Horstmar (Nordrhein-Westfalen)
Horstmar ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 6.800 Einwohnern im Kreis Steinfurt nordwestlich vom westfälischen Münster (hist. Karte, um 1650, aus: genwiki-genealogy.net und Kartenskizze 'Kreis Steinfurt', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC B Y-SA 3.0).
1678 wurde in Horstmar der erste jüdische Bewohner namens "Heineman Davidts" registriert. Gegen Ende des 17.Jahrhunderts lebte eine jüdische Familie in Horstmar, das zum Territorium des Fürstbischofs zu Münster gehörte; eine weitere folgte erst ca. 100 Jahre später.
1703 erreichte eine Beschwerde des Bürgermeisters und Rates den "fürstlichen Kammerpräsidenten in Münster“, wonach die jüdische Familie des Heineman Davidts in der Nähe des Horstmarer Kirchhofs wohne und außerdem Ackerbau betreibe, was Juden nach der Judenordnung des Stifts Münster ausdrücklich verboten war. Die Angelegenheit wurde vor die Hofkammer Münster auf dem Wege eines Vergleichs geregelt: Gegen Zahlung einer zusätzlichen jährlichen Abgabe von 13 1/2 Reichstalern durfte die Familie Heiman ihre bisherigen „Freiheiten“ behalten.
Mit dem Zuzug drei weiterer Familien zwischen 1810 und 1820 entstand hier eine kleine Gemeinde. Ihre Angehörigen ernährten sich „von Metzgerei und einem kleinen unbedeutenden Detail-Handel” und lebten „dürftig oder doch nur in äußerst mittelmäßigen Umständen” und komme deshalb „mit der bemittelten und wohlhabenden Klasse der hiesigen Einwohner außer der Metzgerei in gar keine Berührung“. Erst in den folgenden Jahrzehnten besserte sich ihre ökonomische Lage.
Eine Betstube in einem „kleinen elenden Neben-Gebäude” ist erstmals um 1820 nachgewiesen; über eine innergemeindliche Organisation (wie Gemeindestatut, Vorsteher etc.) verfügte die hiesige Judenschaft bis Mitte des 19.Jahrhunderts nicht. So ist vermutlich auch zu erklären, dass es zwischen den Familien oft Streitigkeiten gab, die auch im Betraum ausgetragen wurden. Beim Vorbeterdienst wechselten sich die Gemeindemitglieder wöchentlich ab, bis dann Anfang der 1840er Jahre erstmals ein Gemeindevorsteher u. -vorsänger (der hiesige Metzger Leeser Cohen) genannt wird, der diese Tätigkeit offenbar unentgeltlich versah.
Ende der 1850er Jahre ließen die Horstmarer Juden - trotz finanzieller Schwierigkeiten - in der Ringstraße (heute Gossenstraße) ein Synagogengebäude errichten. Die Mittel für den Bau hatten die Gemeindeangehörigen aufgebracht, dazu kam Geld aus einer im Regierungsbezirk Münster durchgeführten Kollekte. Eine detaillierte Synagogenordnung existierte bereits seit 1855.
Anm.: Eine Abbildung des Synagogengebäudes ist nicht erhalten; überliefert ist lediglich, dass es ein „niedriges Gebäude“ mit bunten bleiverglasten Rundbogenfenstern war.
Ab der Jahrhundertwende gab es am Ort eine jüdische Privatschule, die aus einer schon länger bestehenden Religionsschule hervorgegangen war; sie wurde bereits 1917 (nach der Einberufung des Lehrers zum Militärdienst) wieder geschlossen; die neun Kinder besuchten nun die hiesige Volksschule.
Der alte Horstmarer Judenfriedhof lag am Stadtwall, der im Jahre 1845 „auf Grund zu geringer Distanz zur örtlichen Bebauung“ geschlossen wurde. Ein neu angelegtes, ca. 275 m² großes Beerdigungsgelände am Borghorster Weg wurde bis in die 1920er Jahre genutzt. Danach stand am Rande des kommunalen Friedhofs eine Fläche zur Verfügung.
