Hochheim/Main (Hessen)

Datei:Rheinhessen 1905.png – WikipediaDatei:Hochheim am Main in MTK.svg Hochheim am Main ist eine Kleinstadt im Main-Taunus-Kreis mit derzeit ca. 17.000 Einwohnern; sie liegt zentral im Rhein-Main-Gebiet zwischen Frankfurt/M. und Mainz (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Taunus-Kreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Ansicht von Hochheim, 1862

Ansicht von Hochheim, 1862“, in: Historische Ortsansichten, aus: lagis-hessen.de

Erste schriftliche Belege über jüdische Ansiedlungen in Hochheim stammen aus dem beginnenden 17.Jahrhundert; danach hat es hier immer nur eine sehr kleine jüdische Gemeinschaft gegeben. Ehe die Hochheimer Judenschaft um 1800 eine selbstständige Gemeinde bildete, gehörte sie der Flörsheimer Synagogengemeinde an.

Gottesdienste hielt die in ärmlichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebende jüdische Gemeinschaft in einem angemieteten Betraum ab. Erst um 1870 konnte es sich die kleine Gemeinde finanziell leisten (regelmäßige Beiträge der Gemeindemitglieder in einen Baufonds hatten die Grundlage geschaffen), eine eigenes Synagoge in einem umgebauten Wohnhaus einzurichten; sie befand sich in der Rathausstraße.

Aus einem Schreiben an die herzogliche Landesregierung in Wiesbaden, in dem um Erlaubnis zum Bau der Synagoge nachgesucht wurde: ... In unbeirrtem Betreff sind wir, der gehorsamst unterzeichnete Vorsteher der israelitischen Cultusgemeinde bereits früher bei dieser hohen Stelle mit einem Gesuche eingekommen. Nur die dringende Noth veranlaßt uns unser Gesuch zu wiederholen ... Das Gebäude, worin wir bisher unseren Gottesdienst abgehalten haben, entspricht in keiner Weise den Anforderungen ... ist dunkel und so klein, daß es nicht einmal die geringe Zahl der Bekenner des israelitischen Glaubens in Hochheim faßt. Dazu kommt, daß derselbe dem Einsturz nahe ist und der Aufenthalt in demselben fast mit Lebensgefahr verbunden ist. Wir müssen daher auf Abhülfe sinnen ... ... Die israelitische Cultusgemeinde zu Hochheim ist sehr klein und ihre Mitglieder größtenteils sehr arm ... In diesen Aemtern (Anm: gemeint sind: Wiesbaden und Höchst) wohnen viele sehr bemittelte Glaubensgenossen, welche uns ohne Zweifel bei einer Collekte der Art unterstützen werden, daß wir mindestens die Hälfte unserer durch Herrichtung der neuen Synagoge entstehenden Kosten mit dem Ertrag der Collekte bezahlen können ...

                         aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28.7.1869 

Die jüdischen Kinder in Hochheim erhielten Religionsunterricht von einem Privatlehrer.

Verstorbene Hochheimer Juden wurden bis Anfang des 20.Jahrhunderts auf dem jüdischen Friedhof in Flörsheim beerdigt; nach Querelen mit der Flörsheimer Gemeinde legte die Hochheimer Judenschaft 1909 eine eigene kleine Beerdigungsstätte an. Allerdings soll es bereits im 17. Jahrhundert einen „Judenkirchhof“ vor dem "Mainzer Thor" gegeben haben - wie eine Quelle aus dem Jahre 1664 vermeldet.

Die kleine Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Wiesbaden.

Juden in Hochheim:

         --- 1622 ...........................  3 jüdische Familien,

    --- um 1690 ........................  4     “       “    ,

    --- um 1770 ........................  4     "       "    ,

    --- 1803 ...........................  6     “       “    ,

    --- 1862 ........................... 36 Juden,

    --- 1871 ........................... 30   “  ,

    --- 1900 ........................... 39   “  (in 7 Familien),

    --- 1907 ........................... 44   “  ,

    --- 1925 ........................... 33   “  ,

    --- 1933 ........................... 23   “  (in 6 Familien),

    --- 1937 (Dez.) .................... 18   “  ,

    --- 1939 ...........................  ?    “ .

    --- 1941 (Juni) ....................  keine.

Angaben aus: Franz Luschberger, Juden in Hochheim - Eine heimatgeschichtliche Exkursion, S. 16 f.

 

Nach der NS-Machtübernahme hielt die judenfeindliche Propaganda auch in Hochheim Einzug; Schilder wie „Juden sind unerwünscht” tauchten in den ersten Läden auf; Geschäftsinhaber wurden dafür von der NSDAP offen belobigt. Im November 1935 wurde der „erstmals judenfreie Herbstmarkt” in Hochheim eröffnet.

An den Ausschreitungen in der „Reichskristallnacht" waren in Hochheim auswärtige SA-Angehörige, aber auch etliche Hochheimer Bewohner beteiligt. Jüdische Geschäfte wurden aufgebrochen, ihr Sortiment herausgerissen bzw. demoliert; auch Wohnungen dreier Familien waren betroffen. Der Hochheimer Bürgermeister berichtete in seinem Schreiben vom 15.11.1938 an den Landrat:

„ ... Am Donnerstag, dem 10.d.M. etwa 18.15 Uhr wurden hier in Hochheim im Verlaufe der Aktion gegen die Juden die Einrichtungen eines jüdischen Geschäftes sowie Wohnungen von drei jüdischen Familien und die Synagoge zerschlagen. Die männlichen Juden im Alter von 18 bis 60 Jahren wurden am 11.11.38 nach Frankfurt a.M. abtransportiert. ... “

1939 lebten kaum noch jüdische Einwohner am Ort. Im Juni 1941 teilte der Hochheimer Bürgermeister der Frankfurter Gestapo mit, dass der Ort „judenfrei“ sei. Einige Familien konnten in die USA emigrieren.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 14 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner von Hochheim Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hochheim_main_synagoge.htm).

