Grenzhausen (Rheinland-Pfalz)
Die heutige Bezeichnung des Ortes ist Höhr-Grenzhausen (Westerwald-Kreis); es ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 9.500 Einwohnern - im sog. Kannenbäckerland ca. 20 Kilometer nordöstlich von Koblenz gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Westerwaldkreis', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/westerwaldkreis).
Erste Hinweise auf jüdisches Leben in Grenzhausen stammen aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert. Bis 1778 erhöhte sich die Anzahl der jüdischen Familien in Grenzhausen auf elf. Im gleichen Jahre fand ein Lehrer Erwähnung, der als „Schulmeister Panthiel“ bezeichnet wurde. Das lässt den Schluss zu, dass in Grenzhausen spätestens seit 1778 eine Synagoge („Judenschule“) bestanden haben könnte. 1796 wird als "Judenvorsteher" ein gewisser „Leib Calmen“ genannt.
In einem angekauften Gebäude in der Seiferwiese, auch „Judengasse“ genannt, richtete die Gemeinde Anfang der 1860er Jahre ihren neuen Betraum ein; hier wurden auch die jüdischen Kinder religiös erzogen. Da der Betsaal im Laufe der Zeit durch aufsteigende Feuchtigkeit unbrauchbar zu werden drohte, ging man an die Planung eines neuen Synagogengebäudes. In einem Aufruf des Vorstandes der Kultusgemeinde von 1890 hieß es dazu:
Kurz vor der Jahrhundertwende wurde - auf Initiative eines jüdischen Ehepaares - eine neue Synagoge in der Kasinostraße gebaut, die 1905 in den Besitz der kleinen Gemeinde überging.
Über die am 2.Febr. 1900 erfolgte Einweihung berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums” wie folgt:
Grenzhausen bei Koblenz, 9. Februar (1900). Hier fand am Freitag die feierliche Einweihung der neuen Synagoge statt. Ein stattlicher Festzug, an dem sich der Bürgermeister, der Landrath Dr. Schmidt aus Montabaur, das Lehrerkollegium, der Gemeindevorstand sowie zahlreiche Bürger betheiligten, begab sich von der alten Synagoge durch die reich beflaggten Feststraßen nach dem neuen Gotteshaus. Die alle Hörer tief ergreifende Festrede hielt Rabbiner Dr. Weingarten aus Ems. Abend fand unter großer Betheiligung der ganzen Einwohnerschaft ein Konzert statt, wobei von Rabbiner Dr. Weingarten das Kaiserhoch ausgebracht wurde. Der Bau der Synagoge wurde auf Veranlassung und auf Kosten des Herrn Charles Ullmann und zwar zur Erinnerung an die verstorbene Mutter des Letzteren ausgeführt.
Anm.: Ein wesentlich ausführlicherer Artikel über die Synagogeneinweihung erschien in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Febr. 1900.
Ehem. Synagoge in der Kasinostraße (hist. Aufn., Landesamt)
Als die Zahl der Gemeindeangehörigen immer geringer wurde, fanden nach 1920/1925 hier nur noch an hohen Feiertagen Gottesdienste statt.
Ein eigenes Friedhofsgelände besaß die Gemeinde ab ca. 1885 in einem Waldgelände nordwestlich des Ortes – an der Gemarkungsgrenze in Richtung Grenzau; doch lassen sich aber bereits seit dem 18.Jahrhundert Begräbnisse am Ort nachweisen.
Die israelitische Gemeinde Grenzhausen zählte zum Rabbinatsbezirk Bad Ems (bzw. Bad Ems - Weilburg).
Juden in Grenzhausen:
--- um 1685 ....................... 4 jüdische Familien,
--- 1707 .......................... 3 " " ,
--- um 1725 ...................... eine “ “ (),
--- 1778 ......................... 11 " " ,
--- 1806 ......................... 11 “ “ ,
--- 1815 ......................... 9 " " ,
--- 1823/24 ...................... 8 “ “ ,
--- 1843 ......................... 82 Juden,
--- 1871 ......................... 69 “ ,
--- 1895/1900 .................... 64 “ ,
--- 1925 ......................... 21 “ ,
--- 1933 ......................... 25 " ,
--- 1942/43 ...................... 2 “ .
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 277
Die im 19.Jahrhundert in Grenzhausen beheimateten jüdischen Familien lebten in rechtbescheidenen Verhältnissen; ein Teil von ihnen war als Viehhändler tätig.
zwei gewerbliche Anzeigen von 1902/1903
Die Abwanderung der jüdischen Bewohner begann in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Grenzhausen dann nur noch sehr wenige jüdische Familien; sie verzogen in den folgenden Jahren zumeist in größere Städte.
In den Novembertagen 1938 kam es auch in Grenzhausen zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber den wenigen jüdischen Familien; so wurden Fensterscheiben eingeschlagen und Hausrat auf die Straße geworfen. Obwohl das Synagogengebäude an der Kasinostraße wohl Monate vor der „Kristallnacht“ verkauft worden war, versuchten auswärtige SA-Angehörige die Synagoge zu zerstören; zwei Ortsbewohnern gelang es, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. Jahre später wurde das Gebäude zu einem Wohnhaus umgebaut. Auf Grund der ortsfernen Lage des jüdischen Friedhofs blieb dieser damals von Schändung bzw. Zerstörung verschont.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 28 gebürtige bzw. länger in Grenzhausen lebende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/grenzhausen_synagoge.htm).
Am Stadtpark an der Rathausstraße erinnert seit den 1990er Jahren eine Gedenktafel an die ehemaligen jüdischen Bewohner. Zwei Jahrzehnte später wurden – als Ergebnis eines Projektes des hiesigen Gymnasiums – an der Mauer des Stadtparks aus Keramik erstellte ziegelsteingroße Täfelchen angebracht, die an die 24 NS-Opfer erinnern; die Recherchen zu den betroffenen Personen hatten Schüler/Innen der Ernst-Barlach-Realschule zuvor angestellt.
Gedenktäfelchen (Abb. Verbandsgemeinde Höhr-Grenzhausen)
Der jüdische Friedhof - 1991 unter Denkmalschutz gestellt - weist auf einer Fläche von ca. 1.250 m² heute noch ca. 30 Grabsteine auf.
Zugang zum Friedhof (Aufn. Aislewolf, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In einem unterrichtlichen Projekt eines Leistungskurses einer 12.Klasse des „Gymnasiums im Kannenbäckerland“ entstand 2006 eine informative Gedenktafel, die am Eingang zum jüdischen Friedhof angebracht ist.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 277 f.
Herbert Fries, Alt-Höhr-Grenzhausen. Eine Chronik, Hrg. Stadt Höhr-Grenzhausen, o.J.
Uli Jungbluth, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Westerwald, Verlag D.Fölbach, Koblenz 1989
Joachim Jösch/Uli Jungbluth/u.a., Juden im Westerwald. Leben, Leiden und Gedenken, Montabaur 1998, S. 165 - 174
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 188/189
Grenzhausen, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Leistungskurs 12 des Gymnasiums Kannenbäckerland (Bearb.), Gedenktafel für den Judenfriedhof in Höhr-Grenzhausen (online abrufbar unter: 2-hands.de/dominik/homepage/ergebnisse_iuvssz.htm)
N.N. (Red.), Leben …. Spuren … Erinnerung, in: „Westerwald-Kurier“ vom 26.10.2015
Maja Wagener (Red.), In der Pogromnacht verschont: Wie Nachbarn die Synagoge in Grenzhausen vor den Nazis retteten, in: „Westerwälder Zeitung“ vom 6.9.2023