Helmarshausen (Hessen)

Landkreis Hofgeismar - Wikiwand Datei:Bad Karlshafen in KS mit Labels.svg Helmarshausen mit seinen derzeit ca. 1.500 Einwohnern ist seit 1972 ein Ortsteil von Bad Karlshafen/Weser, der nördlichsten hessischen Kommune im Landkreis Kassel (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Kassel', JaynFM 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Helmershausen_%28Merian%29.jpg Helmarshausen - Stich Merian (aus: wikipedia.org, CCO)

Obwohl sich eine Synagogengemeinde in Helmarshausen vermutlich erst gegen Mitte des 19.Jahrhunderts konstituierte, sollen bereits im ausgehenden Mittelalter hier vereinzelt jüdische Familien gelebt haben. Ab der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts waren drei Familien hier ansässig. Die jüdischen Familien lebten vom Vieh- und Warenhandel. Neben einer Metzgerei gab es seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere jüdische Geschäfte am Ort.

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war seitens der Gemeinde ein Lehrer angestellt, der für die Besorgung religiös-ritueller Aufgaben zuständig war.

              http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20191/Helmarshausen%20Israelit%2029111900.jpg Stellenausschreibung aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 29.Nov. 1900

Eine Synagoge in der Steinstraße und eine Schule wurden erstmals um 1850 erwähnt; als israelitische Elementarschule bot sie den wenigen jüdischen Kindern ab Ende der 1860er Jahre regelmäßigen Unterricht; um 1900 wurde sie wegen Schülermangels aufgelöst.

Aus den Erinnerungen von Meta Frank: „ ... Die Synagoge „stand in Helmarshausen in einer schmalen Seitenstraße an einem stillen Platz. ... Sie war nur noch an den hohen Feiertagen geöffnet. Am Schabbat gab es dort schon lange keinen Gottesdienst mehr. Zu allen Festen kam ein Vorbeter von außerhalb, ich weiß noch seinen Namen, Isi Israel aus Beverungen. Er war kaum älter als wir jungen Leute, aber im Unterschied zu uns hatte er eine Talmud-Thora-Schule besucht. ... Das Innere der Synagoge habe ich noch genau vor Augen. Einige der Glasfenster waren bunt, an anderen hingen weiße Gardinen aus Stoff. Unten saßen nur die Männer. Sie trugen an Rosch-Ha-Schana und auch am Jom Kippur ihr weißes Totengewand, den Kittel. Uns als Kinder erschien das ausgesprochen seltsam, aber meine Mutter stand auf dem Standpunkt, so lange wir nicht erwachsen wären, hätte es keinen Zweck, uns den Sinn dieser Kleider zu erklären. Wenn wir ankamen, dann durften wir nur einmal zu den Männern gehen, um unserem Vater, unserem Onkel und auch den übrigen 'Frohes Fest' zu wünschen. Der Anblick der heiligen Lade mit dem Samtvorhang davor war für mich immer ein besonderes Ereignis. Wenn man sie öffnete und die Thorarolle herausnahm, um sie auf das breite, abgeschrägte Lesepult inmitten des Gottesdienstraumes zu legen, war ich immer wieder aus neue beeindruckt. Ich verstand damals noch nicht, warum jede Thorarolle mit einem anderen Samtmantel eingehüllt war; aber die Gold- und Silberstickerei auf ihm ist mir im Gedächtnis geblieben. Derjenige, der die Rolle herausnehmen durfte, übergab sie einem anderen, der sie bis zur Bima, einem Podest in der Mitte des Raumes, tragen durfte. Dort legte er sie auf die schräge Platte und nahm den Thoramantel mit einer gewissen Feierlichkeit und sehr vorsichtig ab. Die nun entblößte Rolle war noch mit einer langen weißen Binde umwickelt, die ebenfalls sehr vorsichtig abgenommen und ordentlich aufgewickelt wurde. ... Die Frauen saßen oben auf der Empore allein für sich. Auch wir Kinder mußten dort sein. ...“

Am nordwestlichen Ortsrand von Helmarshausen befand sich die erste jüdische Begräbnisstätte, die aber wegen ihrer Enge und schlechter Zugänglichkeit aufgegeben wurde. Ein jüdischer Friedhof wurde kurz nach der Gemeindegründung um 1870 auf einem Gelände an der Gottsbürener Straße angelegt.

Der Synagogengemeinde angeschlossen waren auch die jüdischen Familien aus Karlshafen, die ungefähr genauso viele Personen zählte wie die Judenschaft von Helmarshausen. Um 1860 erreichte die Zahl der in Karlshafen lebenden jüdischen Bewohner ihr Maximum mit fast 45 Personen.

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.

