Hirschhorn/Neckar (Hessen)
Hirschhorn am Neckar ist ein Landstädtchen mit derzeit ca. 3.500 Einwohnern im äußersten Süden des südhessischen Kreises Bergstraße - etwa 20 Kilometer östlich von Heidelberg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Bergstraße', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die gegen Ende des 14.Jahrhunderts gegründete Stadt Hirschhorn – in Nachfolge einer dörflichen Siedlung unterhalb der Burg – besaß damals nachweislich keine jüdischen Bewohner. Auch in den beiden Folgejahrhunderten sollen die Herren vom Hirschhorn die Ansiedlung jüdischer Familien verhindert haben.
Die Wurzeln der späteren Gemeinde sollen in Hirschhorn gegen Mitte des 17.Jahrhunderts gelegt worden sein; so ist eine erste jüdische Ansiedlung in den 1640er Jahren - nach dem Aussterben der Hirschhorner Ritterschaft - erfolgt. Für das 17. und 18. Jahrhundert sind ca. fünf bis acht israelitische Familien in der Stadt nachweisbar. Die Häuser der jüdischen Einwohner lagen im Ort verstreut.
1775 erwarb die Gemeinde ein Haus, das als Wohnung des „Judenschulmeisters“, als Betsaal (sog. „Winkelsynagoge“) und als „Judenschlafstätte“ (Herberge) benutzt wurde. In den 1830er Jahren richtete die Gemeinde in der Hauptstraße einen neuen Betraum ein. Eine gemeindliche Mikwe war nicht vorhanden; vielmehr soll es im Ort private Tauchbäder gegeben haben.
Religiöse Aufgaben der Gemeinde verrichtete zeitweise (bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts) ein angestellter Lehrer. Urkundlich nachweisbar ist der von 1785 bis nach 1833 dort tätige Lehrer/Kantor Simon Dessauer.
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts konnte die hiesige Judenschaft keinen Minjan mehr stellen, weil Gemeindeangehörige - gegen Bezahlung - Gottesdienste in Eberbach/Neckar aufsuchten; denn auch dort fehlten männliche Gemeindemitglieder, um die für einen Gottesdienst notwendige Zahl von zehn Männern zusammenzubringen.
Der alte jüdische Friedhof der Hirschhorner Judenschaft war ca. 1700 angelegt worden. Das Begräbnisgelände lag weit ab vom Ort an einem steilen Hang am Schlossberg und diente zeitweilig auch anderen Ortschaften als Begräbnisstätte, so Eberbach/Neckar, Neckarsteinach, Strümpfelbrunn und Zwingenberg/Neckar.
Die kleine jüdische Gemeinde in Hirschhorn unterstand seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert dem orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt.
Juden in Hirschhorn:
--- um 1755 ....................... 8 jüdische Familien,
--- um 1830 ....................... 58 Juden (ca. 4% d. Einw.),
--- 1861 .......................... 30 “ ,
--- 1880 .......................... 33 " ,
--- 1890 .......................... 36 “ (in 8 Familien),
--- 1905 .......................... 26 “ ,
--- 1910 .......................... 29 " ,
--- 1925 .......................... 18 “ ,
--- 1932/33 ....................... 22 “ ,
--- 1937 .......................... 16 “ ,
--- 1939 .......................... ein “ ().
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 370
und Hirschhorn, in: alemannia-judaica.de
Hirschhorn um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die jüdischen Familien lebten im 19.Jahrhundert fast alle in sehr ärmlichen Verhältnissen; Schacher- und Hausierhandel bildeten oft ihre Existenzgrundlage. Anfang der 1930er Jahre lebten in Hirschhorn noch ca. 20 Juden. Das Haus, in dem sich der Betraum befand, wurde im Frühjahr 1938 geräumt und Monate später verkauft; deshalb blieb es auch während des Novemberpogroms unangetastet. Bis Ende des Jahres 1938 hatten fast alle Juden Hirschhorn verlassen; der letzte Dorfbewohner mosaischen Glaubens wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind sieben gebürtige bzw. länger in Hirschhorn ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hirschhorn_synagoge.htm).
Am Gebäude, in dem sich der Betsaal befand, ist eine Plakette angebracht, die die folgende kurze Inschrift besitzt: "EHEMALIGE SYNAGOGE - In diesem Haus befand sich von 1830 bis 1938 die letzte Synagoge der jüdischen Gemeinde Hirschhorn".
Auf dem ca. 2.700 m² großen jüdischen Friedhofsgelände am Hirschhorner Schlossberg - einem Waldgelände - sind heute noch ca. 230 Grabsteine vorhanden; die ältesten stammen aus der Zeit frühester Belegung (um 1730); am Eingang befindet sich das Taharahaus. Der in der NS-Zeit schwer geschändete Friedhof wurde in den 1980er Jahren wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt.
Teilansichten des jüdischen Friedhofs in Hirschhorn (Aufn. Roman Eisele, 2016 bzw. Thomas Pusch, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 370 - 372
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 23
Ulrich Spiegelberg, Hirschhorn - Stadt und Umgebung, Deutscher Kunstverlag – Edition, 2008 (mit Kapitel zur jüdischen Geschichte)
Hirschhorn, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen des jüdischen Friedhofs)