Hollabrunn (Niederösterreich)

Datei:Karte A Noe HL 2017.svg Hollabrunn - im westlichen Weinviertel (Niederösterreich) - ist heute Zentrum einer Großgemeinde mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern - etwa 50 Kilometer nördlich von Wien gelegen (Kartenskizze von Niederösterreich mit Weinviertel dunkel eingefärbt, A. 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die ersten jüdischen Bewohner sollen sich in der Region um Oberhollabrunn nach Ende des Dreißigjährigen Krieges aufgehalten haben. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts siedelten sich jüdische Familien aus böhmisch-mährischen Gebieten im Ort an. Die wenigen jüdischen Familien gründeten 1880 eine „Israelitische Cultus-Genossenschaft” und gehörten der Synagogengemeinde Horn an. Ab 1901/1902 bildeten sie eine eigenständige Kultusgemeinde, der auch die Juden von Göllersdorf, Grund, Hadres, Haugsdorf, Kalladorf, Mailberg, Retz, Schöngrabern und Wullersdorf angeschlossen waren.

Zu Gottesdiensten versammelte man sich in der Hollabrunner Synagoge an der Ecke Straußgasse/Winiwarter Straße, die seit den 1880er Jahren existierte. Der 1899 gegründete „Bethausbeschaffungsverein in Oberhollabrunn“ erwarb bald ein Gebäude in der Spitalgasse: Während im Parterre sich die Wohnung des Kantors befand, diente das Obergeschoss gottesdienstlichen Versammlungen. - Erster Rabbiner der Gemeinde war David Rudolfer; ihm folgten 1905 Dr. Sussie Zwick und 1906 Dr. Moses Rosenmann, der sein Amt bis 1938 ausübte.

Seit Mitte der 1870er Jahre gab es in Hollabrunn einen jüdischen Friedhof, der die Verstorbenen der wachsenden jüdischen Gemeinschaft aufnahm; einer Chewra Kadischa oblag die Durchführung von Bestattungen. 1909 wurde auf dem Beerdigungsgelände eine Zeremonienhalle erbaut.

 Juden in Hollabrunn:

         --- 1652 ..................   5 jüdische Familien,*   *im Bezirk H.

    --- von 1700 - 1900    liegen keine gesicherten Angaben vor

    --- 1934 .................. 420 Juden,**         ** Kultusgemeinde/Synagogenbezirk

    --- 1938 .............. ca. 330   “  ,***        *** Verwaltungsbezirk Hollabrunn

Angaben aus: Ulrike Gollonitsch/u.a., “Als wär’ nichts geschehen” - Die jüdische Gemeinde in Hollabrunn

 

Die jüdischen Bewohner Hollabrunns besaßen kleine Ladengeschäfte und betrieben Handel mit Holz, Pferden und landwirtschaftlichen Produkten.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich wurden die jüdischen Bewohner unter dem Beifall des Großteils der Bevölkerung öffentlich misshandelt, drangsaliert und gedemütigt; auch Plünderungen jüdischer Geschäfte und Wohnungen waren zu verzeichnen. Die betroffenen Geschäftsinhaber mussten schriftlich erklären, die gestohlenen Waren freiwillig der NSDAP überlassen zu haben. Auch die Inneneinrichtung des Bethauses wurde teilweise von nationalsozialistischen Gewalttätern zerstört. Bereits Ende September 1938 war Hollabrunn „judenrein”. Bei der Übersiedlung nach Wien mussten die jüdischen Familien ihr Hab und Gut zurücklassen, das zu Spottpreisen verkauft werden musste. Das Synagogengebäude, dessen Kultgegenstände der jüdischen Gemeinde in Wien übereignet wurden, ging zwangsweise in den Besitz der Kommune über.

Am 23.Oktober 1938 vermeldete die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn, dass mit Ausnahme einiger älterer Menschen keine Juden mehr im Bezirk lebten. In der lokalen „Grenzwacht“ hieß es am 16. September dazu:

Die Juden in Hollabrunn ... So wie in Mistelbach, hat sich nun die jüdische Kultusgemeinde entschlossen, den jüdischen Tempel der Gemeinde Hollabrunn zu schenken. Nachdem der größte Teil der Juden bereits abgewandert ist und auch der noch vorhandene Teil in kürzester Zeit abwandern muß, war keine Notwendigkeit mehr für den jüdischen Tempel vorhanden, und so hat sich die Kultusgemeinde entschlossen, diesen der Gemeinde zu schenken.

 

Nach dem Krieg kehrten wenige jüdische Familien nach Hollabrunn zurück, ließen sich aber hier nicht dauerhaft nieder.

An die einstige jüdische Kultusgemeinde Hollabrunns erinnert heute nur noch der Friedhof in der Steinfeldgasse am südlichen Stadtrand; die Zeremonienhalle wurde Ende der 1990er Jahre abgerissen. Das Gelände ist im Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde von Wien und wird von dieser gepflegt. Die letzte Beerdigung erfolgte hier im Jahre 1978.

 

 Jüdischer Friedhof (Aufn. Stefan Lefnaer, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Das einstige Synagogengebäude dient heute Wohnzwecken.

Datei:Synagoge Hollabrunn.jpg

 Gedenktafel am Haus Straußgasse/Winiwarterstraße für die ehemalige Synagoge (Aufn. Herwig Reitlinger, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Anlässlich des 80.Jahrestages der Wiederkehr der Novemberpogrome wurde 2018 am Kirchenplatz in Hollabrunn ein Mahnmal enthüllt. Konzipiert wurde das eigenwillig gestaltete Mahnmal von Schüler/innen der BHKA Hollabrunn. Am Sockel ist eine Tafel mit der Inschrift "Gedenken - Bedenken - Vergangenheit gedenken - Gegenwart bedenken - Zukunft denken" angebracht.

