Hoof-Breitenbach (Hessen)
Hoof ist heute ein Ortsteil der Kommune Schauenburg im Kreis Kassel; zu dieser gehören u.a. auch die Dörfer des früheren adligen Gerichts Schauenburg: Breitenbach und Elmshagen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Hoof-Breitenbach, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Kassel', JaynFM 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BA-SA 2.5).
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts gab es in Hoof (Schauenburg) die zahlenmäßig größte jüdische Gemeinde im Altkreis Kassel.
Gemeinsam mit den jüdischen Bewohnern in den Nachbarortschaften Breitenbach und Elmshagen bildeten die Juden in Hoof (oder Hof) eine Kultusgemeinde, deren Wurzeln vermutlich bis ins Ende des 16.Jahrhunderts reichen. Die adligen Grundherren, die Freiherren von Dalwigk, hatten damals „Schutzjuden“ in Hoof ansiedeln lassen. Grundlage ihres mehr als bescheidenen Lebens war der Kleinhandel; daneben betrieben sie auch ein wenig Landwirtschaft. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Gemeinde Hoof-Breitenbach zur zahlenmäßig stärksten israelitischen Gemeinde im Landkreis Kassel; gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörten ihr ca. 230 Mitglieder an.
Um das Jahr 1840 ließ die Gemeinde in einem angekauften ehemaligen Bauernhaus an der Korbacher Straße eine Synagoge einrichten; im Betraum des Fachwerkgebäudes fanden ca. 80 Personen Platz; im Kellergeschoss war eine Mikwe eingebaut. Genutzt wurde die Hoofer Synagoge auch von den jüdischen Familien aus Breitenbach und Elmshagen. Ebenfalls im Synagogengebäude waren Schulraum und Lehrerwohnung untergebracht; die jüdische Elementarschule, die von relativ vielen Schülern - in den 1890er Jahren waren es immerhin fast 60 Kinder - besucht wurde, bestand seit 1827.
Über den mehr als ein halbes Jahrhundert hier wirkenden jüdischen Lehrer Abraham Goldschmidt liegt ein Zeitungsbericht vom 26.3.1886 vor, der anlässlich seines Todes erschienen war; darin hieß es: „In Hoof-Breitenbach starb Herr Lehrer Abraham Goldschmidt, ein von seinen zahlreichen Schülern und den Gemeindegliedern hoch geehrter Mann. 56 Jahre wirkte er daselbst als Lehrer, Vorbeter und Schochet und hatte sich als solcher die volle Zufriedenheit seiner Gemeinde und der hohen Behörden erworben. Dies zeigte sein im Jahre 1877 gefeiertes 50-jähriges Dienstjubiläum, das sich damals zu einem wahrhaft großartigen Fest gestaltete. Zu seinem Leichenbegängnisse waren seine vielen Freunde aus der Nähe und der Ferne herbeigeeilt; viele Christen aus dem Orte und die christlichen Lehrer wohnten demselben bei. Herr Landrabbiner Dr. Prager aus Kassel hielt die tief durchdachte und warm empfundene Leichenrede, und ein Schüler des Verstorbenen rühmte dankend seines Lehrers segensreiche Tätigkeit.“
Zu Beginn der 1930er Jahre stellte die Schule ihren Betrieb ganz ein, nachdem sie bereits zwei Jahrzehnte lang nur als einklassige Schule geführt worden war und nun der letzte jüdische Lehrer (Menko Schierling) pensioniert war.
Ein von der Schutzherrschaft zur Verfügung gestelltes Areal diente ab ca. 1595 mehrere Jahrhunderte den verstorbenen Juden aus Hoof-Breitenbach und Elmshagen als Begräbnisplatz - in Dokumenten als „die Judengruft an der Straße“ bezeichnet. Zuvor waren Verstorbene vermutlich in Niedenstein beerdigt worden. Um 1840 wurde ein neuer Friedhof angelegt, da der alte aus hydrologischen Gründen aufgegeben werden musste. Dieses Begräbnisgelände, das sich zunächst im Besitz der Herren von Dalwigk befand, ging 1857 in den Besitz der Kultusgemeinde über.
Die jüdische Gemeinde Hoof unterstand dem Provinzialrabbinat Niederhessen mit Sitz in Kassel.
Juden in Hoof:
--- um 1745 .......................... 7 jüdische Familien,
............................. 8 “ “ ,* * Breitenbach
--- 1823 ............................ 128 Juden,** ** Hoof
--- 1861 ............................ 170 “ (ca. 16% d. Bevölk.),**
............................ 54 " ,*
--- 1871 ............................ 136 “ ,**
--- 1885 ............................ 161 “ ,**
--- 1895 ............................ 162 " ,**
--- 1905 ............................ 137 “ ,**
............................ 31 " ,*
--- 1924 ............................ 105 " (ca. 7% d. Bevölk.),**
............................ 19 " ,*
--- um 1930 ..................... ca. 120 " ,*** *** Hoof/Breitenbach
--- 1942 ............................ keine.
Angaben aus: P. Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 401
Das Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerungsmehrheit schien relativ problemlos gewesen zu sein; so waren jüdische Bürger auch in kommunalen Organisationen (Feuerwehr, Kyffhäuserverein, Gemeinderat) vertreten.
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte die Abwanderung der jüdischen Dorfbewohner ein; sie verstärkte sich mit Beginn der 1930er Jahre.
