahr 1776 sind für die Stadt allein sechs jüdische Metzger namentlich genannt; es waren: Abraham Ganß, Samson Ahrend, Samson Jacob, Gumbert Itzig's Witwe, Wolf Ganß und Salomon Abraham. Von diesen Familien blieb allein die Familie Gans über mehrere Generationen in Grebenstein ansässig.

In der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts fanden in Grebenstein drei hessische Judenlandtage statt (1773, 1776 und 1800), die vor allem Steuer- und Verwaltungsfragen behandelten.

                 Einladung zum Judenlandtag nach Grebenstein (März 1773):

                                                                

Ab ca. 1840 hielt die Gemeinde ihre Gottesdienste im jüdischen Schulhaus, einem Fachwerkgebäude, ab. 1894/1895 ließ die orthodox ausgerichtete Gemeinde an gleicher Stelle einen Synagogenneubau errichten.

 

Synagoge in Grebenstein - hist. Aufn. (links: aus Encyclopedia of Jewish Life, Bd. I, S. 452, rechts: aus Ortsarchiv)

Synagogengebäude - Aufn. 1928 (aus: Ackerbürgermuseum Grabenstein)

Dieses recht repräsentative Backsteingebäude war durch die Spende zweier ehemaliger Gemeindemitglieder, den Söhnen des Frankfurter Bankiers Mayer Goldschmidt, ermöglicht worden. Zur selben Zeit richtete der Frankfurter Bankier Rothschild eine Stiftung ein, mit der sozial-schwache Familien der Stadt regelmäßig unterstützt werden sollten; zudem wurden jeweils zwei Juden und Mädchen am Tag ihrer Konfirmation vollständig eingekleidet. Der Verwalter dieser Stiftung war der jüdische Kaufmann Jacob Rosenbaum.

Über einen eigenen Rabbiner verfügte die Gemeinde nicht; das Amt des Kantors übte der jüdische Lehrer aus. Eine jüdische Elementarschule gab es in Grebenstein seit 1832; mit kurzzeitigen Unterbrechungen wurde diese Schule bis ins Jahr 1911 betrieben; denn als die Zahl der jüdischen Schüler um die Jahrhundertwende deutlich abnahm, musste die Einrichtung endgültig geschlossen werden.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20458/Grebenstein%20Israelit%2019110907.jpgaus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.9.1911

                                 Stellenangebot von 1919https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20458/Grebenstein%20Juedische%20Rundschau%2019190808.jpg (aus: "Jüdische Rundschau")

Nachdem anfänglich die verstorbenen Grebensteiner Juden auf dem Friedhof in Meimbressen beerdigt wurden, stand ab Anfang der 1850er Jahre ein Areal am nahen Burgberg zur Verfügung; auf dem Gelände wurden auch Verstorbene aus Immenhausen, Holzhausen und Meimbressen beigesetzt. Im Antrag um die „Ertheilung der Erlaubniß zur Anlegung eines Todtenhofes daselbst” vom Mai 1849 hieß es:

„ ... Solange die hiesige israelitische Gemeinde besteht haben wir unsere Leichen auf dem 1 1/2 Stunde von hier gelegenen Totenhof zu Meimbressen begraben, abgesehen davon daß dieses für uns sehr Unangenehm ist besonders an heißen Sommertagen, wodurch daß Fahren die Leichen einen solchen Geruch von sich geben, daß in Meimbressen angekommen wir kaum im Stande sind die Leiche beerdigen zu können ... So verursacht uns dieses so viele Kosten, die Gewiß dem Unbemittelten sehr drücken. Da wir nun zur Anlegung eines Totenhofes ein hierfür passendes Grundstück gekauft haben, so ergeht an Kurfürstliches Ministerium unsere Bitte, uns die Erlaubniß ... gnädigst baldigst zu Gestatten.”

 

Der Grebensteiner Kultusgemeinde angeschlossen waren auch die wenigen jüdischen Bewohner von Holzhausen, Immenhausen und weiterer Dörfer im Reinhardswald.

