Jemgum/Ostfriesland (Niedersachsen)

Datei:Jemgum in LER.svg Jemgum ist eine kleine Kommune im Rheiderland/Ostfriesland mit derzeit ca. 3.600 Einwohnern; sie gehört zum Landkreis Leer (Kartenskizzen 'Landkreis Leer', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Gemeinde Jemgum', van Anken 2004, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

                              Abb. O., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

Der Flecken Jemgum bei Leer war der Hauptort des Niederrheiderlandes. Zu Beginn des 17.Jahrhunderts wird hier erstmals die Existenz eines Judens urkundlich erwähnt. Ob bereits seit dieser Zeit kontinuierlich jüdische Familien hier gelebt haben, lässt sich nicht belegen; ab 1637 schien es aber zu dauerhaften jüdischen Ansiedlungen gekommen zu sein. Seit Mitte des 17.Jahrhunderts war die nur aus wenigen Familien bestehende Jemgumer Judenschaft wohl Teil der Emder Gemeinde. Da damals im Ort noch keine gemeindlichen Einrichtungen zur Verfügung standen, nutzten die Jemgumer Juden weiterhin die Einrichtungen der Emdener Gemeinde; so begruben sie bis ca. 1670 z.B. ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof in Emden, der auch von Glaubensgenossen aus Bunde, Weener und Stapelmoor genutzt wurde. Anfang der 1670er Jahre wandten sich dann die Vertreter der Rheiderländischen Juden an die herrschende Fürstin und baten sie darum „in Gnaden zu consentiren, daß wyr unser endts in besagtem Ambte etwa ein halb oder gantz Diemat Landes vor ziemlichen Preiß an uns mogen erkaufen und selbiges zu einem Gottesacker vor unsere Todten benutzen dürfen“. Dieser Bitte kam die Fürstin nach; sie wies ihre Beamten an, die Juden bei ihrem Landkauf zu unterstützen; daraufhin erstanden die Rheiderländer Juden ein Grundstück in Smarlingen und legten dort einen Friedhof an, der fast zwei Jahrhunderte genutzt wurde.

Die Jemgumer Juden lebten in sehr bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. 1717 besaß lediglich eine einzige jüdische Familie ein eigenes Haus; die anderen lebten in von Privatleuten vermieteten Wohnungen und in Heuerkammern der Jemgumer Armenverwaltung. Laut einer Steuerliste waren 1730 dort nur zwei Juden erfasst, die anderen waren zu arm, um überhaupt besteuert zu werden.

Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts bildete sich in Jemgum eine kleine Gemeinde; sie zählte sechs bis acht Familien, die auf Grund eines Generalprivilegs hier leben konnten. Bis ca. 1810 muss es im Ort auch einen Betraum gegeben haben, der in einem Privathause untergebracht war. Nachdem vom Vorsteher der Gemeinde ein Grundstück in der Langen Straße angekauft worden war, ließ man im Garten ein kleines Synagogengebäude errichten, das fortan den Juden des Fleckens als gottesdienstlicher Mittelpunkt diente. Wie arm die Gemeinde war, zeigt die Tatsache, dass das Gebäude bald versteigert werden musste; doch dank auswärtiger Hilfe konnte es zurückerworben werden. Bis in die 1870er Jahre soll es von der kleinen Gemeinde in regelmäßiger Nutzung gewesen sein. 1898 schlug der Landesrabbiner den Jemgumer Juden vor, sich der Gemeinde in Weener anzuschließen. Dies lehnte die hiesige Judenschaft jedoch weiterhin ab.

Spätestens seit 1917 wurde die Jemgumer Synagoge dann nicht mehr genutzt; an hohen Feiertagen suchte man die Synagoge in Leer oder Weener auf.

Bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts gab es in Jemgum eine jüdische Elementarschule; seit 1852 besuchten die Kinder die lokale Volksschule; Religionsunterricht soll bis ca. 1900 von Lehrern der jüdischen Gemeinde Bunde erteilt worden sein.