Juden in Helmarshausen:

         --- 1664 .........................  3 jüdische Familien,

--- 1729 .........................  2     “        “   ,

--- 1788 .........................  3     "        "   ,

--- 1817 .........................  4     "        "   ,

    --- 1835 ......................... 26 Juden,

    --- 1858 ......................... 50   “ (in 8 Familien),

--- 1871 ......................... 44   “ (ca. 3% d. Bevölk.),

--- 1885 ......................... 36   "  ,

    --- 1895 ......................... 30   “ ,

    --- 1905 ......................... 25   “ ,

    --- 1925 ......................... 12   “ ,

--- 1933 ..................... ca. 30   “ .*     * mit Karlshafen

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 347

und                  Helmarshausen, aus: alemannia-judaica.de

 

Ihren Lebensunterhalt verdienten die jüdischen Familien 1900/1920 zumeist im Einzelhandel.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20326/Helmarshausen%20CV-Ztg%2003041924.jpg  Anzeige des Gemischtwarengeschäftes J.Hohenberg & Co von 1924

In den 1930er Jahren sind die meisten Gemeindeglieder auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien verzogen bzw. emigriert. Bereits vor 1933 soll es in Karlshafen gegen einzelne jüdische Bewohner gewalttätige Ausschreitungen gegeben haben, so gegen den jüdischen Viehhändler Adolf Levy und den Zahnarzt Dr. Julius Heilbrunn.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden jeweils acht jüdische Bewohner aus Helmarshausens und aus Karlshafen Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/helmarshausen_synagoge.htm).

Das Anfang des Jahres 1933 durch einen Brand beschädigte Synagogengebäude war bereits vor 1938 verkauft worden und diente anschließend Wohnzwecken; es ist bis heute erhalten.

 

Das während der NS-Zeit teilzerstörte, ca. 500 m²  jüdische Friedhofsareal an der Gottsbürener Straße wurde Ende der 1950er Jahre wieder instandgesetzt, indem Grabsteine aufgerichtet und Inschriften erneuert wurden; insgesamt weist das Gelände ca. 60 Grabstätten auf.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Hessen01/Helmarshausen%20Friedhof%20100.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Hessen01/Helmarshausen%20Friedhof%20102.jpg

Blick auf den jüdischen Friedhof - reich ornamentierter Grabstein von 1880 (beide Aufn. Christoph Dittmer, aus: helmarshausen.de)

 

Als eine der letzten Überlebenden aus der Synagogengemeinde Helmarshausen-Karlshafen verstarb die 1914 in Karlshafen geborene Meta Frank (geb. Königsthal) 2004 in ihrer israelischen Wahlheimat. Meta Frank stammte aus einer angesehenen Viehhändler- und Metzgerfamilie. Die NS-Politik ließen sie und ihre Angehörigen 1934 nach Palästina emigrieren. Durch ihr Buch „Schalom, meine Heimat. Lebenserinnerungen einer hessischen Jüdin 1914 - 1994” wurde die stets heimatverbundene Frau einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In Hofgeismar ist heute eine Straße nach ihr benannt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 347

Bernhard Schäfer (Hrg.), Unsere jüdischen Mitbürger in Karlshafen. Austreibung und Leidensweg unter dem Naziregime, Bad Karlshafen 1993

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel, Hrg.  Studienkreis Deutscher Widerstand, 1995, S. 70/71

Meta Frank, Schalom, meine Heimat. Lebenserinnerungen einer hessischen Jüdin 1914 - 1994, 3.Aufl., Hofgeismar 1997

Meta Frank, „Gut Purim, ihr lieben Leut'...“. Die Helmarshäuser Synagoge und ihre Feste, in: H. Burmeister/M.Dorhs, Vertraut werden mit Fremdem - Zeugnisse jüdischer Kultur im Stadtmuseum Hofgeismar, Hofgeismar 2000 

Wolfgang Frohmüller, Jüdische Bürger in Helmarshausen. Vorarbeiten - unveröffentlichtes Manuskript, o.J.

Helmarshausen mit Karlshafen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Magda Thierling, Vergessene Geschichte – Jüdisches Leben in Helmarshausen und Karlshafen, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets, Band 17, Bad Karlshafen 2011

Christian Schneider - Treffpunkt Hafenmauer (Red.), Jüdische Geschichte in Karlshafen und Helmarshausen – Teil 3: Gedenken in Helmarshausen, online abrufbar unter: treffpunkt-hafenmauer.de/2018/11/09/juedische-geschichte-in-karlshafen-und-helmarshausen-teil-3-gedenken-in-helmarshausen/

Stefan Bönning (Red.), Einzig verbliebene Erinnerung, in: „Beverunger Rundschau“ vom 23.6.2024 (betr. Jüdischer Friedhof in Helmarshausen)