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.

Juden in Grebenstein:

    --- 1704 ............................   4 jüdische Familien,

    --- um 1730 .........................  19 jüdische Familien,

    --- 1826 ............................  98 Juden,

    --- 1835 ............................ 105   “  ,*         *andere Angabe: 124 Pers.

    --- 1849 ............................ 163   “  ,

    --- 1861 ............................  85   “  ,

    --- 1871 ............................  85   “  ,

    --- 1895 ............................  70   “  ,

    --- 1905 ............................  57   “  ,**       ** mit Immenhausen/Holzhausen 92 Pers.

    --- 1927 ............................  64   “  ,

    --- 1930 ............................  67   “  (in 13 Familien),

    --- 1933 ............................  49   “  ,

    --- 1939 (Sept.) ....................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 276

und                 Anke Schwarz, Jüdische Gemeinden zwischen bürgerlicher Emanzipation und Obrigkeitsstaat, S. 94

 

Zuzug und eine hohe Geburtenrate ließen die Zahl der Juden in Grebenstein in den 1840er Jahren deutlich ansteigen. Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts lebten die jüdischen Familien vor allem vom Vieh- und Einzelhandel; sie fanden sich aber zunehmend in Handwerksberufen. Ihre ökonomische Situation wird als durchschnittlich dargestellt, einige Familien waren aber wohl recht vermögend. Im Leben des Ortes nahmen die hiesigen Juden regen Anteil; sie waren Mitglieder in verschiedenen Vereinen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20458/Grebenstein%20Israelit%2018891121.jpg(1889)   https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20458/Grebenstein%20Israelit%2018940111.jpg (1894)

Noch Anfang der 1930er Jahre lebten 13 jüdische Familien in Grebenstein, die fast alle gewerblich tätig waren, zumeist mit kleinen Geschäften und Viehhandlungen. Es waren dies: W. Möllerich (Gemischtwarenhandel), Lion Katz u. Louis Katzenberg (Viehhandel), David Adler, Regenstein, W.Voremberg, Goldwein (Vieh- bzw. Pferdehandelhandel), B. Mandelstein u. W. David (Textilhandel), J. Simon Rosenbaum u. Michael Neuhahn (Landhandel).

Alsbald setzte die Ab- und Auswanderung der jüdischen Familien aus Grebenstein ein, da ihre wirtschaftliche Existenz ernstlich bedroht war.

Die gewalttätigen Ausschreitungen während des Pogroms im November 1938 führten auch zur Verwüstung jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser; ebenfalls wurde die Inneneinrichtung der Synagoge demoliert. Die Synagoge wurde nach den Zerstörungen der „Reichskristallnacht“ zwei Jahre später abgebrochen.

Abbruch des Synagogengebäudes (Ackerbürgermuseum Grebenstein/Hofgeismar)

Zu Kriegsbeginn lebten bereits keine jüdischen Bewohner in Grebenstein mehr. Während einigen Familien eine Emigration gelang, verzogen die meisten in Städte innerhalb Deutschlands (vor allem nach Kassel).

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind nachweislich 40 gebürtige bzw. längere Zeit in Grebenstein ansässig gewesene Juden Opfer der „Endlösung“ geworden. (vgl. namentliche Nennung der betroffenen Personen in: alemannia-judaica.de/grebenstein_synagoge.htm).

Einer der wenigen, der überlebte, war Wilhelm David - er war Träger des preußischen Verdienstordens 'pour le mérite' in Gold – und seine Familie. Auch der Kaufmann Erwin Machol überstand die NS-Zeit, kehrte nach Grebenstein zurück, übernahm bald das ehemalige Geschäft von Bernhard Mandelstein und richtete ein Textilgeschäft ein. Erwin Machol verstarb 1980 und wurde auf dem hiesigen jüdischen Friedhof begraben.