Die kleine jüdische Gemeinschaft in Horstmar gehörte ab 1855 als Untergemeinde zur Hauptsynagogengemeinde Burgsteinfurt.
Juden in Horstmar:
--- um 1680 ........................... eine jüdische Familie,
--- um 1730 ........................... 2 " " n,
--- um 1795 ........................... 2 " " ,
--- 1818 .............................. 5 " " (21 Pers.),
--- 1853 .............................. 8 " " ,
--- um 1860 ........................... 34 Juden,
--- 1905 .............................. 56 " ,
--- 1907 .............................. 66 " ,
--- 1924/25 ........................... 44 " ,
--- 1935 .............................. 37 " ,
--- 1940 .............................. keine.
Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Reg.bez. Münster, S. 353
und Willi Feld, Horstmar, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen …, S. 403
hist. Ansicht um 1914, (Abb. Robinson RD, aus: nailizakon.com)
Gegen Ende der 1920er Jahre lebten sechs jüdische Familien in Horstmar, die ihren Lebensunterhalt als Pferde- und Viehhändler und im Manufakturwarenhandel verdienten. Nach der NS-Machtübernahme lastete besonders auf den vom Viehhandel lebenden Familien erheblicher wirtschaftlicher Druck, der eine Folge ihrer Boykottierung auf den Viehmärkten der Region war.
Zuschrift in: „Der Stürmer“, No. 23/1936
In der Nacht des 9./10.November 1938 wurde auf Anweisung des NSDAP-Kreisleiters des Altkreises Steinfurt die Horstmarer Synagoge zerstört; zahlreiche Schaulustige verfolgten die völlige Demontage des Gotteshauses, einige beteiligten sich auch an der "Aktion". Nachdem das Dach teilweise abgedeckt war, fielen auch die Mauern; auf eine Brandlegung war wegen der Gefährdung umliegender Häuser verzichtet worden. Auch Wohn- und Geschäftshäuser jüdischer Familien wurden unter Führung des hiesigen NSDAP-Ortsgruppenleiters demoliert und z.T. gerplündert. Männer wurden festgenommen, nach Burgsteinfurt transportiert und im dortigen Gefängnis bis zu zwei Wochen "in Schutzhaft" gehalten.
In den folgenden Wochen und Monaten veräußerten die nun in Angst lebenden Horstmarer Juden ihren Besitz. Bis Ende 1939 hatten alle jüdischen Bewohner die Kleinstadt verlassen; einige verzogen in größere Städte, anderen gelang noch ihre Emigration.
Nachweislich sind 32 gebürtige bzw. in Horstmar ansässige jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ geworden.
Im Frühjahr 1948 wurde der ehem. NSDAP-Ortsgruppenleiter von Horstmar in einem Strafverfahren („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“) zu neunmonatiger Gefängnishaft verurteilt.
An der Ecke Bahnhofstraße/Borghorster Weg erinnert heute eine niedrige Stele mit angebrachter Inschriftentafel an den jüdischen Friedhof von Horstmar. Das (zuletzt genutzte) jüdische Begräbnisfeld auf dem kommunalen Friedhof an der Hagenstiege weist fünf Grabstätten auf.
Auf dem ehemaligen Gelände des jüdischen Friedhofs am Borghorster Weg - es fiel einer Firmenexpansion zum Opfer und war eingeebnet worden – erinnert seit 2023 eine Stele an diese historische Stätte. Das aus Cortenstahl gefertigte Denkmal ist eine Schöpfung des Künstlers Erich Büscher-Eilert.
Mahnmal (Aufn. 2023, aus: horstmar.de)
Gegenüber dem einstigen Synagogengrundstück in der Gossenstraße erinnert seit 1987 eine bronzene Gedenktafel mit den Worten an die Geschehnisse:
Im Gedenken an die in der Nacht vom 9. auf den 10.November 1938 zerstörte Horstmarer Synagoge.
Anfang Dezember 2008 wurde an der Außenwand des Rathauses eine Gedenktafel für die verfolgten und ermordeten Bürger jüdischen Glaubens und alle Opfer des Nationalsozialismus angebracht.
