Höringhausen (Hessen)

Datei:Waldeck in KB.svgHöringhausen ist heute einer von zehn Ortsteilen von Waldeck im nordhessischen Kreis Waldeck-Frankenberg - ca. 35 Kilometer westlich von Kassel gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: wikipedia.org CCO und Kartenskizze 'Landkreis Waldeck-Frankenberg', Hagar 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde von Höringhausen ihren personellen Zenit und stellte damals bis zu 20% der Dorfbevölkerung.

Die auf Waldecker Territorium liegende Ortschaft Höringhausen - eine Enklave im hessischen Gebiet - beherbergte seit Beginn des 18.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde. Die Familien waren den Herren Wolff von Gudenberg als "Schutzjuden" untertan; sie mussten jährlich ein festgelegtes "Judenschutzgeld" zahlen und zudem Abgaben in Form von Naturalien leisten; so war u.a. festgelegt, dass alle Zungen der geschlachteten Kälber, Ochsen und Rinder abgeliefert werden mussten!

Die Judenschaft von Höringhausen errichtete 1854 an der Ecke Arolser Str./Wildunger Str. ein neues Synagogengebäude aus rotem Sandstein, denn die seit 1792 bestehende Synagoge war baufällig geworden. Die finanziellen Mittel für den Neubau waren zum einen durch regelmäßige Beiträge der Gemeindeangehörigen und zum anderen durch eine Kollekte in anderen oberhessischen Gemeinden erbracht worden. Die Einweihung der Synagoge wurde durch den Großherzoglichen Rabbiner Dr. Benedict Samuel Levi aus Gießen vorgenommen. 

Rekonstruktionsskizze Synagoge Höringhausen (G. Lorenz)

Im Synagogengebäude waren auch die Schule und die Lehrerwohnung untergebracht. 

Mit der Verrichtung religiös-ritueller Aufgaben war ein seitens der Gemeinde angestellter Lehrer betraut.

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Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1. April 1863, 4.Nov. 1868 und 27.Nov. 1878

Herausragende Persönlichkeit im Gemeindeleben war während der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts Abraham Bickhardt, der sechs Jahrzehnte (!) bis zu seinem Tode (1912) das Amt des Vorstehers ausübte. Eine Würdigung seiner gemeindlichen Tätigkeit erfolgte anlässlich seines Todes im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt (1912); darin hieß es:

... Wer den Verstorbenen gekannt hatte, konnte sich wohl schwerlich dem Zauber dieser fesselnden, nur selbstlose Güte ausstrahlenden Persönlichkeit entziehen. Imponierend in seinem Äußeren wie in seinen geistigen und moralischen Eigenschaften, zwang  er Juden wie Nichtjuden durch seine unbestechliche Ehrlichkeit und tadellose Lebensführung rückhaltslose Bewunderung ab. Über 60 Jahre stand er an der Spitze der jüdischen Gemeinde. Auch in der politischen Gemeinde hatte er viele Jahre Ehrenämter inne, und seinem Wirken ist es wohl am meisten zu verdanken, dass der jüdischen Gemeinde Höringhausen der Stempel wahrer Orthodoxie aufgedrückt ist. Täglich hatte er, auch als er noch mitten im Berufe stand, einige Stunden Zeit zum Lernen gefunden, später, als er privatisierte, gab er sich fast vollständig dem Torastudium hin. Er hat es als schönste Lebensaufgabe betrachtet, seine Kinder, of mit Aufbietung großer pekuniärer Opfer, als streng fromme Juden zu erziehen und hat mit dem Bewusststein, dieses Ziel erreicht zu haben, ruhigen und reinen Gemütes seinem Ende entgegengesehen. ...“

Seit 1869 gab es eine eigene Elementarschule; diese wurde zunächst als Privatschule, seit 1886 als staatlich anerkannte Schule geführt. Mit dem Rückgang der Schülerzahl wurde die Schule gegen Ende des Ersten Weltkrieges endgültig geschlossen.

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten eine relativ große Begräbnisstätte am Komberg (in der Gemarkung Höringhausen), die vermutlich im ausgehenden 18.Jahrhundert angelegt wurde. Das „Begräbnisgeld“ war für Erwachsene und für Kinder festgelegt; dabei musste damals die Hälfte der eingenommenen Summe an das landgräfliche Amt in Vöhl abgeführt werden, die andere verblieb beim Lehnsherrn.

Die Gemeinde gehörte bis in die 1880er Jahre zum Rabbinat Gießen, danach zum Provinzialrabbinat Marburg.

Juden in Höringhausen:

    --- 1770 .........................  17 Juden,

    --- 1783 .........................  24 jüdische Familien (?),

    --- 1830 .........................  85 Juden,

    --- 1856 ......................... 152   “  (in 26 Familien),

    --- 1871 ......................... 110   “  (ca. 14% d. Bevölk.),

    --- 1885 .........................  81   “  (in 18 Familien),

    --- 1895 .........................  66   “  (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1905 .........................  59   “  ,

    --- 1925 .........................  28   “  ,

    --- 1932/33 ......................  22   “  (in 5 Familien),

    --- 1939 .........................   4   “  ,

    --- 1942 .........................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 378

und                 Anneliese Laartz, Juden in Höringhausen

 

Die Juden Höringhausens ernährten ihre Familien mehr schlecht als recht vom Vieh- und Kleinhandel; ab Mitte des 19.Jahrhunderts sollen die Familien dann in gesicherten Verhältnissen gelebt haben. Mit der Abwanderung der zumeist jüngeren Juden aus Höringhausen in die größeren Städte ab 1870/1880 verkleinerte sich die Gemeinde stetig; zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch fünf Familien im Ort. Die nach Kassel verbrachten Ritualien der Synagoge Höringhausens wurden während des Novemberpogroms vernichtet. Die letzten jüdischen Bewohner wurden im Laufe des Jahres 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 17 gebürtige bzw. länger im Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hoeringhausen_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude ging 1937 in den Besitz der Spar- und Darlehenskasse über und diente seitdem als Lagerraum. Nach Kriegsende wurde das Gebäude mehrere Jahre als Flüchtlingsunterkunft genutzt; 1990 wurde schließlich das Haus abgerissen, um einem Neubau der Raiffeisenbank Platz zu machen. Eine Gedenktafel erinnert heute an das ehemalige Gotteshaus der Höringhausener Juden.

                              Gedenktafel für die ehem. Synagoge (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

Auf dem jüdischen Friedhof befinden sich heute noch ca. 25 Grabsteine mit z.T. nicht mehr lesbaren Inschriften; einige stehen allerdings nicht mehr an ihren ursprünglichen Grabstellen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20402/Hoeringhausen%20Friedhof%20IMG_8316.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20184/Hoeringhausen%20Friedhof%20184.jpg17-11-08-Höringhausen-Jüdischer Friedhof-4- DSCF2364.jpg

Jüdischer Friedhof in Höringhausen (Aufn. Günter Lorenz, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

[vgl. Sachsenhausen (Hessen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 378/379

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988, S. 67/68

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Teil II, 1994, S. 66 

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirke Gießen und Kassel, hrg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand, 1995, S. 222

Anneliese Laartz, Juden in Höringhausen, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript 1998 (online abrufbar)

Höringhausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)