Heubach (Hessen)
Das Dorf Heubach mit derzeit ca. 650 Einwohnern ist heute ein Ortsteil von Kalbach im äußersten Süden des Landkreises Fulda (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Heubach/Kalbach, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Fulda', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Der Ort Heubach war zunächst im Besitz der Herren von Hutten, später der Herren von Hanau. Er beherbergte vermutlich seit Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Familien, die hier alsbald eine Kultusgemeinde gründeten. Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte diese gegen Mitte des 19.Jahrhunderts. Zur Kultusgemeinde Heubach zählten auch die jüdischen Familien aus Uttrichshausen und Oberzell.
Der erste Betraum war in einem Stallgebäude untergebracht, wie der folgenden Quelle zu entnehmen ist: „Die Synagoge zu Heubach ist, wie ich erst kürzlich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, in einem so schlechten Zustande, daß es als eine wahre Entwürdigung des Gottesdienstes erscheint, ein solches Local, das mehr einem Stalle als einem Zimmer gleicht, für ein Bethaus zu gebrauchen. Um nur eine Beschaffenheit dieser Synagoge namhaft zu machen, erlaube ich mir zu bemerken, daß unter derselben sich ein Viehstall befindet, aus welchem die Stimme der darin befindlichen Kuh so stark herauftönt, daß der Vorsänger sehr häufig unterbrochen und überstimmt werden muß.“ (Antrag des Provinzial-Rabbiners Felsenstein zu Hanau vom 29.7.1839 an das Kurfürstliche Kreis-Amt)
Nach Abriss der Zehntscheune 1840 erwarb die Judenschaft das Grundstück und ließ drei Jahre später ein Gebäude errichten, das künftig als Synagoge und Schule diente. Während ein Zugang ins Synagogengebäude den Männern vorbehalten war, führte der andere die Frauen über eine kleine Treppe auf die Frauenempore.
Die israelitische Elementarschule soll bis 1916 bestanden haben, wie aus der Kirchenchronik hervorgeht: „Vom Spätjahr 1916 ab wurden Zwecks besserer Beschulung der Kinder die evang. und israel. Schule zu Heubach zusammengelegt. Die israelitische Schule hatte nur noch 8 Schüler, und so konnte sich Lehrer Rothschild mit Lehrer Euler gut den Unterricht an der evang. Schule teilen; nur der Religionsunterricht wurde in der alten Weise getrennt gegeben.“
Ausschreibung der Lehrerstelle in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.Juni 1882
Direkt neben der Lehrerwohnung befand sich das rituelle Tauchbad, das vom aufgefangenen Regenwasser gespeist wurde.
freigelegte Mikwe in Heubach (Aufn. J. Hahn, 2007)
Neben der Synagoge in Heubach gab es auch in Oberzell einen kleinen Betraum, der wesentlich älter als das Heubacher Gotteshaus war. Verstorbene wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Altengronau begraben. Der großflächige Sammelfriedhof diente mehr als zehn Gemeinden als Begräbnisstätte, darunter auch einigen bayrischen. In Altengronau gab es eine sehr alte, aber nur kleine jüdische Gemeinde, die nie mehr als 40 - 50 Angehörige umfasste.
Die Juden Heubachs waren dem Provinzial-Rabbinat Hanau unterstellt.
Juden in Heubach in Uttrichshausen in Oberzell
--- 1835 ............ 66 Juden, ........... 68 Juden, ........... 54 Juden,
--- 1861 ............ 97 “ , ........... 61 “ , ........... 53 “ ,
--- 1905 ............ 76 “ , ........... 35 “ , ........... 35 “ ,
--- 1938 ............ 15 “ . ........... 4 “ .
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 364
Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Heubach noch ca. 20 jüdische Bewohner, nur vier waren in Oberzell wohnhaft. 1938 löste sich die Gemeinde völlig auf. Das Synagogengebäude war bereits ein Jahr zuvor vom Gemeindevorsteher Simon Goldschmidt im Auftrag der jüdischen Gemeinde Frankfurt an die Kommune Heubach verkauft worden; dabei war ihm zugesichert worden, das Gebäude weiterhin "würdig" zu verwenden. Indem nun hier das Bürgermeisteramt einzog, wurde dem Gebäude die Zerstörung erspart (bis in die 1970er Jahre war es Sitz der Kommunalverwaltung).