 

Der jüdische Friedhof der Grebensteiner Kultusgemeinde zählte Mitte der 1930er Jahre 1936/1937 noch fast 80 Grabsteine, von denen in der NS-Zeit zahlreiche Steine „abhanden“ kamen. Damals gab es von Seiten der Kommunalbehörden sogar Bestrebungen, das ca. 1.000 m² große Begräbnisgelände völlig einzuebnen und hier eine Maulbeerplantage anzulegen. Nach 1945 sollen dann etliche Grabsteine wieder "aufgetaucht" sein.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20169/Grebenstein%20Friedhof%20156.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20169/Grebenstein%20Friedhof%20158.jpg

Impressionen vom jüdischen Friedhof in Grebenstein (Aufn. J. Hahn, 2006)

Eine Gedenktafel am einstigen Standort der Synagoge informierte: „Hier stand die im Jahre 1895 erbaute Synagoge der Jüdischen Gemeinde Grebenstein. Das Gebäude wurde 1938 innen zerstört und später abgerissen“. Nach Zerstörung dieser Tafel wurde eine ähnliche aus Bronze angebracht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20169/Grebenstein%20Synagoge%20150.jpg Neuere Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2008)

2010 wurden in Grebenstein an acht Standorten ca. 20 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die vor den ehemaligen Wohnsitzen jüdischer Familien ins Gehwegpflaster eingefügt wurden.

Stolperstein Fritz Oberdorff, 1, Marktstraße 7, Grebenstein, Landkreis Kassel.jpgStolperstein Dina Oberdorff, 1, Marktstraße 7, Grebenstein, Landkreis Kassel.jpg Stolperstein Louis Katzenberg, 1, Steinweg 10, Grebenstein, Landkreis Kassel.jpgStolperstein Mathilde Katzenberg, 1, Steinweg 10, Grebenstein, Landkreis Kassel.jpg

verlegt in der Marktstraße  und  am Steinweg


verlegt am Ziegenrück (alle Aufn. G., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 276/277

Magistrat der Stadt Grebenstein (Hrg.), 650 Jahre Grebenstein 1324 - 1974, Kassel 1974

Wolfgang Tölle (Hrg.), Geschichte der Stadt Grebenstein, Grebenstein 1984

A.Heilbrunn/M-Dorhs (Bearb.), Aus der Geschichte der Synagogengemeinden des Altkreises Hofgeismar, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Fremde im eigenen Land. Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in den alten Kreisen Hofgeismar, Kassel, Wolfhagen und in der Stadt Kassel, Hofgeismar 1985, S. 58 - 63

Achim Hähnert, Die jüdische Gemeinde in Grebenstein, in: grebenstein.topcities.com/juden

Grebenstein, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Anke Schwarz, Jüdische Gemeinden zwischen bürgerlicher Emanzipation und Obrigkeitsstaat. Studien über Anspruch und Wirklichkeit jüdischen Lebens in kurhessischen Kleinstädten im 19.Jahrhundert, Hrg. Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden 2002, S. 93/110, S. 128/130, S. 146/154 und S. 174/184

Michael Dorhs, Nachbarn, die keiner mehr kennt ... - Schicksale jüdischer Familien aus Grebenstein nach 1933, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Das achte Licht - Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. Kassel 1834, Zweigverein Hofgeismar, Hofgeismar 2002, S. 143 - 166

Wolfgang Tölle, Gegen das Vergessen: Auch in Grebenstein gab es eine „Jüdische Gemeinde“, online abrufbar unter: toelle-grebenstein.privat.t-online.de/aktion.htm

Peter Kilian (Red.), 41 neue Stolpersteine kommen in die Erde, in: „HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 7.12.2010

Tanja Temme (Red.), Wichtiges Stück Kultur-Historie, in: „HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 20.9.2012

Achim Hähnert, Meine Stadt Grebenstein und ihre Geschichte (ein Kapitel befasst sich mit der jüdischen Gemeinde), online abrufbar unter: grebenstein-topcitiies.de

Auflistung der in Grebenstein verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Grebenstein