Gedenktafel (Abb. aus: zeitzeichen-horstmar.de)
Etwa zeitgleich begann man mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ in den Gehwegen des Ortes; bis auf den heutigen Tag sind mehr als 50 messingfarbene Steinquader in die Pflasterung eingelassen worden (Stand 2023).
"Stolpersteine" für Fam. Eichenwald, Königsstr. (Aufn. T., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
für Fam. Steinweg*, Gossenstr.
* Die Familie Steinweg erlitt in der NS-Zeit ein besonders grausames Schicksal: Die Eltern und fünf ihrer neun Kinder wurden in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet.
[vgl. Burgsteinfurt (Nordrhein-Westfalen)]
In Schöppingen – wenige Kilometer westlich von Horstmar – wurden 2023 in Erinnerung an die jüdische Familie Ransenberg drei sog. „Stolpersteine“ verlegt. Die Familie hatte in der Amtsstraße ein Manufakturwaren- bzw. Textilwarengeschäft betrieben; Anfang 1939 emigrierten Hilde und ihr Sohn Werner via Hamburg nach Brasilien.
Aufn. aus: schoeppingen.de
Weitere Informationen:
Willi Feld/Thomas Starosta, Bau und Zerstörung der Synagogen im Kreis Steinfurt, in: "‘Unser Kreis. Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 1989"
Willi Feld/Thomas Starosta, Die Geschichte der Juden im Kreis Steinfurt, in: "Steinfurter Hefte", No.13, Steinfurt, S. 22
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag Bochum 1999, S. 262
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 352 - 358
Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte, Zerstörung, Gedenken, Hrg. Kreis Steinfurt, 2004, S. 15 – 19
Willi Feld (Bearb.), Horstmar, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 403 – 412
Jüdische Gemeinde Horstmar (hist. Kurzüberblick), online abrufbar unter: wiki-de.genealogy.net/Horstmar/Synagoge_in_Horstmar
N.N. (Red.), Horstmar: Grausames Schicksal, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 3.11.2010 (betr. Familie Steinweg, Gossenstraße)
Initiative Stolpersteine Horstmar, online abrufbar unter: zeitzeichen-horstmar.de (von hier stammen auch die obigen Abbildungen)
Jüdischer Friedhof soll verschönert werden. Wer spendet für jüdischen Friedhof, in: "Westfälische Nachrichten“ vom 12.6.2014
Initiative Stolpersteine Steinfurt (Hrg.), Dokumentation Horstmar – Die jüdische Gemeinde Horstmars, online abrufbar unter: stolpersteine-steinfurt.de/dokumentationen/dokumentation-horstmar/
Auflistung der in Horstmar verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Horstmar
Anna-Maria Vossenberg (Red.), Licht ins schwere Schicksal gebracht, in: „Münstersche Zeitung“ vom 13.6.2019 (betr. Schicksal von Hans Löwenstein)
Sabine Niestert (Red.), Gegen das Vergessen - Anna-Maria Vossenberg hat ein Buch über das Schicksal jüdischer Familien in Horstmar geschrieben, in: „Münstersche Zeitung“ vom 6.11.2020
Anna-Maria Vossenberg, „Solltet Ihr mal längere Zeit nichts von uns hören, so beunruhigt Euch nicht“ - Die Schicksale der jüdischen Familien in Horstmar, 2020
N.N. (Red.), Zurück zur Ursprünglichkeit, in: „Münstersche Zeitung“ vom 24.4.2021 (betr. Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs)
N.N. (Red.), Lebens- und Leidenswege der jüdischen Mitbürger aus Horstmar stehen im Fokus: Bewegende Schicksale, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 12.8.2021
fn (Red.), Zur Erinnerung und zur Mahnung – Gedenkplatte für den ehemaligen jüdischen Friedhof, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 22.9.2022
Jens Thorsten Schmidt (Red.), Gedenkstele erinnert an alten jüdischen Friedhof in Horstmar – Endlich ein Ort der Erinnerung, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 23.8.2023
Anna-Lena Haget (Red.), Die ersten Stolpersteine in Schöppingen verlegt – Erinnerung an die jüdische Familie Ransenberg, in: „Münsterland Zeitung“ vom 19.12.2023