     Mahnmal in Hollabrunn (Aufn. aus: gebedenken.at/mahnmalprojekt1/mahnmal-von-hollabrunn

 

 

  In Niederhollabrunn wurde 1897 Theodor Kramer als Sohn eines jüdischen Dorfarztes geboren. Nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg begann er ein Germanistik-Studium, das er bald wieder aufgab und fortan als Buchhändler und –vertreter arbeitete. Mit Beginn der 1930er Jahre war er als freier Schriftsteller tätig und wurde mit seiner Lyrik bald im deutschen Sprachraum bekannt. Nach dem Anschluss Österreichs wurde Kramer mit Arbeit- und Berufsverbot belegt. 1939 emigrierte er nach Großbritannien; zunächst als „feindlicher Ausländer“ interniert erhielt er nach Kriegsende die britische Staatsbürgerschaft. Mitte der 1950er Jahre kehrte Kramer vereinsamt und krank nach Wien zurück; bereits ein Jahr später verstarb er – wenig beachtet von der Öffentlichkeit. Kramers literarisches Wirken – sein Nachlass umfasste mehr als 10.000 (!) Werke – war lange Zeit der Vergessenheit anheim gefallen; erst seit Ende der 1970er Jahre wurde es wieder entdeckt. Der Berliner Liedermacher Hans-Eckhardt Wenzel hat eine Anzahl von Kramers Gedichten vertont und so das allgemeine Interesse geweckt. Die 1984 gegründete Theodor-Kramer-Gesellschaft vergibt seit 2001 alljährlich den Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil. Gewürdigt werden soll mit der Auszeichnung nicht nur die literarische Qualität, sondern darüber hinaus auch die Haltung und das Schicksal des/der Preisträger/in.

 

 

Von der Ortschaft Pulkau, heute dem Bezirk Hollabrunn zugehörig, ging im Jahre 1338 eine große Verfolgungswelle aus, die ihren Anlass in einer angeblichen Hostienschändung hatte; nicht nur niederösterreichische Orte, sondern auch manche im angrenzenden Böhmen und Mähren waren davon betroffen. Die Juden in Pulkau wurden ermordet, ihre Häuser niedergerissen; an deren Stelle errichtete man die sog. Blutkapelle.

 

 

Die jüdischen Bewohner in Retz – 1890 waren es ca. 75 Personen – gehörten der Hollabrunner Kultusgemeinde an; trotzdem richtete man am Ort einen Betraum ein, der 1896 eingeweiht wurde. Zwölf Jahre später verlegte man diesen von der Lehengasse in ein Gebäude am Hauptplatz; allerdings soll dessen Nutzung nur wenige Jahre gedauert haben, da nach dem Ersten Weltkrieg kaum noch ein Minjan zustande kam.

 

 

 

Weitere Informationen:

Ernst Ritter (Bearb.), Die Geschichte der Juden in Hollabrunn, in: Hugo Gold (Hrg.), Geschichte der Juden in Österreich - Ein Gedenkbuch, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1971, S. 33/34

Ulrike Gollonitsch, “Als wär’ nichts geschehen” - Die jüdische Gemeinde in Hollabrunn, Hrg. Verein Kultur im Alltag, Wien 1990

Klaus Lohrmann, Die Wurzeln lebendiger Tradition - Niederösterreich im Spiegel jüdischer Friedhöfe, in: Mahnmale - Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 1992, S. 73 f.

Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 82/83

Wolfgang Johann Fittner, Chronik der Stadt Hollabrunn, Hollabrunn 2002

Walter Baumgartner/Robert Streibel, Juden in Niederösterreich: ‘Arisierungen’ und Rückstellungen in den Städten Amstetten, Baden, Hollabrunn ... und Wiener Neustadt, in: "Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission", Band 18, Wien 2004

Christoph Lind, “Der letzte Jude hat den Tempel verlassen ...” Juden in Niederösterreich 1938 - 1945, Mandelbaum-Verlag, Wien 2004, S. 105 - 115

Tina Walzer, Jüdisches Niederösterreich erfahren - eine Reise durch das Weinviertel der vergangenen 150 Jahre, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft No. 62 (Sept. 2004)

Alfred Fehringer, „Ihr müsst hier weg“ – Die Jüdische Gemeinde von Hollabrunn 1850 bis 1938, Mandelbaum Verlag, Wien 2008

Evelyn Adunka, Zur jüdischen Religionsgeschichte von Perchtoldsdorf und Hollabrunn, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft No. 80 (März 2009)

Christoph Lind, Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden Niederösterreichs 1938 - 1945, in: H. Arnberger/C. Kuretsidis-Haider (Hrg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Mandelbaum Verlag, Wien 2011, S. 46 ff.

N.N. (Red.), Hollabrunn. Mahnmal im Gedenken an NS-Opfer enthüllt, in: „NÖN - Niederösterreichische Nachrichten“ vom 9.11.2018

Ida Olga Höfler, Die jüdischen Gemeinden im Weinviertel und ihre rituellen Einrichtungen 1848- 1938/45 – der politische Bezirk Hollabrunn, Pilum Literatur Verlag, Strasshof 2021 (Band 1: Rituelle Einrichtungen, Begräbnisstätten. Alberndorf – Hollabrunn und Band 2: Immendorf – Ziersdorf, Familien und Personen in der Gemeinde)

Ruben Abasolo (Red.), Jüdischer Friedhof Hollabrunn - „Ein Denkmal für unsere Stadt“, in: "NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ vom 10.8.2022