Bis 1670 nutzte die kleine jüdische Gemeinde – gemeinsam mit den Glaubensgenossen von Weener, Bunde und Stapelmoor – den israelitischen Friedhof in Emden. Der dann über viele Jahrzehnte hinweg genutzte Friedhof in der ‚Flur Schmarle‘ (Smarlingen) bei Weener wurde gegen Mitte des 19.Jahrhunderts durch ein Bestattungsgelände ersetzt, das südwestlich der Ortschaft, am Jemgumer Sieltief, angelegt und bis Anfang der 1930er Jahre benutzt wurde.

Juden in Jemgum:

    --- um 1640 ...................... eine jüdische Familie,

    --- um 1735 ......................  6     “       “    n,

    --- 1757 .........................  8     "       "     ,

    --- um 1790 ......................  6     “       “     ,

    --- 1861 ......................... 14 Juden,

    --- 1873 .........................  7 jüdische Familien,

    --- 1885 ......................... 50 Juden,

    --- 1905 ......................... 20   “  ,

    --- 1925 .........................  9   “  ,

    --- 1933 .........................  9   “  (in 2 Familien),

    --- 1939 .........................  6   “  ,

    --- 1940 (Mai) ...................  keine.

Angaben aus:  Herbert Reyer (Bearb.), Jemgum, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 903

Startseite - Heimat- und Kulturverein Jemgum

Blick auf Jemgum (Abb. aus: Heimat- u. Kulturverein Jemgum)

 

Die in wirtschaftlich recht bescheidenen Verhältnissen lebenden Juden Jemgums betrieben vornehmlich Viehhandel in Verbindung mit Schlachterei; erst nach 1800 spielte der allgemeine Handel eine größere Rolle. Trotz ihrer geringen Zahl blieb die Jemgumer Judenschaft bis Anfang des 20.Jahrhunderts selbstständig. Während des Ersten Weltkrieges lebten nur noch drei jüdische Familien am Ort. Da keine Gottesdiensten mehr abgehalten werden konnten, wurde die Synagoge geschlossen; die wenigen Mitglieder der Gemeinde suchten an hohen Feiertagen die Synagoge in Leer oder Weener auf. Die Reste des maroden Synagogengebäudes wurden in den 1930er Jahren abgebrochen.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch zwei jüdische Familien in Jemgum, die mehrfach Übergriffen von NS-Anhängern ausgesetzt waren; auch während des Novemberpogroms von 1938 kam es hier zu Tätlichkeiten.

Im September 1939 lebten noch sechs jüdische Einwohner Cohn in Jemgum; sie waren in der Sielstraße untergebracht. Im Frühjahr 1940 mussten alle Juden Ostfriesland räumen, und auch die letzten Juden - sechs Mitglieder der Familie Pinto - mussten Jemgum verlassen, um via Leer nach Berlin abgeschoben zu werden; ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

Mehr als 25 gebürtige bzw. länger am Ort lebende Juden wurden Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der Opfer siehe: jemgum.de/fileadmin/jemgum/daten/Ortsgeschichte/kronsweide_2014_-_juden_in_jemgum.pdf).

Nach Kriegsende wurde ein Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Angehörige der SA eingeleitet, das - ebenso wie ein weiteres Verfahren wegen Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof - eingestellt wurde.

 

Der jüdische Friedhof in Jemgum - mit einer Fläche von ca. 1.100 m² und außerhalb der Ortschaft (am Jemgumer Sieltief) gelegen - weist noch 13 Grabsteine auf; damit ist er eine der kleinsten jüdischen Begräbnisstätten in Ostfriesland.

Aufn. Temmo Bosse, 2006, in: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0Landschaftsschutzgebiet Rheiderland msu 2018-7000.jpg

Friedhof in Jemgum (Aufn. M. Süßen, 2013, in: commons.wikimedia.org, CC BY 4.0)