Die Ritualien aus der Synagoge waren nach Schlüchtern gebracht worden, wo sie den Zerstörungen in der Pogromnacht zum Opfer gefallen sind.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 41 aus Heubach stammende Juden Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/heubach_synagoge.htm und tabellarische Übersicht der Opfer in: synagoge-heubach.de/history/jrau/heubacherSchoah.html) .
Der Förderverein „Landsynagoge Heubach e.V.” setzte sich für den Erhalt des früher als Synagoge genutzten Gebäudes ein: „Wir hoffen, dass das Gebäude wieder zu einem lebendigen Dorfmittelpunkt wird und den Besuchern Heubachs die Geschichte des Ortes und seiner jüdischen Gemeinde erschließt.” Die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen wurden 2006 abgeschlossen; seitdem dient das Haus als kulturelle Begegnungsstätte. Auf Beschluss des Gemeinderates soll künftig auch ein Museum für jüdische Kultur hier untergebracht werden. Der Förderverein „Landsynagoge Heubach“ ist für die Erhaltung und Umgestaltung der ehemaligen Synagoge in dem Kalbacher Ortsteil mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis 2007 ausgezeichnet worden.
Heubacher Synagogengebäude vor und nach der Sanierung (Aufn. aus: Th. Altaras, um 1985 und J. Hahn, 2007)
Seit 2020 erinnern in Bad Brückenau zwei sog. „Stolpersteine“ an Nathan Goldschmidt und seine Ehefrau Regine, die ehemals in der Rathausgasse Heubachs wohnten, ‚umgesiedelt‘, anschließend deportiert wurden und die NS-Verfolgung nicht überlebt haben.
Erstmals seit rund acht Jahrzehnten fand in Heubachs ehemaliger Synagoge wieder ein jüdischer Gottesdienst statt. Der Egalitäre Minjan - eine liberale Gruppierung innerhalb der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a. M. - war zu der Feier nach Heubach gekommen; initiiert hatte die Gottesdienstfeier die Rabbinerin des Egalitären Minjans, Dr. Elisa Klapheck.
[vgl. Sterbfritz (Hessen)]
In Uttrichshausen - seit 1972 Ortsteil der Kommune Kalbach - lebten seit dem 17.Jahrhundert vereinzelt jüdische Familien. Im 19.Jahrhundert bildeten die hiesigen Juden eine selbstständige Gemeinde, die zeitweilig bis zu ca. 70 Personen umfasste. Gottesdienste wurden in einer Betstube - sie befand sich in einem Privathaus - abgehalten; hier erhielten auch die Kinder Religionsunterricht.
Kleinanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17.9.1879
Verstorbene wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Altengronau beerdigt. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die inzwischen kleiner gewordene jüdische Gemeinschaft Uttrichshausens durch Wegzug ihrer Angehörigen vollständig aufgelöst.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 364/365
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Ritualbäder in Hessen - Was geschah seit 1945?, Langewiesche-Verlag, 2.Aufl., Königstein/Taunus 1994
Hans-Hermann Reck, Zur Baugeschichte der Heubacher Synagoge. Bauforschung an einem Kulturdenkmal des mittleren 19.Jahrhunderts, in: "Denkmalpflege & Kulturgeschichte", Band 4/2004, S. 16 - 22
Heubach, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Uttrichshausen, in: alemannia-judaica.de
Johanna Rau, Geschichte der jüdischen Gemeinde Heubach, online abrufbar unter: snagoge-heubach.de/history/jrau/Heubach_Juedische_Geschichte.html (mit personenbezogenen Daten)
Michael Imhof (Hrg.), Juden in Deutschland und 1000 Jahre Judentum in Fulda, hrg. von Zukunft Bildung Region Fulda e.V., Michael Imhof Verlag, Petersberg 2011, S. 325 – 333 (Heubach) u. S. 374 (Uttrichshausen)
Förderverein Landsynagoge Heubach e.V. (Hrg.), Landsynagoge Heubach, online abrufbar unter: synagoge-heubach.de
N.N. (Red.), Heubach: Nach 80 Jahren erstmals wieder jüdischer Gottesdienst in der Synagoge, in: „Main-Post“ vom 30.8.2015
N.N. (Red.), Ein Hausschild erzählt Geschichte. Förderverein der Heubacher Synagoge bekommt außergewöhnliches Geschenk, in: „Osthessen News“ vom 17.1.2023