Am 8. (!) November 1938 wurde die Hoofer Synagoge von Nationalsozialisten demoliert, Inneneinrichtung und Ritualien zerstört. Das baulich erhalten gebliebene Gebäude wurde anschließend von der HJ genutzt; nach 1945 diente es zumeist Wohnzwecken. Die allermeisten jüdischen Bewohner Hoofs und Breitenbachs verließen bis Kriegsbeginn ihren Heimatort; ein Teil ging in die Emigration, der andere Teil verzog in größere Orte. Nach 1939 wurden die noch verbliebenen Juden zwangsweise nach Kassel abgeschoben. Von hier wurden sie - zusammen mit anderen Juden Nordhessens - in die „Lager des Ostens“ deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind mindestens 82 jüdische Bewohner aus Hoof, Breitenbach und Elmshagen Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hoof_synagoge.htm).
Eine einzige jüdische Familie kehrte nach 1945 nach Hoof zurück, wanderte aber zwei Jahre später in die USA aus.
An die einstige jüdische Bevölkerung von Hoof und Umgebung erinnern heute zwei Gedenktafeln, die am ehemaligen Synagogengebäude angebracht sind.
Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2008)
Die andere Tafel trägt unter einem Davidstern die folgende Inschrift:
Wenn man die Toten vergißt, tötet man sie noch einmal.
TALMUD
Zum Gedenken an die unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft
vertriebenen und getöteten Mitbürger jüdischen Glaubens aus den Schauenburger Dörfern.
Ihr Schicksal bedeutet uns stete Mahnung und Verpflichtung zu Frieden und Toleranz.
Die Bürger Schauenburgs 1998
Ehem. Synagogen- u. Schulgebäude (Aufn. um 1965, aus: P. Arnsberg)
Nach Beschluss der Kommunalvertretung (2019) wurden jüngst auf dem Gebiet der Gemeinde Schauenburg sog. „Stolpersteine“ verlegt. Die insgesamt ca. 20 messingfarbenen Steinquader wurden an mehreren Standorten in Hoof und Breitenbach in die Gehwege eingelassen. Der 2022 gegründete.Verein „Stolpersteine in Schauenburg“ hat es sich zum Ziel gesetzt, künftig allen von hier vertriebenen, deportierten/ermordeten jüdischen Bewohnern durch Setzen von „Stolpersteinen“ zu gedenken und ihre Schicksale ins kollektive Gedächtnis zu rufen.
Der unmittelbar an der Bundesstraße liegende jüdische Friedhof - zwischen den Ortsteilen Hoof und Breitenbach - weist heute noch ca. 80, meist aus heimischem Sandstein gefertigte Grabsteine auf.
Das Friedhofsgelände, das während der NS-Zeit geschändet und teilzerstört worden war, wurde 1947 wieder instandgesetzt. In den 1980er Jahre richtete man die Grabsteine wieder auf; allerdings befinden diese sich nicht an ihren ursprünglichen Standorten.
ältere Grabsteine (Aufn. J. Hahn, 2008)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 401 f.
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 99
Geschichtsverein Schauenburg-Hoof (Hrg.), Hoof am Fuß der Schauenburg. Hessische Geschichte(n), Band 2: ‘Die Jüdische Gemeinde Hoof-Breitenbach’, Schauenburg 1987, S. 94 ff.
Christian Abendroth (Bearb.), Zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde Hoof - Breitenbach - Elsmhagen, in: H. Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Juden - Hessen - Deutsche. Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Hofgeismar 1991, S. 110 - 116
Christian Abendroth (Bearb.), Wolf Breidenbach - ein Jude aus Breitenbach, in: Gemeindevorstand Schauenburg (Hrg.), Beiträge zur Geschichte von Schauenburg, Schauenburg 1998, S. 65 ff.
Christian Abendroth (Bearb.), Von Hoof in alle Welt. Auf den Spuren jüdischer Mitbürger nach Flucht oder Vertreibung, in: H.Burmeister/M.Dorhs (Hrg.), Das achte Licht - Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Juden in Nordhessen, Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V. , Zweigverein Hofgeismar, Hofgeismar 2002, S. 263 - 270
Nachhall - Erinnerungen an die Zeit, als noch Juden in Schauenburg lebten, in: "Schauenburger Geschichtsblätter" Heft 5/2006
Heinz Vonjahr/u.a., Ölzweig und Eichbaum, Von der Verwurzelung der Schauenburger Juden. Eine Dokumentation des Geschichtsvereins Schauenburg e.V., 2008
Hoof mit Breitenbach, Elmshagen und Elgershausen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Textdokumenten und Aufnahmen zur jüdischen Ortshistorie)
Sabine Oschmann (Red.), Gegen das Vergessen. Jüdin sucht in Hoof nach Spuren ihrer Vorfahren, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 21.4.2019
Bettina Wienecke (Red.), Sie werden nicht vergessen – 16 Stolpersteine erinnern an jüdische Mitbürger in Schauenburg, in: facebook.com (2021)
Heinz Vonjahr, Stolpersteine, Teil 1: Hoof und Breitenbach, in: „Schauenburger Geschichtsblätter“, Heft 12/2022
Sabine Oschmann (Red.), Stolpersteine gegen das Vergessen: Breitenbacher Bürger erinnern an Opfer des Nationalsozialismus, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 21.11.2023