Eine dort befindliche Tafel informiert wie folgt: Eine jüdische Gemeinde lässt sich in Jemgum ab ca. 1600 nachweisen. In der Langen Straße wurde 1810 südlich hinter einem jüdischen Wohnhaus eine kleine Synagoge gebaut, die bereits 1869 baufällig war. Im ersten Weltkrieg wurde der jüdische Gottesdienst in Jemgum eingestellt. Das Wohnhaus und die ehemalige Synagoge wurden in den 1920er Jahren an eine Jemgumer Familie vermietet und endgültig in den 1930er Jahren abgebrochen. 
Nachdem die Juden 1908 die Bürgerrechte erhalten hatten und ab 1848 Glaubensfreiheit herrschte, legte die jüdische Gemeinde einen eigenen Friedhof an. Der Tradition folgend liegt der Friedhof weit abseits des Ortes und ist nicht mit Blumen geschmückt. Die älteste Bestattung ist auf das Jahr 1854 datiert. Die letzte Bestattung fand 1931 statt."

 

An der Deichstraße erinnert seit 2021 eine an einem Findling angebrachte Gedenktafel namentlich an die Holocaust-Opfer aus Jemgum. Im Ort wurden - initiiert vom Arbeitskreis „Gedenken an die jüdischen Familien in Jemgum“ - jüngst auch acht sog. „Stolpersteine“ verlegt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Das Ende der Juden in Ostfriesland. Katalog zur Ausstellung der Ostfriesischen Landschaft aus Anlaß des 50. Jahrestages der Kristallnacht, Verlag Ostfriesische Landschaft, Aurich 1988

Herbert Reyer (Bearb.), Juden in Jemgum, in: H. Reyer/M. Tielke (Hrg.), Frisia Judaica. Beiträge zur Geschichte der Juden in Ostfriesland, Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 67, Aurich 1988, S. 77 - 96

Herbert Reyer (Bearb.), Jemgum, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 903 - 907

Gerhard Kronsweide, Die jüdische Gemeinde in Jemgum 1604 – 1940, Zusammenleben im Emsflecken, in: "Ostfriesische Familienkunde: Beiträge zur Genealogie und Heraldik", Hrg. Upstalsboom-Gesellschaft für Historische Personenforschung und Bevölkerungsgeschichte in Ostfriesland e.V., Heft 23/2016

Der jüdische Friedhof von Jemgum, in: alemannia-judaica.de (mit diversen aktuellen Aufnahmen)

Holger Szyska (Red.), „Stolpersteine“ statt Mahnmal, in: „RZ – Rheiderland. Unabhängige Heimatzeitung“ vom 15.9.2018

Gerhard Kronsweide (Bearb.), Die jüdische Gemeinde Jemgum 1604 - 1940, in: „Das Rheiderland“, 2019, S. 141 - 163 (auch online abrufbar unter. jemgum.de/fileadmin/jemgum/daten/Ortsgeschichte/kronsweide_2014_-_juden_in_jemgum.pdf)

Tatjana Gettkowski (Red.), Jemgumer wollen an jüdische Mitbürger erinnern, in: “OZ – Ostfriesen-Zeitung“ vom 29.11.2019

Holger Szyska (Red.), Sieben „Stolpersteine“ und ein Findling, in: „RZ – Rheiderland. Unabhängige Heimatzeitung“ vom 19.6.2020

Tatjana Gettkowski (Red.), Gemeinde setzt ehemaligen jüdischen Bürgern ein Denkmal, in: „OZ - Ostfriesen-Zeitung“ vom 8.7.2020

Vera Vogt (Red.), Rat stimmt ersten Stolpersteinen in der Gemeinde Jemgum zu, in: „OZ – Ostfriesen-Zeitung“ vom 25.9.2020

Tatjana Gettkowski (Red.), Stolpersteinverlegung in Jemgum wird nachgeholt, in: „Borkumer Zeitung“ vom 25.10.2020

Juliane Irma Mihan (Bearb.), Wanderausstellung „Jüdisches Leben in der Grenzregion – Joods leven in de grensstreek“, in: "Blog für ost-friesische Geschichte“ vom 21.9.2021

Tatjana Gettkowski (Red.), Arbeitskreis verlegt Stolpersteine in Jemgum, in: „Ostfriesen-Zeitung“ vom 25.9.2021

Tatjana Gettkoweki (Red.), Spuren jüdischen Lebens in Jemgum entdecken, in: „Borkumer Zeitung“ vom 4.10.2021