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20171/Hochheim%20aM%20Friedhof%20170.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20171/Hochheim%20aM%20Friedhof%20177.jpg

Blick auf das jüdische Begräbnisgelände (Aufn. J. Hahn, 2009)

Auf dem jüdischen Friedhof in Flörsheim brachte die Ortsgemeinde wenige Jahre nach Kriegsende eine Gedenktafel mit folgendem Wortlauf an:

Hier ruhen die Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft von Flörsheim, Hochheim, Eddersheim und Weilbach.

Ihre letzten Männer, Frauen und Kinder wurden

unter der Herrschaft der Gewalt um ihres Glaubens und ihrer Rasse willen geächtet, verfolgt, beraubt und vertrieben,

ihr Gotteshaus zerstört und dieser 600jährige Gottesacker geschändet.

Die Gemeinde Flörsheim hat ihn im Jahre 1946 wieder hergerichtet;

den Lebenden zur Mahnung, den Vertriebenen zum Trost und Allen zum Frieden !

Die Gemeinde Flörsheim am Main

 

An einem Gebäude in der Rathausstraße, neben dem Zugang zum ehemaligen Synagogengrundstück, erinnert seit 1985 eine Inschrift an die frühere jüdische Synagoge:

Betstube der jüdischen Kultusgemeinde Hochheim von 1865 - 1938

Zerstört durch NS-Terror am 09.11.1938

Angebracht am 8.Mai.1985

Im Jahre 2010 wurden in Hochheim die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt; inzwischen liegen im Stadtgebiet von Hochheim mehr als 40 derartiger Gedenktäfelchen (Stand 2023); die meisten sind ehemaligen jüdischen Bewohnern gewidmet, die ihr Leben durch Emigration in die USA retten konnten.

Hochheim am Main Stolperstein Frankfurter Straße 26 Siegmund Falk.jpgHochheim am Main Stolperstein Frankfurter Straße 26 Rosa Falk.jpgHochheim am Main Stolperstein Frankfurter Straße 26 Hermann Falk.jpgHochheim am Main Stolperstein Frankfurter Straße 26 Josef Falk.jpg Hochheim am Main Stolpersteine Frankfurter Straße 18.jpg

Hochheim am Main Stolperstein Friedrich-Ebert-Straße 18 Berta Cohen.jpgHochheim am Main Stolperstein Friedrich-Ebert-Straße 18 Siegfried Wiesengrund.jpgHochheim am Main Stolperstein Friedrich-Ebert-Straße 18 Gertrud Wiesengrund.jpg

    verlegt in der Frankfurter Straße und Friedrich-Ebert-Straße (Aufn. AlfonsTewes, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

http://kassel-zeitung.de/cms1/uploads/Aschrott_Sigmund_Portrat.jpg Als Sohn eines Kaufmanns wurde Sigmund Aschrott 1826 in Hochheim geboren. In Nachfolge seines Vaters führte er dessen Leinenhandelsfirma in Kassel und führte die einheimische Leinenindustrie zur Weltgeltung. Seinem Engagement in der Stadtentwicklung verdankt die Stadt Kassel einen ihrer schönsten Stadtteile („Vorderer Westen“). Seine Aktivitäten waren allerdings nicht unumstritten, da man ihm Spekulationsgeschäfte vorwarf. Im Laufe seines Lebens erhielt Aschrott von staatlicher Seite zahlreiche Auszeichnungen. 1915 verstarb Sigmund Aschrott in Berlin.

 

 

Anm. Die im heutigen Stadtteil Massenheim lebenden jüdischen Familien waren der israelitischen Gemeinde von Wallau angeschlossen

In der Untergasse erinnern heute einige "Stolpersteine" an ehemalige jüdische Bewohner.

  Aufn. Alfons Tewes, 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 373 - 375

Franz Luschberger, Juden in Hochheim - Eine heimatgeschichtliche Exkursion, Hochheim am Main/Speyer 1988

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 235

Hochheim (Main), in: alemannia-judaica.de

Claudia Horkheimer (Red.), Jeder Stein ein Leben, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 11.4.2010

Inge Schmollinger-Bornemann, Opfer der Nazis in Hochheim und Massenheim von 1933 bis 1945. Stolpersteine gegen das Vergessen, hrg. vom Magistrat Hochheim, Hochheim a.M. 2012

Hochheim am Main: Stolpersteine, online abrufbar unter: hochheim.de (Gedenkblätter)

Auflistung der in Hochheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hochheim_am_Main

Stadt Hochheim am Main (Hrg.), Opfer der Nazis in Hochheim und Massenheim, Stadt Hochheim am Main, 2012

Ulrich von Mengden (Red.), Friedhelm Henne schreibt die Schicksale der politisch Verfolgten des Nazi-Regimes nieder, in: "Wiesbadener Kurier“ vom 26.4.2012

Oliver Heil (Red.), Juden in Hochheim – ganz normale Bürger, in: „Frankfurter Rundschau – Main/Taunus“ vom 16.5.2012

Marcel Großmann (Red.), Hochheim: Zeuge der längst verschwundenen Gemeinde, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 7.10.2022