Hirschberg (Schlesien)
Die Stadt Hirschberg - am Fuße des Riesengebirges nahe der böhmischen Grenze gelegen - besaß seit 1108 Stadtrechte; sie ist das heutige polnische Jelenia Góra mit derzeit ca. 78.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Jelenia Góra rot markiert, aus: wikipedia.org, CCO).
Die Existenz von Juden in Hirschberg lässt sich bis in die erste Hälfte des 14.Jahrhunderts zurückverfolgen. Von den Verfolgungen der Juden Schlesiens im 15.Jahrhundert waren auch die jüdischen Familien von Hirschberg betroffen; mehr als 300 Jahre lang waren nun keine Juden in der Stadt wohnhaft. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts setzte erst wieder eine zögerliche Ansiedlung von nur wenigen jüdischen Familien ein. Eine neuzeitliche Gemeinde bildete sich allerdings erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts langsam heraus; ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte diese in den 1880er Jahren.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden anfänglich in einer Betstube eines Privathauses in der Hintergasse statt. Seit 1840 verfügte die wachsende Gemeinde über eine kleine Religionsschule, in der ein aus Landeshut stammender Lehrer die jüdischen Kinder unterrichtete; gleichzeitig übte der Religionslehrer das Amt des Vorbeters aus.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten ein 1845/1846 errichtetes und 1846 durch den Breslauer Rabbiner Abraham Geiger eingeweihtes Synagogengebäude in der Priesterstraße (im Stadtzentrum) und ein Friedhof, der bereits 1820 angelegt (zuvor wurden Verstorbene in Glogau beerdigt) und um 1880 durch ein anderes Begräbnisareal - gegenüber des kommunalen Friedhofs - ersetzt wurde.
Zur Hirschberger jüdischen Gemeinde gehörten auch Familien aus Orten des Umlandes, so aus Agnetendorf (Jagniątków), Hermsdorf (Sobieszów), Hohenwiese (Wojków), Krummhübel (Karpacz), Schmiedeberg (Kowary), Schreiberhau (Szklarska Poręba) und Schönau (Świerzawa).
Juden in Hirschberg:
--- 1797 ........................... 3 jüdische Familien,
--- 1810 ........................... 37 Juden,
--- 1812 ........................... 55 " ,
--- 1840 ........................... 130 " ,
--- 1861 ........................... 305 “ ,
--- 1871 ........................... 336 “ ,
--- 1880 ........................... 450 “ ,
--- 1890 ........................... 388 " ,
--- 1900 ........................... 335 “ ,
--- 1925 ........................... 266 “ ,
--- 1931 ........................... 184 “ ,
--- 1937 ........................... 146 “ ,
--- 1939 ....................... ca. 65 “ .
Angaben aus: M. Vogt, Hirschberg – Die Synagoge, in: ders., Illustrierte Chronik der Stadt Hirschberg I. Schl., Hirschberg 1875, S. 491
und The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 515
Hirschberg i. Schl. - hist. Postkarte, um 1900 (Abb. aus: schlesierland.de)
Hindenburgstraße in Hirschberg, hist. Postkarte
Um die Jahrhundertwende verließ ein Teil der Hirschberger Juden seine Heimatstadt und wanderte zumeist in die USA aus. Ende der 1920er Jahre lebten in Hirschberg noch knapp 200 jüdische Bewohner, die in den 1930er Jahren durch die NS-Politik zur Ab- und Auswanderung getrieben wurden.
Vorläufiger Höhepunkt der antijüdischen Maßnahmen waren auch hier die Novembertage 1938, in denen Geschäftsräume jüdischer Besitzer verwüstet sowie die Synagoge und Teile des Friedhofs zerstört wurden. Die meisten jüdischen Einwohner verließen Hirschberg noch vor Kriegsbeginn; diejenigen, die nicht emigrieren konnten, wurden 1941/1942 deportiert. Mehr als 40 Personen sollen der „Endlösung“ zum Opfer gefallen sein.
Während der Kriegsjahre gab es in Hirschberg je ein Zwangsarbeiterlager für männliche und weibliche Juden. Ab Mitte 1944 wurde das Männerlager organisatorisch dem KZ Groß-Rosen unterstellt; die Häftlinge mussten in der Zellwollindustrie arbeiten. Im Februar 1945 wurden die verbliebenen Männer ins KZ Buchenwald „evakuiert“.
Nach Kriegsende lebte eine aus mehreren hundert Personen bestehende jüdische Bevölkerung in der Stadt, die es hierher verschlagen hatte. Die zumeist polnischen Juden organisierten sich 1946 in einer Gemeinde, die damals mehr als 400 Angehörige zählte; die wenigen deutschen Juden in der Stadt bildeten damals ihre eigene Gemeinschaft.
In den 1970er Jahren wurde im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen das einstige Synagogengebäude abgerissen.
Vom jüdischen Friedhof sind – außer einigen wenigen Grabsteinrelikten (Aufn. Mieczyslaw Matoszka) – kaum Spuren mehr zu finden. Das Gelände war 1974 eingeebnet worden, um einem Hotelneubau Platz zu machen.
Der deutsch-jüdische Philosoph Karl Joel stammte aus Hirschberg, wo er im Jahre 1864 als Sohn einer Rabbinerfamilie geboren wurde. Seit 1902 besaß er eine Professur an der Universität Basel. Dort war er auch schriftstellerisch tätig: Ausdruck dessen waren mehrere Werke, wie „Wandlungen der Weltanschauung“, „Nietsche und die Romantik“ und „Seele und Welt“. Joel verstarb 1934 in Walenstadt/Schweiz.
Die kleine jüdische Gemeinschaft in Schmiedeberg (poln. Kowary, derzeit ca. 11.000 Einw. - ca 15 Kilometer südöstlich von Hirschberg/Jelenia Góra), die als eine Art Filialgemeinde der Synagogengemeinde von Hirschberg angeschlossen war, verfügte über eine eigenes Bethaus; das im 19.Jahrhundert errichtete Ziegelsteingebäude war ein schlichter Zweckbau. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude teilzerstört; in den letzten Jahrzehnten diente das Gebäude als Lagerraum.
Ehem. Synagogengebäude in Schmiedeberg (Aufn. Bobe Majse, 2012)
Weitere Informationen:
Johann Karl Herbst, Die jüdische Gemeinde, in: ders., Chronik der Stadt Hirschberg in Schlesien bis zum Jahre 1847, Hirschberg 1849, S. 472/473
M. Vogt, Hirschberg – Die Synagoge, in: ders., Illustrierte Chronik der Stadt Hirschberg I. Schl., Hirschberg 1875, S. 491/ 492
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 515
Jelenia Góra, in: sztetl.org.pl
K. Bielawski (Red.), Hirschberg/Jelenia Góra, in: kirkuty.xip.pl
Ullrich Junker (Red.), Geburten und Trauungen der in Hirschberg wohnhaften Juden 1869 – 1874, als PDF-Datei abrufbar unter: jbc.jelenia-gora.pl